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1.3 Rechtsgrundlagen

132. Die Haager Abkommen von 1907, die insbesondere Bestimmungen zur Zulässigkeit von Mitteln und Methoden der Kampfführung, der Neutralität und der kriegerischen Besetzung enthalten, binden nicht nur die Vertragsparteien. Ihr wesentlicher Inhalt ist seit langem gewohnheitsrechtlich anerkannt. Für das Humanitäre Völkerrecht sind besonders von Bedeutung:
• III. Haager Abkommen über den Beginn der Feindseligkeiten (15),
• IV. Haager Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs (16) mit Anlage:
Haager Landkriegsordnung (16a),
• V. Haager Abkommen betreffend die Rechte und Pflichten der neutralen Mächte und Personen im Falle eines Landkrieges (17),
• Vl. Haager Abkommen über die Behandlung der feindlichen Kauffahrteischiffe beim Ausbruch der Feindseligkeiten (18),
• VII. Haager Abkommen über die Umwandlung von Kauffahrteischiffen in Kriegsschiffe (19),
• VIII. Haager Abkommen über die Legung von unterseeischen selbsttätigen Kontaktminen (20),
• IX. Haager Abkommen betreffend die Beschießung durch Seestreitkräfte in Kriegszeiten (21),
• XI. Haager Abkommen über gewisse Beschränkungen in der Ausübung des Beuterechts im Seekriege (22) sowie
• XIII. Haager Abkommen betreffend die Rechte und Pflichten der Neutralen im Falle eines Seekrieges (23).
133. Die vier Genfer Abkommen vom 12. August 1949, die sich vor allem mit den humanitären Aspekten des Völkerrechts in bewaffneten Konflikten beschäftigen, sind heute weltweit verbindlich8 und ihr Inhalt ist als Völkergewohnheitsrecht anerkannt:
• I. Genfer Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Streitkräfte im Felde (1),
• II. Genfer Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten, Kranken und Schiff- brüchigen der Streitkräfte zur See (2),
• III. Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen (3) und
• IV. Genfer Abkommen zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten (4).
134. Das IV. Genfer Abkommen schützt in Zeiten internationaler bewaffneter Konflikte alle Personen, die sich im (Besatzungs-)Machtbereich einer Konfliktpartei befinden, sofern sie nicht
• bereits nach den drei anderen Genfer Abkommen von 1949 geschützt sind,
• Staatsangehörige dieser Konfliktpartei sind,
• Staatsangehörige eines Staates sind, der durch das Abkommen nicht gebunden ist, oder
• Staatsangehörige eines neutralen oder eines mitkriegführenden Staates sind, sofern ihr eigener Staat eine normale diplomatische Vertretung bei dem Staate unterhält, in dessen Machtbereich sie sich befinden (4 4 Abs. 1, 2 und 4). Die Vertragsparteien gingen dabei davon aus, dass der besondere Schutz des IV. Genfer Abkommens dort nicht erforderlich sei, wo für Personen weiterhin die Verfahren des diplomatischen Schutzes zur Verfügung stehen, also im Verhältnis einer Konfliktpartei zu neutralen oder mitkriegführenden (insbesondere verbündeten) Staaten. Im Verhältnis der Konfliktparteien zueinander entfallen diese Verfahren jedoch zumeist.
Nur bestimmte Vorschriften des IV. Genfer Abkommens (4 13-26) haben einen weiteren Anwen- dungsbereich und schützen zur Milderung der konfliktbedingten Leiden die Gesamtheit der Bevölke- rung ohne Unterschied (4 4 Abs. 3, 13).
135. Die Zusatzprotokolle zu den Genfer Abkommen, nämlich
• das Zusatzprotokoll vom 8. Juni 1977 zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte – Zusatzprotokoll I (ZP I) – (5),

8 Gegenwärtig sind 194 Staaten Vertragsparteien dieser Abkommen.

• das Zusatzprotokoll vom 8. Juni 1977 zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte – Zusatzprotokoll II (ZP II) – (6),
• wie auch das Zusatzprotokoll vom 8. Dezember 2005 zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über die Annahme eines zusätzlichen Schutzzeichens – Zusatzprotokoll III (ZP III) – (6a), stellen eine Weiterentwicklung des Genfer Rechts von 1949 und von Teilen des Haager Rechts von 1907 dar, das sich vorrangig mit den Regeln der Kriegführung befasst.
136. Bei den Zusatzprotokollen von 1977 kann, obwohl sie von den meisten Staaten ratifiziert worden sind, noch nicht von einer weltweiten Beteiligung gesprochen werden. Wesentliche Bestimmungen dieser Protokolle, so diejenigen über Methoden und Mittel der Kriegführung und den Schutz der Zivilbevölkerung vor den Auswirkungen von Feindseligkeiten, sind jedoch auch als
Völkergewohnheitsrecht zu betrachten.
137. Hinsichtlich der Bestimmungen über Angriffe hat das ZP I ausdrücklich klargestellt, dass diese Bestimmungen auf jede offensive oder defensive Gewaltanwendung im Kriegsgebiet gegen den Gegner Anwendung finden (5 49 Abs. 1 und 2). Sie gelten daher auch im eigenen Staatsgebiet, wenn es der Kontrolle des Gegners unterliegt. 138. Weitere wichtige Abkommen betreffend Einzelfragen der Mittel und Methoden der Kriegs- führung sind
• St. Petersburger Erklärung abgegeben am 29. November/11. Dezember 1868 – Erklärung betreffend Nichtanwendung der Sprenggeschosse im Krieg – (12),
• Haager Erklärung vom 29. Juli 1899 betreffend das Verbot von Geschossen, die sich leicht im menschlichen Körper ausdehnen oder plattdrücken (13),
• Haager Erklärung vom 29. Juli 1899 betreffend das Verbot der Verwendung von Geschossen mit erstickenden oder giftigen Gasen (10a),
• Genfer Protokoll vom 17. Juni 1925 über das Verbot der Verwendung von erstickenden, giftigen oder ähnlichen Gasen sowie von bakteriologischen Mitteln im Kriege – Genfer Giftgasprotokoll – (10),
• Londoner Protokoll vom 6. November 1936 betreffend Regeln für den Unterseebootkrieg (27),
• Übereinkommen vom 10. April 1972 über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer (biologischer) Waffen und von Toxinwaffen sowie über die Vernichtung solcher Waffen – B-Waffen-Übereinkommen – (11),
• Übereinkommen vom 18. Mai 1977 über das Verbot der militärischen oder einer sonstigen feind- seligen Nutzung umweltverändernder Techniken – Umweltkriegsübereinkommen – (9),
• Übereinkommen vom 10. Oktober 1980 in der Fassung vom 21. Dezember 2001 über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes bestimmter konventioneller Waffen, die übermäßige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken können – VN-Waffenübereinkommen – (8), wobei sich die Regelungen zu bestimmten konventionellen Waffen in den zugehörigen Protokollen finden.

• Es handelt sich im Einzelnen um + das Protokoll über nichtentdeckbare Splitter – Protokoll I – (8a),
+ das Protokoll über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes von Minen, Sprengfallen und anderen Vorrichtungen – Protokoll II –, welches am 3. Mai 1996 geändert wurde, das sog. „Geänderte Minenprotokoll" (8b), + das Protokoll über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes von Brandwaffen – Protokoll III – (8c) und
+ das Protokoll vom 13. Oktober 1995 über blindmachende Laserwaffen – Protokoll IV – (8d),
+ das Protokoll vom 28. November 2003 über explosive Kampfmittelrückstände – Protokoll V – (8e).
Mit der Novelle vom 21. Dezember 2001, die für Deutschland am 26. Juli 2005 in Kraft getreten ist, wurde der Anwendungsbereich des Übereinkommens sowie der dazugehörigen Protokolle auf nicht-internationale bewaffnete Konflikte ausgedehnt.
• Übereinkommen vom 13. Januar 1993 über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und des Einsatzes chemischer Waffen – Chemiewaffenübereinkommen – (29), • Übereinkommen vom 3. Dezember 1997 über das Verbot des Einsatzes, der Lagerung, der Herstellung und der Weitergabe von Antipersonenminen und über deren Vernichtung – „Ottawa- Übereinkommen" – (32),
• Übereinkommen vom 30. Juni 2008 über Streumunition – „Oslo-Übereinkommen" – (51). 139. Auch der Schutz bestimmter weiterer Rechtsgüter im bewaffneten Konflikt führte zu besonderen völkervertraglichen Regelungen. Für den Kulturgüterschutz sind anzuführen:
• Haager Konvention vom 14. Mai 1954 zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten
– Kulturgutschutzkonvention – (24),
• Ausführungsbestimmungen zur Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten vom 14. Mai 1954 (24a),
• (I.) Protokoll zur Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten vom 14. Mai 1954 (24b) und
• II. Protokoll vom 26. März 1999 zur Haager Konvention von 1954 zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten (24c). 140. Ist eine Kriegshandlung nicht ausdrücklich durch internationale Abkommen oder durch Gewohnheitsrecht verboten, bedeutet dies nicht, sie sei ohne weiteres zulässig. Stets ist die nach Friedrich von Martens9 benannte „Martens'sche Klausel" zu beachten.

9 Friedrich von Martens (*1845 Pärnu/†1909 St. Petersburg) stand von 1868 bis 1872 im Dienste des russischen Außenministeriums, lehrte von 1872 bis 1905 Völkerrecht an der Universität St. Petersburg und war Delegierter von Zar Nikolaus II. auf den Haager Friedenskonferenzen (1899 bis 1907).

Die „Martens'sche Klausel" ist in der Präambel sowohl des Haager Abkommens betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs von 1899 (37) als auch in der Präambel des IV. Haager Abkommens von 1907 enthalten und ist im Zusatzprotokoll I von 1977 wie folgt bestätigt worden:

„In Fällen, die von diesem Protokoll oder anderen internationalen Übereinkünften nicht erfasst sind, verbleiben Zivilpersonen und Kombattanten unter dem Schutz und der Herrschaft der Grundsätze des Völkerrechts, wie sie sich aus feststehenden Gebräuchen, aus den Grundsätzen der Menschlichkeit und aus den Forderungen des öffentlichen Gewissens ergeben" (5 1 Abs. 2; vgl. auch 6 Präambel Abs. 4; 16 Präambel).


Die „Martens'sche Klausel" (5 1 Abs. 2) ist als Völkergewohnheitsrecht anerkannt.