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5.4.6 Gerichtsbarkeit

569. Die Landesgesetze über die Ahndung strafbarer Handlungen bleiben grundsätzlich in Kraft.
Das Strafrecht des besetzten Gebietes kann die Besatzungsmacht bei einer Gefährdung ihrer Sicherheit oder, wenn es ein Hindernis bei der Anwendung des IV. Genfer Abkommens ist, suspendieren oder außer Kraft setzen (4 64 Abs. 1).
570. Aus diesen Gründen und besonders zur Aufrechterhaltung einer ordentlichen Verwaltung kann die Besatzungsmacht eigene Strafbestimmungen erlassen (4 64 Abs. 2). Diese Straf- bestimmungen treten erst mit der Verkündung in der Sprache der Bevölkerung des besetzten Gebietes in Kraft und können keine rückwirkende Kraft entfalten (4 65).
571. Besatzungsgerichte können vor der Besetzung begangene strafbare Handlungen nur dann verfolgen, wenn es sich um Verstöße gegen das Humanitäre Völkerrecht handelt (4 70 Abs. 1).
572. Verstöße gegen die Strafvorschriften des besetzten Gebietes sollen weiter von den Gerichten des besetzten Staates verfolgt werden. Nur wenn diese Gerichte nicht funktionsfähig sind, kann in der Regel die Zuständigkeit eines Militärgerichts der Besatzungsmacht begründet werden.
Verstöße gegen besatzungsrechtliche Strafbestimmungen können nichtpolitische und ordentlich bestellte Militärgerichte der Besatzungsmacht verfolgen (4 66).
573. Verfahren vor den Besatzungsgerichten müssen rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechen (4 67, 69-75; 5 75).
574. Leichte Straftaten werden von der Besatzungsmacht nur mit Internierung oder Gefängnis bestraft (4 68 Abs. 1). Bei schweren Straftaten (Spionage, schwere Sabotage an militärischen Einrichtungen der Besatzungsmacht, vorsätzliche Straftaten mit Todesfolge) ist die Todesstrafe nur zulässig, wenn für die gleichen Straftaten im besetzten Gebiet vor der Besetzung ebenfalls die
Todesstrafe vorgesehen war (4 68 Abs. 2; 5 76 Abs. 3, 77 Abs. 5). Diese Regelungen sind jedoch im modernen Völkerrecht eingeschränkt worden:
575. In der Völkergemeinschaft werden intensive Bemühungen zu einer vollständigen
Abschaffung der Todesstrafe unternommen. Mehrere neuere völkerrechtliche Verträge zielen auf ein völliges Verbot der Todesstrafe auch in Zeiten des internationalen bewaffneten Konflikts ab.
• II. Fakultativprotokoll vom 15. Dezember 1989 zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (44),
• Protokoll Nr. 13 vom 3. Mai 2002 zur (Europäischen) Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe (45) und
• Protokoll vom 8. Juni 1990 zur Amerikanischen Menschenrechtskonvention vom 22. November 1969 über die Abschaffung der Todesstrafe.
Die Vertragsparteien dieser Abkommen müssen die Todesstrafe abschaffen und dürfen niemanden hinrichten, der ihrer Hoheitsgewalt untersteht. An das Verbot von Hinrichtungen sind sie grundsätzlich auch im Kriegsfalle gebunden, insbesondere bei der Ausübung von Besatzungsgewalt.
Allerdings lässt das Zweite Fakultativprotokoll vom 15. Dezember 1989 zu, dass ein Staat bei Ratifikation oder Beitritt einen Vorbehalt abgibt, der die Anwendung der Todesstrafe in Kriegszeiten aufgrund einer Verurteilung wegen eines in Kriegszeiten begangenen besonders schweren Verbrechens militärischer Art vorsieht. Auch das Protokoll vom 8. Juni 1990 zur Amerikanischen Menschenrechtskonvention lässt einen solchen Vorbehalt für Todesstrafen in Kriegszeiten wegen besonders schwerer Verbrechen militärischer Art zu.
Die Vertragsstaaten des Protokolls Nr. 13 vom 3. Mai 2002, zu denen Deutschland zählt, haben hingegen die Todesstrafe einschränkungslos abgeschafft. Unter keinen Umständen darf jemand von ihnen zu dieser Strafe verurteilt oder hingerichtet werden.
576. Angehörige der Besatzungsmacht, die vor der Besetzung auf dem Gebiet des besetzten Staates Zuflucht gefunden hatten, dürfen deswegen nicht gerichtlich verfolgt werden. Wegen Verbrechen und anderer strafbarer Handlungen, die
• nach Ausbruch der Feindseligkeiten begangen worden sind oder
• noch vor Ausbruch der Feindseligkeiten begangen wurden und nach dem Recht des besetzten Gebietes zu einer Auslieferung auch in Friedenszeiten hätten führen können, ist eine Strafverfolgung jedoch möglich (4 70 Abs. 2).
577. Untersuchungshäftlinge und Strafgefangene sind unter menschlichen Bedingungen unter- zubringen. Der Strafvollzug muss im besetzten Gebiet stattfinden (4 76 Abs. 1). Gefangene haben das Recht, Besuch von Delegierten der Schutzmacht und des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz zu empfangen (4 76 Abs. 6).
578. Bei Beendigung der Besetzung sind alle durch Gerichte im besetzten Gebiet angeklagten und verurteilten Personen den Behörden des befreiten Gebietes mit den sie betreffenden Akten zu übergeben (4 77).