1 Geschichtliche Entwicklung und Rechtsgrundlagen
1.1 Einführung
1.1.1 Allgemeines
101. Die Vereinten Nationen (VN) wurden gegründet, um – mit den Worten ihrer Charta – „künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren". Ein Recht der Staaten zum Kriege kennt das moderne Völkerrecht nicht. Es besteht im Gegenteil eine Verpflichtung zum Frieden.
Die mit den Zielen der VN, insbesondere der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit (34 1 Nr. 1) unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt, ist deren Mitgliedstaaten, zu denen Deutschland seit dem 18. September 1973 gehört2, verboten (Gewaltverbot, 34 2 Nr. 4). Staaten dürfen Gewalt grundsätzlich nur anwenden
• zur Abwehr eines bewaffneten Angriffs in Ausübung ihres naturgegebenen Rechts auf individuelle oder kollektive Selbstverteidigung und in Übereinstimmung mit Artikel 51 VN-Charta oder
• im Rahmen militärischer Sanktionen nach Kapitel VII der VN-Charta, zu denen der Sicherheitsrat der VN bei Bedrohung oder Bruch des Friedens oder bei Angriffshandlungen ermächtigt hat. Das Gewaltverbot wird durch die Verpflichtung zur friedlichen Streitbeilegung ergänzt (34 2 Nr. 3).
Die Rechtsordnung des Friedens (34 2 Nr. 4 „universelles Gewaltverbot") stellt den Normalfall, die Rechtsordnung des bewaffneten Konflikts mithin die Ausnahme dar.
102. Das Humanitäre Völkerrecht stellt eine Weiterentwicklung des traditionellen Kriegs- völkerrechts (ius in bello – „Recht im Krieg"/„Recht der Kriegführung") dar. Die Regeln des Humanitären Völkerrechts sind in bewaffneten Konflikten3 anzuwenden, auch wenn diese von den Parteien nicht als Kriege im herkömmlichen Sinne angesehen werden. Der Begriff „Humanitäres Völkerrecht" trägt dieser Entwicklung Rechnung. Die Regeln des Humanitären Völkerrechts sind von den Konfliktparteien zu beachten und unabhängig von einer ausdrücklichen Kriegserklärung sowie unabhängig davon anwendbar, welche Partei für den Ausbruch eines bewaffneten Konflikts verantwortlich ist.
2 Resolution 3050 der VN-Generalversammlung vom 18. September 1973. 3 Um die Anwendbarkeit einschlägiger völkerrechtlicher Vorschriften auf alle zwischenstaatlichen Ausein- andersetzungen mit Waffengewalt unabhängig vom Bestehen eines „Kriegszustandes" (im klassischen Verständnis setzte dies regelmäßig eine Kriegserklärung voraus) zu gewährleisten, setzte sich nach dem Zweiten Weltkrieg der Begriff „bewaffneter Konflikt" in den völkerrechtlichen Kodifikationen durch.
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