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4.4.4 Repressalien

488. Repressalien sind in Zeiten internationaler bewaffneter Konflikte durch Streitkräfte durchgeführte und an sich völkerrechtswidrige Zwangsmaßnahmen gegen die gegnerische Konfliktpartei, die ausnahmsweise gerechtfertigt sind, wenn sie eine Konfliktpartei anwendet, um
Völkerrechtsverletzungen des Gegners zu beenden. Repressalien sind nur unter sehr engen
Voraussetzungen zulässig (siehe Nr. 485). Keine deutsche Soldatin und kein deutscher Soldat ist berechtigt, von sich aus Repressalien anzuwenden oder zu befehlen. Repressalien müssen wegen ihrer politischen und militärischen Tragweite von höchster politischer Ebene, in der Bundesrepublik Deutschland von der Bundesregierung, angeordnet werden.
489. Repressalien sind kein „Vergeltungsmittel", sondern ein völkerrechtliches Beugemittel zur Rechtsdurchsetzung bzw. Rechtswiederherstellung und dürfen nur als „ultima ratio", d. h. nach Fehlschlagen eines Versuchs der gütlichen Streiterledigung und nach vorheriger Androhung,
angeordnet werden. Repressalien dürfen nicht außer Verhältnis zu dem Verstoß des Gegners stehen. Sie müssen Erwägungen der Menschlichkeit Rechnung tragen. Repressalien dürfen nicht durchgeführt werden bzw. sind zu beenden, wenn die gegnerische Konfliktpartei die von ihr begangenen Völkerrechtsverletzungen beendet hat. Geheim oder unter Täuschung über den Urheber durchgeführte Maßnahmen sind keine Repressalien, da sie den Beugezweck nicht erreichen können.
Liegen die Voraussetzungen einer Repressalie vor, so handeln die ausführenden Soldatinnen und Soldaten nicht völkerrechtswidrig.
490. Im Humanitären Völkerrecht ausdrücklich verboten sind Repressalien gegen
• Verwundete, Kranke und Schiffbrüchige, Sanitäts- und Seelsorgepersonal, Sanitätseinrichtungen und -material (1 46; 2 47; 5 20),
• Kriegsgefangene (3 13 Abs. 3),
• Zivilpersonen (4 33 Abs. 3; 5 51 Abs. 6),
• zivile Objekte (5 52 Abs. 1),
• Privateigentum von Zivilpersonen in besetzten Gebieten und Angehörige des gegnerischen Staates im eigenen Staatsgebiet (4 33 Abs. 3),
• für die Zivilbevölkerung lebensnotwendige Objekte (5 54 Abs. 4),
• die natürliche Umwelt (5 55 Abs. 2),
• Anlagen und Einrichtungen, die Kräfte gefährlicher Art enthalten (5 56 Abs. 4) sowie
• Kulturgut (5 52 Abs. 1, 53 Buchst. c; 24 4 Abs. 4).
Außerdem verbietet das Humanitäre Völkerrecht den Einsatz von Minen, Sprengfallen und anderen Vorrichtungen (oben Nr. 413) als Repressalie gegen die Zivilbevölkerung als solche oder gegen einzelne Zivilpersonen oder zivile Objekte (8b 3 Abs. 7).