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4 Kampfmittel und Kampfmethoden

4.1 Allgemeine Regeln
4.1.1 Grundlegende Bestimmungen

401. Bereits der „St. Petersburger Erklärung betreffend die Nichtanwendung der Sprenggeschosse im Krieg" von 1868 (12) lag die Erwägung der größtmöglichen Verminderung der Leiden des Krieges zugrunde. In ihr kommt zum Ausdruck, dass in bewaffneten Konflikten die Schwächung der gegnerischen Streitkräfte zulässig ist, nicht jedoch der Gebrauch von Mitteln, „die unnötigerweise
die Wunden der außer Gefecht gesetzten Personen vergrößern oder ihnen unvermeidlich den Tod bringen".
Die Parteien eines bewaffneten Konfliktes haben kein unbeschränktes Recht in der Wahl der Methoden und Mittel der Kriegführung (8 Präambel; 5 35 Abs. 1; 16a 22).
Es ist insbesondere verboten, Methoden und Mittel anzuwenden, die dazu bestimmt oder geeignet sind oder von denen erwartet werden kann, dass sie
• überflüssige Verletzungen oder unnötige Leiden hervorrufen (12; 16a 23 Abs. 1 Buchst. e; 5 35 Abs. 2),
• militärische Ziele und Zivilpersonen oder zivile Objekte unterschiedslos schädigen (5 51 Abs. 4 und 5) oder
• ausgedehnte, lang anhaltende und schwere Schäden der natürlichen Umwelt verursachen (5 35 Abs. 3; 55 Abs. 1, 9).
402. Zu überflüssigen Verletzungen oder unnötigen Leiden führt die Verwendung von
Kampfmethoden oder Kampfmitteln, wenn die zu erwartende Beeinträchtigung keinem militärischen Zweck dient bzw. durch die Waffen- oder Geschosswirkung solche Verletzungen oder Leiden verursacht werden, die zur Neutralisierung der gegnerischen Kräfte nicht erforderlich sind.
403. Das Verbot unterschiedsloser Angriffe bedeutet, dass weder die Zivilbevölkerung als solche noch einzelne Zivilpersonen das Ziel von Angriffen sein dürfen und diese soweit wie möglich zu schonen sind. Die Konfliktparteien dürfen ihre Kriegshandlungen nur gegen militärische Ziele richten. Angriffe gegen militärische Ziele müssen unter größtmöglicher Schonung der Zivilbevölkerung und einzelner Zivilpersonen durchgeführt werden (5 51 Abs. 1; 6 13). Angriffen, welche die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft ziehen können, muss eine wirksame Warnung
vorausgehen, es sei denn, die gegebenen Umstände erlaubten dies nicht (16a 26; 5 57 Abs. 2 Buchst. c). Angriffe, die nicht zwischen Kombattanten oder sonstigen unmittelbar an Feindseligkeiten teilnehmenden Personen und der unbeteiligten Zivilbevölkerung oder zwischen zivilen Objekten und militärischen Zielen unterscheiden, sind daher verboten (5 48, 51 Abs. 4, 5; 14 24 Nr. 3).
Als verbotene unterschiedslose Angriffe sind anzusehen:
• Angriffe, die nicht gegen ein bestimmtes militärisches Ziel gerichtet werden (5 51 Abs. 4 Buchst. a),
• Angriffe, bei denen Kampfmethoden oder -mittel angewendet werden, die nicht gegen ein bestimmtes Ziel gerichtet werden können (5 51 Abs. 4 Buchst. b),
• Angriffe, bei denen Kampfmethoden oder -mittel angewendet werden, deren beabsichtigte Wirkungen sich nicht auf das militärische Ziel begrenzen lassen (5 51 Abs. 4 Buchst. c),
• Angriffe durch Bombardierung, bei denen mehrere deutlich voneinander getrennte militärische Einzelziele in einer Stadt, einem Dorf oder einem sonstigen Gebiet, in dem Zivilpersonen oder zivile Objekte ähnlich stark konzentriert sind, wie ein einziges militärisches Ziel behandelt werden, wie z. B. bei „Flächenbombardements" (5 51 Abs. 5 Buchst. a) sowie
• Angriffe, bei denen mit Verlusten an Menschenleben unter der Zivilbevölkerung, der Verwundung von Zivilpersonen, Schäden an zivilen Objekten oder mehreren derartigen Folgen zusammen zu rechnen ist, die in keinem Verhältnis („excessive") zum erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen (Exzessverbot) (Nr. 405; 5 51 Abs. 5 Buchst. b).
Unterschiedslose Angriffe sind als Kriegsverbrechen (33 8 Abs. 2 Buchst. b i, iv; 35 11 Abs. 1 Nr. 3) strafbar.
404. Der in bewaffneten Konflikten geltende humanitärvölkerrechtliche Grundsatz der Verhält- nismäßigkeit28 (sog. Exzessverbot) ist stets zu beachten (vgl. Nr. 403, Verbot unterschiedsloser Angriffe). Dies bedeutet, dass Angriffe auf militärische Ziele, bei denen auch mit Verlusten an Menschenleben unter der Zivilbevölkerung, der Verwundung von Zivilpersonen, Schäden an zivilen Objekten oder mehreren derartigen Folgen zusammen zu rechnen ist, die in keinem Verhältnis („excessive") zum erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen, verboten sind (5 51 5 Buchst. b, 57 2 Buchst. a iii 57 Abs. 2 Buchst. b). Als militärischer Vorteil ist nach Erklärung der Bundesrepublik Deutschland bei Hinterlegung der Ratifikationsurkunde zu den Zusatzprotokollen derjenige Vorteil zu verstehen, der von dem Angriff insgesamt, nicht aber nur von einzelnen Teilaktionen erwartet wird (46). Dies gewährleistet eine angemessene Abwägung und ebenengerechte Zuweisung von Verantwortung in der militärischen Hierarchie.
405. Bei Prüfung, Entwicklung, Beschaffung oder Einführung von für den jeweiligen Staat neuen Waffen oder neuen Mitteln oder Methoden der Kriegführung ist die Übereinstimmung mit den Regeln des Völkerrechts festzustellen. Insbesondere ist festzustellen, ob ihre Verwendung – stets oder unter

28 Dieser Grundsatz des Humanitären Völkerrechts für bewaffnete Konflikte ist streng zu unterscheiden von dem im nationalen (deutschen) öffentlichen Recht (GG, Verwaltungsrecht) geltenden Verhältnis- mäßigkeitsgrundsatz.

bestimmten Umständen – mit den Regeln des Völkervertragsrechts und des Völkergewohnheitsrechts vereinbar ist (5 36). Für diese Feststellung ist hinsichtlich der deutschen Streitkräfte das Bundesministerium der Verteidigung zuständig.