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1.1.1. 17. Jahrhundert

Erste Verwendungen des Begriffs Politische Religion in Kontextualisierung zum Judentum finden sich in deutschsprachigen Schriften bereits im 17. Jahrhundert, so beispielsweise in zwei Publikationen des lutherischen Theologen und Dichters, Johann Conrad Dannhauer (1603-1666): Reformirtes Salve und Frieden-Gruß und Catechismusmilch oder der Erklärung deß christlichen Catechismi.[1]

Mit der 1658 veröffentlichten Schrift Reformirtes Salve und Frieden-Gruß lieferte Dann- hauer einen Beitrag zu den schwelenden Auseinandersetzungen um synkretistische oder synkretistisch anmutende Glaubensvorstellungen und setzte sich mit verschiedenen Schriften von Irenikern auseinander, die von gegnerischen Stimmen abwertend auch als Synkretisten bezeichnet wurden, wie etwa der evangelische Theologe Georg Calixt (1586-1656).[2] Eine besondere Aufmerksamkeit erfährt hierin das 1606 anonym erschiene Traktat Treuherzige Vermahnung der Pfälzischen Kirchen,[3] worin der reformierte Theologe Bartholomäus Pitiscus
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[1] Johann Konrad Dannhauer: Reformirtes Salve und Frieden-Gruß / Auff die Prob gestellt / und mit einem Trewhertzigen Christ-Evangelischen Wider-Gruß beschencket und beantwortet. Straßburg 1658; ders.: Ca- techismus-Milch / Oder Der Erklärung des Christlichen Catechismi. 10 Bde. Straßburg 1642-1678. Dann- hauer ist bis dato der einzige Autor im deutschen Sprachraum des 17. Jahrhunderts, dem in mehreren seiner Werke eine Verwendung des Begriffs Politische Religion nachgewiesen werden konnte.
[2] Von Humanisten positiv konnotiert wurde der Begriff Synkretismus im Kreis orthodoxer Lutheraner negativ aufgeladen und in abschätziger Manier gegen Glaubensgenossen angewandt, die sich gegen die Konkordien- formel, konzipiert zur Schaffung eines innerlutherischen Konsens, wendeten. Zu den Kritikern zählte unter anderem Calixt, dem aufgrund seines Rufs nach Toleranz und Interkommunikation zwischen den christlichen Konfessionen im Zuge des synkretistischen Streits Synkretismus und Kryptokatholizismus vorgeworfen wurde. Zum synkretistischen Streit siehe Timothy Schmeling: Lutheran Orthodoxy under Fire. An Exploratory Study of the Syncretistic Controversy and the Consensus Repetitus Fidei Vere Lutheranae, in: Lutheran Synod Quarterly 47.4 (2007), S. 316ff.
[3] [Bartholomäus Pitiscus]: Trewhertzige Vermahnung der Pfältzischen Kirchen / An alle andere Evangelische Kirchen in Teutschland: Das sie doch die grosse Gefahr / die ihnen so wol als uns vom Papsthumb fürstehet / in Acht nemmen: und die inheimische unnötige / oder ja nun mehr genugsam erörterte Streite / dermal eins Christlich und brüderlich mit uns auffheben unnd hinlegen wollen. Neustadt 1606. Dieses Traktat wurde von Bartholomäus Pitiscus (1561-1613), Hofprediger und Erzieher Friedrichs IV. von der Pfalz (1574-1610) anonym veröffentlicht und im Stil der Irenik gehalten, einer den Konfessionskonflikten (der Frühen Neuzeit) kritisch gegenüberstehenden theologischen Haltung, die religiöse Gewalt ablehnt und die friedensstiftenden Momente der christlichen Theologie betont. Siehe hierzu Gustav Adolf Benrath: Reformation - Union - Erweckung. Beispiele aus der Kirchengeschichte Südwestdeutschlands (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abteilung für Abendländische Religionsgeschichte, 228). Göttingen 2012.

(1561-1613) die Frage um eine Versöhnung und Vereinigung der lutherischen und der reformierten Kirchen affirmativ mit dem Argument behandelt, dass der einzige Zwiespalt zwischen den evangelischen Kirchen in der theologischen und liturgischen Auslegung des Abendmahls und der Eucharistie bestehe;[1] eine Behauptung und Forderung, der sich Dannhauer in seiner Schrift entschieden entgegenstellt und jegliche Zugeständnisse auf theologischer Ebene zu Gunsten der römisch-katholischen und der reformierten Kirchen ablehnt.

Ähnlich dem Gros der hier vorgestellten und noch vorzustellenden Autorinnen und Autoren verwendet Dannhauer den Religionsbegriff zur Benennung sowie Unterscheidung der verschiedenen religiösen Lehren.[2] Dabei scheint er Religion von der Begrifflichkeit Glaube zu unterscheiden.[3] Synkretismus definiert Dannhauer als ein Mit-lügen,[4] eine Verunreinigung der reinen, wahren Religion mit Elementen falscher religiöser Lehren und damit als eine Beihilfe zur Verbreitung von Häresie. So seien auch die Ireniker mit ihren nach einer evangelischen Einheit strebenden Schriften einem Synkretismus erlegen und hätten „theils offentlich und mit claren Worten / theils analogisch und verdeckter weiß ihre Friedenspfeiffen gesti- met"[5], wenn sie von den Lutheranern und Reformierten eine Versöhnung in ihren kontroversen Glaubenssätzen, d. h. nach Dannhauer eine Vereinigung zwischen der wahren lutherischen Religion und der falschen reformierten Lehre fordern.[6]

Innerhalb seiner Betrachtungen zum Wesen von Synkretismus reißt Dannhauer mehrere biblisch-historische Beispiele für Synkretismus bzw. synkretistische Religionen an und verortet den ersten und ältesten Synkretismus in die biblische Zeit von Adam und Eva.[7] Unter weiteren
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[1] Vgl. hierzu Dannhauer: Reformirtes Salve, S. 117ff.
[2] So unterscheidet Dannhauer etwa zwischen verschiedenen Religionsformen, wie etwa der „Musulmani- sche[n] Religion" (ebd., S. 101), der „Christliche[n] Religion" (ebd., S. 215) und „Jüdischen Religion" (ebd., S. 746). Er verwendet den Religionsbegriff allerdings auch bei der Erwähnung der verschiedenen christlichen Konfessionen: „Der Unterscheid zwischen der Lutherischen und Reformirten Religion auffgehoben" (ebd., unpag. [S. 9 des Vorworts an Friedrich V. von Baden-Durlach]).
[3] Vgl. hierzu bspw. folgenden Textauszug: „und der göttlichen Warheit unnachtheilige Glaubens-, Religionsund Kirchen-Frieden gemacht" (ebd., S. 9).
[4] Ebd., S. 708: „Was nun dem Namen nach syncretizare oder Syncretismus seye und heisse / ist leicht zuerachten / nemlich mitliegen / eine mit-lugen."
[5] Ebd., S. 715: „Dieser bißher entworffene Syncretismus ist nun das jenige tabulatur, nach welchem unterschiedliche Irenici theils offentlich und mit claren Worten / theils analogisch und verdeckter weiß ihre Friedenspfeiffen gestimet."
[6] Bei Plutarch (ca. 50-120 n. Chr.) ist der Begriff GUYKpnTiopöc belegt, womit er einen Brauch bei den Kretern umschreibt, bei einer äußeren Bedrohung für die Gemeinschaft innere Zwistigkeiten beizulegen und gemeinschaftlich zusammenzustehen. Auf diese etymologische Herleitung des Begriffs verweist auch Dannhauer (Dannhauer: Reformirtes Salve, S. 708f.). Erasmus von Rotterdam (1466/1467/1469-1536) hat den Begriff von Plutarch in religionsphilosophische Auseinandersetzungen aufgenommen und als allgemeingültige, von der kretischen Gemeinschaft losgelösten Definition eingeführt. War bei Humanisten wie Erasmus von Rotterdam der Begriff Synkretismus noch mit einer positiven Konnotation belegt, verkehrte sich das Begriffsverständnis im Zuge des synkretistischen Streits bei den als Zeloten bezeichneten lutherisch-orthodoxen Gegnern einer Aussöhnung der evangelischen Kirchen und ihrer Lehren - einer ihrer Vertreter war der hier vorgestellte Dannhauer - ins Gegenteil und erhielt eine negative Ausrichtung; zum Synkretismusbegriff vgl. Ulrich Berner: Synkretismus, in: Hubertus Cancik et al. (Hg.): Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe, Bd. 5, Stuttgart 2001, S. 142-152.


[7] Dannhauer: Reformirtes Salve, S. 742: „Als da gewesen der Elteste / erste Syncretismus Paradisiacus, von
der Schlangen tentirt und erhalten / dadurch Eva von der einfalt deß Göttlichen Worts abgeführt worden."​



Exempeln für synkretistische Religionen erwähnt er den ersten König des Nordreichs Israel, Jerobeam I. (gest. 907 v. Chr.), der in den biblischen Stamm Juda geboren wurde, von dem er sich im Erwachsenenalter aus eigenpolitischen Erwägungen entwurzelte und abwandte.[1] Nach biblischer Überlieferung sah sich Jerobeam I. nach seiner Königswahl im Jahr 926 v. Chr. gezwungen, ein neues religiös-kulturelles Zentrum im Nordreich Israel aufzubauen, welches sich bis dato in der Stadt Jerusalem befand. Jerusalem lag seit der israelitischen Teilung des Königreichs Israel im Jahr 926 v. Chr. auf dem Territorium des befeindeten Stammes Juda, das spätere Reich Juda, weswegen Jerobeam I. befürchtete, sein Volk oder Teile davon könnten in das Nachbarreich abwandern, um weiterhin Zugang zum religiös-kulturellen Zentrum, dem Jerusalemer Tempel, zu haben. So ließ Jerobeam I. zwei goldene Kälber als Gegenstück zum Jerusalemer Zentralheiligtum anfertigen, stellte eines im südlichen Bethel und das zweite im nördlich gelegenen Dan auf. Seinem Volk präsentierte er diese zwei goldenen Kälber als jenen „GOTT der uns auß Egypten geführet", brach mit den Traditionen der Priestereinsetzung und führte alte Riten wieder ein, wie etwa die Tieropferung.[2] Nach Dannhauers Darstellungen habe Jero- beam I. aus Versatzstücken unterschiedlicher Religionen ein eigenes synkretistisches Glaubenskonzept erschaffen:

„Die alte Jüdische / Israelitische / Egyptische / so mit Egyptischen Sitten durch Jerobeam eingeführt: die sind vereinbaret worden unter dem Schein deß Friedes / zu einer Politischen Religion / deren gemeines Symbolum gewest / der GOTT der uns auß Egypten geführet / soll geehret / die Feyertage und Gebräuche sollen nach alter gewonheit gehalten."[3]

Dannhauer unterstreicht mit dem Begriff politisch, dass die grundlegende Motivation für diese vermeintlich gotteslästerliche Tat der Religionsvermengung im Politischen durch Jerobeam I. im staatsmännischen Denken zu situieren sei. Mit dem Begriff Politische Religion umschreibt er weniger eine indifferente Haltung in Religions- oder Konfessionssachen, sondern ein aus Elementen verschiedener Religionen zusammengestelltes neues Religionskonzept, einen politisch motivierten Synkretismus.

Zwar konnten keine weiteren Textstellen in dieser Schrift von Dannhauer gefunden werden, in denen der Begriff Politische Religion ausdrücklich verwendet wird, doch kann davon ausgegangen werden, dass Dannhauer Jerobeam I. lediglich als Beispiel für eine Politische Religion in der biblischen Geschichte herangezogen hat und es sich hierbei nicht um einen exklusiv gegen Jerobeam I. gerichteten Polemikbegriff handelt. Denn an anderen Stellen seines Textes verwendet Dannhauer ähnliche begriffliche Kombinationen und spricht etwa von einem „politischen Religions Frieden"[4] oder von „Politische Religions unverständige und unachtsame Proceres"[5] und bezieht diese auf andere biblische Gestalten oder Begebenheiten abseits
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[1] Auch Daniel Clasen greift in seiner Schrift De Religione Politica auf die Gestalt des biblischen Königs Jero- beam I. zurück; vgl. Clasen: De Religione Politica, S. 227.
[2] Vgl. hierzu folgende Bibelstelle: 1. Könige 12.26-33.
[3] Dannhauer: Reformirtes Salve, S. 743f.
[4] Ebd., S. 81: „Ein Christ als Christ und Chur Kind Gottes laßt im zuvorderst angelegen seyn den Friden [sic] / der höher ist als alle Vernunfft / den Frieden mit Gott / Ruh im Gewissen zuerhalten: Ein Christlicher Burger und Reichsgenoß / zum Exempel deß Röm. Reichs / gleich wie er sich sehnet nach dem geistlichen Hertzerquickend Religions-Frieden / also frewet er sich auch uber den politischen Religions-Frieden. Dieser ist ein Zeitlich-eusserlicher / Burgerlicher / Reich-Statt-Land / und Noth-Fried der Mitgliedern eines Weltlichen Reichs / davon S. Pauli Erinnerungen bekant seind."
[5] Ebd., S. 752: „Der Jezabel ist's eine schlechte Kunst / wann sie zuvor den Schismatischen Zäncker Eliam auß dem wege geraumet / vermittelt ihres Sidonischen und Jüdischen Syncretismi nit nur einem einfältigen Achab / sondern auch ein gantz Königreich / und deßen Politische Religions unverständige und unachtsame Proceres in die apostasi zuverleiten."

der Erzählungen zu Jerobeam I. So könne man eine die Religion als nebensächlich betrachtende Haltung nicht nur bei Staatsmännern oder Herrschern, sondern auch bei durchschnittlichen Personen finden:

„was ist nicht zu erhalten bey Welt- ja auch Bauersleuthen / wann sie umb die region sich mehr als umb die Religion bekümmern?"[1]

An dieser Stelle wird eine Indifferenz in Religionsfragen angesprochen, die von regionalen oder territorialen Fragen überschattet respektive bestimmt wird.

Zwischen den Jahren 1642 bis 1678 erschien das zehn Bände umfassende Werk Cate- chismusmilch oder der Erklärung deß christlichen Catechismi, mit dem Dannhauer das Ziel verfolgte, theologischen Laien der christlichen Gemeinden die Kirchenlehre in ihrer Gesamtheit zu vermitteln. Von besonderem Interesse ist das „Register der denckwürdigsten Sachen" des 1672 posthum veröffentlichten neunten Bandes, in dem ein weiteres Beispiel für die Anwendung des Begriffs Politische Religion im Kontext nichtchristlicher Glaubenskonzepte enthalten ist:

„Herodianer hatten eine politische Religion".[2]

Dieser Registerverweis führt die Lesenden zum Anhang des neunten Bandes mit „Sieben un- terschiedliche[n] Predigten über Das schöne und Lehr-reiche Gespräch / so Christus und Martha miteinander gehalten / beschrieben"[3], in dem die biblische Geschichte von der Einkehr Jesu Christi in das Haus von Martha und Maria von Bethanien thematisiert wird. Unter dem Titel „Von Der Chur und Wahl / die Maria gethan"[4] diskutiert Dannhauer in der sechsten Predigt die Frage der „kluge[n] / tieff- und scharffsinnige[n] Chur und Wahl der geistlichen SeelenSpeiß", die als Mittel zur Erlangung eines „immerwährenden / nimmer zerstörlichen / unwandelbaren / himmlischen / ewigen Leben"[5] dienlich sei. Es wird nach der wahren göttlichen bzw. religiösen Lehre gefragt, die der Seele nach dem Zerfall und Tod der Materie, der körperlich-endlichen Hülle, zu einem ewigen Dasein im göttlichen Himmelreich verhelfe.

Auf die Religion der Herodianer wird im Zusammenhang mit einer Untersuchung der „Electio dialectica" verwiesen, die Wahl der richtigen Glaubens- bzw. Seelenlehre durch ein prüfendes Gegenüberstellen und Disputieren verschiedener Religionsansätze. Hierzu nimmt Dannhauer unter anderem Maria von Bethanien als Beispiel, die auf ihrem seelischen Findungsweg zur göttlichen Lehre Jesu Christi zuvor andere Religionssysteme miteinander und mit den christlichen Ansätzen verglichen habe. Neben der „Sadduceische[n] Sau-Religion" und der „Pharisäische[n] Auffsätze" resümiere Maria auch über

„die Herodianische Hoff-Religion / welche aber nichts anders / als außwendig Heucheley und Syncretisterey / inwendig Epicureismus und Atheismus [sei]."[6]

Die Herodianische Religion, im Register als Politische Religion charakterisiert, wird an dieser Stelle etwas genauer als eine „Hoff-Religion" beschrieben, also eine auf die weltlichen Herrschaft ausgerichtete Religion, die nach außen hin heuchlerisch und synkretistisch eingestellt sei. Im Inneren sei diese Politische Religion der Herodianer atheistisch und nach den Lehren des Epikureismus ausgerichtet. Diese Darstellung der Religion Herodes gründet auf der von einigen
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[1] Ebd., S. 640.
[2] Dannhauer: Catechismus-Milch, unpag. [S. 526].
[3] Ebd., S. 436. Zu Maria von Bethanien siehe Luk. 10.38-42; Joh. 11.1-45.
[4] Dannhauer: Catechismus-Milch, S. 493-503.
[5] Ebd., S. 494.
[6] Ebd., S. 497.

Zeitgenossen geäußerten Kritik, dass Herodes nicht dem Judentum zugehörig, sondern insgeheim weiterhin der alten Religion seiner Vorfahren anhängig sei.[1] Folglich gebe er allein aus politischem Opportunismus vor, ein Mitglied der jüdischen Religionsgemeinschaft zu sein, indem er eine dem jüdischen Volk gegenüber wohlgesonnene Politik betreibe und penibel auf die Einhaltung jüdischer Religionsgebote und -verbote achte.

Ob Dannhauer tatsächlich diese von Anderen unterstellte religiös indifferente, geheuchelte Haltung Herodes zur Religion als Politische Religion charakterisiert, lässt sich nur vermuten, da der Begriff Politische Religion weder an der verwiesenen noch an einer anderen Textstelle innerhalb der sechsten Predigt verwendet wird. Auch im darauffolgend zitierten Passage aus der Harmoniae Evangelicae[2] (1575) des lutherischen Theologen und Reformators Martin Chemnitz (1522-1586), in denen eben jene drei Religionen kritisiert werden, wird von dem Begriff Politische Religion kein Gebrauch gemacht. Warum der Begriff im Register lediglich auf die Herodianische Religion verweist, ohne die in gleicher Reihe zum kritischen Vergleich stehenden Sadduzäer und Pharisäer zu erwähnen, kann anhand des Textes nicht zweifelsfrei geklärt werden. Denkbar ist, dass die oben angesprochene ablehnende Haltung der jüdischen Bevölkerung gegenüber Herodes und dessen Nachfahren und die Unterstellung einer allein aus politischen Motiven nach außen praktizierten pro-jüdischen Haltung einen ausschlaggebenden Einfluss auf diese Alleinstellung ausübte.

Im Vergleich zur ersten Erwähnung des Begriffs in seinem Werk Reformirtes Salve verwendet Dannhauer den Begriff Politische Religion im Catechismus-Milch zwar in Bezug auf eine andere biblisch-historische Gestalt des jüdischen Volkes, dennoch sind biographische Parallelen erkennbar und die semantische Intention der Politischen Religion als Kritik an insbesondere durch religiösen Indifferentismus motivierten, synkretistischen Religionskonzepten bleibt erhalten. In beiden Fundstellen bezieht Dannhauer den Begriff Politische Religion nicht auf das Judentum insgesamt, sondern auf zwei historische Gestalten der jüdischen Religionsgeschichte, die nicht nur von Dannhauer aufgrund ihres religionspolitischen Handels und Wirkens herausgehoben werden.

Ein zu Dannhauer ähnliches Zusammenspiel im begrifflichen Verwendungsspektrum zwischen Politischer Religion, religiösem bzw. konfessionellem Indifferentismus, Synkretismus und nichtchristlichen Religionen - hier im Speziellen das Judentum - birgt die Publikation Brevis, de Origine & Progressu Syncretismi a Mundo condito, Historia von Konrad Tiburtius Rango (1639-1700). Diese 1674 veröffentlichte Schrift ist ein Versuch des lutherisch-orthodoxen Theologen und Naturforschers, der „Syncretismi Schande von alters her"[3] aufzuzeigen und
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[1] Herodes (73-4 v. Chr.), römischer Klientelkönig in Judäa, Galiläa, Samaria sowie angrenzenden Gebieten, wurde von der jüdischen Bevölkerung trotz seiner idumäischen Herkunft nicht als vollwertig dem Judentum angehörig betrachtet und daher nicht als König der Juden anerkannt, da die Idumäer keinem der jüdischen Stämme entsprangen und erst vom Hasmonäer-König Johannes Hyrkanos I. (175-104 v. Chr.) bei seiner Eroberung Idumäas zum Judentum übertraten. Doch könne laut Tora nur eine Person König des jüdischen Volkes werden, die selbst dem Judentum entstamme, siehe Deuteronomium 17.15: „Nur aus der Mitte deiner Brüder darfst du einen König über dich einsetzen. Einen Ausländer darfst du nicht über dich einsetzen, weil er nicht dein Bruder ist."
[2] Die Evangelienharmonie war noch unvollendet, als Martin Chemnitz 1586 verstarb. Die Arbeit am Text wurde zunächst von Polycarp Leyser fortgeführt und von Johann Gerhard (1582-1637), einem Vertreter der lutherischen Orthodoxie, 1626/27 beendet. Siehe hierzu Bernt Torvild Oftestad: Harmonia Evangelica. Die Evangelienharmonie von Martin Chemnitz - theologische Ziele und methodologische Voraussetzungen, in: Studia Theologica 45 (1991), S. 57-74.
[3] Konrad Tiburtius Rango: Brevis, de origine & progressu Syncretismi a Mundo condito, Historia. Das ist / historische Beschreibung Der Religions-Mengerey / von Anfang der Welt / u. Worinn die Griffe / und Heim- ligkeiten der Syncretisten / auß GOttes Wort / der Kirchen-Historie A. und Neuen Testamentes / Urkunden / Originalien und MSC. Stettin 1674, unpag. [S. 14 des Vorworts an Karl XI. von Schweden]: „Weil ich der tröstlichen Hoffnung lebe / Eure Königl. Maytt. Umb obgesetzten wahren Religion-Eyfers willen / diese meine Schrift / so des Syncretismi Schande von alters her aufdecket / mit allergnädigsten Augen ansehen."

mit dem Synkretismus in Glaubensfragen und Religionsangelegenheiten aufzuräumen, um das Lesepublikum vor „Papisten / Calvinisten / Syncretisten und allen Rottengeistern / die das Wort Gottes verfälschen", zu warnen und „die reine unverfälschte Evangelische Warheit"[1] zu bewahren.

Bereits im Einleitungskapitel begegnen die Lesenden einer ersten Kostprobe des Begriffs Politische Religion bei Rango:

„Erkenne / daß er sich bißher übel unter dem Namen eines Politici (daher Religio Politica und Prudentum) verstecket habe."[2]

Rango referiert in diesem Abschnitt über den Begriff des Politicos, des Politikers oder Staatsmannes, und unterscheidet die „warhaftig-gottseelige[n] Politicos" oder „ehrliche[n] / gewis- senhafte[n] Staats- und Regiments-Leute" von jenen „Pseudo-Politici", die „Religion [...] zu einem Staats-Mittel [...] anwenden."[3] Bevor Rango im weiteren Verlauf des Vorwortes


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[1] Ebd., unpag. [S. 11 des Vorworts an Karl XI. von Schweden]: „Sondern wie Sie auch wolle / daß in allen ihren Kirchen und Schulen / die reine unverfälschte Evangelische Warheit erhalten, hingegen Papisten / Cal- vinisten / Syncretisten und allen Rottengeistern / die das Wort Gottes verfälschen / gesteuret und gewehret; d. i. wie Salomo sagt / das gottlose (und mit David / die Fladdergeister) gehasset / und des HERRN Gesetze geliebet werde."
[2] Ebd., unpag. [S. 17 des Vorworts „Geneigter Leser"].


[3] Ebd., unpag. [S. 13f. des Vorworts „Geneigter Leser"]: „Negst [sic] diesem habe ich alle warhaftig-gottsee- lige Politicos erinnern wollen / daß sie sich nicht ärgern mögen / wenn sie in dieser Historia zuweilen die Politicos, mehr von andern Theologis als mir / mit schlechtem Ruhm allegirt finden werden. Denn unter dem Namen alhier gar nicht verstanden werden ehrliche / gewissenhafte Staats- und Regiments-Leute / die Gott fürchten / die Religion zu ihrer Seeligkeit / (nicht aber zu einem Staats-Mittel / wie viele heutiges Tages leyder! thun:) anwenden."​


verschiedene Autoren und deren Definition von Politicos vorstellt, weist er die Lesenden beinahe entschuldigend darauf hin, dass in seiner Schrift der Begriff Politicos negativ konnotiert als abwertende Bezeichnung eben jener zweiten Gruppierung schlechter, falscher, verschlagener Staatsmänner verwendet wird und er darunter aber eben nicht generalisierend die Gesamtheit aller Politiker und Staatsmänner subsumiert, sondern sich eben jener Unterschiede zwischen einem guten Staatsmann und einem Politicos bewusst sei.[1] Diese Politici, die ihre Religion nicht auf dem Fundament einer inneren, geistigen Überzeugung erwählen, sondern sich religiöser Konzepte als Mittel für einen politischen respektive staatlichen Zweck bedienen, betreiben laut Rango eine „Religio Politica und Prudentum"[2], eine politische und vom Verstand geleitete Religion.

Im Gegensatz zu anderen Terminologien wird dem Begriff Religion keine verständnisklärende Aufmerksamkeit zugewendet. Bei der Lektüre der Brevis zeigt sich eine semantische Gleichsetzung des Religionsbegriffs mit dem Ausdruck „Gottesdienst"[3] und zuweilen auch mit dem Begriff „Glaube".[4] Zudem unterscheidet Rango zwischen wahrer und falscher Religion, aus deren Vermischung synkretistische Glaubensvorstellungen resultieren:

„Und was nun hier insbesonderheit vom Syncretismo gesaget ist / daß ist auch von ihm ins gemein war / wo wahre und falsche Religion zusammen geschmiedet wird / [...] da wird allezeit eine Religions-Mengerey."[5]

Der Haupttext beschäftigt sich mit Synkretismus per se, untersucht die Etymologie des Begriffs und stellt hierbei unter anderem den Lesenden verschiedene gebräuchliche Synonyme vor, bevor er auf die unterschiedlichen Erscheinungsformen von Synkretismus in der religiös-kulturellen Menschheitsgeschichte zu sprechen kommt. Unter diesen Synonymen wird auch der Ausdruck „Indifferentismus" erwähnt und auf dessen Verwandtschaft zum Begriff Synkretismus verwiesen.[6]

Im sechsten Kapitel der Brevis thematisiert Rango biblische und historische Könige bis zur Geburt Jesu Christi, die seiner Meinung nach zur Gruppe der Synkretisten, der „Religions-
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[1]Ebd., unpag. [S. 13-17 des Vorworts „Geneigter Leser"].
[2]Die Verbindung zwischen Religio Politica und Religio Prudentum findet sich auch in Daniel Clasens Werk De Religione Politica von 1655, das Rango ausdrücklich im Vorworttext erwähnt.
[3]„Die Sorge und Gedancken über wahre Religion und Gottesdienst" (ebd., unpag. [S. 4 des Vorworts an Karl XI. von Schweden]); „Der Syncretismus sey eine unvorsichtige und unflätige Verwirrung der Religionen und Gottesdienste / von Fleischlicher Vernunft / auß unzeitiger Begierde zum Friede / herrührend" (ebd., S. 24); „So haben auch diese zwey Weiber Esaus / welche in der Göttlichen Lehre nicht recht unterrichtet waren / dem rechten Gottesdienst und wahren Religion wiedersprochen" (ebd., S. 84);
„Und das war ja ein rechter Syncretismus, da neben dem wahren Gottesdienst / der Hethiter Religion auch eingeführt und in Schwang kam / da auch zugleich die Religion und Ceremonien der Hethiter mit (nebst der wahren) gehalten worden" (ebd., S. 86).
[4]„Nicht zugeben / daß falsche Lehre / Unwarheit und gottlosigkeit / unter dem Schein / Namen und Ansehen der Warheit / und also der Wolff unter den Schaffskleidern einschleiche / und die rechte Religions-Einigkeit / so in wahrer / ungeheichelter Einigkeit des Glaubens bestehet / geschwächet werde" (ebd., unpag. [S. 13 des Vorworts an Karl XI. von Schweden]).
[5]Ebd., S. 28f. Der Verwendung des Ausdrucks „Gottesdienst" folgend ist an anderen Stellen auch die Rede von einem wahren gegenüber einem falschen Gottesdienst: „daher der wahre / mit dem falschen Gottesdienst verbunden / der falsche geduldet / ja dieser zuletzt den rechten gantz verschlungen hat" (ebd., S. 70).
[6]Ebd., S. 8f.: „Also wird er [Synkretismus; Anm. Verf.in] genennet Mutua Tolerantia, da er den andern duldet. Consilia de Pace, Moderatio, Coalitio, Fraternitas, Indifferentismus, Neutralitas, Neutralismus [...]." Vgl. hierzu Reimund B. Sdzuj: Zwischen Irenik, Synkretismus und Apostasie. Konversionen Königsberger Gelehrter im konfessionellen Zeitalter, in: Hanspeter Marti, Manfred Komorowski (Hg.): Die Universität Königsberg in der Frühen Neuzeit. Köln 2008, S. 186-223.

Vermenger"[1], zugeordnet werden müssen.[2] In dieser Aufzählung vermeintlicher Synkretisten wendet sich auch Rango unter anderem Jerobeam I. zu und greift zunächst auf eine bereits erwähnte Textstelle aus Johann Conrad Dannhauers Reformirtes Salve und Frieden-Gruß zurück, um den „Syncretismus Jeroboaminus" zu beschreiben:

„Die alte Jüdische / Israelitische / Egyptische / so mit Egyptischen Sitten durch Jerobeam eingeführt / die sind vereinbahret worden unter dem Schein des Friedes [sic] / zu einer Politischen Religion / deren gemeines Symbolum gewest / der GOTT der uns auß Egypten geführet / sol geehret / die Feyertage und Gebräuche sollen nach alter gewonheit gehalten."[3]

Diese von Jerobeam I. gestiftete Ersatztradition und -religion als Kompensation für das verlorengegangene religiöse Zentrum in Jerusalem sei jener Abfall vom Wort Gottes, dessen „rechte Ursach [...] eine Politische"[4] war und von Rango als Politische Religion umschrieben wird. Dieser Begriff unterstreicht die politische Motivation im Falle Jerobeams I., einen „Syncretis- tischen Kälberdienst"[5] zu schaffen, um seine Herrschaft im Norden zu festigen, um eine Abwanderung der Bevölkerung ins feindliche Königreich Juda mit Jerusalem als religiös-kulturelles Zentrum zu vermeiden.

Im Verlauf dieses Textabschnittes expliziert Rango sein Verständnis des Begriffs Politische Religion

„Also ist es noch itzo vielen nicht umb die Religion zu thun / sondern umb die Region. Da muß ihnen auf gut Machiavellisch die Religion nur ein praetextus und Vorwand seyn / oder nach dem Ratio status ist / auch die Religion nur ein Statistisch Mittel werden / die Unterthan in devotion zu halten / mit einem Worte; Jerobeam hatte Religionem Politicam, da sich keiner umb der reinen Lehre willen brennen läst: welche allerley Religion annimbt / und endlich gar keine hat oder behält."[6]

Wie schon Dannhauer taucht auch Rango den Begriff Politische Religion in einen Zusammenhang mit Synkretismus und religiösen Indifferentismus, eine religiös bzw. konfessionell indifferente Haltung, in der Religion anhand der regionalen oder der politischen Umstände, d. h. auf der Basis von rein weltlichen respektive politischen Beweggründen von den Herrschenden gewählt wird. Religion werde von Anhängern einer Politischen Religion zu einem „praetextus", einem Vorwand, einem Scheingrund a la Machiavelli[7] degradiert, indem sie sich einer Religion einzig als Mittel zum Zweck zuwenden, um die Untertanen zu beherrschen statt für sie zu
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[1] Rango: Brevis, S. 11. Dieser synonym gesetzte, abwertende Ausdruck für Synkretismus taucht an mehreren Stellen der Schrift auf. Allerdings handelt es sich hier nur um einen der vielen anderen Bezeichnungen für Synkretismus, die Rango im ersten Kapitel seiner Schrift im Rahmen einer Untersuchung des Begriffs aufzählt; siehe hierzu ebd., S. 8ff.
[2] Ebd., S. 142-250.
[3] Ebd., S. 164. Neben Johann Conrad Dannhauer gibt es noch mindestens eine weitere Inspirationsquelle Rangos für die Verwendung des Begriffs Politische Religion respektive religio politica: Im Einleitungstext zur Brevis und im Umfeld der zitierten Textabschnitte zur Politischen Religion Jerobeams I. verweist er auf die oben bereits erwähnte Schrift De Religione Politica von Daniel Clasen, ohne jedoch wörtlich eine die religio politica betreffende Textpassage aus Clasens Werk zu zitieren (ebd., S. 168).
[4] Ebd., S. 163. Daniel Clasen erwähnt in seiner De Religione politica ebenfalls die biblische Person Jerobeam I. (vgl. etwa Clasen, De Religione politica, S. 227f.).
[5] Rango: Brevis, S. 160: „In Israel fing sonderlich JEROBEAM die ärgste Abgötterey an mit dem Syncretisti- schen Kälberdienst zu Dan und Bethel."
[6] Ebd., S. 165f.
[7] Laut Peter Schröder könnte Machiavellis Verständnis von Religion als eine Entkleidung des Religiösen von jeglicher Transzendenz und Reduzierung auf eine Funktionalität im Dienst einer weltlichen Herrschaft zusammengefasst werden (Peter Schröder: Niccolo Machiavelli. Frankfurt am Main 2004, S. 75f.). Zur Religion bei Machiavelli siehe Alessandro Pinzani: Machiavelli und die Religion, in: Dirk Brantl et al. (Hg.): Philosophie, Politik und Religion. Klassische Modelle von der Antike bis zur Gegenwart. Berlin 2013, S. 91104.

herrschen. An dieser Stelle wird das semantisch verwandtschaftliche Verhältnis zwischen Synkretismus und Indifferentismus bei Rango deutlich. Interessant ist der Wechsel Rangos zur lateinischen Variante religio politica, die auch im weiteren Verlauf seiner Beiträge beibehalten wird. Warum er in seinem sonst deutschsprachigen Text das lateinische Pendant verwendet, gibt der Autor nicht preis.

Erst am Ende des sechsten Kapitels nimmt Rango den Begriff Religio Politica ein letztes Mal auf und fragt:

„wie es denn auch noch so gehet / das Religio Politica, Syncretismus bey viel Grossen / in grossen ansehen ist."[1]

An dieser Stelle wird erneut die Nähe zwischen Synkretismus und dem Begriff Politische Religion innerhalb der Darlegungen Rangos deutlich. Obgleich Rango in seinen religiös-historischen Ausführungen zum Synkretismus zahlreiche weitere biblische Persönlichkeiten beispielgebend anführt, konnte eine direkte Anwendung des Begriffs Politische Religion für andere Personen bzw. Personengruppen - neben Jerobeam I. - nur an einer weiteren Stelle der Brevis gefunden werden:

„Wenn nun der HErr Christus seine Jünger warnet vor dem Saurteig der Phariseer und Sadduceer (die zugleich mit Herodianer waren) so wil Er verhüten / daß sie sich nicht sollen durch Scheinheiligkeit und Heicheley blenden lassen / sich auch vorsehen vor der Religione Politica der Sa- dduceer / sie sollen die Religion nicht nach der Ratione status drehen / der Welt nich heucheln umb der Ehre / Beforderung und anderer Dinge willen / (gleich wie Johannes Herodis nicht schonte in seiner Sünde /) sie sollen nicht etwas lassen ankleben vom Pharisaismo, die durch Wercke / wie die heutigen Papisten / wolten gerecht werden / oder Sadducaeismo, die böse StaatsLeute und Weltlicher Ehre begierig waren."[2]

Diese Textpassage des siebten Kapitels setzt sich mit der Bibelstelle Matthäus 16.5-12 auseinander, worin Jesus Christus seine Jünger vor den Lehren der Pharisäer und Sadduzäer warnt. Letztere werden in der Exegese von Rango in ihren religiösen Wesen als einer religio politica anhängig charakterisiert und diese in einem darauffolgenden Verbotskatalog für moralisches Handeln näher umschrieben. So solle etwa die Religion nicht nach der „Ratione status", d. i. nach der Staatsräson oder um weltlichen Ruhm wie Ehre und (berufliche oder soziale) Beförderung willen gewählt werden.[3]

Die Ähnlichkeiten im Begriffsverständnis von Politische Religion zwischen Dannhauer und Rango sind kaum zu übersehen und verwundern wenig, da Rango zumindest Dannhauers Schrift Reformirtes Salve kannte und daraus zitierte. Die Schriften beider Autoren hätten zweifelsfrei auch in den zuvor vorgestellten Abschnitt zum Deutungsfeld der Politischen Religion als religiösen oder konfessionellen Indifferentismus eingeordnet werden können, allerdings erschienen die Kontextualisierungen zu Jerobeam I. und Herodes als religionshistorische Beispiele einer Person oder Gruppierung, die von beiden Autoren als einer Politischen Religion anhängig
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[1] Rango: Brevis, S. 248.
[2] Ebd., S. 266f.
[3] An einer anderen Stelle thematisiert Rango die „Helcesaiten", denen er einen „Politische[r] Allemanns-Glau- ben" attestiert: „A. C. 251 kamen die HELCESAIten auf / die waren rechte Wetterhanen in der Religion / hatten das Wort Christi nicht gelesen / wer mich verleugnet vor den Menschen etc. denn sie lehrten / es sey nicht unrecht / Christum mit dem Munde verleugnen / wenn man Ihn nur nicht im Hertzen verleugne. Dient gut vor den Politischen Allemanns-Glauben." (ebd., S. 322f.).

charakterisiert wurden, als besonders herausstellungswürdig.[1]

Für die englischsprachige Publikationslandschaft des 17. Jahrhunderts konnte ein Quellenbeleg für die Verwendung des englischen Lehnbegriffs political religion in den Werken des puritanischen Pfarrers Richard Baxter (1615-1691) aufgespürt werden. In seiner 1673 veröffentlichte Abhandlung A Christian Directory, einem Erläuterungs- und Anleitungstext der puritanischen Ethik und für das praktische Leben im englischen Puritanismus, befasst sich der Verfasser unter anderem mit den Ursachen für Mord, deren abscheulichste Ursache nach Baxter im Religiösen begründet liege. In dieser Auseinandersetzung greift er auf die bereits bekannte Bibelgeschichte um Jerobeam I. zurück:

„If the Prophet speak against Jerobeams Political Religion, he will say, Lay hold on him!"[2]

Bemerkenswert an dieser Passage ist die Feststellung, dass der Begriff Politische Religion bzw. political religion im Kontext mit der Bibelgeschichte um Jerobeam I. nicht nur in deutschsprachigen und lateinischen Texten (zum Beispiel Dannhauer und Clasen), sondern eben auch im englischen Sprachraum des 17. Jahrhunderts angewandt wurde und sich damit als recht populäre Kontextualisierung des Begriffs Politische Religion in einem translingualen Rahmen entpuppt.

Gleichwohl handelt es sich bei der Quelle von Richard Baxter um die einzige englischsprachige Publikation, die als Verwendungsbeispiel für den Begriff political religion im 17. Jahrhundert ermittelt werden konnte; erst für das 18. Jahrhundert nehmen die Quellenfunde im englischsprachigen Raum zu, was allerdings nicht unbedingt auf eine tatsächlich erst späte Nutzung des Begriffs in diesem Sprachraum schließen lassen muss.


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[1] Die oben untersuchte Schrift von Daniel Clasen De Religione politica hätte gleichfalls diesem Quellenkonglomerat angeschlossen werden können. Da Clasen die religio politica in Bezug zur religio externa stellte und das Element eines religiösen Indifferentismus in den Hintergrund trat, wurde eine Zuordnung in den entsprechenden Untersuchungsabschnitt favorisiert.
[2] Richard Baxter: A Christian Directory, in: The Practical Works Of the Late Reverend and Pious Mr. Richard Baxter, In Four Volumes. Volume I, London 1707, S. 759.