12.2.3 Seekrieg
1214. Die inneren Gewässer, die Archipelgewässer sowie die Küstenmeere eines neutralen
Staates sind zu achten (23 1). 1215. Den Konfliktparteien ist untersagt, neutrale Häfen oder Hoheitsgewässer als Stützpunkt für Seekriegsunternehmungen zu nutzen (23 5).
1216. Feindseligkeiten in neutralen Gewässern sind ebenso wie auf neutralem Hoheitsgebiet
verboten (23 2). Zu den verbotenen Handlungen gehört die gesamte Ausübung des Prisenrechts wie Anhalten und Durchsuchung, Kursanweisung und Aufbringung von Handelsschiffen (23 2). 1217. Ist ein Schiff innerhalb der Gewässer eines neutralen Staates von einer Konfliktpartei aufgebracht worden, muss der neutrale Staat, solange sich die Prise noch in seinem Hoheitsbereich befindet, mit allen Mitteln deren Befreiung und die ihrer Besatzung versuchen. Das Prisenkommando ist zu internieren (23 3 Abs. 1). 1218. Ein neutraler Staat kann die Freigabe eines innerhalb seiner Gewässer beschlagnahmten Schiffes auch noch dann verlangen, wenn es diese Hoheitsgewässer verlassen hat (23 3 Abs. 2).
1219. Nimmt ein Kriegsschiff eines neutralen Staates verwundete, kranke oder schiffbrüchige Militärpersonen an Bord, muss es, soweit das Völkerrecht dies erfordert, deren weitere Teilnahme an Kampfhandlungen unterbinden (2 15).
1220. Beim Verlegen von Seeminen gelten für einen neutralen Staat dieselben Sicherheitsregeln wie für die am Konflikt beteiligten Parteien (20 4 Abs. 1). Er muss die Lage der Minenfelder zur Kenntnis der Schifffahrtskreise bringen und dies den Regierungen unverzüglich mitteilen (20 4 Abs. 2).
1221. Ein neutraler Staat ist verpflichtet, in seinem Hoheitsbereich mit allen Mitteln die
Ausrüstung oder Bewaffnung jedes Schiffes zu verhindern, von dem er annehmen kann, dass es
zu Kriegshandlungen gegen eine fremde Macht bestimmt ist. Er ist verpflichtet, das Auslaufen von Schiffen zu verhindern, die in seinem Hoheitsbereich ganz oder teilweise zum Kriegsgebrauch hergerichtet worden sind (23 8).
1222. Die friedliche Durchfahrt von Kriegsschiffen der Konfliktparteien und von Prisen durch das Küstenmeer und durch Archipelgewässer eines neutralen Staates bedeutet keine Verletzung der Neutralität (23 10). Während die Transitdurchfahrt durch internationale Wasserstraßen und die Durchfahrt auf Archipelschifffahrtswegen das Recht auf Überflug und das Recht auf Durchfahrt im Tauchzustand einschließen, bestehen derartige Rechte nicht für die friedliche Durchfahrt außerhalb dieser Wege.
1223. Kriegsschiffe der Konfliktparteien dürfen sich in neutralen Häfen, auf neutralen Reeden oder im neutralen Küstenmeer grundsätzlich nicht länger als 24 Stunden aufhalten. Der neutrale Staat kann diese Frist verlängern, aber auch den Aufenthalt in seinen Gewässern ganz verbieten (23 12). Kriegsschiffe der Konfliktparteien dürfen ihren Aufenthalt über die begrenzte Dauer hinaus nur aus Anlass von Beschädigungen oder wegen ungünstiger Seeverhältnisse verlängern. Sie müssen auslaufen, wenn die Ursache der Verzögerung nicht mehr besteht (23 14).
1224. Kriegsschiffe der Konfliktparteien dürfen in neutralen Häfen und auf deren Reeden ihre Schäden nur insoweit ausbessern, als dies zur Wiederherstellung der Seetauglichkeit unerlässlich ist. Die Wiederherstellung der Kriegstauglichkeit kann nicht Grund für eine Verlängerung der Auf- enthaltserlaubnis sein. Auch Arbeiten zur Erhöhung der Kampfkraft sind untersagt (23 17).
1225. Kriegsschiffe der Konfliktparteien dürfen im neutralen Küstenmeer, in neutralen Häfen und auf neutralen Reeden weder ihre Besatzung ergänzen noch ihre Bewaffnung oder ihre militärischen Vorräte erneuern oder verstärken (23 18).
1226. Kriegsschiffe der Konfliktparteien dürfen in neutralen Häfen und auf deren Reeden nur so viel Lebensmittel aufnehmen, dass ihr Vorrat auf den normalen Friedensbestand ergänzt wird (23 19 Abs. 1).
1227. Kriegsschiffe der Konfliktparteien dürfen in neutralen Häfen und auf deren Reeden nur so viel Treibstoff aufnehmen, dass sie den nächstgelegenen Hafen ihres Heimatstaates erreichen können (23 19 Abs. 2). Eine erneute Aufnahme von Treibstoff in einem Hafen desselben neutralen Staates ist erst nach Ablauf von drei Monaten zulässig (23 20).
1228. Wenn sich Kriegsschiffe einer Konfliktpartei unberechtigt in einem neutralen Hafen aufhalten und diesen trotz Aufforderung nicht verlassen, kann der neutrale Staat das Schiff festhalten und für die Dauer des bewaffneten Konflikts am Auslaufen hindern (23 24). Die Besatzung des festgehaltenen Schiffes darf ebenfalls festgehalten werden. Sie kann auf dem Schiff verbleiben oder auf ein anderes Schiff oder an Land gebracht werden. In jedem Fall sind auf dem Schiff die zur Instandhaltung notwendigen Personen zu belassen.
1229. In einen neutralen Hafen darf eine Prise nur eingebracht werden, wenn dies wegen Seeuntüchtigkeit der Prise, wegen ungünstiger Seeverhältnisse oder wegen Mangels an Betriebsstoffen oder an Vorräten unumgänglich ist. Sie muss wieder auslaufen, sobald die Ursache, die das Einlaufen rechtfertigte, weggefallen ist (23 21).
1230. Läuft eine Prise nach Wegfall der Ursache für ihr Verbleiben auch auf Aufforderung der neutralen Behörden nicht aus, muss der neutrale Staat die Befreiung der Prise und ihrer Besatzung herbeiführen. Die Prisenbesatzung ist festzuhalten (23 21). Das Gleiche gilt, wenn eine Prise unberechtigt in einen neutralen Hafen eingelaufen ist (23 22).
1231. Befinden sich in einem neutralen Hafen oder auf einer neutralen Reede gleichzeitig Kriegsschiffe mehrerer Konfliktparteien, müssen zwischen dem Auslaufen von Schiffen der einen und der anderen Partei mindestens 24 Stunden liegen (23 16 Abs. 1).
1232. Ein neutraler Staat darf zulassen, dass sich Kriegsschiffe der Konfliktparteien seiner Lotsen bedienen (23 11). Er ist verpflichtet, im Rahmen seiner Mittel eine Verletzung der Neutralitätsregeln in seinen Gewässern zu verhindern und die dazu nötige Aufsicht auszuüben (23 25).
1233. Ein neutraler Staat muss die Bedingungen, Beschränkungen oder Verbote, die er für die Zulassung von Kriegsschiffen oder Prisen der Konfliktparteien in seinen Häfen, Reeden oder seinem Küstenmeer aufgestellt hat, auf beide Konfliktparteien in gleicher Weise anwenden (23 9). Er kann einem Kriegsschiff, das sich seinen Anweisungen nicht gefügt hat oder seine Neutralität verletzt hat, den Zugang zu seinen Häfen und Reeden untersagen (23 9).
1234. Kriegsschiffe einer Konfliktpartei haben das Recht, auf Hoher See Handelsschiffe, die die Flagge eines neutralen Staates führen, anzuhalten und zu durchsuchen, um Inhalt und Bestimmungsort der Ladung festzustellen. Ist eine Anhaltung und Durchsuchung auf Hoher See nicht möglich oder nicht zumutbar, dürfen neutrale Handelsschiffe angewiesen werden, einen Hafen oder ein bestimmtes Seegebiet anzulaufen, wo dann die Durchsuchung vorgenommen werden kann.
1235. Gegenüber neutralen Handelsschiffen dürfen Kriegsschiffe einer Konfliktpartei nur diejenige Gewalt anwenden, die erforderlich ist, um diese Kontrollrechte durchzusetzen. Insbesondere dürfen neutrale Handelsschiffe, die der Kontrolle durch eine Konfliktpartei unterliegen und sich dieser Kontrolle widersetzen, beschädigt oder zerstört werden, soweit sie nicht auf andere Weise an der Weiterfahrt gehindert werden können. Der Kapitän des neutralen Schiffes ist vorher in angemessener Weise zu warnen. Für die Rettung von Schiffbrüchigen ist Sorge zu tragen.
1236. Ein Angriff auf ein neutrales Handelsschiff ist zulässig, wenn dieses unmittelbar Feind- seligkeiten ausübt oder sich daran beteiligt.
1237. Zur Vereinfachung der Kontrolle kann eine Konfliktpartei mit Zustimmung des neutralen Staates dem neutralen Schiff bereits im Verladehafen ein Kontrolldokument (Navicert) ausstellen. Ein von einer Konfliktpartei ausgestelltes Navicert besitzt keine Wirkung für die andere Konfliktpartei. Die Tatsache, dass ein Schiff das Navicert einer anderen Konfliktpartei mitführt, ist kein zulässiger Grund für weitergehende Kontrollmaßnahmen.
1238. Das Kontrollrecht gilt nicht, soweit Handelsschiffe unter neutraler Flagge in Begleitung (Konvoi) eines neutralen Kriegsschiffes fahren. In diesem Falle kann jedoch ein Kriegsschiff einer
Konfliktpartei von der Kommandantin bzw. dem Kommandanten des neutralen Kriegsschiffes Informationen über Art und Bestimmungsort der Ladung verlangen. Fährt ein neutrales Handelsschiff im Konvoi gegnerischer Kriegsschiffe, darf es als militärisches Ziel bekämpft werden. Sind die feindlichen Schiffe niedergekämpft worden, ist der Konvoi aufgelöst worden oder entfernt sich das neutrale Schiff aus dem Verband, ist eine weitere Gewaltanwendung nur zulässig, wenn es sich prisenrechtlichen Maßnahmen widersetzt.
1239. Enthält die Ladung kriegswichtige Güter, die für einen feindlichen Hafen bestimmt sind, so können diese von dem Kriegsschiff der Konfliktpartei beschlagnahmt werden (absolute Konterbande). Die Konfliktparteien können den neutralen Staaten Listen der Güter notifizieren, die sie als kriegswichtig ansehen. Als Konterbande gelten gleichfalls alle Güter, die für die Verwaltung oder die Streitkräfte der gegnerischen Konfliktpartei bestimmt sind (relative Konterbande) (26 22 ff.).
Hilfssendungen, insbesondere Lebensmittel-, Arznei- und Kleidersendungen, die zur Durchführung humanitärer Hilfsaktionen bestimmt sind, sind keine Konterbande (4 23, 59; 5 70).
1240. Ein Konterbande führendes neutrales Schiff (gegnerische Schiffe unterliegen ohnehin immer der Aufbringung und Einziehung, unabhängig von Handlungen oder der Ladung) unterliegt gleichfalls der Aufbringung und Einziehung, wenn seine Ladung zu mehr als der Hälfte aus Konterbande besteht.
1241. Das aufgebrachte Schiff (Prise) ist möglichst sicher zu einem Hafen der Konfliktpartei oder eines mit ihr verbündeten Staates zu bringen. Schiff und Ladung können nur durch prisengerichtliches Urteil eingezogen werden. Mit der Rechtskraft des Urteils wird der das Prisenrecht ausübende Staat Eigentümer von Schiff und/oder der Ladung.
1242. Erweist sich der zu einer Kontrolle führende Verdacht des Mitführens von Konterbande als unbegründet und hat das neutrale Schiff zur Entstehung des Verdachts nicht beigetragen, so ist die Konfliktpartei verpflichtet, den durch die Verzögerung der Reise entstandenen Schaden zu ersetzen.
1243. Die Konfliktparteien dürfen auf neutralem Gebiet und auf einem Schiff in neutralen Hoheitsgewässern kein Prisengericht bilden (23 4).
1244. Kriegsschiffe neutraler Staaten dürfen Handelsschiffe, die die eigene oder die Flagge eines anderen neutralen Staates führen, begleiten.
1245. Kriegsschiffe neutraler Staaten dürfen auf internationalen Seestraßen und auf Hoher See Minen räumen, soweit dies erforderlich ist, um die neutrale Schifffahrt zu schützen und aufrechtzuerhalten. Solche Minenräumaktionen stellen keine neutralitätswidrige Unterstützung des Gegners der Konfliktpartei dar, die die Minen gelegt hat.
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