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10.2.2 Gegnerische Handelsschiffe, ihre Ladung, Besatzung und Passagiere

c) Das gegnerische Handelsschiff 1026. Die gegnerische Eigenschaft eines Handelsschiffes wird grundsätzlich durch die Flagge bestimmt, zu deren Führung es berechtigt ist (26 57). 1027. Gegenüber gegnerischen Handelsschiffen können ohne Rücksicht auf ihre Ladung und den Eigentümer alle Maßnahmen des Seehandelskriegs ergriffen werden. Auch Wracks oder noch nicht fertig gestellte Neubauten von Schiffen unterliegen dem Prisenrecht. Nach Aufbringung eines gegnerischen Handelsschiffes muss in einem prisengerichtlichen Verfahren festgestellt werden, ob die Aufbringung rechtmäßig war42. Wird dies von dem Prisengericht bestätigt, so geht das Schiff in das Eigentum des Nehmerstaates über.

42 Siehe für Deutschland: Prisenordnung vom 28.08.1939 (RGBl. 1939 I, S. 1585) und Prisengerichtsordnung vom 28. August 1939 (RGBl. 1939 I, S. 1593)

1028. Einem Handelsschiff einer der Konfliktparteien, das sich bei Ausbruch eines bewaffneten Konflikts in einem gegnerischen Hafen befindet, ist das Auslaufen innerhalb einer angemessenen Frist zu gestatten. Es kann einen Passierschein erhalten, der es ermächtigt, ungehindert seinen Bestimmungshafen oder einen anderen von ihm bezeichneten Hafen anzulaufen (18 1).
Handelsschiffe, die infolge höherer Gewalt den gegnerischen Hafen nicht innerhalb der gesetzten Frist verlassen können, oder denen das Auslaufen nicht gestattet worden ist, dürfen nicht eingezogen werden. Es ist nur zulässig, sie gegen die Verpflichtung zur Rückgabe nach Beendigung des bewaffneten Konflikts zu beschlagnahmen oder gegen Entschädigung anzufordern (18 2). Diese Regeln gelten nicht für Schiffe, deren Bauweise erkennen lässt, dass sie für die Umwandlung in Kriegsschiffe vorgesehen sind (18 5).
1029. Vorbehaltlich der im Seekrieg geltenden Grundsätze werden gegnerische Handelsschiffe dann militärische Ziele und können jederzeit ohne vorherige Warnung angegriffen und versenkt werden, wenn sie
• an Feindseligkeiten teilnehmen, z. B. Minen legen oder räumen, Unterwasserkabel oder Pipelines unterbrechen, andere Handelsschiffe anhalten, durchsuchen oder angreifen,
• einen wirksamen Beitrag zu Kriegshandlungen leisten, indem sie z. B. Kriegsmaterial befördern oder Truppen transportieren bzw. versorgen,
• in das gegnerische Aufklärungssystem eingegliedert sind oder dieses unterstützen,
• im Geleit gegnerischer Kriegsschiffe oder militärischer Luftfahrzeuge fahren,
• eine Aufforderung zum Anhalten ablehnen oder sich aktiv einer Durchsuchung oder Aufbringung widersetzen oder
• auf andere Weise die Voraussetzungen eines militärischen Ziels erfüllen.
1030. Verteidigung gegen Seekriegsmaßnahmen ist gegnerischen Handelsschiffen erlaubt und stellt für sich genommen noch keine verbotene Teilnahme an Kriegshandlungen dar. Sie darf von dem aufbringenden Kriegsschiff mit bewaffneter Gewalt gebrochen werden, da gegnerische Handelsschiffe dadurch zum militärischen Ziel werden (Nr. 1029).
1031. Im Übrigen dürfen gegnerische Handelsschiffe, die nicht die Voraussetzungen eines militärischen Ziels erfüllen, nur zerstört werden, wenn es nicht möglich ist, sie in einen eigenen oder einen verbündeten Hafen einzubringen und zuvor Passagiere, Besatzung und Papiere des Schiffes an einen sicheren Ort gebracht worden sind (27 2). Rettungsboote gelten nicht als sicherer Ort, es sei denn, dass die Sicherheit der Passagiere und der Besatzung unter Berücksichtigung der See- und Wetterverhältnisse durch die Nähe von Land oder die Anwesenheit eines anderen Schiffes, das sie aufnehmen kann, gewährleistet ist (27 2). Nach Möglichkeit ist auch die persönliche Habe der Besatzung und der Passagiere zu bergen.
d) Die Ladung gegnerischer Handelsschiffe
1032. Die gegnerische Eigenschaft der Ladung bestimmt sich nach der Staatsangehörigkeit des Eigentümers oder, wenn dieser staatenlos ist, nach seinem Wohnsitz (26 58). Steht die Ladung im Eigentum einer juristischen Person oder Gesellschaft, so ist deren Sitz maßgebend. Wechselt nach Ausbruch des bewaffneten Konflikts gegnerische Ladung während der Reise den Eigentümer, so behält sie bis zur Ankunft an dem Bestimmungsort ihre gegnerische Eigenschaft (26 60).
1033. Gegnerische Ladung an Bord gegnerischer Schiffe unterliegt der Beschlagnahme und
Einziehung. Dies gilt ohne Rücksicht darauf, ob es sich um Konterbande handelt und ob die Ladung staatliches oder privates Eigentum ist.
1034. Unter Konterbande (Banngut) werden Güter verstanden, die für den Gegner bestimmt sind und für eine Verwendung zu Kriegszwecken in Betracht kommen. 1035. Neutrale Ladung an Bord gegnerischer Schiffe ist frei. Sie unterliegt jedoch der Beschlag- nahme und Einziehung, wenn
• es sich um Konterbande (Banngut) handelt (26 22 ff.),
• das Schiff Blockadebruch begangen hat; eine Ausnahme gilt nur für solche Ladung, deren Befrachter nachweist, dass er zur Zeit der Verladung die Absicht des Blockadebruchs weder kannte noch kennen musste (26 21),
• das Schiff im Geleit gegnerischer Kriegsschiffe fährt oder in sonstiger Weise die Voraussetzungen eines militärischen Ziels erfüllt.
1036. An Bord gegnerischer Schiffe vorgefundene private und amtliche Briefpostsendungen sind unverletzlich. Wird das Schiff, mit dem sie befördert werden, aufgebracht, sorgt der Aufbringende für die unverzügliche Weiterbeförderung (22 1). Wird ein Schiff versenkt, so sind Briefpostsendungen nach Möglichkeit vorher zu übernehmen und ebenfalls weiterzubefördern. Das gegnerische Schiff selbst unterliegt der Aufbringung, auch wenn es sich um ein Postschiff handelt. Das Beschlagnahmeverbot von Briefpost gilt im Falle des Blockadebruchs nicht für Postsendungen, die an einen blockierten Hafen gerichtet sind oder von ihm kommen. Paketpost ist von der Beschlagnahme insoweit ausgenommen, als sie neutralen Personen gehört und keine Konterbande enthält. Der Aufbringende ist berechtigt, Briefbeutel zu öffnen und ihren Inhalt durchzusehen. Die Unverletzlichkeit gilt nicht für in Briefpostsendungen enthaltene Konterbande.
1037. Folgende Gegenstände dürfen nicht beschlagnahmt werden:
• Gegenstände, die den Passagieren oder der Besatzung eines aufgebrachten Schiffes gehören und zu ihrem persönlichen Gebrauch bestimmt sind,
• ausschließlich für die Pflege der Verwundeten und Kranken, für die Verhütung von Krankheiten oder für religiöse Zwecke bestimmtes Material, sofern der Transport von der aufbringenden Partei genehmigt ist (1 35; 2 38),
• Instrumente und sonstiges Material einer Hilfsgesellschaft,
• Kulturgut,
• Post der nationalen Auskunftsbüros für Kriegsgefangene (3 122) und der Zentralauskunftsstellen (3 123),
• Post- und Hilfssendungen für die Kriegsgefangenen und Zivilinternierte sowie Postsendungen dieser Personen,
• Hilfssendungen für die Bevölkerung eines besetzten Gebiets, sofern die von der aufbringenden Partei an die Beförderung geknüpften Bedingungen eingehalten werden (4 59) sowie
• Hilfssendungen für die Zivilbevölkerung eines der Kontrolle einer am Konflikt beteiligten Partei unterliegenden Gebiets, das kein besetztes Gebiet ist (5 70). e) Besatzung und Passagiere gegnerischer Handelsschiffe
1038. Die Besatzungen gegnerischer Handelsschiffe werden,
• wenn sie Staatsangehörige des Gegners sind, Kriegsgefangene (3 4 A 5), es sei denn sie
verpflichten sich schriftlich, für die Dauer der Feindseligkeiten keinen Dienst zu übernehmen, der mit dem bewaffneten Konflikt zusammenhängt (22 6),
• wenn sie Staatsangehörige eines neutralen Staates sind, nicht Kriegsgefangene (22 5).
Letzteres gilt für den Kapitän und die Offiziere nur dann, wenn sie sich schriftlich verpflichten, für die Dauer des bewaffneten Konflikts auf keinem gegnerischen Schiff Dienste zu erbringen (22 5).
Ansonsten werden sie Kriegsgefangene (3 4 A Nr. 5).
Die Bestimmungen über die Freilassung finden keine Anwendung, wenn das Schiff die Voraus- setzungen eines militärischen Ziels erfüllt.
1039. Passagiere gegnerischer Handelsschiffe sind grundsätzlich freizulassen. Passagiere, die sich an Kampfhandlungen beteiligt haben oder die die Reise machen, um sich in den Dienst der gegnerischen Streitkräfte zu stellen, können festgehalten werden. Sie werden Kriegsgefangene, wenn sie zu einer der in Artikel 4 des III. Genfer Abkommens (3) genannten Personengruppen gehören. Ist ihre Zugehörigkeit zu einer dieser Gruppen zweifelhaft, so werden sie bis zu einer Entscheidung der zuständigen Stelle als Kriegsgefangene behandelt (3 5; 5 45). Angehörige der gegnerischen Streitkräfte unter den Passagieren werden Kriegsgefangene.