2.4.1 Waffenstillstand und Feuereinstellung
223. Häufig dient die Vereinbarung eines Waffenstillstandes der umfassenden Unterbrechung der Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie der Vorbereitung von Verhandlungen über den Friedensschluss. Der Abschluss eines Waffenstillstandes wird also regelmäßig durch die Absicht gekennzeichnet, Vorbereitungen für eine Beendigung des bewaffneten Konflikts zu ermöglichen.
Beispiel: Der Waffenstillstand von Compiègnes 1918 war eine Voraussetzung für die Aufnahme von Verhandlungen, die zum Versailler Friedensschluss 1919 führten.
Ein Waffenstillstand kann örtlich und zeitlich begrenzt sein (16a 36, 37). Nach 1945 ist es mehrfach zu Fällen gekommen, in denen einem Waffenstillstand kein Friedensvertrag nachfolgte. 
22 Um die Anwendbarkeit einschlägiger völkerrechtlicher Vorschriften auf alle zwischenstaatlichen Auseinandersetzungen mit Waffengewalt unabhängig vom Bestehen eines „Kriegszustandes" (im klassischen Verständnis setzte dies regelmäßig eine Kriegserklärung voraus) zu gewährleisten, setzte sich nach dem Zweiten Weltkrieg der Begriff „bewaffneter Konflikt" in den völkerrechtlichen Kodifikationen durch.
Beispiel: Der Korea-Konflikt wurde 1953 durch den Waffenstillstand von Panmunjon beendet, ohne dass es seither zum Abschluss eines Friedensvertrags gekommen ist. 
224. Ist davon auszugehen, dass der Waffenstillstand der Übergang zur endgültigen Beendigung der Kämpfe sein soll, ist das in der VN-Charta niedergelegte Gewaltverbot (34 2 Nr. 4) auch in dieser Übergangsphase zu beachten. Anders als noch in der Haager Landkriegsordnung (16a 36) vorgesehen, können die Konfliktparteien in diesem Fall die Kampfhandlungen nicht jederzeit wieder aufnehmen, sondern nur dann, wenn die Ausübung des Selbstverteidigungsrechts (34 51) es unbedingt erfordert. 
225. Die Bedingungen des Waffenstillstandsvertrags sind von den Konfliktparteien strikt einzuhalten. Militärische Operationen, die einen Vorteil gegenüber dem Gegner verschaffen, sind unzulässig. Inwieweit dies auch für andere Maßnahmen während des Waffenstillstandes gilt, richtet sich nach dem Inhalt der Vereinbarungen. Enthalten diese keine weiteren Bedingungen (16a 39), sind z. B. Schanzarbeiten, Munitionsnachschub und Heranführung von Verstärkungen zulässig. Auf jeden Fall ist es verboten, während eines Waffenstillstandes die an der gegnerischen Konfliktpartei stehenden Kräfte vorzuverlegen oder mit Spähtrupps aufzuklären. 
226. Jede schwere Verletzung des Waffenstillstandes durch eine Konfliktpartei gibt der anderen Konfliktpartei das Recht zur Kündigung des Waffenstillstandsvertrags und in dringenden Fällen, sofern die Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechts (34 51) vorliegen, zur unverzüglichen Wiederaufnahme der Kampfhandlungen (16a 40). 
227. Eine Verletzung des Waffenstillstands durch Privatpersonen, die aus eigenem Antrieb handeln und deren Verhalten keiner Konfliktpartei zuzurechnen ist, berechtigt nicht dazu, die Vereinbarung zu beenden, sondern lediglich dazu, die Bestrafung der Schuldigen und Ersatz für den erlittenen Schaden zu fordern (16a 41).
228. Der räumliche Geltungsbereich eines begrenzten Waffenstillstandes ist möglichst genau
abzugrenzen. Sollen beispielsweise Verwundete geborgen werden, muss klar sein, ob und bis zu welcher Linie Beschießungen im weiter zurückliegenden Gebiet zulässig bleiben. Gegebenenfalls sind auch die Nutzung des Luftraums und die Durchfahrt von Schiffen zu regeln. 
229. Der Waffenstillstand muss in unmissverständlicher Form und rechtzeitig bekannt gemacht werden. Die Kampfhandlungen sind sofort nach der Bekanntmachung oder zu dem festgesetzten Zeitpunkt einzustellen (16a 38). 
230. Die Bedingungen eines Waffenstillstandes dürfen nicht zum Nachteil geschützter Personen von den Bestimmungen der Genfer Abkommen abweichen (1-3 6; 4 7).
231. Als Feuereinstellung bezeichnet man die meist von örtlichen Befehlshabern ausge- handelten vorübergehenden Unterbrechungen der Kampfhandlungen für einen räumlich begrenzten Bereich. Sie dienen regelmäßig humanitären Zwecken, vor allem dem Suchen und Bergen von Verwundeten und Schiffbrüchigen, dem Leisten erster Hilfe für diese Personen und der Evakuierung von Zivilpersonen (1 15; 2 18; 4 17), nicht jedoch der Vorbereitung auf die Beendigung des bewaffneten Konflikts. Die Regelungen über den Waffenstillstand (16a 36-41) sind entsprechend anzuwenden.
 
                
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