4.1.3 Schutz der Zivilbevölkerung bei Angriffen
412. Die Konfliktparteien haben weitere Vorsichtsmaßnahmen gegen die Wirkungen von
Angriffen (5 58) zu treffen, um die Zivilbevölkerung, einzelne Zivilpersonen und zivile Objekte, die ihrer jeweiligen Verantwortung unterstehen, vor den mit Kriegshandlungen verbundenen Gefahren zu schützen. Soweit praktisch möglich sind Zivilbevölkerung, einzelne Zivilpersonen und zivile Objekte aus der Umgebung militärischer Ziele zu entfernen und militärische Ziele nicht innerhalb oder in der Nähe dicht bevölkerter Gebiete anzulegen (5 58). Dasjenige ist „praktisch möglich" (5 41, 56-58,
78, 86), was durchführbar oder praktisch tatsächlich möglich ist, wobei alle im entsprechenden Zeitpunkt gegebenen Umstände einschließlich humanitärer und militärischer Überlegungen zu berücksichtigen sind (46).
413. Die Zivilbevölkerung und einzelne Zivilpersonen genießen den allgemeinen Schutz vor den von Kriegshandlungen ausgehenden Gefahren (5 51 Abs. 1, zum Schutz der Zivilbevölkerung siehe Abschnitt 5).
414. Zivilpersonen verlieren ihren besonderen Schutz und können selbst zu militärischen Zielen werden, sofern und solange sie unmittelbar an Feindseligkeiten teilnehmen (5 51 Abs. 3).
415. Die Anwesenheit oder Bewegungen von Zivilpersonen dürfen nicht dazu benutzt werden, Kriegshandlungen von bestimmten Orten fernzuhalten, insbesondere zur Abschirmung militärischer Ziele vor Angriffen oder zur Deckung, Begünstigung oder Behinderung von Kriegshandlungen. Die Konfliktparteien dürfen Bewegungen der Zivilpersonen nicht zu dem Zweck lenken, militärische Ziele vor Angriffen abzuschirmen oder Kriegshandlungen zu decken (4 28; 5 51 Abs. 7). Der Missbrauch geschützter Personen als Schutzschild militärischer Ziele ist völkerrechtswidrig und als Kriegs- verbrechen strafbar (33 8 Abs. 2 Buchst. b xxiii); 35 11 Abs. 1 Nr. 4). Zudem führt diese Praxis nicht dazu, dass das militärische Ziel nicht angegriffen werden dürfte, ein Angriff kann jedoch in solchen Fällen nach dem humanitär völkerrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unzulässig sein.
Unabhängig davon kann im Einzelfall ein freiwilliges Verhalten dieser Zivilpersonen unter bestimmten
Umständen als unmittelbare Teilnahme an Feindseligkeiten mit der Folge des Wegfalls des Schutzes gewertet werden (siehe hierzu auch Nr. 518).
416. Jede verantwortliche militärische Führerin bzw. jeder verantwortliche militärische Führer muss stets die folgenden Vorsichtsmaßnahmen beim Angriff (5 57) vor der Bekämpfung eines Zieles treffen und
• alles praktisch Mögliche tun, um auf der Grundlage aller Informationen, die im Zeitpunkt des Handelns zur Verfügung stehen, sicherzugehen, dass es sich um ein militärisches Ziel handelt und der Angriff völkerrechtlich nicht verboten ist (5 57 Abs. 2 Buchst. a i),
• Mittel und Methoden so wählen, dass zivile Begleitschäden vermieden werden oder jedenfalls auf ein Mindestmaß beschränkt werden (5 57 Abs. 2 Buchst. a ii),
• von einem Angriff absehen, bei dem die Schwere der zivilen Begleitschäden, mit denen zu rechnen ist, in keinem Verhältnis zum erwarteten, konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil steht (5 57 Abs. 2 Buchst. a iii),
• bei einem Angriff, der die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft ziehen kann, diese vorher warnen, es sei denn, die gegebenen Umstände erlaubten dies nicht (5 57 Abs. 2 Buchst. c),
• wenn eine Wahl zwischen mehreren gleichwertigen Zielen möglich ist, dasjenige bekämpfen, bei dem die geringsten Begleitschäden zu erwarten sind (5 57 Abs. 3).
Die Entscheidung über einen Angriff ist auf der Grundlage aller im Zeitpunkt des Handelns zur Verfügung stehenden Informationen zu treffen; sie ist nicht nach dem nachträglich erkennbaren tatsächlichen Verlauf zu bewerten (46).
417. Ein Angriff ist einzustellen, wenn sich erweist, dass das Ziel nicht militärischer Art ist, dass es unter besonderem Schutz steht oder dass damit zu rechnen ist, dass der Angriff auch zivile Verluste oder Schäden verursacht, die in keinem Verhältnis zum erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen (5 57 Abs. 2 Buchst. b).
 
                
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