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12 Neutralitätsrecht

12.1 Allgemeines
1201. Neutralität im internationalen bewaffneten Konflikt ist ein völkerrechtlich definierter Status
eines Staates, der an einem bewaffneten Konflikt zwischen anderen Staaten nicht beteiligt ist. An einem internationalen bewaffneten Konflikt unbeteiligte Drittstaaten haben zumeist ein Interesse daran, nicht in den Konflikt verwickelt und schließlich selbst Konfliktpartei zu werden. Aus diesem Grunde verhalten sie sich strikt unparteilich gegenüber den Konfliktparteien, also neutral. Folge des neutralen Status sind gegenseitige Rechte und Pflichten zwischen dem neutralen Staat auf der einen und den Konfliktparteien auf der anderen Seite. Quellen des Neutralitätsrechts sind das Völkergewohn- heitsrecht sowie für bestimmte Fragen völkerrechtliche Verträge, insbesondere das V. Haager Abkommen von 1907 über die Rechte und Pflichten der neutralen Mächte und Personen im Falle eines Landkrieges (17) und das XIII. Haager Abkommen von 1907 über die Rechte und Pflichten der Neutralen im Falle eines Seekrieges (23). Das Neutralitätsrecht bezweckt den Schutz neutraler Staaten und ihrer Angehörigen, die Vermeidung der Eskalation des Konflikts und auch den Schutz der Konfliktparteien und ihrer Angehörigen.
1202. Die Neutralität eines Staates im internationalen bewaffneten Konflikt beginnt mit dem Ausbruch eines internationalen bewaffneten Konfliktes zwischen anderen Staaten, der eine solche Dauer oder Intensität hat, dass die Anwendung des Neutralitätsrechts notwendig ist. Das Neutralitätsrecht hat damit einen engeren Anwendungsbereich als das übrige in internationalen bewaffneten Konflikten anwendbare Humanitäre Völkerrecht. Der neutrale Status endet mit dem Ende des internationalen bewaffneten Konflikts oder dadurch, dass der bislang neutrale Staat Konfliktpartei wird. Jedoch führt weder eine auf Einzelmaßnahmen begrenzte bewaffnete Verteidigung der Neutralität noch eine Verletzung einzelner Neutralitätspflichten für sich allein dazu, dass dieser Staat als Konfliktpartei anzusehen ist.
1203. Von der Neutralität im bewaffneten Konflikt ist die dauernde Neutralität zu unterscheiden. Sie bedeutet, dass sich ein Staat verpflichtet, sich weder in Friedenszeiten noch in Kriegszeiten sicherheitspolitisch und militärisch irgendwie zu binden und keine Handlungen vorzunehmen, die geeignet sind, die Erfüllung von Neutralitätspflichten in einem bewaffneten Konflikt unmöglich zu machen.
1204. Auf der Grundlage der Charta der VN und insbesondere dem völkerrechtlichen Gewaltverbot können sich im Einzelfall Besonderheiten ergeben. Zwar ist das Neutralitätsrecht durch die Charta der VN nicht generell überlagert worden. Im Rahmen des völkerrechtlich Zulässigen kommt jedem Staat die souveräne Entscheidung darüber zu, ob er sich auf der Seite des Opfers eines bewaffneten Angriffs an einem Konflikt beteiligt (sog. kollektive Selbstverteidigung) oder nicht, vorausgesetzt, das Opfer des bewaffneten Angriffs ist mit der Hilfeleistung einverstanden. In Fällen, in denen der Sicherheitsrat der VN eine verbindliche Entscheidung nach Kapitel VII der Charta der VN ergriffen hat, darf sich kein Staat auf das Neutralitätsrecht berufen, um ein Verhalten zu rechtfertigen, das mit seinen Pflichten aus der Charta nicht in Einklang steht (34 25, 39 und 103).