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1.4.1. 18. Jahrhundert

Der schottische Politiker und Autor William Seton (1673-1744), ein Verfechter der Idee von religiöser Toleranz sowie eines Zusammenschlusses der schottischen und englischen Monarchie, veröffentlichte 1700 die erste Ausgabe seiner Schrift The Interest of Scotland in three Essays. Das erste Essay Concerning The true Original and Indifferency of Church Government leitet Seton mit einer kurzen Darstellung der (biblischen) Entstehungsgeschichte von Gesellschaften und Königreichen sowie der von Beginn an engen Verknüpfung zwischen der politischen und der religiösen Sphäre eines Staatsgefüges ein. So hätten schon die Gründer und ersten Könige Roms, Romulus und Numa Pompilius, richtig erkannt, „how great a Ligament of Government political Religion was"[1] und die Errichtung eines römischen Staatskults samt
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[1] [William Seton]: The Interest of Scotland in Three Essays. [o. O.] 1700, S. 5f.: „Romulus and his Sucessor Numa Pompilius being made sensible by their own Experience, and that of their Neighbours, how great a Ligament of Government political Religion was, took care to Institute several Orders of Priests, to whom all their Subjects might pay Honour, and by whom they were to be instructed, how to pray, what Sacrifices, what Vowes, what Gifts would be acceptable to the Gods; and in a word, in all the Ceremonies made use of the Divine-Service."

Zeremoniell nach ihren Vorstellungen vorangetrieben. Seton umschreibt mit dem Begriff political religion die enge Verwobenheit zwischen Religion und Politik, wie sie in den Gesellschaften der Antiken anzutreffen gewesen sei und die er auch als „Church-Government"[1] im Sinne einer Kirchenregierung bezeichnet. Nach Setons Dafürhalten werde eine political religion von Herrschenden einzig dazu geschaffen und instrumentalisiert, um ihre Herrschaftsansprüche zu legitimieren, durchzusetzen und zu sichern; somit werde eine Religion allein für gesellschaftsoder staatspolitische Zwecke eingeführt und erfülle einen rein funktionalistischen Zweck von jeglicher transzendenzbezogener Substantialität entkleidet.

Knapp fünfzig Jahre später gab der englische Geistliche John Jackson (1686-1763) seine dreibändige Chronological Antiquities heraus, eine ausführliche Darstellung der Geschichte verschiedener Kulturen der Antike nebst der Einbettung von deren Zeitrechnung in die biblische Chronologie. Seine Ausführungen beginnt Jackson mit den Chronological Antiquities of the Hebrews und leitet mit einer Untersuchung der Genesis ein, der er mit einem komparativen Blick einige Schöpfungsgeschichten aus anderen ethnischen Gemeinschaften gegenüberstellt, um einen Einfluss der Genesis in den Schöpfungsgeschichten anderer Kulturen und Ethnien und damit eine Jahrtausende zurückreichende allgemeine Bekanntheit der Erzählungen Moses' zu belegen. Die ursprüngliche Schöpfungsgeschichte Moses' sei allerdings sukzessive durch Könige und Staatsminister für die eigenen Zwecke mit Götzendienst und Fabeln vermischt worden und „was every where the popular and political Religion in Asia, Europe, and Africa."[2] Auch in diesem Text begegnet der Begriff political religion als Kritik an einer Instrumentalisierung von Religion und ihrer Vertreter durch weltliche Herrscher zur Legitimation und Sicherung ihrer Macht oder durch machtbestrebte Personen zur Erlangung der begehrten Position.

Beiden Autoren, Seton und Jackson, ist gemeinsam, dass sie die political religion als Negativbegriff nicht auf ein spezifisches Glaubenssystem der Antike beziehen, sondern mehrere polytheistische Religionskonzepte darunter subsumieren. Der Begriff dient in beiden Schriften der Kritik an einer Indienstnahme von Religion und Gottesglauben durch weltliche Herrschende für ihre diesseitigen Zwecke, wie zum Beispiel der Legitimierung und Sicherung der Herrschaftsgewalt durch den Status eines vermeintlich gottgesandten Herrschers. Diese Instrumentalisierung von Religion und Kirche für das Diesseits habe ihren Ursprung in der Antike und finde sich in gegenwärtigen Gesellschaften wieder.

Die in dieser Aufzählung letzte vorzustellende englischsprachige Schrift ist eigentlich durch einen Zufall in die Reihe der ermittelten Fundstücke zum Begriff political religion geraten und kann nur bedingt dem Quellenkorpus zum Begriff zugerechnet werden. John Leland (1691-1766), ein in der englischen Region Lancashire geborener, presbyterianischer Geistlicher, dessen
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[1] Zum Begriff "Church-Government" siehe zum Beispiel folgende Stellen in The Interest of Scotland: S. 4, 10f. und 48.


[2] „That this History, in which the one supreme Mind or God was taught to be the Creator of all Things, should be mixed with Fable after Idolatry prevailed, is no Wonder. And therefore after the Worship of the Sun, Moon, Stars, and Planets supposed to be inhabited by celestial Daemons and deifyed Heroes, was almost universally received, the Chaldaean, Phoenician, and Egyptian Priests and Philosophers taught the People that these were the first, eternal, and supreme Gods: and this Idolatry, at first set up by Kings and Ministers of State, was every where the popular and political Religion in Asia, Europe, and Africa" (John Jackson:​



Wirken sich insbesondere auf die Region Dublin konzentrierte, veröffentlichte zwei Jahre vor seinem Tod The Advantage and Necessity of the Christian Revelation, Shewn from the State of Religion in the Antient Heathen World - wie der Titel schon verrät, eine Verteidigungsschrift für die von Jesus Christus offenbarte Religion und gegen die sich mit der englischen Aufklärung allmählich in den Köpfen der Menschen Englands ausbreitenden Ideen der deistischen Bewegung, die keine Notwendigkeit in einer Offenbarung Gottes sehen, da die von Religionen lancierten Grundsätze für den Aufbau und Erhalt einer Gemeinschaft dem Menschen bereits aufgrund seiner Vernunftfähigkeit natürlich und in ihm veranlagt seien.[1] Im vierten Kapitel des ersten Teils setzt sich Leland mit heidnischen Götterkulten - insbesondere dem Jupiterkult - auseinander, deren Protagonisten ihre Göttergestalt erst durch die Vergöttlichung von einst menschlichen Helden längst vergangener Zeiten erlangt hätten, die durch geschickte Verbreitung aufbereiteter Biographien von Generation zu Generation sukzessive in den Status einer Gottheit erhoben worden seien, bis man ihre menschliche Herkunft zur Gänze vergessen habe. In seinen Überlegungen zu der Frage, ob sich in diesen Polytheismen Bezüge auf die verschiedenen Eigenschaften und Wirkungen eines Gottes manifestieren, bezieht Leland kritisch folgende Aussage des englischen Philosophen und Theologen Ralph Cudworth (1617-1688) aus dessen 1678 herausgegebener Schrift The True Intellectual System of the Universe mit ein:

„The distinction of the natural and true theology from the civil and political, as it was acknowledged by all the ancient Greek philosophers [,..]."[2]

Dieses aus der Schrift Intellectual System übernommene wörtliche Zitat mit dem von Cudworth auch an anderen Stellen verwendeten Begriff political theology ist insofern für die Untersuchung interessant, als in der deutschen Übersetzung Erweis der Vortheile und Nothwendigkeit der christlichen Offenbarung der Lelandschen Schrift an der oben zitierten Stelle der Begriff political theology von dem Übersetzer mit Politische Religion angegeben wird:

„Es ist ein grosser Unterscheid [sic] zu machen unter der natürlichen oder wahren, und der bürgerlichen oder politischen Religion."[3]

Lelands Text wurde in der deutschen Übersetzung stark gekürzt, weswegen ein Vergleich mit weiteren Textstellen, an denen in seiner Advantage and Necessity der Begriff political theology verwendet wird, nicht möglich ist; denn eben jene weiteren Belegstellen der political theology sind den Kürzungen zum Opfer gefallen. Aufgrund der fehlenden Vergleichsmöglichkeiten mit
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[1]Chronological Antiquities: or the Antiquities and Chronology of the most Ancient Kingdoms, from the Creation of the World, for the Space of Five thousand Years. In Three Volumes. London 1752, S. 19f.). 1756 erschien eine deutsche Übersetzung von Christian Ernst von Windheim, in welcher von Windheim die fragliche Stelle mit der deutschen Entsprechung Politische Religion übersetzte: „Diese Abgötterei, welche anfänglich die Könige und Staatsminister aufbrachten, wurde allerwärts die gemeine und politische Religion in Asien, Europa und Afrika" (John Jackson: Chronologische Alterthümer der ältesten Königreiche vom Anfange der Welt durch fünf Jahrtausende. Aus dem Englischen übersetzt und mit einer Vorrede versehen von Christian Ernst von Windheim. Nürnberg 1756, S. 14).
381 John Leland: The Advantage and Necessity of the Christian Revelation, Shewn from the State of Religion in the Antient Heathen World. In two Volumes. London 1764, Preface, S. VII-XIV.
[2] Ebd., S. 132: „The distinction of the natural and true theology from the civil and political, as it was acknowledged by all the antient Greek philosophers, but most expresly by Antisthenes, Plato, Aristotle, and the Stoics, so was it owned and much insisted upon both by Saevola, that famous Roman pontifex, and by Varro, that most learned antiquary." Vgl. hierzu die Originalstelle in Ralph Cudworth: The True Intellectual System of the Universe: The First Part. London 1753, S. 477.
[3] John Leland: Erweis der Vortheile und Nothwendigkeit der christlichen Offenbarung aus dem Religionszustand der alten heidnischen Völker. Erster Theil. Herausgegeben von Ludewig Gottlieb Crome. Gotha, Göttingen 1769, S. 95.

anderen Textstellen kann die Frage nicht geklärt werden, ob es sich bei dieser terminologischen Abweichung um das Resultat einer Unaufmerksamkeit des Übersetzers oder des Textsetzers beim Buchdruck handelt oder diese Begriffe im semantischen Horizont des Übersetzers als Synonyme galten und die Politische Religion im Zuge einer begrifflichen Präferenz verwendet wurde.[1]

Auch in deutschsprachigen Schriften findet sich ab dem 18. Jahrhundert der Begriff Politische Religion zur kritischen Betrachtung und Diffamierung von antiken polytheistischen Religionssystemen. Gleichzeitig kann für den Begriff eine Neuerung innerhalb deutschsprachiger Schriften des 18. Jahrhunderts konstatiert werden: Es konnte eine erste Verwendung des Begriffs Politische Religion als eigenständiges Lemma in Nachschlagewerken wie Universallexika und Enzyklopädien recherchiert werden.[2] Das vom Verleger Johann Heinrich Zedler (1706-1751) begründete und zwischen 1732 und 1754 veröffentlichte Grosse vollständige Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste, das wohl umfangreichste enzyklopädische Projekt des 18. Jahrhunderts, widmet dem Begriff Politische Religion im 28. Band von 1741 einen eigenen Eintrag.[3] Ohne eine Definition oder nähere Erläuterung wird auf den Eintrag „Religion (Politische)" weiterverwiesen, der erst ein Jahr später im 31. Band mit einem kleinen Zusatz erschien: „Religion (Politische) der Griechen"[4]. An dieser Stelle findet sich erneut lediglich ein Verweis auf ein weiteres Lemma „Philosophie (Griechisch-Politische) im XXVII. Bande", das die Leserschaft wieder zurück in den 27. Band aus dem Jahr 1741 lenkt. Doch obwohl die Verfolgung dieses Ariadnefadens durch mehrere Bände des Grossen vollständigen Universal-Lexicons bislang nur von einem Eintrag zum nächsten und nicht zu einer (wenn auch nur kurzen) semantischen Erläuterung des Lemmas führt, ist aufgrund des Zusatzes bereits eine Nuance in der Begriffsbedeutung oder angedeuteten Verwendung zu erblicken: die Verbindung des Begriffs Politische Religion mit der antiken griechischen Philosophie und Religion. Dieser letzte Verweis auf die „Philosophie (Griechische politische)"[5] geleitet die Lesenden schlussendlich auf nähere Ausführungen bzw. eine Auseinandersetzung mit diesen Lemma, an deren Anfang der Eintrag „Politische Religion" steht. Der Artikel zur griechischen, politischen Philosophie in
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[1] Vgl. hier bspw. in Lelands Schrift die Textstelle „civil or political theology" (Leland: Advantage and Necessity, S. 174), die mit „Civiltheologie" (Leland: Vortheile und Nothwendigkeit, S. 125) ins Deutsche übersetzt wurde; das Adjektiv „political" ist in der deutschen Übersetzung an dieser Stelle vollkommen weggefallen.
[2] Dass der Begriff Politische Religion bereits in deutsch- oder anderssprachigen Nachschlagewerken des 17. Jahrhunderts oder früher als selbstständiges Lemma auftaucht, kann und soll an dieser Stelle nicht ausgeschlossen werden. Dass der Begriff bereits vor dem 18. Jahrhundert Eingang etwa in Enzyklopädien oder Lexika fand, konnte mit dem oben erwähnten Verwendungsbeleg innerhalb des biographischen Nachschlagewerks Peroniana et Thuana von 1669 belegt werden; allerdings wird der Begriff Politische Religion innerhalb eines Artikels erwähnt und nicht als selbstständiges Schlagwort aufgeführt.
[3] Art. Politische Religion, in: Grosses vollständiges Universal-Lexicon. Bd. 28. Halle, Leipzig 1741, Sp. 1530. Für Untersuchungen zu Zedlers Universal-Lexicon siehe Kai Lohsträter, Flemming Schock (Hg.): Die gesammelte Welt. Studien zu Zedlers Universal-Lexicon. Wiesbaden 2013. Zu Nachschlagewerken in der Frühen Neuzeit siehe auch Franz M. Eybl et al. (Hg.): Enzyklopädien der frühen Neuzeit. Beiträge zu ihrer Erforschung. Tübingen 1995; Ina Ulrike Paul (Hg.): Weltwissen. Das Eigene und das Andere in enzyklopädischen Lexika des langen 18. Jahrhunderts (= Wolfenbütteler Forschungen, 162). Wiesbaden 2020.
[4] [Anon.]: Art. Religion (Politische) der Griechen, in: Grosses vollständiges Universal-Lexicon. Bd. 31. Halle, Leipzig 1742, Sp. 497. Ein eigener Eintrag zur griechischen Religion im Allgemeinen beginnt erst mit der frühchristlichen Epoche ([Anon.]: Art. Griechische Religion, in: Grosses vollständiges Universal-Lexicon. Bd. 11. Halle, Leipzig 1735, Sp. 898ff.); die vorchristliche Religion der Griechen wird mit anderen nichtmonotheistischen Glaubenskonzepten unter dem Eintrag „Heydenthum" subsumiert ([Anon.]: Art. Heyden- thum, in: Grosses vollständiges Universal-Lexicon. Bd. 12. Halle, Leipzig 1735, Sp. 1998ff.).
[5] [Anon.] Art. Philosophie (Griechische politische), in: Grosses vollständiges Universal-Lexicon. Bd. 27. Halle, Leipzig 1741, Sp. 2067f.

Zedlers Universal-Lexicon behandelt die Anfänge und Entwicklung des griechischen und spartanischen Gesetzeswesens in der vorsokratischen Epoche, jedoch findet der Begriff Politische Religion in diesem Erläuterungstext keine Anwendung. Trotz dieser wenigen Informationen kann in einer abschließenden Betrachtung zusammengefasst werden, dass der Begriff im Zedlers Grossen vollständigen Universal-Lexicon unter dem Verständnis einer politisch motivierten und dem Staatszweck dienenden Religion bzw. Philosophie der Griechen subsumiert wird.

In diesem Fall handelt es sich um die früheste deutschsprachige Lemmatisierung des Begriffs Politische Religion, die bislang recherchiert und erforscht werden konnte. Auch in anderssprachigen Lexika oder Enzyklopädien konnte bislang kein älteres Lemmatisierungsbei- spiel belegt werden. Von besonderem Interesse ist die Feststellung, dass der Herausgeber des Nachschlagewerkes dem Begriff Politische Religion einen eigenen lexikalen Eintrag widmete und damit die Wertigkeit des Begriffs in einer Reihe nicht berücksichtigter Terminologien hervorhob, woraus auf eine recht verbreitete Begriffsverwendung bereits Mitte des 18. Jahrhunderts geschlossen werden könnte, so dass dem Verfasser die Aufnahme des Begriffs Politische Religion als Lemma wert war. Darüber hinaus konnte während der Recherche allerdings kein weiteres Beispiel des Begriffs Politische Religion als Lemma in einem Nachschlagewerk des 18. Jahrhunderts ausgemacht werden. Anders verhält es sich mit Verwendungsbeispielen des Begriffs in Erläuterungstexten zu anderen Lemmata, ohne selbst als Lemma Eingang in das betreffende Werk zu finden.

Ein weiteres deutschsprachiges Beispiel für eine Verwendung des Begriffs Politische Religion in einem lexikalen bzw. enzyklopädischen Rahmen konnte im 1781 veröffentlichten fünften Band der Deutschen Encyklopädie oder Allgemeines Real-Wörterbuch aller Künste und Wissenschaften, herausgegeben von dem Juristen Ludwig Julius Friedrich Höpfner (17431797) und dem Philologen Johann Friedrich Ross (1757-1804), ermittelt werden. Der Artikel zum Begriff „Ceremonien (antiquarisch.)"[1], als dessen Verfasser der Philologe und Mathematiker Johann Philipp Ostertag (1734-1801) angegeben wird,[2] beschäftigt sich mit als antiquiert bezeichneten bzw. vorchristlich tradierten Zeremonien aus dem gesellschaftsreligiösen und religionspolitischen Staats- und Alltagswesens im alten Ägypten und antiken Rom. Rom betreffend beginnt Ostertag seine Beschreibung in der Epoche der römischen Könige mit dem sagenhaften zweiten König Numa Pompilius, in dessen Regierungszeit die Religion der Römer bereits ein

„verfertigtes Gewebe von Ceremonien [gewesen sei], eine politische Religion, die zur Absicht hatte, die wilden Gemüther durch die Furcht unsichtbarer Wesen und himmlischer Mächte zu mildern und zum grössern Gehorsam gegen die Gesetze zu gewöhnen."[3]

Der altrömische Götterkult und das eng mit dem römischen Staats- und Alltagswesen verwobene Zeremoniensystem charakterisiert Ostertag aufgrund ihrer gemeinschaftsstiftenden und -
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[1] Johann Philipp Ostertag: Art. Ceremonien (antiquarisch.), in: Deutsche Encyklopädie oder Allgemeines Real-Wörterbuch aller Künste und Wissenschaften. Bd. 5. Frankfurt am Main 1781, S. 407.
[2] Die Beiträge der ersten zwei Bände der insgesamt 23-bändigen Enzyklopädie erschienen zunächst anonym, doch ab dem dritten Band gingen die Herausgeber dazu über, die Verfassenden mit einer in Klammer gesetzten Nummer zu versehen. Die Nummern jener Person, die sich bereit erklärten, ihren Klarnamen preiszugeben, wurden zu Beginn des fünfzehnten Bandes aufgelöst (Deutsche Encyklopädie oder Allgemeines RealWörterbuch aller Künste und Wissenschaften. Bd. 15. Frankfurt am Main 1790, Vorwort).
[3] Ostertag: Art. Ceremonien (antiquarisch.), S. 407.

sichernden Funktion als eine Politische Religion, die allein dem Zwecke der Gesellschaftsbindung diene. Das Ziel einer solchen Religion liege vorrangig oder gar allein auf der Gestaltung und Sicherung eines Staatswesens im Inneren durch eine Befriedigung oder gar Zivilisierung der Staatsbürger untereinander durch Festlegung von (religiösen) Verhaltensregeln. Da die Politische Religion allein staats- und gesellschaftspolitischen Zwecken diene, somit ihre Fokussierung auf das Diesseits ausgerichtet sei, würden transzendente, sinnstiftende Elemente der Religion in den Hintergrund treten oder vollständig verloren gehen.

Die Deutschen Encyklopädie blieb unvollendet und schließt mit den Buchstaben Ky. Eine genauere Untersuchung zu den Begriffsdefinitionen von Religion und Politik respektive politisch, um hieraus weitere Rückschlüsse zur Bedeutung des Begriffs Politische Religion ziehen zu können, ist somit in der Deutschen Encyklopädie nicht möglich; dass dem Begriff eine Lem- matisierung zuteil gekommen wäre, ist schon allein aufgrund des Umfangs der erschienenen Bände der Deutschen Encyklopädie durchaus denkbar.

Den beiden vorgestellten Beispielen einer Begriffsverwendung von Politische Religion in einem lexikalen oder enzyklopädischen Rahmen ist gemein, dass der Begriff in einem Kontext mit vor- oder nichtchristlichen Glaubenskonzepten verwendet wird. Die Frage einer transzendentalen Sinngebung tritt durch die Konzentration auf eine gemeinschaftsstiftende und das Staatswesen sichernde Funktion in den Hintergrund oder verschwindet im Augenblick der Religionsstiftung gar vollständig aus dem Motivations- und Erwägungshorizont. In allen Beispielen konnte eine Begriffsverwendung ungeachtet eines zum Teil beträchtlichen Werkvolumens nur an einer Stelle ausfindig gemacht werden. Zudem mangelt es an einer Auseinandersetzung mit dem Begriff per se selbst in Zedlers Universal-Lexicon, obwohl dem Begriff ein eigener Eintrag gewidmet ist. Vor allem die Lemmatisierung des Begriffs Politische Religion in Zedlers Universal-Lexicon zeigt, dass der Begriff in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts im deutschen Sprachraum bereits etabliert war und als würdig erachtet wurde, einen eigenen Eintrag in einem Nachschlagewerk zu erhalten.

Ähnlich zu dem oben bereits erwähnten Karl Friedrich Bahrdt gehörte der Begriff Politische Religion auch in den Schriften des deutschen Theologen und Philosophen Johann Gottfried Herder (1744-1803) zum Repertoire immer wiederkehrender Begrifflichkeiten, wobei Herder den Begriff stets in einem gleichbleibenden spezifischen Verwendungskontext und Bedeutungsfeld nutzte. Neben dem Begriff Politische Religion finden sich in Herders Schriften auch Zusammensetzungen des Religionsbegriffs mit anderen Termini, wodurch Herder sich dem Äußeren nach von dem Ursprungsbegriff entfernt, ohne allerdings von dem Begriffsverständnis der Politischen Religion abzuweichen. Beispielsweise taucht in der 1778 erschienen Abhandlung Über die Wirkung der Dichtkunst auf die Sitten der Völker in alten und neuen Zeiten im Zusammenhang einer komparativen Betrachtung der Fundamente des Bildungssystems im antiken Rom und Griechenland das Kompositum „politische Religionsgebräuche"[1] auf, womit
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[1] Johann Gottfried Herder: Über die Wirkung der Dichtkunst auf die Sitten der Völker in alten und neuen Zeiten, in: Abhandlungen der baierischen Akademie über Gegenstände der schönen Wissenschaften. Erster Band. München 1781, S. 25-138, Zitat S. 72: „Mit den Römern hatte es andere Bewandniß. Sie waren nicht wie die Griechen unter dem Schalle der Leyer gebildet, sondern durch Einrichtung, Gesetz, politische Religionsgebräuche eherne Römer." Ein kurze Darlegung zum Religionsbegriff bei Herder siehe Ernst Feil: Religio IV, S. 580-591. Zur Politischen Religion bei Herder siehe auch Neddens: Politische Religion, S. 312f. Laut Neddens wurde Herders Begriffsverständnis der Politischen Religion seit dem 19. Jahrhundert zunehmend von Theologen verwendet und findet sich in theologischen und religionswissenschaftlichen Publikationen bis ins 20. Jahrhundert als Polemisierungsbegriff im Rekurs auf polytheistische oder heidnische Glaubenskonzepte der Antike (s. Neddens: politische Religion', S. 312f.).

Herder auf den in enger Verbindung mit der römischen Staatspolitik stehenden Götterkult samt den verbindlichen religiösen Zeremonien Bezug nimmt.

Eine ähnliche Erweiterung des Begriffs Politische Religion findet sich in der fünften Sammlung seiner Briefe zu Beförderung der Humanität aus dem Jahr 1795 innerhalb seiner Auseinandersetzung mit dem tschechischen Philosophen und letzten Bischof, der sich an den Lehren von Jan Hus (ca.1370-1415) orientierten evangelischen Religionsgemeinschaft Böhmische Brüder, Johann Amos Comenius (1592-1670), den Herder eingangs seiner biographischen Annäherung als den deutschen Charles Irenee Castel de Saint-Pierre (1658-1743) bezeichnet.[1] Als Pädagoge war die Förderung und Verbesserung des Individuums sowie des Zusammenlebens innerhalb einer Gemeinde Comenius stetes Ziel, das nur erreicht werden könne, wenn die „menschlichen Dinge"[2], zu denen Comenius die „Wissenschaften, Religionen und Staatsein- richtung"[3] zählt, vom Makel ihrer Verdorbenheit befreit werden. Der Frage nach der Art und Ursache der Verderbtheit dieser drei „menschlichen Dinge" auf den Grund gehend, fasst Herder die Gedanken Comenius' zusammen:

„Der Verstand werde von wenigen wenig gebraucht; der Wille unterliege den Begierden; man suche Reichthum, Ehre, Lust, Eitelkeiten, Schatten der Dinge; man suche sich außer, nicht in sich selbst. Man wisse nicht, was man wollen, thun, wissen solle; man theile sich in philosophische, politische Religionssecten; man streite, ohne einander zu überzeugen, und doch sei es das einzige Zeichen, daß man selbst weiß, wenn man Andre überzeugt."[4]

Wurde der Begriff secta - neben fides und lex - im Mittelalter noch ohne wertendes Element zur Bezeichnung von Religion und Religionsgemeinschaften verwendet, ist er zur Zeit Herders bereits polemisch aufgeladen. Allerdings konnte der Begriffsinterpretation und -anwendung Herders an anderen Stellen dieser gesamten fünften Sammlung der Briefe keine negative Konnotation des Begriffs secta bzw. Sekte entnommen werden. Vielmehr umschreibt sein Begriff die Gesamtheit der einer Lehre anhängenden Personen.[5] Eine kritische oder abwertende Lesart kann daher der begrifflichen Spielerei „politische Religionssecten" nicht von vornherein aufgrund der Erweiterung des Religionsbegriffs auf „-secten" unterstellt werden. Erst durch die Analyse des Anwendungskontextes kann die tatsächlich vom Verfasser intendierte Semantik und Konnotation eruiert werden.

Herder greift den Begriff Politische Religion vermutlich erstmals 1787 im dritten Band seiner Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit zur Charakterisierung der Verwobenheit von Religion und Politik in mehreren nichtchristlichen Glaubensgemeinschaften auf. Im dritten Teil seines vierbändigen Hauptwerks (1784-1791) stellt Herder dem Lesepublikum eine Kurzfassung der Geschichte, Religion und des Gemeinschaftsgefüges mehrerer Ethnien vor. Unter anderem widmet er mehrere Seiten Tibet, einem „kaiserlichen Hohepriesterthum"[6], in
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[1] „Wenn ich einen Mann unsrer Nation, (denn warum sollte man Böhmen und Mähren nicht zu Deutschland rechnen?) mit dem guten St. Pierre vergleichen möchte: so wäre es Comenius; und dies gewiß nicht zu seinem Nachtheil" (Johann Gottfried Herder: St. Pierre und Comenius. Verdienste des letztern. Sein Aufruf zur Verbesserung der menschlichen Dinge, in: ders. (Hg.): Briefe zu Beförderung der Humanität. 5. Sammlung. Riga 1795, S. 31-51, hier S. 31f.).
[2] Ebd., S. 40.
[3] Ebd., S. 40f.
[4] Ebd., S. 42.
[5] Vgl. hierzu bspw. ebd., S. 45: „Zu dieser Harmonie wirke selbst der Haß der Sekten, ihre bittre Verfolgung und Kriege gegen einander in Wissenschaften, Religion und Regierungsanstalten."
[6] Johann Gottfried Herder: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Dritter Theil. Riga, Leipzig 1787, S. 27.

dem trotz gelegentlicher Separierungsversuche die geistliche und weltliche Macht unter der Obhut des Dalai Lama miteinander vereint seien. Die Ausbreitung der buddhistischen Lehren könne weit über die tibetischen Grenzen hinaus verfolgt werden:

„Selbst in Sina sind Grundsätze des Fo der eigentliche Volksglaube; dagegen die Grundsätze Confucius und Lao-tse nur Gattungen einer politischen Religion und Philosophie sind unter den obern d.i. den gelehrten Ständen."[1]

Herder stellt an dieser Stelle den Glauben an die buddhistische Gottheit Fo - oder auch Schaka - zwei eher philosophischen oder weltanschaulichen Systemen gegenüber, die eine innere Vervollkommnung des Individuums und Ordnung von Gemeinschaftsgefügen verfolgen, ohne der Lehre eine Gottesvorstellung als obersten Prinzip voranzustellen. Vielleicht sind diese fehlenden Vorstellungen eines Transzendenzwesens und die Schwerpunktsetzung auf diesseitige Fragen, wie die moralische Formung des Individuums sowie der menschlichen Gemeinschaft, die ausschlaggebenden Argumente für Herder, den Konfuzianismus und Daoismus als Politische Religion zu bezeichnen.[2] Im Nachsatz heißt es weiter, dass eben jener im Zitat erwähnten oberen Schicht der Gesellschaft „jede dieser Religionen gleichgültig" sei und ihre einzige Sorge darin liege, „die Lama's und Bonzen dem Staat unschädlich"[3] zu machen.

Diese Bewertung des Konfuzianismus und insbesondere des mit der Person Lao-tse in enger Verbindung stehenden Daoismus wurde in einer Rezension zu Herders drittem Band seiner Ideen zur Philosophie kritisiert, die 1788 anonym in der von dem deutschen Philosophen Johann Georg Heinrich Feder (1740-1821) vornehmlich zur Kritik gegen Immanuel Kant herausgegebenen Philosophischen Bibliothek veröffentlicht wurde. Hierin unterstellt der Verfasser Herder, der „den Laotse, wie den Confucius für den Urheber einer politischen Religion"[4] ausgemacht hatte, verheerende Fehler in der Darstellung von Konfuzianismus und Daoismus und widerspricht Herders Beurteilung unter anderem dahingehend, dass der Daoismus die älteste Volksreligion in China sei, die weiterhin neben der erst später eingeführten Religion des Gottes Fo fortbestehe.

Im weiteren Verlauf des dritten Bandes seiner Ideen widmet Herder unter anderem einen Abschnitt der Betrachtung des persischen Reichs samt seiner despotischen Herrschaftsform und dessen Religion, dem oben bereits erwähnten Zoroastrismus, welche die Organisation des
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[1] Ebd., S. 28.


[2] Mit einer ähnlich klingenden Kritik urteilt der deutsche Historiker Peter Feddersen Stuhr (1787-1851) über das Verhältnis der chinesischen Bevölkerung zum Buddhismus, dass „es den Chinesen nicht in den Sinn [komme], ihr weltliches Reich und dessen Verhältnisse im Geiste des Buddhaismus heiligen zu wollen; sie haben vielmehr schon ich der Lehre des Kong-Fu-Dsü eine politische Religion" (Peter Feddersen Stuhr: Die Religions-Systeme der heidnischen Völker des Orients. Berlin 1836, S. 298f.). Wurden Islam und vermutlich auch Judentum bereits im 17. Jahrhundert als Politische Religionen bezeichnet, findet sich der Bezug etwa auf buddhistische Glaubensvorstellungen, Shintoismus oder den Konfuzianismus erst im 19. Jahrhundert. Dies ist vermutlich unter anderem durch die steigende Popularität von Reiseberichten sowie die zunehmende Thematisierung außerchristlicher und -europäischer Religionen in missions- und religionswissenschaftlichen Studien im 19. Jahrhundert mitbedingt.​


[3] „Der Regierung daselbst ist jede dieser Religionen gleichgültig: ihre Sorge ist nicht weiter gegangen, als daß sie, die Lama's und Bonzen dem Staat unschädlich zu machen, sie von der Herrschaft des Dalai-Lama trennte" (Herder: Ideen zur Philosophie, S. 28f.).
[4] „Nicht geringer ist ein anderes Versehen, vermöge dessen Hr. H. (S. 28) den Laotse, wie den Confucius für den Urheber einer politischen Religion und Philosophie hält, und dem Fo, als dem Stifter der Volksreligion entgegengesetzt. Lao-tsee bedeutet in Sina nicht eine einzelne Person, sondern die Anhänger der ältesten Volksreligion, die noch immer neben der Religion des Fo, oder der Bonzen fortdauret, und deren Urheber ein gewisser Lao Kium war" ([Anon.]: Rez. Ideen zur Philosophie und [sic] Geschichte der Menschheit. Dritter Theil, in: Philosophische Bibliothek 1 (1788), S. 96-107, hier S. 98).

Staatswesens und des „Ceremoniel der Persischen Regimentsverfassung"[1] maßgeblich beeinflusst habe. Dementsprechend seien „auch alle sittlichen Gebote der Religion [...] poli- tisch"[2] und auf eine für die Gemeinschaft sowie das Individuum positive und produktive Einflussnahme nach den Lehren des Zoroastrismus gerichtet:

„Kurz der Grund dieses Systems erscheinet durch sich selbst als eine politische Religion, wie sie zu Darius Zeiten nirgends als in einem Perser-Reich hat erdacht und eingeführt werden mögen."[3]

Die enge Verwobenheit zwischen Religion und Politik im persischen Staatswesen, die in keinem Vergleich zu den anderen zeitgenössischen Reichen gestanden habe, wird von Herder in diesem einem Satz ins Unübertroffene erhoben. Dass es sich bei „Zoroasters Staats-Religion" nicht um eine gleichgewichtete Vernetzung beider Bereiche handle, zeigt die Einschätzung Herders, dass der Zoroastrismus „nur eine Art Mönchs-Religion [gewesen sei], die ihre Lehren jener Einrichtung [der weltlichen Herrschaft; Anm. Verf.in] bequemte."[4] Wie oben bereits gezeigt werden konnte, ist Herders Kontextualisierung des Begriffs Politische Religion zum Zoroastrismus nicht der einzige Quellenfund dieser Art.

Im vierten Band seiner Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit kehrt Herder innerhalb seiner Betrachtungen zur Fortpflanzung des Christenthums in den lateinischen Provinzen erneut zum Begriff Politische Religion zurück. Ausgehend von der weltpolitischen Stellung Roms und den günstigen Umständen innerhalb des römischen Staatswesens (zum Beispiel die Duldung anderer Religionen im Reichsgebiet) für die Ausbreitung einer Religion sei es für die junge Christengemeinde notwendig gewesen, „auf diesen Mittelpunkt der Macht und Hoheit eine Hauptwirkung des gesammten Christenthums"[5] zu legen und ihre Aufbauarbeit und Etablierung einer neuen Religionsgemeinschaft zunächst auf Rom zu konzentrieren, um von diesem Machtzentrum aus die christliche Lehre in andere Teile der Welt zu verbreiten. In Rom wiederum „ließ sie sich fortpflanzen, wie sich im Römerreich alles fortpflanzen konnte" und man habe sich viel zu spät eingehend mit der christlichen Lehre beschäftigt, um den Untergang des eigenen polytheistischen Religionssystems aufhalten zu können. Denn

„als die Grundsätze ihres Gottesdienstes und Glaubens mehr ans Licht traten, fiel es den Römern, die nur an eine politische Religion gewöhnt waren, vor allem hart auf, daß diese Unglücklichen die Götter ihres Staats als höllische Dämonen zu schmähen, und den Dienst, den man den Beschützern des Reiches leistete, für eine Schule der Teufel zu erklären wagten."[6]



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[1] „Offenbar liegt in diesem System [des Zoroastrismus; Anm. Verf.in] das Cerimoniel der Persischen Regimentsverfassung zum Grunde: wie die sieben Fürsten um den Thron des Königs stehen, so stehen die sieben Geister vor Gott und verrichten seine Befehle durch alle Welten" (Herder: Ideen zur Philosophie, S. 81).
[2] „Auch alle sittlichen Gebote der Religion sind politisch: sie beziehen sich auf Reinigkeit des Körpers und Geistes, auf Eintracht in den Familien und wechselseitigen Diensteifer: sie empfehlen den Ackerbau und die Pflanzung nützlicher Bäume, die Ausrottung des Ungeziefers, das auch als ein Heer böser Dämonen in leiblicher Gestalt erscheinet, die Achtsamkeit des Wohlstandes, die frühe Wahl und Fruchtbarkeit der Ehen, die Erziehung der Kinder, die Verehrung des Königs und seiner Diener, die Liebe gegen den Staat; und dies alles auf Persische Weise" (ebd., S. 82).
[3] Ebd.
[4] „Das despotische Reich war lange vor ihr eingerichtet und so war oder wurde sie nur eine Art Mönchs- Religion, die ihre Lehren jener Einrichtung bequemte" (ebd., S. 83).
[5] Johann Gottfried Herder: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Vierter Theil. Riga, Leipzig 1791, S. 106.
[6] Ebd., S. 107. Knapp hundert Jahre später fragt sich in ähnlicher Weise der evangelische Theologe Theodor Brieger (1842-1915): „Wie kann ein Staat, dessen religiöses Bekenntnis der Polytheismus ist, auf die Dauer eine Religion dulden, welche die Götter des Staates für böse Dämonen erklärt, der politischen Religion eine universale entgegensetzt und dabei hinlängliche Proben ihrer jugendlich frischen Lebenskraft gegeben hat?" (Theodor Brieger: Constantin der Grosse als Religionspolitiker. Gotha 1880, S. 25).

Herder spielt an dieser Stelle nicht nur auf die verschiedenen Wesenseigentümlichkeiten der römischen und der christlichen Religion an, deren Unterschiede neben der Religionsform (Polytheismus vs. Monotheismus) vor allem auch im Wirkungsbereich zu finden seien: Während die römische Religion auf den römisch Staat ausgerichtet sei und als von dessen Existenz abhängig betrachtet werden könne, handle es sich beim Christentum um eine universale Religion, die unabhängig von jeglichen Staatsgefüge aufgebaut und losgelöst von territorialen Grenzen weiterverbreitet werden könne. Diese Emanzipation der Religion bzw. des Götterglaubens von staatlichen und politischen Gefügen habe dem Christentum die Möglichkeit eröffnet, die mit dem Staat verbundenen Götter als Unglaube zu stigmatisieren, um der neuen Religion Raum zur Etablierung und Ausbreitung geben zu können. Zudem sei auch der Umstand zu würdigen, dass - im Gegensatz zur römischen Göttervorstellung - das Christentum die Götter Roms dämonisiere und den römischen Staatskult als Häresie abstempele. Denn während die römische Götterwelt weder die Ablehnung aller anderen Götter außerhalb des eigenen Glaubenssystems fordere oder von den eigenen Dogmen abweichende Glaubenslehren kategorisch ablehne, nutze das Christentum den Glauben an Jesus Christus als Sohn Gottes zur Differenzierung zwischen Mitgliedern der Gemeinschaft und Anhängern anderer Glaubenskonzepte, die als Häretiker stigmatisiert und rigoros aus der Gemeinschaft exkludiert werden.

Wie schon bei den zuvor bearbeiteten Autoren Seton und Jackson beobachtet werden konnte, nutzte auch Herder den Begriff Politische Religion nicht zur Charakterisierung einer spezifischen Religion, sondern belegte verschiedene historische, poly- sowie monotheistische Religionssysteme mit dem Etikett der Politischen Religion als Kritik einer zu engen Verbundenheit bzw. fehlenden Trennung zwischen Religion und Politik.