6 Schutz der Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen
6.1 Allgemeines
601. „Verwundete" und „Kranke" sind Angehörige von Streitkräften und Zivilpersonen, die wegen Verwundung, Erkrankung oder anderer körperlicher oder geistiger Störungen oder Gebrechen medizinischer Hilfe oder Pflege bedürfen und die jede feindselige Handlung unterlassen. Der Schutz der Verwundeten und Kranken endet, wenn diese feindselige Handlungen vornehmen. Den Verwundeten und Kranken werden Wöchnerinnen, Neugeborene, Gebrechliche und Schwangere gleichgestellt (5 8 Buchst. a).
602. „Schiffbrüchige" sind Angehörige von Streitkräften und Zivilpersonen, die sich auf See oder in einem anderen Gewässer infolge eines Unglücks, das sie selbst oder das sie befördernde Wasser- oder Luftfahrzeug betroffen hat, in Gefahr befinden und die jede feindselige Handlung unterlassen.
Diese Personen gelten während ihrer Rettung, falls sie auch weiterhin jede feindselige Handlung unterlassen, so lange als Schiffbrüchige, bis sie aufgrund der Genfer Abkommen oder des I.
Zusatzprotokolls einen anderen Status erlangen (2 13; 5 8 Buchst. b), z. B. den Status als Kriegsgefangene. Der Schutz der Schiffbrüchigen endet, wenn diese feindselige Handlungen vornehmen.
603. Verwundete, Kranke und Schiffbrüchige – unabhängig davon, welcher Partei sie angehören – sind unter allen Umständen zu schonen und zu schützen (1 12 Abs. 1, 35 Abs. 1; 2 12 Abs. 1; 3 3 Abs. 1 Nr. 2; 5 10 Abs. 1; 6 7 Abs. 1). Jeder Angriff auf ihr Leben oder ihre Person ist verboten. Sie sind unter allen Umständen mit Menschlichkeit zu behandeln. Sie erhalten so umfassend und schnell wie möglich die für ihren Zustand erforderliche medizinische Pflege und Betreuung. Aus anderen als aus medizinischen Gründen darf kein Unterschied zwischen ihnen gemacht werden (1 12 Abs. 2; 2 12 Abs. 2; 5 10 Abs. 2; 6 7 Abs. 2).
604. Repressalien gegen Verwundete, Kranke und Schiffbrüchige sind verboten (1 46; 2 47; 5 20).
605. Jederzeit ist alles zu unternehmen, um Verwundete, Kranke und Schiffbrüchige zu suchen und zu bergen und ihnen die nötige sanitätsdienstliche Betreuung zu sichern. Sie sind vor Miss- handlung und Beraubung zu schützen (1 15; 2 18 Abs. 1; 5 11 Abs. 1; 6 8).
606. Es ist verboten, Verwundete, Kranke und Schiffbrüchige einem medizinischen Verfahren zu unterziehen, das nicht durch ihren Gesundheitszustand geboten ist oder nicht mit
allgemein anerkannten medizinischen Grundsätzen in Einklang steht (2 12 Abs. 2; 5 11 Abs. 1; vgl. auch 1 12 Abs. 2). Untersagt und als Kriegsverbrechen strafbar sind insbesondere körperliche Verstümmelungen, medizinische oder andere wissenschaftliche Versuche sowie das Entfernen von Gewebe oder Organen für Übertragungen (5 11 Abs. 2; 35 8 Abs. 1 Nr. 8).
607. Hinsichtlich aller medizinischen Verfahren sind detaillierte medizinische Unterlagen zu führen und aufzubewahren. Dies gilt auch für Entfernungen von Blut oder Haut für Übertragungen an Personen, denen die Freiheit entzogen ist. Einer Schutzmacht sind diese jederzeit zur Einsicht zur Verfügung zu stellen (5 11 Abs. 6).
608. Ausnahmen vom Verbot der Entfernung von Gewebe oder Organen für Übertragungen sind bei Blutspenden und Hautspenden für Transplantationszwecke zulässig, wenn
• eine freiwillig erklärte Einwilligung vorliegt,
• der Eingriff therapeutischen Zwecken dient und
• er den allgemein anerkannten medizinischen Grundsätzen entspricht (5 11 Abs. 3).
609. Festgehaltene Personen dürfen ferner einem medizinischen Verfahren unterzogen werden, das durch ihren Gesundheitszustand geboten ist und das mit den allgemein anerkannten medizinischen Grundsätzen im Einklang steht, die unter entsprechenden medizinischen Umständen auf Staatsangehörige der das Verfahren durchführenden Partei angewandt würden, denen die Freiheit nicht entzogen ist (5 11 Abs. 1). Das kann für Eingriffe zutreffen, die zur Bekämpfung ansteckender Krankheiten erforderlich sind, z. B. Impfungen.
610. Verwundete, Kranke und Schiffbrüchige können jeden chirurgischen Eingriff und andere vergleichbare Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit ablehnen. In solchen Fällen hat sich das Sanitätspersonal um Aushändigung einer entsprechenden schriftlichen, vom Patienten unterzeichneten Erklärung zu bemühen (5 11 Abs. 5).
611. Die Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen sowie die Gefallenen sind zu identifizieren.
Die diesbezüglichen Angaben sind den Auskunftsstellen zu übermitteln (1 16; 2 19). In der Bundes- republik Deutschland nimmt das Deutsche Rote Kreuz die Aufgaben des Amtlichen Auskunftsbüros (3 122; 4 136) wahr.
612. Die Gefallenen sind zu bergen, ihre Ausplünderung ist untersagt (1 15 Abs. 1; 2 18 Abs. 1).
Einer Beerdigung oder Einäscherung muss eine ärztliche Leichenschau mit Dokumentation voraus- gehen (1 17 Abs. 1; 2 20 Abs. 1). Die Hälfte der doppelten Erkennungsmarke oder, wenn diese nur einfach ist, die Ganze, bleibt an der Leiche (1 17 Abs. 1; 2 20 Abs. 1).
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