4.5 Parlamentäre und Schutzmächte
491. Der Einstellung der Kriegshandlungen gehen regelmäßig Verhandlungen mit dem Gegner voraus. Im Operationsgebiet bedienen sich die Konfliktparteien dazu häufig der Parlamentäre.
492. Parlamentäre sind Personen, die von einer Konfliktpartei bevollmächtigt sind, mit dem Gegner zu verhandeln. Parlamentäre und ihre Begleitung, z. B. Fahrerinnen bzw. Fahrer oder Dolmetscherinnen bzw. Dolmetscher, haben Anspruch auf Unverletzlichkeit (16a 32). Sie machen sich mit einer weißen Flagge kenntlich.
493. Die militärischen Führerinnen und Führer, zu denen Parlamentäre entsandt werden, sind nicht verpflichtet, diese unter allen Umständen zu empfangen (16a 33 Abs. 1). Gelangen Parlamentäre und ihre Begleitung in den Bereich des Gegners, darf dieser sie nicht gefangen nehmen oder sonst festhalten. Der Grundsatz der Unverletzlichkeit gilt bis zur sicheren Rückkehr in den eigenen Bereich.
Er verlangt nicht, das Feuer beim Erscheinen von Parlamentären im betreffenden Abschnitt völlig
einzustellen. Die Unverletzlichkeit von Parlamentären endet, wenn der unwiderlegbare Beweis vorliegt, dass sie ihre bevorrechtigte Stellung dazu benutzt haben, um Verrat zu üben oder dazu anzustiften (16a 34).
494. Parlamentäre dürfen ferner zeitweilig zurückgehalten werden, wenn sie zufällig Kennt- nisse erhalten haben, deren Mitteilung an den Gegner den Erfolg einer gegenwärtigen oder bevor- stehenden Operation der eigenen Streitkräfte infrage stellt. Die Parlamentäre dürfen dann so lange an der Rückkehr gehindert werden, bis die Operation abgeschlossen ist. In der Zwischenzeit sind sie mit aller ihrer Stellung entsprechenden Achtung und mindestens wie Kriegsgefangene zu behandeln.
495. Parlamentäre, die ihre Stellung missbrauchen, können zeitweilig zurückgehalten werden (16a 33 Abs. 3). Ein Missbrauch, der zur Zurückhaltung der Parlamentäre berechtigt, liegt vor, wenn die Parlamentäre völkerrechtswidrige Handlungen zum Nachteil des Gegners begehen, insbesondere:
• Gewinnen nachrichtendienstlicher Erkenntnisse, die über die bei seinem Auftrag unvermeidbaren Wahrnehmungen hinausgehen,
• Sabotagehandlungen,
• Verleiten gegnerischer Soldatinnen und Soldaten zur Mitwirkung beim Sammeln von Informationen,
• Auffordern zur Dienstverweigerung,
• Aufruf zur Fahnenflucht und
• Organisieren von Spionage im gegnerischen Gebiet.
496. Es sind alle erforderlichen Vorkehrungen erlaubt (z. B. das Verbinden der Augen), um Parlamentäre daran zu hindern, aus ihrer Entsendung Nutzen für die Nachrichtengewinnung zu ziehen (16a 33 Abs. 2). Parlamentäre dürfen alles weitermelden, was sie wahrgenommen haben.
497. Parlamentäre sind meist, aber nicht notwendigerweise Offiziere. Auf ihre Staatsangehörig- keit kommt es nicht an. Überläufer oder kriegsgefangene Angehörige von Streitkräften haben keinen Parlamentärstatus und damit auch keinen Anspruch auf Unverletzlichkeit.
498. Der Missbrauch der Parlamentärflagge ist völkerrechtswidrig (16a 23 Buchst. f; 5 37 Abs. 1 Buchst. a, 38 Abs. 1). Ein Missbrauch liegt beispielsweise vor, wenn sich Soldatinnen bzw.
Soldaten unter dem Schutz der Parlamentärflagge einer gegnerischen Stellung nähern und dann angreifen. Werden durch den Missbrauch der Parlamentärflagge Tod oder schwere Verletzungen verursacht, liegt überdies ein Kriegsverbrechen vor (33 8 Abs. 2 Buchst. b).
499. Den Konfliktparteien steht ungeachtet eigener diplomatischer Beziehungen der Verkehr über Schutzmächte offen (5 5 Abs. 6). Sogenannte „Wiener Schutzmächte" handeln im Namen des vertretenen Staates und können so teilweise den diplomatischen Verkehr ersetzen. Zudem gibt es die sogenannten „Genfer Schutzmächte". Hierbei handelt es sich um neutrale Staaten oder andere nicht am Konflikt beteiligte Staaten, welche die Einhaltung der Genfer Konventionen überwachen und die Rechte und Interessen der Konfliktparteien und ihrer Staatsangehörigen sicherstellen (1-3 8; 4 9; 5 2
Buchst. c). Beide Arten von Schutzmächten bedürfen der Zustimmung aller beteiligten Staaten.
Können sich die Konfliktparteien über die Ernennung von Schutzmächten nicht einigen, so kann insbesondere das Internationale Komitee vom Roten Kreuz als Ersatzschutzmacht (5 5 Abs. 4) tätig werden, wenn dieses seine Dienste anbietet und die am Konflikt beteiligten Staaten einwilligen.
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