8.3 Bedingungen der Kriegsgefangenschaft
826. Der Gewahrsamsstaat kann die Kriegsgefangenen in Lagern unterbringen und bewachen (3 21 Abs. 1). Die Lager müssen auf festem Land und außerhalb der Gefahrenzone liegen (3 19 Abs. 1, 22 Abs. 1, 23 Abs. 1). Kriegsgefangene dürfen nicht dazu genutzt werden, Kampfhandlungen von gewissen Punkten oder Gebieten fernzuhalten (3 23 Abs. 1).
827. Die Lager müssen Mindestanforderungen an Hygiene und Gesundheit entsprechen (3 22 Abs. 1). Die Unterkunftsbedingungen der Kriegsgefangenen müssen ebenso günstig sein, wie diejenigen der in der gleichen Gegend untergebrachten Truppen des Gewahrsamsstaates. Die Bedingungen haben den Sitten und Gebräuchen der Kriegsgefangenen Rechnung zu tragen. Die Unterkünfte müssen vor Feuchtigkeit geschützt, genügend geheizt und beleuchtet sein. Es sind Vorsichtsmaßnahmen gegen Brandgefahr zu treffen (3 25 Abs. 1).
828. In jedem Lager sind der Wortlaut des vorliegenden Abkommens, seiner Anhänge und von gegebenenfalls zwischen den Konfliktparteien getroffenen Sondervereinbarungen in der Sprache der Kriegsgefangenen an für alle Gefangenen einsehbaren Stellen zu veröffentlichen (3 41).
829. Die Kriegsgefangenen werden im gleichen Maße wie die ortsansässige Zivilbevölkerung mit Schutzräumen gegen Luftangriffe und andere Gefahren geschützt. Jede andere zugunsten der Zivilbevölkerung getroffene Schutzmaßnahme muss auch ihnen zugutekommen (3 23 Abs. 2). Soweit die militärische Lage es erlaubt, sind die Lager mit den Buchstaben PG (prisonniers de guerre) bzw.
PW (prisoners of war) zu kennzeichnen, damit sie aus der Luft deutlich erkennbar sind (3 23 Abs. 4).
Abb. 12: Kennzeichnung von Kriegsgefangenenlagern
830. Die Kriegsgefangenen sind in den Lagern möglichst nach ihrer Nationalität, ihrer Sprache und ihren Gebräuchen zusammengefasst unterzubringen (3 22 Abs. 3).
831. Frauen werden besonders geschont. In Lagern, in denen gleichzeitig Männer und Frauen untergebracht sind, muss für getrennte Schlafräume und getrennte sanitäre Einrichtungen gesorgt sein (3 25 Abs. 4, 29 Abs. 2). Frauen werden mit aller ihrem Geschlecht gebührenden Rücksicht behandelt und erfahren auf jeden Fall eine ebenso günstige Behandlung wie die Männer (3 14 Abs. 2). Weibliche Kriegsgefangene, die eine Disziplinarstrafe verbüßen, werden in von den Männerabteilungen getrennten Räumen in Haft gehalten und unter die unmittelbare Überwachung von Frauen gestellt (3 97, 108).
832. Kindern unter fünfzehn Jahren, die entgegen den völkerrechtlichen Bestimmungen unmittel- bar an Feindseligkeiten teilnehmen36, wird der ihnen zustehende besondere Schutz gewährt, unab- hängig davon, ob sie Kriegsgefangene werden oder nicht (5 77 Abs. 3). Werden Kinder im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt festgenommen, in Haft gehalten oder interniert, so werden sie besonders geschont und geschützt. Das Völkerrecht verpflichtet zur Unterbringung in Räumlichkeiten, die von den Erwachsenen getrennt sind. Dies gilt ausnahmsweise nicht im Falle von gefangenen oder internierten Familien; diese sollen nach Möglichkeit so untergebracht werden, dass deren Einheit erhalten bleibt (5 77 Abs. 4, 75 Abs. 5).
833. Den Kriegsgefangenen ist zur Erhaltung eines guten Gesundheitszustandes und zur Verhinderung von Gewichtsverlusten und Mangelerscheinungen ausreichende Verpflegung (3 26) zuteilwerden zu lassen, wobei den religiösen Ernährungsgewohnheiten Rechnung zu tragen ist. Der Gewahrsamsstaat hat alle nötigen Maßnahmen der Hygiene bzw. der Gesundheitspflege zu treffen. Die Kriegsgefangenen erhalten die notwendige ärztliche Betreuung (3 29-31), außerdem Bekleidung in genügender Menge (3 27). Der Gewahrsamsstaat fördert die geistige, erzieherische, sportliche und die der Erholung dienende Betätigung der Kriegsgefangenen; er trifft die nötigen Maßnahmen, um diese Betätigung zu gewährleisten, indem er ihnen geeignete Räume sowie die nötige Ausrüstung zur Verfügung stellt. Den Kriegsgefangenen muss die Möglichkeit zu körperlichen Übungen, einschließlich Sport und Spielen, und zum Aufenthalt im Freien geboten werden (3 38).
834. Die freie Religionsausübung wird im Rahmen der militärischen Ordnungsvorschriften gewährleistet, für Gottesdienste sind geeignete Räume zur Verfügung zu stellen (3 34).
Zurückgebliebene oder zurückgehaltene Feldgeistliche sind berechtigt, geistlichen Beistand zu leisten und ihr Amt uneingeschränkt auszuüben. Gleiches gilt für Kriegsgefangene, die geistlichen
36 Die Verwendung von Kindern unter fünfzehn Jahren zur Teilnahme an Feindseligkeiten oder deren Zwangsverpflichtung oder Eingliederung in Streitkräfte ist als Kriegsverbrechen strafbar (33 8 Abs. 2 Buchst. b xxvi und Buchst. e vii).
Unabhängig davon haben sich die Vertragsstaaten des Fakultativprotokolls zur VN-Kinderschutzkonvention völkerrechtlich verpflichtet, sicherzustellen, dass Angehörige ihrer Streitkräfte, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, nicht unmittelbar an Feindseligkeiten teilnehmen bzw. obligatorisch zu den Streit- kräften einberufen werden (40 1, 2). Im Bereich der Dienstleistung Freiwilliger erhöht das Fakultativprotokoll das nach dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes bisher geltende Mindestalter von 15 auf 16 Jahre, sodass es für die Vertragsstaaten des Fakultativprotokolls grundsätzlich zulässig ist, Personen ab Vollendung des 16. Lebensjahres den freiwilligen Dienst in den Streitkräften zu ermöglichen. Personen unter 18 Jahren haben jedoch Anspruch auf besonderen Schutz.
Standes sind, ohne in den eigenen Streitkräften Feldgeistlicher gewesen zu sein. Sie dürfen zu keiner anderen Arbeit gezwungen werden (3 35, 36).
835. Der Gewahrsamsstaat darf gesunde Mannschaftsdienstgrade zu bestimmten, nicht- militärischen Arbeiten heranziehen (3 49 Abs. 1, 50). Unteroffiziere dürfen nur zu Aufsichtsarbeiten herangezogen werden. Offiziere sind von der Arbeitspflicht befreit (3 49 Abs. 2, 3). Den Kriegsgefangenen müssen angemessene Arbeitsbedingungen gewährt werden, die nicht schlechter sein dürfen als diejenigen, die den Angehörigen des Gewahrsamsstaates für die gleiche Arbeit gewährt werden (3 51).
836. Keine Kriegsgefangene bzw. kein Kriegsgefangener darf gegen ihren bzw. seinen Willen zu gesundheitsschädlichen oder auf andere Weise gefährlichen (z. B. Minenräumung) oder erniedrigenden Arbeiten verwendet werden; sie bzw. er darf gefährliche oder gesundheits- schädliche Arbeiten jedoch freiwillig verrichten (3 52). 837. Jede bzw. jeder Kriegsgefangene kann, spätestens eine Woche nach Ankunft in einem Lager, die eigene Familie und die Zentralauskunftsstelle für Kriegsgefangene schriftlich mit einer Karte von ihrer bzw. seiner Gefangennahme, ihrer bzw. seiner Anschrift und ihrem bzw. seinem Gesundheitszustand unterrichten (3 70, 123) und danach regelmäßig mit den eigenen Angehörigen korrespondieren.
838. Die Kriegsgefangenen sind ermächtigt, Briefe und Postkarten abzuschicken und zu empfangen, wobei die zugelassene monatliche Anzahl unter keinen Umständen geringer sein darf als zwei Briefe und vier Postkarten (ohne Anrechnung der in 3 70 vorgesehenen Karten). Diese Karten und Briefe sind mit den schnellsten Mitteln zu befördern, über die der Gewahrsamsstaat verfügt; sie dürfen aus disziplinarischen Gründen weder auf- noch zurückgehalten werden (3 71).
Briefpostsendungen, Postpakete und Sendungen des Postzahlungsverkehrs, die an Kriegsgefangene gerichtet sind oder von diesen versandt werden, sind von allen Taxen und Gebühren mit Ausnahme von Luftpostzuschlägen befreit (47 7 Abs. 3).
839. Die Kriegsgefangenen können sich wegen schlechter Bedingungen der Gefangenschaft an die Behörden des Gewahrsamsstaates oder an die Vertreterinnen bzw. Vertreter einer Schutzmacht wenden (3 78 Abs. 1 und 2). Die Wahrnehmung des Rechts, Beschwerden vorzubringen, darf nicht zu einer Bestrafung führen (3 78 Abs. 3). 840. Die Kriegsgefangenen wählen Vertrauensleute zu ihren Interessenvertreterinnen bzw.
Interessenvertretern. Befinden sich kriegsgefangene Offiziere im Lager, so wird der Älteste des höchsten Dienstgrades als Vertrauensmann anerkannt. Jeder Vertrauensmann muss, bevor er seine Funktionen ausüben kann, vom Gewahrsamsstaat genehmigt werden (3 79-81).
841. Die Kriegsgefangenen sind den für die Streitkräfte des Gewahrsamsstaates geltenden allgemeinen Gesetzen, Verordnungen und Anordnungen unterworfen. Die Gewahrsamsmacht ist
berechtigt, gegen jede Kriegsgefangene bzw. jeden Kriegsgefangenen, die bzw. der diese Bestimmungen schuldhaft verletzt, gerichtlich oder disziplinar vorzugehen (3 82 Abs. 1). Kriegs- gefangene dürfen vom Gewahrsamsstaat auf der Grundlage seiner Rechtsordnung auch für Handlungen verfolgt werden, die sie vor ihrer Gefangennahme begangen haben, also insbesondere für Kriegsverbrechen. Sie verbleiben jedoch in jedem Fall im Genuss der Vergünstigungen des III.
Genfer Abkommens, und zwar auch nach ihrer Verurteilung (3 85). Personen, denen der Schutzstatus von Kriegsgefangenen zusteht, darf daher nicht dieser Status mit der Begründung, sie hätten Kriegsverbrechen begangen, aberkannt bzw. vorenthalten werden.
842. Für die strafgerichtliche und disziplinare Ahndung gelten insbesondere folgende Regeln:
• Die bzw. der Kriegsgefangene darf wegen derselben Handlung nur einmal bestraft bzw. gemaßregelt werden (3 86);
• es dürfen nur Strafen und Disziplinarmaßnahmen verhängt werden, die bei gleichen Tatbeständen für die Angehörigen der Streitkräfte des Gewahrsamsstaates vorgesehen sind (3 87 Abs. 1);
• die bzw. der Kriegsgefangene muss die Möglichkeit zu ihrer bzw. seiner Verteidigung haben (3 96 Abs. 4, 99 Abs. 3, 105);
• Kollektivstrafen für Handlungen Einzelner, Körperstrafen, Einkerkerung ohne Tageslicht und jede andere Folter oder Grausamkeit sind untersagt (3 87 Abs. 3);
• Kriegsgefangene dürfen nur vor solche Gerichte gestellt werden, die die Gewähr für Unabhängigkeit und Unparteilichkeit bieten (3 84 Abs. 2);
• Disziplinarmaßnahmen dürfen nicht unmenschlich, grausam oder für die Gesundheit der Kriegs- gefangenen gefährlich sein (3 89 Abs. 3).
Wird gegen eine bzw. einen Kriegsgefangenen durch die Gewahrsamsmacht die Todesstrafe ausgesprochen, so darf das Urteil nicht vor Ablauf von mindestens sechs Monaten vollstreckt werden, gerechnet von dem Zeitpunkt an, in dem die Schutzmacht ausführlich informiert worden ist (3 101, 107). Deutschland hat durch Artikel 102 des Grundgesetzes die Todesstrafe einschränkungslos abgeschafft.37 Unter keinen Umständen darf jemand zu dieser Strafe verurteilt oder hingerichtet werden (siehe Nr. 575).
843. Handlungen, die einen Verstoß gegen die Disziplin darstellen, sind unverzüglich zu untersuchen (3 96 Abs. 1). Disziplinarmaßnahmen dürfen nur durch Gerichte, militärische Kommandobehörden, Lagerkommandantinnen bzw. Lagerkommandanten und deren Vertreterinnen bzw. Vertreter, denen Disziplinarbefugnis übertragen ist, verhängt werden (3 96 Abs. 2). In keinem Fall dürfen Kriegsgefangene selbst Disziplinarbefugnis ausüben (3 96 Abs. 3).
37 Dies folgt auch aus den für Deutschland geltenden Protokollen zur Europäischen Menschenrechtskonvention, Protokoll Nr. 6 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe vom 28.04.1983 und Protokoll Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe vom 03.05.2002.
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