I. Der Begriff Politische Religion im Streit zwischen Religionen und Konfessionen
Die Fundstellen des 16. Jahrhunderts bieten den Lesenden Beispiele für eine in der Forschung bislang unbekannte oder zumindest wenig beachtete Verwendungsform des Terminus Politische Religion als einen wertfreien Begriff, die in den darauffolgenden Jahrhunderten fast vollständig in Vergessenheit gerät. Denn mit Beginn des 17. Jahrhunderts wandelte sich diese Lesart schlagartig und Politische Religion wurde fortan als Negativbegriff zur Kritik oder gar Polemik gegen Konfessionen und Religionen, gegen Meinungen und Weltbilder herangezogen, die mit denen der Verfassenden nicht übereinstimmen. Nur in einigen wenigen Quellen, die in den folgenden zwei Hauptkapiteln untersucht werden, konnte ein Schimmer dieser fehlenden polemischen Lesart des Begriffs Politische Religion aus dem 16. Jahrhundert ermittelt werden.
Der Schwerpunkt der Untersuchung wird in diesem ersten Hauptkapitel auf den Begriff Politische Religion als Polemik im Kontext konfessioneller Streitigkeiten innerhalb des Christentums sowie in der Betrachtung nichtchristlicher Religionen gelegt. Zunächst wird in einem ersten Abschnitt jenen Texten Beachtung geschenkt, in denen der Begriff Politische Religion im Kontext christlicher Konfessionen verwendet wurde. Vor dem Hintergrund der seit der Reformation ausgetragenen konfessionellen Konflikte in Europa entwickelte sich der Ausdruck Politische Religion zu einem negativ aufgeladenen Kampfbegriff zur Diffamierung des jeweils entgegengesetzten konfessionellen Lagers, womit insbesondere eine Vermischung von religiösen und weltlichen bzw. politischen Bereichen sowie eine Politisierung von Religion und eine damit einhergehende machtpolitisch motivierte Einmischung von Geistlichen in weltliche Herrschaftsbereiche unterstellt und gleichzeitig kritisiert wurde. Im Anschluss wendet sich die Untersuchung nichtchristlichen Religionen wie dem Judentum und dem Islam zu, die von den Verfassenden als Politische Religion diffamiert wurden - oftmals mit dem Ziel, eine Überlegenheit des Christentums herauszustellen.
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