Einleitung
Seit mehr als einem Vierteljahrhundert ist die sukzessiv steigende Popularität der Verwendung von politisch-religiösen Theoremen wie etwa Politische oder Säkulare Religion, Ersatzreligion oder Religionsersatz ungebrochen. Die Präsenz politisch-religiöser Semantiken in wissenschaftlichen Diskursen ist nicht nur im Bereich der Geschichtswissenschaft, sondern auch in anderen geistes- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen evident. Aus diesem semantischen Pool politisch-religiöser Theoreme erfreut sich der Begriff Politische Religion einer besonders großen Beliebtheit, dessen Verwendung in der wissenschaftlichen, populärwissenschaftlichen und tagespolitischen Medienlandschaft in den vergangenen Jahren sogar wieder zugenommen hat. Man begegnet dem Begriff allerdings nicht nur im Rahmen wissenschaftlicher Publikationen, sondern auch in nichtwissenschaftlichen Veröffentlichungen, in Tageszeitungen, Leserkommentaren oder Blog-Einträgen zu vielen verschiedenen Themengebieten.[1] Diese Popularität ist unter anderem das Resultat der 1986 veröffentlichten englischen Übersetzung und der 1993 herausgegebenen Neuauflage der Schrift Die politischen Religionen (1938)[2] des österreichischen Politologen und Philosophen Eric Voegelin (auch: Erich Voegelin; 19011985) und der breiten Rezeption seiner gleichnamigen Theorie,[3] die im Spektrum politischreligiöser Semantiken zu einer Popularisierung des von ihm verwendeten Begriffs führten. Der Begriff Politische Religion wurde seit den 1920er Jahren als Deutungsparadigma totalitärer Herrschaftssysteme von Zeitzeugen des Kommunismus in Russland, des faschistischen Italiens
[HR=3][/HR][1]Bald wöchentlich können international neue Beiträge in verschiedenen Publikationsformen gefunden werden, in denen den Lesenden der Begriff Politische Religion oder Entsprechungen aus anderen Sprachräumen begegnen. Jüngst erschien online ein Artikel zur Gewalt im Namen Allahs, in dem es heißt „zwar ist der Islam von früh an eine politische Religion" (Mathias Mesenhöller: Gewalt im Namen Allahs. Die Geburt des militanten Islamismus, in: GEOplus, 02.08.2022 (https://www.geo.de/wissen/weltgeschichte/entstehung-des-mi- litanten-islamismus-30665556.html [letzter Zugriff: 10.01.2023]). Ende des Jahres 2020 veröffentlichte der Pater und Religionswissenschaftler Felix Körner seine Monographie Politische Religion. Theologie der Weltgestaltung - Christentum und Islam (Felix Körner: Politische Religion. Theologie der Weltgestaltung - Islam und Christentum. Freiburg i. B. 2020). Kürzlich wurde in einem Beitrag des linksliberalen Internet-Magazins Salon.com die Bewegung um den ehemaligen US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump und ihr Glaube an ihn als Beschützer demokratischer Werte und des US-amerikanischen Staates sowie Bekämpfer eines vermeintlichen Deep State als „a Trumpian political religion" bezeichnet (Chauncey DeVega: Trump's horror show isn't nearly over. The coup wasn't defeated, only slowed down, in: salon.com, 27.01.2021. Online: https://www.salon.com/2021/01/27/trumps-horror-show-isnt-nearly-over-the-coup-wasnt-defeated- only-slowed-down/ [letzter Zugriff: 10.01.2023].
[2]Eric Voegelin: Die politischen Religionen. Wien 1938; ders.: Die politischen Religionen. Hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Peter J. Opitz. München 1993. Eine englische Übersetzung erschien 1986: Eric Voegelin: Political Religions. Übers. von T. J. DiNapoli, E. S. Easterly (= Toronto studies in theology, 23). Lewiston, NY 1986.
[3]Voegelin skizzierte in seiner Schrift die Politische Religion der Menschheitsgeschichte beginnend mit dem altägyptischen Sonnengottkult Echnatons bis hin zu den faschistischen Herrschaftssystemen seiner Gegenwart - vornehmlich dem Nationalsozialismus als Fluchtpunkt seiner Darstellungen. Dies wird von Voegelin schon anhand des gewählten Titels sichtbar, da er die Pluralform Politische Religionen nutzte, die in der Menschheitsgeschichte schon vor dem Nationalsozialismus verschiedengestaltig zum Vorschein gekommen wären. Insgesamt bleibt das Konzept der Politischen Religion bei Voegelin begrifflich und konzeptionell nur sehr vage umrissen und bietet keinen Ansatz als heuristisches Analyseinstrument zur Anwendung in vergleichenden Studien. Infolge der unfreiwilligen Stellung Voegelins im Forschungsspektrum zur Politischen Religion existieren zahlreiche Studien zu Voegelins konzeptionellen Überlegungen seines christlich geprägten universalhistorischen Ansatzes: siehe zum Beispiel Peter J. Opitz: Eric Voegelins Politische Religionen. Kontexte und Kontinuitäten. München 2006; Hans-Jörg Sigwart: Das Politische und die Wissenschaft. Intellektuell-biographische Studien zum Frühwerk von E. V. Würzburg 2005; Michael Henkel: Eric Voegelin zur Einführung. Hamburg 1998.
und des Nationalsozialismus verwendet, jedoch geriet er nach dem Zweiten Weltkrieg - mit wenigen Ausnahmen[1] - sukzessive in Vergessenheit. Seit ihrer Reaktivierung wurde die Politische Religion als Interpretationsmodell von zahlreichen wissenschaftlichen Studien und nichtwissenschaftlichen Veröffentlichungen wieder aufgegriffen,[2] die im Gros auf Voegelin als Galionsfigur der Politischen Religion und auf dessen Schrift als Grundlagen- und Referenzwerk rekurrieren, obwohl er weder Begründer des Begriffs oder der Theorie noch seinerzeit ihr erster oder einziger Vertreter war[3] und sich in seinen späteren Werken sogar von dieser Terminologie distanzierte.[4] Dabei wird im Großteil der Forschung aus dem Blick verloren, dass der Begriff Politische Religion bzw. entsprechende Äquivalenzbegriffe aus anderen Sprachräumen keine Neologismen des 20. Jahrhunderts sind, sondern speziell die Begriffsverwendung bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgt werden kann.[5]
[HR=3][/HR][2]Eric Voegelin: Die politischen Religionen. Wien 1938; ders.: Die politischen Religionen. Hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Peter J. Opitz. München 1993. Eine englische Übersetzung erschien 1986: Eric Voegelin: Political Religions. Übers. von T. J. DiNapoli, E. S. Easterly (= Toronto studies in theology, 23). Lewiston, NY 1986.
[3]Voegelin skizzierte in seiner Schrift die Politische Religion der Menschheitsgeschichte beginnend mit dem altägyptischen Sonnengottkult Echnatons bis hin zu den faschistischen Herrschaftssystemen seiner Gegenwart - vornehmlich dem Nationalsozialismus als Fluchtpunkt seiner Darstellungen. Dies wird von Voegelin schon anhand des gewählten Titels sichtbar, da er die Pluralform Politische Religionen nutzte, die in der Menschheitsgeschichte schon vor dem Nationalsozialismus verschiedengestaltig zum Vorschein gekommen wären. Insgesamt bleibt das Konzept der Politischen Religion bei Voegelin begrifflich und konzeptionell nur sehr vage umrissen und bietet keinen Ansatz als heuristisches Analyseinstrument zur Anwendung in vergleichenden Studien. Infolge der unfreiwilligen Stellung Voegelins im Forschungsspektrum zur Politischen Religion existieren zahlreiche Studien zu Voegelins konzeptionellen Überlegungen seines christlich geprägten universalhistorischen Ansatzes: siehe zum Beispiel Peter J. Opitz: Eric Voegelins Politische Religionen. Kontexte und Kontinuitäten. München 2006; Hans-Jörg Sigwart: Das Politische und die Wissenschaft. Intellektuell-biographische Studien zum Frühwerk von E. V. Würzburg 2005; Michael Henkel: Eric Voegelin zur Einführung. Hamburg 1998.
und des Nationalsozialismus verwendet, jedoch geriet er nach dem Zweiten Weltkrieg - mit wenigen Ausnahmen[1] - sukzessive in Vergessenheit. Seit ihrer Reaktivierung wurde die Politische Religion als Interpretationsmodell von zahlreichen wissenschaftlichen Studien und nichtwissenschaftlichen Veröffentlichungen wieder aufgegriffen,[2] die im Gros auf Voegelin als Galionsfigur der Politischen Religion und auf dessen Schrift als Grundlagen- und Referenzwerk rekurrieren, obwohl er weder Begründer des Begriffs oder der Theorie noch seinerzeit ihr erster oder einziger Vertreter war[3] und sich in seinen späteren Werken sogar von dieser Terminologie distanzierte.[4] Dabei wird im Großteil der Forschung aus dem Blick verloren, dass der Begriff Politische Religion bzw. entsprechende Äquivalenzbegriffe aus anderen Sprachräumen keine Neologismen des 20. Jahrhunderts sind, sondern speziell die Begriffsverwendung bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgt werden kann.[5]
[1]Siehe bspw. Werner Rings: Die Entzauberung der Politik (= Internationale Bibliothek, 4). Zürich 1947; Gottfried Salomon-Delatour: Politische Soziologie. Stuttgart 1959; Klaus Vondung: Magie und Manipulation. Ideologischer Kult und politische Religion des Nationalsozialismus. Göttingen 1971; Jean-Pierre Sironneau: Secularisation et religions politiques (= Religion and Society, 17). Den Haag 1982.
[2]Siehe bspw. Hans Maier (Hg.): „Totalitarismus" und „Politische Religion". Konzepte des Diktaturvergleichs. 3 Bde. Paderborn 1996-2003; Georg Pfleiderer, Ekkehard W. Stegemann (Hg.): Politische Religion. Geschichte und Gegenwart eines Problemfeldes (= Christentum und Kultur. Basler Studien zur Theologie und Kulturwissenschaft des Christentums, 3). Zürich 2004; Roger Griffin et al. (Hg.): The Sacred in the Twentieth Century Politics. Essays in Honour of Professor Stanley Payne. Basingstoke, New York 2008; Joost Au- gusteijn et al. (Hg.): Political Religion Beyond Totalitarianism. The Sacralization of Politics in the Age of Democracy. Basingstoke 2013. Eine Zusammenfassung zu Studien mit Deutungsansätzen des Nationalsozialismus als Politische Religion lieferte 2005 der Aufsatz von Friedrich Kießling: Nationalsozialismus als politische Religion. Zu einer neuen und alten Deutung des Dritten Reichs, in: Archiv für Sozialgeschichte 45 (2005), S. 529-547; vgl. hierzu auch: Jürgen Schreiber: Politische Religion. Geschichtswissenschaftliche Perspektiven und Kritik eines interdisziplinären Konzepts zur Erforschung des Nationalsozialismus. Marburg 2009; Beth A. Griech-Polelle: Der Nationalsozialismus und das Konzept der „politischen Religion", in: Manfred Gailus, Achim Nolzen (Hg.): Zerstrittene „Volksgemeinschaft". Glaube, Konfession und Religion im Nationalsozialismus. Göttingen 2011, S. 204-226.
[3]Bereits vor Eric Voegelin zogen verschiedene Verfasserinnen und Verfasser den Begriff Politische Religion zur Charakterisierung des Nationalsozialismus heran, wie z. B. die in der Forschung gelegentlich erwähnte Historikerin Lucie Varga (1904-1941) und der Historiker Hans-Joachim Schoeps (1909-1980); Lucie Varga: Zeitenwende. Mentalhistorische Studien 1936-1939. Hrsg., übersetzt und eingeleitet von Peter Schöttler. Frankfurt am Main 1990; Hans-Joachim Schoeps: Der Nationalsozialismus als verkappte Religion, in: El- theto 93 (1939), S. 93-98. Eine zu Voegelin annähernd vergleichbare Aufmerksamkeit widmet die Forschung dem französischen Philosophen und Soziologen Raymond Aron (1905-1983), der den Begriff in seiner Rezension zu Elie Haleys Werk L'ere des tyrannies (1938) verwendete (R. Aron: L'ere des tyrannies, in: Revue de metaphysique et de morale 46.2 [1939], S. 283-307). Aron distanzierte sich ebenfalls von der Politischen Religion und favorisierte in späteren Schriften den Terminus Säkulare Religion. Zu Aron siehe etwa Hans Otto Seitschek: Raymond Arons Konzept der „politischen Religionen". Ein eigener Weg der Totalitarismuskritik (= Voegeliniana, 75). München 2009. Weitere zeitgenössische Schriften werden im zwölften Kapitel vorgestellt.
[4]In seinem späteren Werk ersetzte Voegelin den Religionsbegriff durch Gnosis und bezeichnete totalitäre Systeme als moderne politische Gnosis, gnostische Massenbewegung oder Religionsersatz (Eric Voegelin: Wissenschaft, Politik und Gnosis. München 1959; ders.: Religionsersatz. Die gnostische Massenbewegung unserer Zeit, in: Wahrheit. Monatsschrift für Religion und Kultur 15 [1960], S. 5-18).
[5]In einer Anmerkung im Artikel Christdemokratie als Alternative zur politischen Theologie spricht der Verfasser Markus Krienke von einer neuen Bedeutung des „ursprünglich Voegelinsche[n] Begriffs] der ,politi- schen Religion'", in der „die Religion selbst zum politischen Phänomen mutiert", und verschweigt damit eine über dreihundertjährige Entwicklungsgeschichte des Begriffs (Markus Krienke: Christdemokratie als Alternative zur politischen Theologie? Die Rückkehr politischer Religion in postsäkularer Zeit, in: Oliver Hildago et al. [Hg.]: Christentum und Islam als politische Religion. Ideenwandel im Spiegel gesellschaftlicher Entwicklungen. Wiesbaden 2017, S. 71-94, hier S. 74, Anm. 3). In einem Beitrag der Historikerin Helena Toth heißt es, dass „der Begriff politische Religion' in Bezug auf den Nationalsozialismus entstanden]" sei (Helena Toth: „Zwischen Gott und dem freien Gewissen ist für eine Staatsreligion kein Platz". Die Namensweihe und politische Religion in der DDR, in: Geschichte und Gesellschaft 45.1 [2019], S. 37-69, Zitat S. 38).
Der Begriff Politische Religion wird in vielen Veröffentlichungen undefiniert und ohne theoretische Reflexion, mit unterschiedlichen Semantiken und teilweise sich widersprechenden Deutungsmustern verwendet; einige wenige Publikationen bedienen sich des Begriffs sogar im Titel, ohne ihm substantielle Beachtung im Hauptteil zu schenken.[1] Dennoch wird ihm von verschiedenen Seiten das Attribut eines Konzept- oder Theoriebegriffs, eines terminus techni- cus zugesprochen, obwohl zum Teil sehr unterschiedliche Herangehensweisen an eine begriff- liehe Deutung und - an diese Deutungsansprüche anlehnend - Verwendung existieren, wodurch der Begriff Politische Religion eigentlich stets einer Definition für die Lesenden bedarf, um Missverständnisse zu vermeiden. Die Bandbreite des begrifflichen Verwendungsspektrums und des semantischen Feldes der Politischen Religion ist in der aktuellen wissenschaftlichen sowie nichtwissenschaftlichen Publikations- und Medienlandschaft entsprechend sehr facettenreich. Neben dem Mitte der 1990er Jahre wiederentdeckten „klassischen" Verwendungsfeld der Politischen Religion als Analysekonzept respektive Interpretationsmodell totalitärer Herrschaftssysteme des 20. Jahrhunderts [poststell1] (vorrangig Kommunismus, Faschismus und Nationalsozialismus) wird der Begriff Politische Religion seit Beginn des 21. Jahrhunderts verstärkt in Forschungen und Diskursen zu Fundamentalismus und Islamismus verwendet, die sogar Eingang in den öffentlichen Raum und in politische Debatten finden. Hintergrund für diese Verschiebung bzw. Erweiterung des Anwendungsfeldes der Politischen Religion waren im Besonderen die Ereignisse um den 11. September 2001 und deren Auswirkungen auf die wissenschaftliche und mediale Thematisierung von Islamismus und fundamentalistischen Religionsanschauungen und -adaptionen.[2] Die Stigmatisierung des Islams als Politische Religion ist allerdings keine Erfindung der jüngsten Vergangenheit, sondern muss als Wiederbelebung eines Polemisierungsnarrativs betrachtet werden, dessen Ursprünge bis ins 17. Jahrhundert zurückreichend belegt werden können. Neben diesen schwerpunktmäßigen Verwendungsfeldern taucht die Politische Religion unter anderem auch in Auseinandersetzungen mit der politischen Idee des Nationalismus und in Beiträgen zu christlichen und nichtchristlichen Religionen sowie zur Umschreibung von Phänomenen wie Verschwörungstheorien auf.[3]
[HR=3][/HR][2]Siehe bspw. Hans Maier (Hg.): „Totalitarismus" und „Politische Religion". Konzepte des Diktaturvergleichs. 3 Bde. Paderborn 1996-2003; Georg Pfleiderer, Ekkehard W. Stegemann (Hg.): Politische Religion. Geschichte und Gegenwart eines Problemfeldes (= Christentum und Kultur. Basler Studien zur Theologie und Kulturwissenschaft des Christentums, 3). Zürich 2004; Roger Griffin et al. (Hg.): The Sacred in the Twentieth Century Politics. Essays in Honour of Professor Stanley Payne. Basingstoke, New York 2008; Joost Au- gusteijn et al. (Hg.): Political Religion Beyond Totalitarianism. The Sacralization of Politics in the Age of Democracy. Basingstoke 2013. Eine Zusammenfassung zu Studien mit Deutungsansätzen des Nationalsozialismus als Politische Religion lieferte 2005 der Aufsatz von Friedrich Kießling: Nationalsozialismus als politische Religion. Zu einer neuen und alten Deutung des Dritten Reichs, in: Archiv für Sozialgeschichte 45 (2005), S. 529-547; vgl. hierzu auch: Jürgen Schreiber: Politische Religion. Geschichtswissenschaftliche Perspektiven und Kritik eines interdisziplinären Konzepts zur Erforschung des Nationalsozialismus. Marburg 2009; Beth A. Griech-Polelle: Der Nationalsozialismus und das Konzept der „politischen Religion", in: Manfred Gailus, Achim Nolzen (Hg.): Zerstrittene „Volksgemeinschaft". Glaube, Konfession und Religion im Nationalsozialismus. Göttingen 2011, S. 204-226.
[3]Bereits vor Eric Voegelin zogen verschiedene Verfasserinnen und Verfasser den Begriff Politische Religion zur Charakterisierung des Nationalsozialismus heran, wie z. B. die in der Forschung gelegentlich erwähnte Historikerin Lucie Varga (1904-1941) und der Historiker Hans-Joachim Schoeps (1909-1980); Lucie Varga: Zeitenwende. Mentalhistorische Studien 1936-1939. Hrsg., übersetzt und eingeleitet von Peter Schöttler. Frankfurt am Main 1990; Hans-Joachim Schoeps: Der Nationalsozialismus als verkappte Religion, in: El- theto 93 (1939), S. 93-98. Eine zu Voegelin annähernd vergleichbare Aufmerksamkeit widmet die Forschung dem französischen Philosophen und Soziologen Raymond Aron (1905-1983), der den Begriff in seiner Rezension zu Elie Haleys Werk L'ere des tyrannies (1938) verwendete (R. Aron: L'ere des tyrannies, in: Revue de metaphysique et de morale 46.2 [1939], S. 283-307). Aron distanzierte sich ebenfalls von der Politischen Religion und favorisierte in späteren Schriften den Terminus Säkulare Religion. Zu Aron siehe etwa Hans Otto Seitschek: Raymond Arons Konzept der „politischen Religionen". Ein eigener Weg der Totalitarismuskritik (= Voegeliniana, 75). München 2009. Weitere zeitgenössische Schriften werden im zwölften Kapitel vorgestellt.
[4]In seinem späteren Werk ersetzte Voegelin den Religionsbegriff durch Gnosis und bezeichnete totalitäre Systeme als moderne politische Gnosis, gnostische Massenbewegung oder Religionsersatz (Eric Voegelin: Wissenschaft, Politik und Gnosis. München 1959; ders.: Religionsersatz. Die gnostische Massenbewegung unserer Zeit, in: Wahrheit. Monatsschrift für Religion und Kultur 15 [1960], S. 5-18).
[5]In einer Anmerkung im Artikel Christdemokratie als Alternative zur politischen Theologie spricht der Verfasser Markus Krienke von einer neuen Bedeutung des „ursprünglich Voegelinsche[n] Begriffs] der ,politi- schen Religion'", in der „die Religion selbst zum politischen Phänomen mutiert", und verschweigt damit eine über dreihundertjährige Entwicklungsgeschichte des Begriffs (Markus Krienke: Christdemokratie als Alternative zur politischen Theologie? Die Rückkehr politischer Religion in postsäkularer Zeit, in: Oliver Hildago et al. [Hg.]: Christentum und Islam als politische Religion. Ideenwandel im Spiegel gesellschaftlicher Entwicklungen. Wiesbaden 2017, S. 71-94, hier S. 74, Anm. 3). In einem Beitrag der Historikerin Helena Toth heißt es, dass „der Begriff politische Religion' in Bezug auf den Nationalsozialismus entstanden]" sei (Helena Toth: „Zwischen Gott und dem freien Gewissen ist für eine Staatsreligion kein Platz". Die Namensweihe und politische Religion in der DDR, in: Geschichte und Gesellschaft 45.1 [2019], S. 37-69, Zitat S. 38).
Der Begriff Politische Religion wird in vielen Veröffentlichungen undefiniert und ohne theoretische Reflexion, mit unterschiedlichen Semantiken und teilweise sich widersprechenden Deutungsmustern verwendet; einige wenige Publikationen bedienen sich des Begriffs sogar im Titel, ohne ihm substantielle Beachtung im Hauptteil zu schenken.[1] Dennoch wird ihm von verschiedenen Seiten das Attribut eines Konzept- oder Theoriebegriffs, eines terminus techni- cus zugesprochen, obwohl zum Teil sehr unterschiedliche Herangehensweisen an eine begriff- liehe Deutung und - an diese Deutungsansprüche anlehnend - Verwendung existieren, wodurch der Begriff Politische Religion eigentlich stets einer Definition für die Lesenden bedarf, um Missverständnisse zu vermeiden. Die Bandbreite des begrifflichen Verwendungsspektrums und des semantischen Feldes der Politischen Religion ist in der aktuellen wissenschaftlichen sowie nichtwissenschaftlichen Publikations- und Medienlandschaft entsprechend sehr facettenreich. Neben dem Mitte der 1990er Jahre wiederentdeckten „klassischen" Verwendungsfeld der Politischen Religion als Analysekonzept respektive Interpretationsmodell totalitärer Herrschaftssysteme des 20. Jahrhunderts [poststell1] (vorrangig Kommunismus, Faschismus und Nationalsozialismus) wird der Begriff Politische Religion seit Beginn des 21. Jahrhunderts verstärkt in Forschungen und Diskursen zu Fundamentalismus und Islamismus verwendet, die sogar Eingang in den öffentlichen Raum und in politische Debatten finden. Hintergrund für diese Verschiebung bzw. Erweiterung des Anwendungsfeldes der Politischen Religion waren im Besonderen die Ereignisse um den 11. September 2001 und deren Auswirkungen auf die wissenschaftliche und mediale Thematisierung von Islamismus und fundamentalistischen Religionsanschauungen und -adaptionen.[2] Die Stigmatisierung des Islams als Politische Religion ist allerdings keine Erfindung der jüngsten Vergangenheit, sondern muss als Wiederbelebung eines Polemisierungsnarrativs betrachtet werden, dessen Ursprünge bis ins 17. Jahrhundert zurückreichend belegt werden können. Neben diesen schwerpunktmäßigen Verwendungsfeldern taucht die Politische Religion unter anderem auch in Auseinandersetzungen mit der politischen Idee des Nationalismus und in Beiträgen zu christlichen und nichtchristlichen Religionen sowie zur Umschreibung von Phänomenen wie Verschwörungstheorien auf.[3]
[1]Siehe hierzu bspw. den Sammelband Politische Religion - Religiöse Politik von Richard Faber, in dem sich kein Beitrag dem Begriff Politische Religion eingehend widmet oder diesen zumindest verwendet (Richard Faber [Hg.]: Politische Religion - Religiöse Politik. Würzburg 1997). Ähnlich auch im Beitrag Namensweihe und politische Religion in der DDR, obwohl die Verfasserin auf die Studie von Hans Otto Seitschek zu frühen Verwendungen des Begriffs im Fußnotenapparat verweist (Toth: Namensweihe und politische Religion).
[2]Siehe hierzu neben der oben bereits erwähnten Veröffentlichung von Felix Körner bspw. Oliver Hildago et al. (Hg.): Christentum und Islam als politische Religion. Ideenwandel im Spiegel gesellschaftlicher Entwicklungen. Wiesbaden 2017; Sabah Mofidi: Political Religion. Outcome and Continuity of Religious Fundamentalism, in: International Journal of Research in Applied, Natural and Social Sciences 2.5 (2014), S. 161168; Hande Eslen-Ziya, Umut Korkut: Political Religion and Politicized Women in Turkey. Hegemonic Republicanism Revisited, in: Totalitarian Movements and Political Religions 11.3-4 (2010), S. 311-326; Reinhard Schulze: Islam als Politische Religion. Eine Kritik normativer Voraussetzungen, in: Jan Assmann, Hans Strohm (Hg.): Herrschaftskult und Heilserwartung. Paderborn 2010, S. 103-145; Gerda Bohmann: „Politische Religionen" (Eric Voegelin und Raymond Aron) - ein Begriff zur Differenzierung von Fundamentalismen?, in: Österreichische Zeitschrift für Soziologie 34.1 (2009), S. 3-22.
[3]Hier seien exemplarisch ein paar Aufsätze erwähnt: Peter Walkenhorst: Nationalismus als 'Politische Religion'? Zur religiösen Dimension nationalistischer Ideologie im Kaiserreich, in: Olaf Blaschke et al. (Hg.): Religion im Kaiserreich. Milieus - Mentalitäten - Krisen. Gütersloh 1996; Dietmar Klenke: Nationalkriegerisches Gemeinschaftsideal als politische Religion. Zum Vereinsnationalismus der Sänger, Schützen und Turner am Vorabend der Einigungskriege, in: Historische Zeitschrift 260.2 (1995), S. 395-448; Petra Bahr: Glauben ohne Gott. Gegen Verschwörungstheorien helfen keine Argumente, in: Zeit Online, 28.10.2016. Online: https://www.zeit.de/2016/45/verschwoerungstheorien-glaube-argumente-kolumne-bahr [letzter Zugriff: 10.01.2023]; Tadzio Müller: Politische Religion als neue Avantgarde, in: Luxemburg 19.2 (2014). Online: https://www.zeitschrift-luxemburg.de/politische-religion-als-neue-avantgarde/ [letzter Zugriff: 10.01.2023].
[HR=3][/HR][2]Siehe hierzu neben der oben bereits erwähnten Veröffentlichung von Felix Körner bspw. Oliver Hildago et al. (Hg.): Christentum und Islam als politische Religion. Ideenwandel im Spiegel gesellschaftlicher Entwicklungen. Wiesbaden 2017; Sabah Mofidi: Political Religion. Outcome and Continuity of Religious Fundamentalism, in: International Journal of Research in Applied, Natural and Social Sciences 2.5 (2014), S. 161168; Hande Eslen-Ziya, Umut Korkut: Political Religion and Politicized Women in Turkey. Hegemonic Republicanism Revisited, in: Totalitarian Movements and Political Religions 11.3-4 (2010), S. 311-326; Reinhard Schulze: Islam als Politische Religion. Eine Kritik normativer Voraussetzungen, in: Jan Assmann, Hans Strohm (Hg.): Herrschaftskult und Heilserwartung. Paderborn 2010, S. 103-145; Gerda Bohmann: „Politische Religionen" (Eric Voegelin und Raymond Aron) - ein Begriff zur Differenzierung von Fundamentalismen?, in: Österreichische Zeitschrift für Soziologie 34.1 (2009), S. 3-22.
[3]Hier seien exemplarisch ein paar Aufsätze erwähnt: Peter Walkenhorst: Nationalismus als 'Politische Religion'? Zur religiösen Dimension nationalistischer Ideologie im Kaiserreich, in: Olaf Blaschke et al. (Hg.): Religion im Kaiserreich. Milieus - Mentalitäten - Krisen. Gütersloh 1996; Dietmar Klenke: Nationalkriegerisches Gemeinschaftsideal als politische Religion. Zum Vereinsnationalismus der Sänger, Schützen und Turner am Vorabend der Einigungskriege, in: Historische Zeitschrift 260.2 (1995), S. 395-448; Petra Bahr: Glauben ohne Gott. Gegen Verschwörungstheorien helfen keine Argumente, in: Zeit Online, 28.10.2016. Online: https://www.zeit.de/2016/45/verschwoerungstheorien-glaube-argumente-kolumne-bahr [letzter Zugriff: 10.01.2023]; Tadzio Müller: Politische Religion als neue Avantgarde, in: Luxemburg 19.2 (2014). Online: https://www.zeitschrift-luxemburg.de/politische-religion-als-neue-avantgarde/ [letzter Zugriff: 10.01.2023].
[poststell1]Eine politische Herrschaft, die die Bürger vollkommen unterwerfen will, handelt totalitär. Ein solcher Staat versucht, alle Bereiche des Lebens (Beruf, Familie, Erziehung, Freizeit usw.) zu kontrollieren, also die totale Macht auszuüben. Dieses System lässt keine anderen Meinungen und Parteien zu.
Wie kommt es zu diesen unterschiedlichen Verwendungsspektren und den zum Teil divergierenden Verständnisnuancen, die in der Bandbreite aktueller Publikationen ausdifferenziert werden können? Handelt es sich bei dieser Diversität um ein Phänomen, das im individuellen Verständnis zeitgenössischer Autoren begründet liegt? Oder können unterschiedliche Verwendungs- und Bedeutungsnuancen der Politischen Religion bereits in frühen Quellenbeispielen gefunden bzw. herausgearbeitet werden? Diesem Fragekomplex widmet sich der vorliegende Forschungsbeitrag und untersucht frühneuzeitliche Quellenbelege des Begriffs Politische Religion unter der Annahme einer bereits in frühen Verwendungsbeispielen vorhandenen semantischen Diversität der Verwendungs- und Bedeutungsfelder. Es soll einerseits eine Erforschung der Genese und Entwicklung des Begriffs Politische Religion versucht und andererseits die Frage nach den semantischen Feldern und deren Veränderungen im Laufe der Zeit untersucht werden. Die Studie verfolgt keinesfalls den Anspruch einer vollständigen Vor- und Dar Stellung aller - im Rahmen dieser Forschungsarbeit recherchierten - Quellen, die den Begriff Politische Religion verwenden. Eine vollständige Präsentation würde aufgrund der Fülle an vorhandenem Quellenmaterial den quantitativen Rahmen dieser Arbeit unnötig ausufern lassen und damit einem konstruktiven Überblick der verschiedenen Verwendungskontexte und Semantiken bzw. Bedeutungsnuancen nicht dienlich sein.
Darüber hinaus soll mit den Ergebnissen der Arbeit eine Reflexion über den Begriff Politische Religion und seine Verwendung angeregt und die Wurzeln der aktuell bestehenden semantischen Grundprobleme, die im Begriff unanfechtbar mitschwingen, sowie seine daraus resultierende Mangelhaftigkeit als Analysekonzept bzw. als terminus technicus in wissenschaftlichen Arbeiten aufgezeigt werden. Die Defizite des Begriffs werden in wissenschaftlichen Beiträgen durchaus problematisiert, wobei die angeführten Argumente der Forschenden zum Teil recht unterschiedlich sind.[1] In seinem jüngst veröffentlichten Beitrag Zivilreligion, politische Religion und politische Theologie verweist der Historiker Bruno Godefroy auf die Politische Religion als polemisch gefärbten Kampfbegriff, weswegen der Begriff innerhalb „der politischen Theorie nur mit Vorsicht weiterverwendet"[2] werden könne; von einer vollständigen Vermeidung oder Ablehnung des Begriffs spricht er hingegen nicht. Sein Begriffsverständnis auf Voegelins Semantik der Politischen Religion gründend vertritt Godefroy das Narrativ, dass man erst seit Voegelins Publikation Die politischen Religionen „von einem zusammenhängenden
Begriff sprechen"[3] könne, womit er die im heutigen Gebrauch mitschwingenden, bis in die
[HR=3][/HR]Wie kommt es zu diesen unterschiedlichen Verwendungsspektren und den zum Teil divergierenden Verständnisnuancen, die in der Bandbreite aktueller Publikationen ausdifferenziert werden können? Handelt es sich bei dieser Diversität um ein Phänomen, das im individuellen Verständnis zeitgenössischer Autoren begründet liegt? Oder können unterschiedliche Verwendungs- und Bedeutungsnuancen der Politischen Religion bereits in frühen Quellenbeispielen gefunden bzw. herausgearbeitet werden? Diesem Fragekomplex widmet sich der vorliegende Forschungsbeitrag und untersucht frühneuzeitliche Quellenbelege des Begriffs Politische Religion unter der Annahme einer bereits in frühen Verwendungsbeispielen vorhandenen semantischen Diversität der Verwendungs- und Bedeutungsfelder. Es soll einerseits eine Erforschung der Genese und Entwicklung des Begriffs Politische Religion versucht und andererseits die Frage nach den semantischen Feldern und deren Veränderungen im Laufe der Zeit untersucht werden. Die Studie verfolgt keinesfalls den Anspruch einer vollständigen Vor- und Dar Stellung aller - im Rahmen dieser Forschungsarbeit recherchierten - Quellen, die den Begriff Politische Religion verwenden. Eine vollständige Präsentation würde aufgrund der Fülle an vorhandenem Quellenmaterial den quantitativen Rahmen dieser Arbeit unnötig ausufern lassen und damit einem konstruktiven Überblick der verschiedenen Verwendungskontexte und Semantiken bzw. Bedeutungsnuancen nicht dienlich sein.
Darüber hinaus soll mit den Ergebnissen der Arbeit eine Reflexion über den Begriff Politische Religion und seine Verwendung angeregt und die Wurzeln der aktuell bestehenden semantischen Grundprobleme, die im Begriff unanfechtbar mitschwingen, sowie seine daraus resultierende Mangelhaftigkeit als Analysekonzept bzw. als terminus technicus in wissenschaftlichen Arbeiten aufgezeigt werden. Die Defizite des Begriffs werden in wissenschaftlichen Beiträgen durchaus problematisiert, wobei die angeführten Argumente der Forschenden zum Teil recht unterschiedlich sind.[1] In seinem jüngst veröffentlichten Beitrag Zivilreligion, politische Religion und politische Theologie verweist der Historiker Bruno Godefroy auf die Politische Religion als polemisch gefärbten Kampfbegriff, weswegen der Begriff innerhalb „der politischen Theorie nur mit Vorsicht weiterverwendet"[2] werden könne; von einer vollständigen Vermeidung oder Ablehnung des Begriffs spricht er hingegen nicht. Sein Begriffsverständnis auf Voegelins Semantik der Politischen Religion gründend vertritt Godefroy das Narrativ, dass man erst seit Voegelins Publikation Die politischen Religionen „von einem zusammenhängenden
Begriff sprechen"[3] könne, womit er die im heutigen Gebrauch mitschwingenden, bis in die
[1] Zwar machen der Historiker Hans Maier und der Politikwissenschaftler Juan Linz auf Anwendungsprobleme aufmerksam, wenden allerdings mit dem Argument fehlender Alternativbegriffe weiterhin in ihren Beiträgen den Begriff an (Juan J. Linz: Der religiöse Gebrauch der Politik und/oder der politische Gebrauch der Religion. Ersatz-Ideologie gegen Ersatz-Religion, in: Hans Maier [Hg.]: „Totalitarismus" und „Politische Religionen". Konzepte des Diktaturvergleichs. Bd. I [= Politik- und Kommunikationswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft, 16]. Paderborn 1996, S. 129-170). Demgegenüber lehnen die Historiker Hans Mommsen, Michael Rißmann und Jürgen Schreiber den Begriff Politische Religion und insbesondere seine Verwendung zur Charakterisierung totalitärer Herrschaftssysteme ab und bieten alternative Begriffe an. Siehe hierzu auch Ulrich Meier et al. (Hg.): Semantiken des Politischen. Vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert (= Das Politische als Kommunikation, 8). Göttingen 2012, S. 90; Andreas Wirsching: Eldorado oder Dilemma? Diktaturforschung heute, in: Johannes Hürter, Hermann Wentker (Hg.): Diktaturen. Perspektiven der zeithistorischen Forschung (= Zeitgeschichte im Gespräch, 29). Berlin, Boston 2019, S. 3046.
[2] Bruno Godefroy: Zivilreligion, politische Religion und politische Theologie. Drei Begriffe zwischen Gründung und Entpolitisierung, in: Stefanie Hammer, Oliver Hidalgo (Hg.): Religion, Ethik und Politik. Auf der Suche nach der guten Ordnung. Wiesbaden 2020, S. 35-52, Zitat S. 42.
[3] Ebd., S. 40. Eine Charakterisierung des Islams als Politische Religion führt er lapidar auf eine abwertende Gleichstellung mit den politischen Systemen des Nationalsozialismus und sowjetischen Kommunismus auf der Grundlage vermeintlicher Ähnlichkeiten, wie z. B. Demokratiefeindlichkeit oder totalitäre Strukturen, zurück.
Frühe Neuzeit zurückreichenden Wurzeln dieses Begriffes verkennt bzw. ausblendet. Mit dieser Arbeit soll ein erster Einblick in die facetten-, aber auch traditionsreiche Welt der Politischen Religion in ihrer frühen Verwendung bis ins 19. Jahrhundert gewährt und ein Bewusstsein für die historisch gewachsenen Probleme und Mängel dieses Begriffs geschaffen werden.
Der Forschungsstand
Seit den 1990er Jahren ist die Anzahl wissenschaftlicher Studien, aber auch populärer, häufig medial verbreiteter Geschichtsschreibungen, die dem Begriff Politische Religion Aufmerksamkeit schenken, von Jahr zu Jahr angestiegen. Trotz dieser Publikationsflut finden sich jedoch überraschend wenig Forschungsarbeiten, die sich mit den begriffsgeschichtlichen Dimensionen des Begriffs Politische Religion vor dem 20. Jahrhundert auseinandersetzen - demgegenüber existieren zahlreiche Beiträge, die sich mit der Rezeption des Begriffs im Verwendungskontext der Interpretationsversuche totalitärer Herrschaftssysteme des 20. Jahrhunderts beschäftigen.[1] Wie eingangs bereits erwähnt, setzen Untersuchungen, die sich im Speziellen mit dem Begriff Politische Religion beschäftigen, überwiegend im 20. Jahrhundert an und nennen Eric Voegelin als Begriffsschöpfer. Obwohl die Begriffsverwendung bereits in Quellen des 16. Jahrhundert nachgewiesen werden kann, haben sich Forschungsarbeiten einer Untersuchung frühneuzeitlicher Quellenfunde und der Entwicklungsgeschichte des Begriffs nur sehr vereinzelt zugewandt. Der Religionswissenschaftler Ernst Feil war einer der ersten Forschenden, die sich dem Begriff Politische Religion auf einer begriffsgeschichtlichen Ebene näherten. In seinem 1995 veröffentlichten Aufsatz „Politische Religion" und „Politische Theologie" arbeitet Feil die Metaphysik von Tommaso Campanella aus dem Jahr 1638 und die Schrift De Religione Politica von Daniel Clasens aus dem Jahr 1655 als erste Quellenbelege einer Verwendung der lateinischen Wendung religio politica im 17. Jahrhundert heraus und untersucht im Besonderen den Ansatz Clasens zur Definition einer religio politica, wenngleich das Hauptaugenmerk hier auf dem Begriffsbestandteil religio liegt. Weitere Fundstellen zur Begriffsverwendung im 17. Jahrhundert liefert Feil als Beifang im Rahmen seiner Untersuchung zu den etymologischen Wurzeln und der Entwicklung des Religionsbegriffs in seinem zwischen 1986 bis 2007 erschienenen vierbändigen Werk Religio. Unter anderem verweist er im dritten Band auf die 1606 veröffentlichte Schrift Vindex Veritatis des schottischen Calvinisten George Thomson, die bislang auch in der neuesten Forschungsliteratur als erster Quellenfund für eine frühe Verwendung des Begriffs Politische Religion bzw. in diesem Fall religio politica angegeben wird.[2]
Der Historiker Martin Mulsow publizierte 2002 seine Habilitationsschrift Moderne aus dem Untergrund, die sich an einigen Stellen ebenfalls bruchstückhaft auf begriffsgeschicht- licher Ebene der Politischen Religion nähert und sich mit den bei Feil bereits vorgestellten Quellenbelegen um Thomson, Campanella und Clasen auseinandersetzt. Zusätzlich befasst er sich in seinem 2003 erschienenen Artikel Mehrfachkonversion, politische Religion und Opportunismus im 17. Jahrhundert etwas eingehender mit dem Inhalt des Werkes Vindex Veritatis von
[HR=3][/HR][2] Bruno Godefroy: Zivilreligion, politische Religion und politische Theologie. Drei Begriffe zwischen Gründung und Entpolitisierung, in: Stefanie Hammer, Oliver Hidalgo (Hg.): Religion, Ethik und Politik. Auf der Suche nach der guten Ordnung. Wiesbaden 2020, S. 35-52, Zitat S. 42.
[3] Ebd., S. 40. Eine Charakterisierung des Islams als Politische Religion führt er lapidar auf eine abwertende Gleichstellung mit den politischen Systemen des Nationalsozialismus und sowjetischen Kommunismus auf der Grundlage vermeintlicher Ähnlichkeiten, wie z. B. Demokratiefeindlichkeit oder totalitäre Strukturen, zurück.
Frühe Neuzeit zurückreichenden Wurzeln dieses Begriffes verkennt bzw. ausblendet. Mit dieser Arbeit soll ein erster Einblick in die facetten-, aber auch traditionsreiche Welt der Politischen Religion in ihrer frühen Verwendung bis ins 19. Jahrhundert gewährt und ein Bewusstsein für die historisch gewachsenen Probleme und Mängel dieses Begriffs geschaffen werden.
Der Forschungsstand
Seit den 1990er Jahren ist die Anzahl wissenschaftlicher Studien, aber auch populärer, häufig medial verbreiteter Geschichtsschreibungen, die dem Begriff Politische Religion Aufmerksamkeit schenken, von Jahr zu Jahr angestiegen. Trotz dieser Publikationsflut finden sich jedoch überraschend wenig Forschungsarbeiten, die sich mit den begriffsgeschichtlichen Dimensionen des Begriffs Politische Religion vor dem 20. Jahrhundert auseinandersetzen - demgegenüber existieren zahlreiche Beiträge, die sich mit der Rezeption des Begriffs im Verwendungskontext der Interpretationsversuche totalitärer Herrschaftssysteme des 20. Jahrhunderts beschäftigen.[1] Wie eingangs bereits erwähnt, setzen Untersuchungen, die sich im Speziellen mit dem Begriff Politische Religion beschäftigen, überwiegend im 20. Jahrhundert an und nennen Eric Voegelin als Begriffsschöpfer. Obwohl die Begriffsverwendung bereits in Quellen des 16. Jahrhundert nachgewiesen werden kann, haben sich Forschungsarbeiten einer Untersuchung frühneuzeitlicher Quellenfunde und der Entwicklungsgeschichte des Begriffs nur sehr vereinzelt zugewandt. Der Religionswissenschaftler Ernst Feil war einer der ersten Forschenden, die sich dem Begriff Politische Religion auf einer begriffsgeschichtlichen Ebene näherten. In seinem 1995 veröffentlichten Aufsatz „Politische Religion" und „Politische Theologie" arbeitet Feil die Metaphysik von Tommaso Campanella aus dem Jahr 1638 und die Schrift De Religione Politica von Daniel Clasens aus dem Jahr 1655 als erste Quellenbelege einer Verwendung der lateinischen Wendung religio politica im 17. Jahrhundert heraus und untersucht im Besonderen den Ansatz Clasens zur Definition einer religio politica, wenngleich das Hauptaugenmerk hier auf dem Begriffsbestandteil religio liegt. Weitere Fundstellen zur Begriffsverwendung im 17. Jahrhundert liefert Feil als Beifang im Rahmen seiner Untersuchung zu den etymologischen Wurzeln und der Entwicklung des Religionsbegriffs in seinem zwischen 1986 bis 2007 erschienenen vierbändigen Werk Religio. Unter anderem verweist er im dritten Band auf die 1606 veröffentlichte Schrift Vindex Veritatis des schottischen Calvinisten George Thomson, die bislang auch in der neuesten Forschungsliteratur als erster Quellenfund für eine frühe Verwendung des Begriffs Politische Religion bzw. in diesem Fall religio politica angegeben wird.[2]
Der Historiker Martin Mulsow publizierte 2002 seine Habilitationsschrift Moderne aus dem Untergrund, die sich an einigen Stellen ebenfalls bruchstückhaft auf begriffsgeschicht- licher Ebene der Politischen Religion nähert und sich mit den bei Feil bereits vorgestellten Quellenbelegen um Thomson, Campanella und Clasen auseinandersetzt. Zusätzlich befasst er sich in seinem 2003 erschienenen Artikel Mehrfachkonversion, politische Religion und Opportunismus im 17. Jahrhundert etwas eingehender mit dem Inhalt des Werkes Vindex Veritatis von
[1] Siehe oben.
[2] Ernst Feil: „Politische Religion" und „Politische Theologie". Zur Problematik ihrer Instrumentalisierung, in: Joachim Mehlhausen (Hg.): .. .und über Barmen hinaus. Festschrift für Carsten Nicolaisen (= Arbeiten zur kirchlichen Zeitgeschichte, Reihe B: Darstellungen, 23). Göttingen 1995, S. 11-39; ders.: Religio. 4 Bde. Göttingen 1986-2007. Zu Thomson siehe Kapitel 4.1.
George Thomson und erläutert die Hintergründe der Veröffentlichung.[1] Insgesamt bleiben auch Mulsows Annäherungen an eine Geschichte des Begriffs Politische Religion eher Randbemerkungen innerhalb seiner Untersuchungen und in Hinblick auf das präsentierte Quellenmaterial sehr übersichtlich.
Im Gros der Forschungsliteratur wird in erster Linie auf den Aufsatz Frühe Verwendungen des Begriffs „Politische Religionen". Campanella, Clasen, Wieland des Philosophen und Religionswissenschaftler Hans Otto Seitschek verwiesen, der 2003 im dritten Band der Trilogie „Totalitarismus" und „Politische Religion" von Hans Maier erschien. Neben der bis dahin üblichen Trias lateinischer Quellenfunde richtet der Aufsatz zusätzlich den Blick auf den Schriftsteller Christoph Martin Wieland als Quellenbeispiel für eine Verwendung des deutschen Lehnbegriffs Politische Religion am Ende des 18. Jahrhunderts. Seitscheks Aufsatz liefert - mit Ausnahme seiner Ausführungen zu Wieland - im Vergleich zu Ernst Feil und Martin Mulsow keine neuen Forschungsergebnisse. In seinem Werk Politischer Messianismus spricht Seitschek unter anderem auch von einer Politischen Religion der Antike, wendet allerdings ein, dass einschlägige Quellen zur Überlieferung einer Verwendung in antiken Texten fehlen. Auch in Seitscheks Publikation Religionsphilosophie als Perspektive. Eine neue Deutung von Wirklichkeit und Wahrheit aus dem Jahr 2017 wird George Thomsons Veröffentlichung als ihm erster bekannter Verwendungsbeleg des Begriffs Politische Religion respektive des lateinischen Pendants religio politica angeführt.[2]
Auf Seitschek Bezug nehmend lenkt der Historiker Werner Ustorf in einem Kapitel seiner Monographie zur Missionierungsgeschichte des Christentums Robinson Crusoe tries again seinen Blick vornehmlich auf die Verwendung des Begriffs in theologischen Schriften in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Einleitend weist er darauf hin, dass eine Verwendung des Begriffs Politische Religion bis mindestens ins 16. Jahrhundert zurückverfolgt werden könne, ohne jedoch entsprechende Belege zu liefern.[3] In dem 2012 veröffentlichten Aufsatz „Politische Religion". Zur Herkunft eines Interpretationsmodells totalitärer Ideologien beschäftigt sich der Theologe und Religionswissenschaftler Christian Johannes Neddens mit frühneuzeitlichen Ansätzen des Begriffs, dessen Entwicklung er anhand einiger ausgesuchter und zum Teil bis dato in der Forschung unbeachteter Quellenbelege bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts nachzeichnet.[4] Eine Aktualisierung zur Quellenlage im 17. Jahrhundert liefert auch der Forschungsbeitrag von Neddens nicht.
In allen Veröffentlichungen wird einer begriffsgeschichtlichen Erforschung der Politischen Religion nur marginal Platz eingeräumt und entweder in sehr begrenzten Aufsätzen oder
[HR=3][/HR][2] Ernst Feil: „Politische Religion" und „Politische Theologie". Zur Problematik ihrer Instrumentalisierung, in: Joachim Mehlhausen (Hg.): .. .und über Barmen hinaus. Festschrift für Carsten Nicolaisen (= Arbeiten zur kirchlichen Zeitgeschichte, Reihe B: Darstellungen, 23). Göttingen 1995, S. 11-39; ders.: Religio. 4 Bde. Göttingen 1986-2007. Zu Thomson siehe Kapitel 4.1.
George Thomson und erläutert die Hintergründe der Veröffentlichung.[1] Insgesamt bleiben auch Mulsows Annäherungen an eine Geschichte des Begriffs Politische Religion eher Randbemerkungen innerhalb seiner Untersuchungen und in Hinblick auf das präsentierte Quellenmaterial sehr übersichtlich.
Im Gros der Forschungsliteratur wird in erster Linie auf den Aufsatz Frühe Verwendungen des Begriffs „Politische Religionen". Campanella, Clasen, Wieland des Philosophen und Religionswissenschaftler Hans Otto Seitschek verwiesen, der 2003 im dritten Band der Trilogie „Totalitarismus" und „Politische Religion" von Hans Maier erschien. Neben der bis dahin üblichen Trias lateinischer Quellenfunde richtet der Aufsatz zusätzlich den Blick auf den Schriftsteller Christoph Martin Wieland als Quellenbeispiel für eine Verwendung des deutschen Lehnbegriffs Politische Religion am Ende des 18. Jahrhunderts. Seitscheks Aufsatz liefert - mit Ausnahme seiner Ausführungen zu Wieland - im Vergleich zu Ernst Feil und Martin Mulsow keine neuen Forschungsergebnisse. In seinem Werk Politischer Messianismus spricht Seitschek unter anderem auch von einer Politischen Religion der Antike, wendet allerdings ein, dass einschlägige Quellen zur Überlieferung einer Verwendung in antiken Texten fehlen. Auch in Seitscheks Publikation Religionsphilosophie als Perspektive. Eine neue Deutung von Wirklichkeit und Wahrheit aus dem Jahr 2017 wird George Thomsons Veröffentlichung als ihm erster bekannter Verwendungsbeleg des Begriffs Politische Religion respektive des lateinischen Pendants religio politica angeführt.[2]
Auf Seitschek Bezug nehmend lenkt der Historiker Werner Ustorf in einem Kapitel seiner Monographie zur Missionierungsgeschichte des Christentums Robinson Crusoe tries again seinen Blick vornehmlich auf die Verwendung des Begriffs in theologischen Schriften in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Einleitend weist er darauf hin, dass eine Verwendung des Begriffs Politische Religion bis mindestens ins 16. Jahrhundert zurückverfolgt werden könne, ohne jedoch entsprechende Belege zu liefern.[3] In dem 2012 veröffentlichten Aufsatz „Politische Religion". Zur Herkunft eines Interpretationsmodells totalitärer Ideologien beschäftigt sich der Theologe und Religionswissenschaftler Christian Johannes Neddens mit frühneuzeitlichen Ansätzen des Begriffs, dessen Entwicklung er anhand einiger ausgesuchter und zum Teil bis dato in der Forschung unbeachteter Quellenbelege bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts nachzeichnet.[4] Eine Aktualisierung zur Quellenlage im 17. Jahrhundert liefert auch der Forschungsbeitrag von Neddens nicht.
In allen Veröffentlichungen wird einer begriffsgeschichtlichen Erforschung der Politischen Religion nur marginal Platz eingeräumt und entweder in sehr begrenzten Aufsätzen oder
[1] Martin Mulsow: Moderne aus dem Untergrund. Radikale Frühaufklärung in Deutschland 1680-1720. Hamburg 2002; ders.: Mehrfachkonversion, politische Religion und Opportunismus im 17. Jahrhundert. Ein Plädoyer für eine Indifferentismusforschung, in: Kaspar von Greyerz et al. (Hg.): Interkonfessionalität - Trans- konfessionalität - binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese. Gütersloh 2003, S. 132-151.
[2] Hans Otto Seitschek: Frühe Verwendungen des Begriffs „Politische Religionen". Campanella, Clasen, Wieland, in: Hans Maier (Hg.): „Totalitarismus" und „Politische Religionen". Konzepte des Diktaturvergleichs. Bd. 3: Deutungsgeschichte und Theorie. Paderborn 2003, S. 109-120; ders.: Politischer Messianismus. Totalitarismuskritik und philosophische Geschichtsschreibung im Anschluß an Jacob Leib Talmon (= Politik- und Kommunikationswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft, 26). Paderborn 2005; ders.: Religionsphilosophie als Perspektive. Eine neue Deutung von Wirklichkeit und Wahrheit. Wiesbaden 2017.
[3] Werner Ustorf: Robinson Crusoe tries again. Missiology and European Construction of „Self" and „Other" in a Global World, 1789-2010 (= Research in Contemporary Religion, 9). Göttingen 2010, hier S. 146-173.
[4] Christian Johannes Neddens: „Politische Religion". Zur Herkunft eines Interpretationsmodells totalitärer Ideologien, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 109.3 (2012), S. 307-336.
als bruchstückhaftes Randthema in Monographien umrissen.[1] Das bereits von Ernst Feil herangezogene Quellenmaterial zur Verwendung des Begriffs Politische Religion im 17. Jahrhundert wurde auch in darauffolgenden Studien von anderen Forschenden nicht durch neue Quellenfunde erweitert, so dass bislang alle Autorinnen und Autoren auf die Quelle von George Thomson als erste belegbare Begriffsverwendung in der Frühen Neuzeit rekurrieren. Folglich herrscht weiterhin ein Mangel an wissenschaftlichen Studien, die eine detaillierte Erforschung und eine umfassende Erörterung der Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte sowie historio- graphische Kontextualisierung des Begriffs Politische Religion bereitstellen, unter anderem eingebettet in die Semantiken des Religionsbegriffs. Während der Recherchen zu dieser Studie hat sich herausgestellt, dass die Quellenlage bei Weitem noch nicht ausgeschöpft und der Forschungsstand allein schon zur Geschichte des Begriffs im 17. Jahrhundert überholt ist und folglich dringend einer Aktualisierung sowie quellenbasierten Erweiterung bedarf. Diese Notwendigkeit einer Überarbeitung der bislang vorliegenden Forschungsergebnisse einer begriffsgeschichtlichen Annäherung an die Politische Religion hat sich zudem mit zahlreichen Quellenfunden im 18. und 19. Jahrhundert aus verschiedenen Sprachräumen bestätigt, die eine Einarbeitung in und um die Ergebnisse der bisher geleisteten Auseinandersetzungen in der Forschung erfordern. Die vorliegende Studie soll diesem Erfordernis Abhilfe leisten und mit Hilfe einer Auswahl von größtenteils bislang unbekannten Fundstellen eine Topographie der Politischen Religion mit Fokus auf den deutschsprachigen Raum zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert liefern.
Das Quellenkorpus
Neben den oben erwähnten Quellenbeispielen einer Verwendung des Begriffs Politische Religion vor dem 20. Jahrhundert, die in der Forschungsliteratur bereits bekannt sind und untersucht wurden, fußt die vorliegende Arbeit im Überwiegenden auf einem Quellenkorpus bislang in der Forschung unbekannter respektive nicht beachteter Texte, die im Zuge einer Quellenrecherche zusammengetragen und analysiert wurden. Die Recherche erfolgte überwiegend digital in mehreren Online-Datenbanken und auf verschiedenen Internetplattformen,[2] die
[HR=3][/HR][2] Hans Otto Seitschek: Frühe Verwendungen des Begriffs „Politische Religionen". Campanella, Clasen, Wieland, in: Hans Maier (Hg.): „Totalitarismus" und „Politische Religionen". Konzepte des Diktaturvergleichs. Bd. 3: Deutungsgeschichte und Theorie. Paderborn 2003, S. 109-120; ders.: Politischer Messianismus. Totalitarismuskritik und philosophische Geschichtsschreibung im Anschluß an Jacob Leib Talmon (= Politik- und Kommunikationswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft, 26). Paderborn 2005; ders.: Religionsphilosophie als Perspektive. Eine neue Deutung von Wirklichkeit und Wahrheit. Wiesbaden 2017.
[3] Werner Ustorf: Robinson Crusoe tries again. Missiology and European Construction of „Self" and „Other" in a Global World, 1789-2010 (= Research in Contemporary Religion, 9). Göttingen 2010, hier S. 146-173.
[4] Christian Johannes Neddens: „Politische Religion". Zur Herkunft eines Interpretationsmodells totalitärer Ideologien, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 109.3 (2012), S. 307-336.
als bruchstückhaftes Randthema in Monographien umrissen.[1] Das bereits von Ernst Feil herangezogene Quellenmaterial zur Verwendung des Begriffs Politische Religion im 17. Jahrhundert wurde auch in darauffolgenden Studien von anderen Forschenden nicht durch neue Quellenfunde erweitert, so dass bislang alle Autorinnen und Autoren auf die Quelle von George Thomson als erste belegbare Begriffsverwendung in der Frühen Neuzeit rekurrieren. Folglich herrscht weiterhin ein Mangel an wissenschaftlichen Studien, die eine detaillierte Erforschung und eine umfassende Erörterung der Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte sowie historio- graphische Kontextualisierung des Begriffs Politische Religion bereitstellen, unter anderem eingebettet in die Semantiken des Religionsbegriffs. Während der Recherchen zu dieser Studie hat sich herausgestellt, dass die Quellenlage bei Weitem noch nicht ausgeschöpft und der Forschungsstand allein schon zur Geschichte des Begriffs im 17. Jahrhundert überholt ist und folglich dringend einer Aktualisierung sowie quellenbasierten Erweiterung bedarf. Diese Notwendigkeit einer Überarbeitung der bislang vorliegenden Forschungsergebnisse einer begriffsgeschichtlichen Annäherung an die Politische Religion hat sich zudem mit zahlreichen Quellenfunden im 18. und 19. Jahrhundert aus verschiedenen Sprachräumen bestätigt, die eine Einarbeitung in und um die Ergebnisse der bisher geleisteten Auseinandersetzungen in der Forschung erfordern. Die vorliegende Studie soll diesem Erfordernis Abhilfe leisten und mit Hilfe einer Auswahl von größtenteils bislang unbekannten Fundstellen eine Topographie der Politischen Religion mit Fokus auf den deutschsprachigen Raum zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert liefern.
Das Quellenkorpus
Neben den oben erwähnten Quellenbeispielen einer Verwendung des Begriffs Politische Religion vor dem 20. Jahrhundert, die in der Forschungsliteratur bereits bekannt sind und untersucht wurden, fußt die vorliegende Arbeit im Überwiegenden auf einem Quellenkorpus bislang in der Forschung unbekannter respektive nicht beachteter Texte, die im Zuge einer Quellenrecherche zusammengetragen und analysiert wurden. Die Recherche erfolgte überwiegend digital in mehreren Online-Datenbanken und auf verschiedenen Internetplattformen,[2] die
[1] Neben den angeführten Publikationen, die sich mehr oder weniger intensiv mit den frühen Verwendungen des Begriffs Politische Religion auseinandersetzen, finden sich Erwähnungen dieser ersten Quellenbelege auch in weiteren Veröffentlichungen. An dieser Stelle nicht unerwähnt seien Philippe Burrin: Political Religion. The Relevance of a Concept, in: History and Memory 9.1 (1997), S. 321-349; Michael Burleigh: Die Zeit des Nationalsozialismus. Eine Gesamtdarstellung. Frankfurt am Main 2000; ders.: Earthly Powers. Religion and Politics in Europe from the Enlightment to the Great War. London 2005. Insgesamt ist der Rückblick auf frühe Verwendungen des Begriffs Politische Religion oder zumindest ein Verweis darauf nur in wenigen Publikationen vorhanden.
[2] Der Großteil der Recherchen erfolgte in der größten privaten Sammlung retrodigitalisierter Publikationen, Google Books, sowie auf Internetplattformen weiterer Digitalisierungsprojekte, digitaler Bibliotheken und Datenbanken wie etwa das Münchener Digitalisierungs-Zentrum (digitale-sammlungen.de), HathiTrust (ha- thitrust.org), Internet Archive (archive.org) und die lizensierten Angebote des DFG-Projekts Nationallizenzen (nationallizenzen.de). Nur in seltenen Fällen wurde in Bibliotheken oder Archiven vor Ort recherchiert.
An dieser Stelle sei auf Segen und Fluch der voranschreitenden Digitalisierung von Schriften und die damit verbundene stetige Erhöhung der Quantität von digital recherchierbaren sowie einsehbaren Quellen für Forschende verwiesen. Einerseits erleichtert der digitale Quellenzugriff die Arbeit von Forschenden, insbesondere das damit verbundene Zeitmanagement, indem für die Recherche und Einsicht von Quellen die Fahrt zu verschiedenen Bibliotheken und Archiven wesentlich reduziert wird oder gar entfällt und Quellentexte durch Filter nach Schlagworten durchsucht werden können, ohne den gesamten Text lesen zu müssen. Andererseits birgt es beispielsweise im Vergleich zu analogen Veröffentlichungen die wesentlich höhere „Gefahr", dass Forschende in der Abschlussphase oder nach Veröffentlichung der Forschungsergebnisse durch eine nachfolgende digitale Recherche auf weitere Quellenfunde stoßen, die die erzielten Untersuchungsergebnisse ergänzen, erweitern oder gar aktualisieren können.
Publikationen verschiedener Jahrhunderte als Digitalisate - idealerweise mittels einer Transkriptionssoftware für die Möglichkeit einer Volltextsuchfunktion aufbereitet[1] - bereitstellen. Ferner boten Querverweise aus den Quellen selbst eine zusätzliche Möglichkeit, weitere Quellen- bzw. Verwendungsbeispiele aufzustöbern.
Entgegen der ersten Erwartungen zur Quellenlage mit Blick auf die bislang in der Forschung eingeflossenen Belege für eine frühe Verwendung des Begriffs Politische Religion beginnend im 16. Jahrhundert zeigte sich in der ersten Phase der Recherche schnell, dass reichlich Quellenmaterial für eine umfassendere Erforschung der begrifflichen Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte zur Verfügung steht, welches bislang weder erwähnt noch untersucht wurde. Hierbei handelt es sich um Texte in unterschiedlichen Publikationsformaten wie Monographien, Enzyklopädien, Periodika und Predigten von Verfassenden mit verschiedenen sozialen, politischen und konfessionellen Zugehörigkeiten. Damit unterliegt die Untersuchung keiner Fokussierung auf so genannte Höhenkammwanderungen, sondern schließt auch weniger oder gar nicht bekannte Verfasserinnen[2] und Verfasser in die Untersuchung ein.
Aufgrund der Fülle an neuem Quellenmaterial wird der Untersuchungszeitraum für die vorliegende Arbeit auf die Phase zwischen dem 16. und dem 19. Jahrhundert beschränkt - nur
[HR=3][/HR][2] Der Großteil der Recherchen erfolgte in der größten privaten Sammlung retrodigitalisierter Publikationen, Google Books, sowie auf Internetplattformen weiterer Digitalisierungsprojekte, digitaler Bibliotheken und Datenbanken wie etwa das Münchener Digitalisierungs-Zentrum (digitale-sammlungen.de), HathiTrust (ha- thitrust.org), Internet Archive (archive.org) und die lizensierten Angebote des DFG-Projekts Nationallizenzen (nationallizenzen.de). Nur in seltenen Fällen wurde in Bibliotheken oder Archiven vor Ort recherchiert.
An dieser Stelle sei auf Segen und Fluch der voranschreitenden Digitalisierung von Schriften und die damit verbundene stetige Erhöhung der Quantität von digital recherchierbaren sowie einsehbaren Quellen für Forschende verwiesen. Einerseits erleichtert der digitale Quellenzugriff die Arbeit von Forschenden, insbesondere das damit verbundene Zeitmanagement, indem für die Recherche und Einsicht von Quellen die Fahrt zu verschiedenen Bibliotheken und Archiven wesentlich reduziert wird oder gar entfällt und Quellentexte durch Filter nach Schlagworten durchsucht werden können, ohne den gesamten Text lesen zu müssen. Andererseits birgt es beispielsweise im Vergleich zu analogen Veröffentlichungen die wesentlich höhere „Gefahr", dass Forschende in der Abschlussphase oder nach Veröffentlichung der Forschungsergebnisse durch eine nachfolgende digitale Recherche auf weitere Quellenfunde stoßen, die die erzielten Untersuchungsergebnisse ergänzen, erweitern oder gar aktualisieren können.
Publikationen verschiedener Jahrhunderte als Digitalisate - idealerweise mittels einer Transkriptionssoftware für die Möglichkeit einer Volltextsuchfunktion aufbereitet[1] - bereitstellen. Ferner boten Querverweise aus den Quellen selbst eine zusätzliche Möglichkeit, weitere Quellen- bzw. Verwendungsbeispiele aufzustöbern.
Entgegen der ersten Erwartungen zur Quellenlage mit Blick auf die bislang in der Forschung eingeflossenen Belege für eine frühe Verwendung des Begriffs Politische Religion beginnend im 16. Jahrhundert zeigte sich in der ersten Phase der Recherche schnell, dass reichlich Quellenmaterial für eine umfassendere Erforschung der begrifflichen Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte zur Verfügung steht, welches bislang weder erwähnt noch untersucht wurde. Hierbei handelt es sich um Texte in unterschiedlichen Publikationsformaten wie Monographien, Enzyklopädien, Periodika und Predigten von Verfassenden mit verschiedenen sozialen, politischen und konfessionellen Zugehörigkeiten. Damit unterliegt die Untersuchung keiner Fokussierung auf so genannte Höhenkammwanderungen, sondern schließt auch weniger oder gar nicht bekannte Verfasserinnen[2] und Verfasser in die Untersuchung ein.
Aufgrund der Fülle an neuem Quellenmaterial wird der Untersuchungszeitraum für die vorliegende Arbeit auf die Phase zwischen dem 16. und dem 19. Jahrhundert beschränkt - nur
[1] Die Möglichkeiten der digitalen Volltextsuche und automatischer Texterkennungssysteme haben sich in den vergangenen Jahren insbesondere dahingehend weiterentwickelt, dass nicht nur Texte in Antiqua, sondern auch in Frakturschrift mittels Suchfunktionen nach Wortverwendungen oder grammatischen Konstruktionen durchforstet werden können. Zum digital turn in den Geschichtswissenschaften siehe Guido Koller: Geschichte digital. Historische Welten neu vermessen. Stuttgart 2016; Rüdiger Hohls: Digital Humanities und digitale Geschichtswissenschaften, in: Laura Busse et al. (Hg.): Clio Guide. Ein Handbuch zu digitalen Ressourcen für die Geschichtswissenschaften, 2. erw. und aktualisierte Aufl., Berlin 2018 (= Historisches Forum, 23), S. A.1-1-B.1-34. Online: https://guides.clio-online.de/guides/arbeitsformen-und-techniken/digital-hu- manities/2018 [letzter Zugriff: 10.01.2023].
[2] Die Frage der Anwendung einer gendersensiblen bzw. geschlechtergerechten Sprache stellt die Forschenden der Geschichtswissenschaft vor große Herausforderungen und birgt zahlreiche Fehlerquellen, insbesondere die Gefahr von Anachronismen, wie einerseits bei einer umstandslosen Nutzung geschlechtersensibler Sprache für historische Darstellungen ungeachtet der vergangenen Lebenswelt und andererseits durch die Übertragung von aktuellen Debatten zum Verhältnis von Materialität und Geschlecht auf Vergangenheit (siehe hierzu Cornelia Brink: Anachronismen und neue Aufmerksamkeiten. Überlegungen zur geschlechtersensib- len Sprache in der deutschsprachigen historischen Forschung, in: Zeithistorische Forschungen 18.3 [2021], S. 584-602). Die Publikationslandschaft bietet zahlreiche Beiträge zur geschlechtergerechten Sprache mit praktischen Beispielen zur Anwendung, doch nur wenige Texte setzen sich mit Anwendungsproblemen in geschichtswissenschaftlichen Untersuchungen auseinander oder bieten hierfür praktische Beispiele zur Umsetzung. Bei der Arbeit mit Quellen stellen besonders anonym veröffentlichte Texte ein Problem dar, deren Verfassende auch in der heutigen Zeit weiterhin unbekannt sind. Generell wird in der vorliegenden Studie auf geschlechtsneutrale Bezeichnungen oder Doppelnennungen zurückgegriffen, was allerdings bei der Verwendung von Singularformen oftmals an gewisse Grenzen stößt. Hinsichtlich anonym veröffentlichter Texte des 17. und höchstwahrscheinlich 18. Jahrhunderts - die Verfasser der beiden im 16. Jahrhundert veröffentlichte Quellen sind bekannt - kann mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass sich unter den namentlich unbekannten Verfassenden auch Verfasserinnen befinden. Demgegenüber belegen einige Texte ab dem 19. Jahrhundert, dass auch weibliche Personen, deren Anzahl sich innerhalb der Publikationslandschaft insgesamt vergrößerte, in ihrer schriftstellerischen Tätigkeit den Begriff Politische Religion verwendeten. Allerdings handelt es sich im 19. und auch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts um eine im Vergleich recht geringe Anzahl von Verfasserinnen, die gegenüber dem männlichen Autorenkreis kaum ins Gewicht fallen. Daher wird in Textpassagen der Untersuchung von anonym veröffentlichen Texten sowohl des 17. und 18. Jahrhunderts als auch des 19. und 20. Jahrhunderts, in denen nicht auf geschlechtsneutrale Formulierungen (oder Doppelnennungen ohne einen Verlust der Lesbarkeit) zurückgegriffen werden kann, zu Gunsten einer einheitlichen Textgestaltung das generische Maskulinum angewendet.
gelegentlich wird über das 19. Jahrhundert hinausgehend auf weiteres Quellenmaterial verwiesen. In dieser zeitlichen Einschränkung konnte nur der Endpunkt frei gewählt werden; die Festlegung über den Beginn des Untersuchungszeitraums ist dem Umstand geschuldet, dass erste belegbare Verwendungen nur bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgt werden konnten. Ob das 16. Jahrhundert die Geburtsstunde des Begriffs Politische Religion markiert oder die Wurzeln des Begriffs gar noch weiter zurückreichen, ist aufgrund der fehlenden Quellenbelege nicht zweifelsfrei feststellbar.
Aufgrund der allein in deutschsprachigen Quellen zahlreich vorhandenen Belege für die Verwendung des Begriffs Politische Religion wird der Untersuchungsschwerpunkt auf den deutschsprachigen Raum gelegt, so dass der Großteil der im Verlauf der Arbeit zu untersuchenden Publikationen deutschsprachige Quellenbelege sind. Darüber hinaus konnten während der Quellenrecherchen auch Fundstellen aus anderen Sprachräumen wie dem Niederländischen, Englischen und Französischen erfasst und eine Verwendung der sprachlich entsprechenden Lehnbegriffe politiki religie, political religion und religion politique ermittelt werden. Im Vergleich zum deutschen oder auch lateinischen Sprachgebrauch sind diese Quellenfunde jedoch von spärlicher Natur, was vor allem der Schwerpunktsetzung in der Recherchephase geschuldet ist. Es erfolgte keine direkte Recherche in anderen Sprachräumen; vielmehr handelt es sich um Zufallsfunde, die zum einen die Verbreitung des Begriffs in verschiedenen Sprachräumen aufzeigen und zu tiefergreifenden Untersuchungen in den einzelnen Sprachräumen motivieren. Punktuell soll an gegebenen oder ausgewählten Stellen auf diese Quellen aus anderen Sprachräumen verwiesen und ein translingualer Ausblick gewagt werden. Von einer vollständigen Darstellung und erschöpfenden Analyse der Äquivalenzbegriffe aus verschiedenen Sprachräumen wird Abstand genommen. Die Einbettung in eine historiographische Untersuchung birgt nämlich bereits im Ansatz viele Gefahren. So bedarf es zunächst einer translingualen Perspektive in der ersten Betrachtung der begrifflich unterschiedlichen Entwicklung der Begriffspaarkomponenten Religion und politisch, bevor man sich einer vergleichenden oder transfergeschichtlichen Analyse der Politischen Religion mit Äquivalenzbegriffen wie political religion, religion politique oder religio politica zuwenden kann. Trotz dieser Probleme sollte eine Betrachtung von Wort- oder Begriffsimporten aus und in andere Sprachräume nicht komplett entfallen - nicht nur zur Würdigung des Aspekts, dass die deutsche Begriffsentwicklung aus dem Lateinischen generiert wird. Zudem wurde schon während der Quellenrecherche zu dieser Arbeit festgestellt, dass Überschreitungen zwischen den einzelnen Sprachräumen existieren, es sich bei einigen Quellen um Übersetzungstexte handelt und somit Begriffsimporte aus einem anderen Sprachraum durchaus festzustellen sind. Im Schwerpunkt einer dezidierten Erwähnung von Begriffsverwendungen in anderen Sprachräumen werden diese Übersetzungstexte teilweise herangezogen, um die Begriffsverwendung der Übersetzung mit jenen äquivalenten Begriffen in den Ursprungsquellen, d. h. dem Ursprungstext zu vergleichen. So stellt sich etwa die Frage, ob der Begriff durch die Übersetzenden adäquat ins Deutsche übertragen wurde. Aber auch umgekehrt wird in den Blick genommen, ob sich der Begriff Politische Religion bzw. die jeweilige sprachliche Entsprechung im Originaltext überhaupt findet.
Konnten für den Zeitraum bis zum Ende des 17. Jahrhunderts über zwanzig Quellenbelege ermittelt werden, belaufen sich die Recherchefunde mit der sukzessive zunehmenden Publikationstätigkeit allein im deutschsprachigen Raum für das 18. Jahrhundert bereits auf mehr als einhundert belegbare Verwendungen und lassen sich für das 19. Jahrhundert nochmal mehr als verdoppeln. Eine gesamte und detaillierte Untersuchung des im Vorfeld ermittelten Quellenmaterials würde den Rahmen der Arbeit sprengen und ist methodisch dem Ziel der Arbeit nicht zweckdienlich. Die recherchierten Quellenfunde des 16. und 17. Jahrhunderts werden in Gänze vorgestellt, da es sich im Vergleich zu den nachfolgenden Epochen um eine quantitativ geringe Textsammlung handelt. Hinsichtlich der Quellenfunde für das 18. und 19. Jahrhundert wird aus den für die Gliederung erarbeiteten thematischen Feldern eine repräsentative Anzahl ausgewählt und in die Analyse eingegliedert. Die Auswahl der im Verlauf der Untersuchung vorzustellenden Quellen basiert auf verschiedenen Faktoren: Einerseits ist die darzustellende semantische und konnotative Diversität in der Verwendung des Begriffs Politische Religion für die Wahl ausschlaggebend, andererseits soll die Arbeit einen Überblick über das facettenreiche Spektrum der Verwendungsfelder und -kontexte des Begriffs bieten. Aufgrund der bislang recht übersichtlichen Forschung zu frühen Verwendungen des Begriffs Politische Religion kann für die Untersuchung der für die Studie ermittelten und ausgewählten Belegstellen nur in sehr wenigen Fällen auf bereits vorhandene Sekundärliteratur und entsprechende Forschungsergebnisse zurückgegriffen werden.
[2] Die Frage der Anwendung einer gendersensiblen bzw. geschlechtergerechten Sprache stellt die Forschenden der Geschichtswissenschaft vor große Herausforderungen und birgt zahlreiche Fehlerquellen, insbesondere die Gefahr von Anachronismen, wie einerseits bei einer umstandslosen Nutzung geschlechtersensibler Sprache für historische Darstellungen ungeachtet der vergangenen Lebenswelt und andererseits durch die Übertragung von aktuellen Debatten zum Verhältnis von Materialität und Geschlecht auf Vergangenheit (siehe hierzu Cornelia Brink: Anachronismen und neue Aufmerksamkeiten. Überlegungen zur geschlechtersensib- len Sprache in der deutschsprachigen historischen Forschung, in: Zeithistorische Forschungen 18.3 [2021], S. 584-602). Die Publikationslandschaft bietet zahlreiche Beiträge zur geschlechtergerechten Sprache mit praktischen Beispielen zur Anwendung, doch nur wenige Texte setzen sich mit Anwendungsproblemen in geschichtswissenschaftlichen Untersuchungen auseinander oder bieten hierfür praktische Beispiele zur Umsetzung. Bei der Arbeit mit Quellen stellen besonders anonym veröffentlichte Texte ein Problem dar, deren Verfassende auch in der heutigen Zeit weiterhin unbekannt sind. Generell wird in der vorliegenden Studie auf geschlechtsneutrale Bezeichnungen oder Doppelnennungen zurückgegriffen, was allerdings bei der Verwendung von Singularformen oftmals an gewisse Grenzen stößt. Hinsichtlich anonym veröffentlichter Texte des 17. und höchstwahrscheinlich 18. Jahrhunderts - die Verfasser der beiden im 16. Jahrhundert veröffentlichte Quellen sind bekannt - kann mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass sich unter den namentlich unbekannten Verfassenden auch Verfasserinnen befinden. Demgegenüber belegen einige Texte ab dem 19. Jahrhundert, dass auch weibliche Personen, deren Anzahl sich innerhalb der Publikationslandschaft insgesamt vergrößerte, in ihrer schriftstellerischen Tätigkeit den Begriff Politische Religion verwendeten. Allerdings handelt es sich im 19. und auch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts um eine im Vergleich recht geringe Anzahl von Verfasserinnen, die gegenüber dem männlichen Autorenkreis kaum ins Gewicht fallen. Daher wird in Textpassagen der Untersuchung von anonym veröffentlichen Texten sowohl des 17. und 18. Jahrhunderts als auch des 19. und 20. Jahrhunderts, in denen nicht auf geschlechtsneutrale Formulierungen (oder Doppelnennungen ohne einen Verlust der Lesbarkeit) zurückgegriffen werden kann, zu Gunsten einer einheitlichen Textgestaltung das generische Maskulinum angewendet.
gelegentlich wird über das 19. Jahrhundert hinausgehend auf weiteres Quellenmaterial verwiesen. In dieser zeitlichen Einschränkung konnte nur der Endpunkt frei gewählt werden; die Festlegung über den Beginn des Untersuchungszeitraums ist dem Umstand geschuldet, dass erste belegbare Verwendungen nur bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgt werden konnten. Ob das 16. Jahrhundert die Geburtsstunde des Begriffs Politische Religion markiert oder die Wurzeln des Begriffs gar noch weiter zurückreichen, ist aufgrund der fehlenden Quellenbelege nicht zweifelsfrei feststellbar.
Aufgrund der allein in deutschsprachigen Quellen zahlreich vorhandenen Belege für die Verwendung des Begriffs Politische Religion wird der Untersuchungsschwerpunkt auf den deutschsprachigen Raum gelegt, so dass der Großteil der im Verlauf der Arbeit zu untersuchenden Publikationen deutschsprachige Quellenbelege sind. Darüber hinaus konnten während der Quellenrecherchen auch Fundstellen aus anderen Sprachräumen wie dem Niederländischen, Englischen und Französischen erfasst und eine Verwendung der sprachlich entsprechenden Lehnbegriffe politiki religie, political religion und religion politique ermittelt werden. Im Vergleich zum deutschen oder auch lateinischen Sprachgebrauch sind diese Quellenfunde jedoch von spärlicher Natur, was vor allem der Schwerpunktsetzung in der Recherchephase geschuldet ist. Es erfolgte keine direkte Recherche in anderen Sprachräumen; vielmehr handelt es sich um Zufallsfunde, die zum einen die Verbreitung des Begriffs in verschiedenen Sprachräumen aufzeigen und zu tiefergreifenden Untersuchungen in den einzelnen Sprachräumen motivieren. Punktuell soll an gegebenen oder ausgewählten Stellen auf diese Quellen aus anderen Sprachräumen verwiesen und ein translingualer Ausblick gewagt werden. Von einer vollständigen Darstellung und erschöpfenden Analyse der Äquivalenzbegriffe aus verschiedenen Sprachräumen wird Abstand genommen. Die Einbettung in eine historiographische Untersuchung birgt nämlich bereits im Ansatz viele Gefahren. So bedarf es zunächst einer translingualen Perspektive in der ersten Betrachtung der begrifflich unterschiedlichen Entwicklung der Begriffspaarkomponenten Religion und politisch, bevor man sich einer vergleichenden oder transfergeschichtlichen Analyse der Politischen Religion mit Äquivalenzbegriffen wie political religion, religion politique oder religio politica zuwenden kann. Trotz dieser Probleme sollte eine Betrachtung von Wort- oder Begriffsimporten aus und in andere Sprachräume nicht komplett entfallen - nicht nur zur Würdigung des Aspekts, dass die deutsche Begriffsentwicklung aus dem Lateinischen generiert wird. Zudem wurde schon während der Quellenrecherche zu dieser Arbeit festgestellt, dass Überschreitungen zwischen den einzelnen Sprachräumen existieren, es sich bei einigen Quellen um Übersetzungstexte handelt und somit Begriffsimporte aus einem anderen Sprachraum durchaus festzustellen sind. Im Schwerpunkt einer dezidierten Erwähnung von Begriffsverwendungen in anderen Sprachräumen werden diese Übersetzungstexte teilweise herangezogen, um die Begriffsverwendung der Übersetzung mit jenen äquivalenten Begriffen in den Ursprungsquellen, d. h. dem Ursprungstext zu vergleichen. So stellt sich etwa die Frage, ob der Begriff durch die Übersetzenden adäquat ins Deutsche übertragen wurde. Aber auch umgekehrt wird in den Blick genommen, ob sich der Begriff Politische Religion bzw. die jeweilige sprachliche Entsprechung im Originaltext überhaupt findet.
Konnten für den Zeitraum bis zum Ende des 17. Jahrhunderts über zwanzig Quellenbelege ermittelt werden, belaufen sich die Recherchefunde mit der sukzessive zunehmenden Publikationstätigkeit allein im deutschsprachigen Raum für das 18. Jahrhundert bereits auf mehr als einhundert belegbare Verwendungen und lassen sich für das 19. Jahrhundert nochmal mehr als verdoppeln. Eine gesamte und detaillierte Untersuchung des im Vorfeld ermittelten Quellenmaterials würde den Rahmen der Arbeit sprengen und ist methodisch dem Ziel der Arbeit nicht zweckdienlich. Die recherchierten Quellenfunde des 16. und 17. Jahrhunderts werden in Gänze vorgestellt, da es sich im Vergleich zu den nachfolgenden Epochen um eine quantitativ geringe Textsammlung handelt. Hinsichtlich der Quellenfunde für das 18. und 19. Jahrhundert wird aus den für die Gliederung erarbeiteten thematischen Feldern eine repräsentative Anzahl ausgewählt und in die Analyse eingegliedert. Die Auswahl der im Verlauf der Untersuchung vorzustellenden Quellen basiert auf verschiedenen Faktoren: Einerseits ist die darzustellende semantische und konnotative Diversität in der Verwendung des Begriffs Politische Religion für die Wahl ausschlaggebend, andererseits soll die Arbeit einen Überblick über das facettenreiche Spektrum der Verwendungsfelder und -kontexte des Begriffs bieten. Aufgrund der bislang recht übersichtlichen Forschung zu frühen Verwendungen des Begriffs Politische Religion kann für die Untersuchung der für die Studie ermittelten und ausgewählten Belegstellen nur in sehr wenigen Fällen auf bereits vorhandene Sekundärliteratur und entsprechende Forschungsergebnisse zurückgegriffen werden.
No Comments