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1.1. 17. Jahrhundert

Wie die Schriften von George Thomson und des noch zu erwähnenden Daniel Clasen fand
auch die 1638 veröffentlichte Universalis Philosophiae seu Metaphysicarum Rerum, iuxta Propria Dogmata (im Folgenden Metaphysik genannt) des italienischen Philosophen und Dominikanermönchs Tommaso Campanella (1568-1639) bereits Eingang in Studien zu Verwendungen des Begriffs Politische Religion respektive religio politica in der Frühen Neuzeit.[1] Campanella formuliert und erläutert in diesem Werk seine triadische Metaphysik der Prinzipien Wissen, Sein und Wollen und unterteilt sein Werk entlang dieser Trinität in drei Hauptteile. Im dritten Abschnitt seiner Metaphysik widmet er sich unter anderem der Frage nach dem Wesen von religio, worunter Campanella grundsätzlich die sorgfältige Beachtung der Verhaltensweisen gegenüber Gott versteht, zum Beispiel in der Anbetung oder Opferung.[2] Innerhalb seiner Auseinandersetzung zum Religionsbegriff unterscheidet er unter anderem zwischen einer religio interna und einer religio externa, d. h. zwischen einer im privaten gelebten Religion und einem im öffentlichen Raum vollzogenen Religionsakt.[3] Campanella geht von der Grundannahme aus, dass der Mensch ein soziales Wesen sei und nur in der Gemeinschaft mit anderen Menschen überleben könne. Um ein Gemeinschaftsleben und den Zusammenhalt eines menschlichen Gemeinschaftsgebildes sichern zu können, sei eine Art religio externa, eine im öffentlichen Raum zelebrierte, gemeinsame Religion notwendig, um nicht nur eine körperliche, sondern zugleich auch eine geistige bzw. seelische Einheit des Gemeinschaftswesens zu schaf- fen.[4] Religion als wesentlichen Kern des Politischen verstehend verweist Campanella damit auf eine Untrennbarkeit der Bereiche Politik und Religion. Darauf bezogen plädiert er in seinem utopischen Staatskonzept für die Führung des Staatswesens durch eine Priesterschaft, welche als Mittler zwischen Gott und den Menschen sowie als Bewahrer eines öffentlichen Kults fungieren würde und für die notwendige Belehrung des Volkes in religiösen Angelegenheiten zuständig sei.

Zur Bezeichnung dieses öffentlichen Kults verwendet Campanella den Begriff religio communis sowie - an einer einzigen Stelle im gesamten Werk - den Begriff religiopolitica:[5]

„Praeter sacrificum indiget religio politica, etiam oratione vocali, nedum mentali: quoniam Populus corporeis occupatus nesciens Philosophari rite de Deo, neque petere gratias, neque agere, ut docet, indiget audire sacerdotes praedicantes & orantes, & ab eis discere orare: & hoc etiam prodest sacerdotibus ad excitandam aliorum & propriam mentem: alioquin oratio vocalis valet nihil, nisi
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[1] Vgl. hierzu Seitschek: Frühe Verwendungen, S. 109-114; ders.: Politischer Messianismus, S. 112f.; Feil: Religio III, S. 170-189; Burleigh: Irdische Mächte, S. 37-43. Zu Tommaso Campanella und seiner Metaphysik weiterführend siehe John M. Headley: Tommaso Campanella and the Transformation of the World. Princeton 1997; Raffaelli, Matteo: Macht, Weisheit, Liebe. Campanella und Comenius als Vordenker einer friedvoll globalisierten Weltgemeinschaft (= Schriften zur Triadik und Ontodynamik, 27). Diss. Freiburg 2009. Die Arbeit zur ersten Fassung der Metaphysik begann Campanella bereits 1602 während seiner Haftzeit in Neapel, allerdings wurde diese Schrift wie auch die nachfolgende beschlagnahmt. Bei der letzten von Campanella verfassten Ausgabe von 1638, die im Folgenden als Zitationsgrundlage dient, handelt es sich um die fünfte Fassung der Metaphysik; zur Entstehungsgeschichte siehe Raffaelli: Macht, Weisheit, Liebe. S. 33, Anm. 14.
[2] Tommaso Campanella: Universalis Philosophiae seu Metaphysicarum rerum, iuxta propria dogmata. Paris 1638, S. 200.
[3] Siehe hierzu etwa den Abschnittstitel: „Sicut homo privatus habet Religionem internam, sic civilis habet externam, quae nihil valet, nisi interne sit signum verax;" (ebd., S. 207); vgl. hierzu Feil: Religio III, S. 187f.
[4] Campanella: Universalis Philosophiae, S. 207: At quoniam homo est animal sociale, & non sibi soli viuit:
oportet habere religionem communem cum caeteris quibuscum viuunt: sicut communia habet, quae pertinent ad usum corporis, & animae."
[5] Den Begriff der Politischen Religion verwendete Campanella wörtlich zwar erst in seiner Metaphysik, doch können bereits in seiner Schrift La citta del sole (dt.: Der Sonnenstaat) von 1602 (erst 1623 veröffentlicht) erste Ansätze für das Konzept seiner Politischen Religion gefunden werden (siehe hierzu Seitschek: Politischer Messianismus, S. 112f.; Feil: Religio III, S. 187).

Mit der religio politica bezeichnet Campanella die Pflicht der Priester, neben der Durchführung religiöser Traditionen insbesondere auch die öffentliche Belehrung des Volkes in Religionsdingen sicherzustellen, damit jeder Bürger den Inhalt und die Deutung jener öffentlichen Religion genau kenne und zum allgemeinen Wohl befolgen könne. Den Priestern komme damit eine beratende und anleitende Rolle im öffentlichen Raum der Gemeinschaft zu, die zumal auch propagandistische Charakterzüge tragen könne. Allerdings warnt Campanella vor der Gefahr einer Instrumentalisierung der religio communis oder religio politica bzw. auch religio im Allgemein durch die herrschende Gesellschaftsschicht zur Erreichung diesseitiger Ziele, wie etwa einen eigenen Machtausbau.[1] Campanellas Auseinandersetzung findet überwiegend unter der Bezeichnung religio communis statt; den Begriff religio politica verwendet er nur an dieser oben zitierten Stelle, ohne die semantische Beziehung zur religio communis zu klären: Handelt es sich um Synonyme oder steht die religio politica für eine spezielle Unterkategorie der religio communis? Im Gegensatz zur Mehrheit der in diesem Hauptkapitel zitierten Fundstellen stellt diese Quelle einen Ausbruch aus einer überwiegend negativ konnotierten Verwendungstradition dar, denn entgegen dem Gros der hier vorgestellten Autoren kann eine Verwendung des Begriffs als Polemik nicht beobachtet werden. Vielmehr verwendet Campanella den Begriff innerhalb seiner Metaphysik mit einer ungefärbten oder vielleicht sogar positiven Lesart, was insbesondere mit seinem Verständnis einer Untrennbarkeit zwischen politischer und religiöser Sphäre zusammenhängt.

Einer ausführlichen Auseinandersetzung mit dem Begriff religio politica widmete sich 1655 der deutsche Rechtswissenschaftler und Politologe Daniel Clasen (1622-1678) in seinem Werk De Religione Politica, das sich mit dem Politischen innerhalb von Religionen befasst.[2] Ähnlich wie Tommaso Campanella interpretiert Clasen religio als das Fundament zur Bildung und Wahrung einer Gemeinschaft.[3] Darauf aufbauend geht er der zeitgenössisch reichlich debattierten Frage nach, ob und inwieweit die diesseitige, politische Machtbasis einer Gemeinschaft in den kirchlichen und religiösen Bereich eingreifen dürfe und welche Pflichten weltlichen Herrschern gegenüber religio oblägen. In zwanzig Abschnitten diskutiert Clasen eine jeweils vorangestellte These bezugnehmend auf fürstliche Eingriffe in religiöse oder kirchliche Belange, die insgesamt zunächst den Anschein vermitteln, Clasen stehe einer Vermengung der Bereiche Religion und Politik neutral oder gar affirmativ gegenüber. So sei etwa nach dem Wortlaut seiner Thesen die religio ein von Menschenhand erschaffenes Mittel zum Nutzen der herrschenden Schichten, um die Bürger bzw. Untertanen unter Kontrolle zu halten und die eigenen
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[1] Vgl. hierzu Seitschek: Frühe Verwendungen, S. 110f.
[2] Daniel Clasen: De Religione Politica. Liber Unus. Magdeburg 1655. Siehe hierzu Seitschek: Frühe Verwendungen, S. 114-116; Feil: Religio III, S. 128-133; ders.: „Politische Religion" und „Politische Theologie", S. 14-22; Mulsow: Moderne aus dem Untergrund, S. 215-223.
[3] Diese Notwendigkeit einer religio für den Zusammenhalt einer Gemeinschaft wird von Clasen am Ende seines Werkes nochmals hervorgehoben (siehe Clasen: De Religione Politica, S. 526); vgl. hierzu auch Feil: „Politische Religion" und „Politische Theologie", S. 19.

(politischen) Interessen verwirklichen zu können.[1] Er nutzt allerdings diese zwanzig Thesen als Ausgangsbasis für seine nachfolgenden Argumentationen gegen eine Politisierung und eine Instrumentalisierung von Religion für weltliche Interessen (z. B. Kriegsinteressen) durch die herrschenden Schichten seiner Zeit.

Im vierten Abschnitt seiner Kritikschrift wendet sich Clasen einer Definition des Begriffs religio politica zu.[2] Dieser Abschnitt wird von Clasen mit herangezogenen Zitaten anderer Autoren über die Plicht von Politici eingeleitet, die religio politica als Garant für die Gemeinschaft zu bewahren. Er wendet allerdings ein, dass dieses Fundament von den Politici in den überwiegenden Fällen für die eigenen Zwecke missbraucht und die religio politica von ihnen zu einem Monstrum aus Täuschung und Bosheit umgeformt werde:[3]

„At plurimi aliter religionem Politicam concipiunt, qui ex ea monstrum iniquitatis, fraudum, neq- uitiae ac versutiae efficiunt, ubi suo loco videbimus."[4]

An dieser Stelle nutzt Clasen den Terminus nicht im Sinne einer feststehenden Polemik zur Diffamierung einer bestimmten (religiösen) Haltung, sondern als einen neutralen Kategorienbegriff zur näheren Bezeichnung eines bestimmten Bereiches von Religion, hier der religio externa, ohne bereits im Vorfeld eine Wertung zu geben. Die religio politica ist somit nicht von Grund auf negativ, sondern erst ihre Indienstnahme und Zweckentfremdung durch herrschende Gruppen verwandelt sie zu dem hier beschriebenen Monstrum. Im Anschluss präsentiert Clasen mehrere Definitionsansätze für den Terminus Religio Politica:

„Nunc quidem definitionem religionis politicae, pro ut a politicis quibusdam consignata est diversimode apponemus, & quodammodo examinabimus. A quibusdam definitur: Quod sit cultus sacer in coetum subditorum ä Magistratu introductus ad servandum reipublica statum. Quidam hanc definitionem arripiunt: Religio est opinio de Deo ejusq" cultupia quadam ratione subditorum animins instillata, cofine, ut tranquillitas publica, & status politicus conservetur. Legi & hanc definitionem: Quod religio sit ratio colendi Deumpublice approbata, eopracipue collimans, ut subditi intra fines officii contineantur, & respublica salva conservetur. Pessima omnium haec est: Religio Politica est fictus vel simulatus cultus divinus, qui mascule ä Clericis ore, fortiter ä Magistratu defenditur, ad hoc, ut bonum publicam & privatum conservari, vel etiam augeri pos- sit."[5]

Clasen verwendet den Begriff religio politica im Sinne einer religio externa. Damit ist die religio politica an sich ein neutral zu bewertender Teilaspekt von Religion im öffentlichen Raum als gemeinschaftsbildendes und -festigendes Element im Sinne einer funktionalistischen Religionsdefinition, die sich erst aufgrund einer Indienstnahme durch herrschende Schichten zu einem Negativum entwickele. Religio politica wird - ähnlich zu Campanella - auch bei Clasen zu einer Art Staatsraison.[6] So sei die religio politica letztendlich ein fingierter oder gefälschter göttlicher Kultus, der zur Lenkung und Unterdrückung der Untergebenen durch die Herrschenden eingeführt und sichergestellt werde. In diesem zitierten Abschnitt wird religio politica auch in der Pluralform verwendet. Damit deutet Clasen an, dass die religio politica nicht einmalig in
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[1] Eine Übersicht dieser zwanzig Thesen bzw. Überschriften der zwanzig Abschnitte hat Clasen an den Anfang dieser Schrift gestellt (Clasen: De Religione Politica, unpag.); zur deutschen Übersetzung einiger dieser Thesen in Mulsow: Moderne aus dem Untergrund, S. 218f.
[2] Clasen: De Religione Politica, S. 50-64.
[3] Feil: „Politische Religion" und „Politische Theologie", S. 15f.
[4] Clasen: De Religione Politica, S. 55 [Hervorhebungen im Original].
[5] Ebd., S. 55f. [Hervorhebungen im Original].
[6] Mulsow: Mehrfachkonversion, S. 144f., Anm. 32.

der Geschichte sei und es nicht die eine religio politica gebe, sondern verschiedene Ausformungen und Beispiele einer religio politica existierten.

Im Gegensatz zu anderen, hier vorgestellten Veröffentlichungen erfuhr Clasens De Reli- gione Politica bereits in zeitgenössischen Publikationen des 17. Jahrhunderts eine recht breite Wahrnehmung und Rezeption zum Thema Politische Religion bzw. religio politica. Hierzu trug zum einen sicherlich der Titel seiner Schrift bei. Nicht minder war zum anderen Clasens ausführliche Auseinandersetzung mit diesem Begriff tragend für die Rezeption in nachfolgenden Veröffentlichungen. In enger Anlehnung an Daniel Clasen erwähnte einige Jahre später der lutherische Theologe Theophil Gottlieb Spitzel (1639-1691) den Begriff in seiner 1663 erschienen Schrift Scrutinium Atheismi, eine kritische Auseinandersetzung mit dem Atheismus und atheistischen Haltungen seiner Zeit.[1] Nur ein Jahr später verwies der lutherische Prediger Erasmus Gruber (1609-1684) in seiner auf Johann Jakob Hamman (1620-1664) gehaltenen Leichenpredigt Von recht Christlicher dapferkeit[2] (1664) auf die Schrift Clasens, ohne jedoch selbst den Begriff Politische Religion aufzugreifen oder sich gar damit auseinander zu setzen.

Eine negative Konnotation erfuhr der Begriff Politische Religion in der folgenden deutschsprachigen Quelle: Unter dem Eindruck des Dreißigjährigen Krieges veröffentlichte der evangelische Theologe und Spiritualist Christian Hoburg (1607-1675) im Jahr 1644 unter dem Pseudonym Elias Praetorius den Spiegel Der Misbräuche beym Predig-Ampt,[3] eine Kritikschrift zu den konfessionellen Streitigkeiten, die sich insbesondere gegen die lutherische Orthodoxie richtet, und den damit einhergehenden militärischen Konflikten. Anstatt sich der göttlichen „Liebes-Furcht" hinzugeben[4] und jenen Lastern zu entsagen, die dem Papst und der katholischen Kirche vorgeworfen werden, seien in den geistlichen Ämtern der evangelischen, hier insbesondere lutherischen Kirchen die gleichen Missstände anzutreffen, wie zum Beispiel die Hinwendung zu weltlichen Dingen oder die Erregung von politischen Konflikten. Im zweiten Teil seiner Schrift referiert Hoburg in hundert knappen Antwortsätzen zur Frage nach den Ursachen, die zum „Abfall bey dem heutigen Predigampt in der Christenheit"[5] führten. Hierzu betrachtet er die Irrwege im kirchengeschichtlichen Verlauf des Christentums beginnend mit der Zeit der Apostel, als „schon der Abfall im Schwang gewesen"[6] sei. So habe man unter anderem


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[1] Theophil Gottlieb Spitzel: Scrutinium Atheismi Historico-Aetiologicum. Augustae Vindelicorum 1663,
S. 85f. Vgl. hierzu Feil: Religio III, S. 67f., 129.
[2] Erasmus Gruber: Von recht Christlicher dapferkeit / Ein Christliche Leichpredigt / Auffgesetzt und abgelesen / Bey ansehenlicher Volckreicher Leichenbestattung Des weiland WohlEdlen / Fürsichtigen und Hochweisen Herrn Iohannis Iacobi Hamman. Regensburg 1664, unpag. [S. 3].
[3] Hoburgs Schriften spielten für das Gedankengut des Pietismus und einer Kritik an der zeitgenössischen Entwicklung reformatorischer Kreise eine herausragende Rolle; siehe hierzu Marcus Maier: Täuferischer Dissent im Kontext des radikalen Pietismus am Beispiel der Schwarzenauer Neutäufer, in: Andrea Strübind, Martin Rothkegel (Hg.): Baptismus. Geschichte und Gegenwart. Göttingen 2011, S. 139-159.
[4] Elias Praetorius [Christian Hoburg]: Spiegel Der Misbräuche beym Predig-Ampt im heutigen Christenthumb. Und wie selbige gründlich und heilsam zu reformieren. [o. O.] 1644, S. 723-725. In seinen Ausführungen zu den „Mängel[n] der heutigen Lehrer und Prediger bey allen Partheyen ins gemein" (ebd., S. 273) fasst Hoburg abschließend zusammen: „Weil nicht der Geist der Liebe sondern nur des Zancks und Streits sie regieret / können sie keine Liebes-Furcht / sondern nur eitel Zanck erregen: Ja weil lauter Ehrgeiz / Hochmuth und fleischlicher Welt-wandel da ist / zeuget solches alles / von welchem Geist sie geregieret werden" (ebd., S. 724f.).
[5] So die einleitende Titelfrage des zweiten Kapitels: „Woher hat sich nun so grosser Abfall bey dem heutigen Predigampt in der Christenheit erhoben?" (ebd., S. 725).
[6] Ebd., S. 725: „1. Zur Aposteln Zeiten ist schon der Abfall im Schwang gewesen; in deme sehr viel von ihnen außgegangen seynd."

„auß der Christlichen Religion endlich eine äusserliche Menschliche Religion / oder Politische Religion mit gewissen Ceremonien und Gesetzen umbschrencket gemachet."[1]

Die Politische Religion wird in diesem Satz mit einer „äusserliche[n] Menschliche[n] Religion", einer Art religio externa gleichgesetzt. Im Gegensatz zur religio externa, dem Äußeren bzw. hier dem äußerlichen (weltlichen und/oder politischen) Ausdruck von Religion (etwa in Form von Ritualen oder Zeremonien wie z. B. der christlichen Taufe),[2] steht bei Hoburg das „Inwendige"[3], eine nach innen gerichtete Schau auf die Verinnerlichung der Lehre Christi im Streben nach der „Innerlichen Erleuchtung"[4] der Seele durch den Heiligen Geist und somit der Erlangung des Seelenheils. Dementsprechend könne das Reich Gottes nicht in äußeren, weltlichen Ausdrucksformen des Glaubens, wie etwa dem Sakralbau, der Sammlung weltlicher Reliquien, Riten oder dem Disputieren um und Klammern an Buchstaben und Wörter christlich-religiöser Textüberlieferungen[5] gefunden werden, sondern nur „inwendig in deß Menschen Hertz[en]".[6] Der Begriff politisch wird im Spiegel mit einer abwertenden, pejorativen Konnotation[7] im Sinne von staatsmännisch, die weltliche Führung der Gemeinschaft, des Staatswesens betreffend begriffen und genutzt. Politisch steht somit nicht synonym zu weltlich, sondern betrifft einen dem Weltlichen zuzuordnenden Teilbereich.[8] Im Fall der Politischen Religion werde „die Externa allzusehr erhoben"[9] und in den Mittelpunkt des kirchlich-religiösen Lebens und Wirkens gestellt, wodurch das „Inwendige", die innere Hinwendung zum Göttlichen sukzessive verloren gehe und der Fokus auf weltliche und politische Belange gerichtet werde. Folglich beschreibt der Begriff Politische Religion einen Antagonismus zu einer wahren, auf das „Inwendige" ausgerichteten Religionspraxis und ist dementsprechend als ein Negativbegriff zu verstehen.


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[1] Ebd., S. 733.
[2] Vgl. hierzu bspw. ebd., S. 103: „Ja nunmehr ist die rechte Zeit / daß das Reich Gottes nicht kommet mit Eusseren Geberden und Ceremonien / mit grossen Eusserlichen Kirchen / Altaren / Priestern / Cantzeln / Meßkleidern / Gesängen und sonderlichen Observationen."
[3] Ebd., S. 725. Zum „Inwendigen" siehe Praetorius: Misbräuche, S. 114ff.
[4] Ebd., S. 115.
[5] Denn „dieses Inwendige Reich bestehet mit nichten nicht in Worten / sondern in der Krafft / in der kräfftigen Bewegung / Trieb / Zug / Lehr und Salbunge deß Heiligen Geistes / ja in kräfftigem Krampff und Sieg wider die Seelen-Feinde" (ebd., S. 117).
[6] Ebd., S. 117.
[7] Politisch steht an mehreren Stellen in einer Reihung mit weiteren negativ konnotierten Wörtern und Wendungen: „Fleischlich / Eusserlich / Politisch / ohne Safft und Krafft / ohne Erbawung / ohne Nutzen" (ebd., S. 146); „Weltlich / Politisch und Alamodisch" (ebd., S. 724). Zur negativen Konnotation des Begriffs politisch im 17. Jahrhundert vgl. Vollrath: Politisch, Sp. 1074.
[8] Diese semantische Überlegung basiert auf Textstellen, in denen die Begriffe politisch und weltlich gemeinsam in Aufzählungen („Weltlich / Politisch und Amalodisch" [Praetorius: Misbräuche, S. 724]) verwendet werden oder politisch zur genaueren Beschreibung von etwas das Weltliche betreffend dient, wie etwa der Ausdruck „Politischen Welt-Menschen" (ebd., S. 610).
[9] Ebd., S. 726: „Man hat die Externa allzusehr erhoben: Dannenhero die grosse steinerne Kirchen / Dohmen / Cantzeln / Glocken / Thürne / Altäre / Meßgewandt unnd alle Ceremonien unnd Kirchengepränge auß dem Heydenthumb ins Christenthumb eingeführet worden."