1.3. Der Zoroastrismus als Politische Religion
Im 18. Jahrhundert wurde eine gegenüber Judentum, Christentum und Islam weitaus weniger bekannte monotheistische Religion in das Verwendungsspektrum des Begriffs Politische Religion aufgenommen: Der nach Zoroaster bzw. Zarathustra (zwischen 1800-600 v. Chr.) benannte Zoroastrismus breitete sich etwa im 7. bis 4. Jahrhundert v. Chr. im iranischen Kulturraum aus und wurde spätestens unter der Herrschaft der Sassaniden zur vorherrschenden Religion etabliert. Der zoroastrische Glaube ist von einem religiösen Dualismus zwischen Gut und Böse geprägt, zwischen dem Schöpfergott Ahura Mazda, begleitet von den Amescha Spenta, den unsterblichen Heiligen, und dem Dämon Ahriman als Manifestation des Bösen. Das heilige Buch
der zoroastrischen Religion ist das Avesta (auch: Zendavesta), das erstmals von dem französischen Orientalisten Abraham Hyacinthe Anquetil-Duperron (1731-1805) in eine europäische Sprache übersetzt wurde.[1] Dieser erleichterte Forschungszugang zu einer fremden, exotisch anmutenden Religion weckte auch das Interesse deutscher Gelehrter.
1789 veröffentlichte der Pastor Friedrich Simon Eckard (gest. 1812) Auszüge aus dem Avesta samt Erläuterungen zum zoroastrischen Religionssystem, das er bereits mit den ersten Sätzen seiner Vormerkung als „in allen seinen Theilen sehr künstlich zusammen gewebt" und als unfähig, die „moralischen Fortschritte der Menschheit"[2] zu befördern, bewertet. Diese einleitende Kritik etwas relativierend gesteht Eckard in einer Fußnote dem Stifter des Zoroastrismus zu:
„Von Zoroaster kann man es nicht eigentlich sagen, daß er eine politische Religion habe stiften wollen, wozu sonst ein so feines Gewebe erfordert wird."[3]
Eckard hebt an dieser Stelle deutlich hervor, dass es wohl nicht die Absicht des Stifters des Zoroastrismus war, mit seiner Lehre eine Politische Religion zu begründen. Die Einfügung des Partikels „eigentlich" könnte als Indiz gewertet werden, dass Eckard die zoroastrische Religion in ihrer Weiterentwicklung nach dem Tod ihres Gründers als Politische Religion charakterisiert; ob dieser Umkehrschluss aus Eckards Darlegungen tatsächlich gezogen werden kann, geben der weitere Textverlauf und die einzige Belegstelle einer Verwendung des Begriffs nicht eindeutig her.
Der deutsche Historiker Arnold Hermann Ludwig Heeren (1760-1842) nutzt den Begriff Politische Religion ebenfalls in Bezug auf die zoroastrische Religion in seinen Ideen über die Politik, den Verkehr und den Handel der vornehmsten Völker der alten Welt, ohne den Lesenden die Semantik des Begriffs zu konkretisieren. Dennoch bietet diese Schrift etwas mehr Material für eine semantische Analyse, da der Begriff im Fließtext aufgegriffen wird und nicht - wie bei Eckard - innerhalb einer in sich geschlossenen Fußnote. Die Geschichte des iranischen Reiches reflektierend betrachtet Heeren unter anderem die zoroastrische Religion, deren Ursprung seines Erachtens nach bis in die „Periode der Medischen Dynastie" zurückreiche. Bei der Entstehung des iranischen Reiches sei das „Medische Hofceremoniel" übernommen worden, das Heeren als „durch jene Politische Religion bestimmt, und also davon unzer- trennlich"[4] charakterisiert. Die Gruppe der Magier und Wahrsager bilde im Zoroastrismus die Priesterkaste, die als „die einzigen Mittelspersonen zwischen der Gottheit und dem Men- schen"[5] wirken und denen allein Ahura Mazda seinen Willen offenbare. Darüber hinaus umgaben sie die Person des Königs als Berater und Zeichendeuter, aber auch als Bewahrer der zoroastrischen Liturgie, die von Heeren als Grundlage und fester Bestandteil des Hofzeremoniells hervorgehoben wird. Vermutlich ist eben diese von Heeren dargestellte enge Verknüpfung zwischen Religion und Politik im iranischen Reich das ausschlaggebende Argument, den Zoroastrismus mit dem Begriff Politische Religion zu charakterisieren.
Der Zoroastrismus gehört - im Vergleich zum Judentum und Islam - eher zu den Exoten
[HR=3][/HR]
[1] Abraham Hyacinthe Anquetil-Duperron: Zend-Avesta, ouvrage de Zoroastre. Paris 1771.
[2] Friedrich Simon Eckard: Ormuzd's lebendiges Wort an Zoroaster oder Zend-Avesta. In einem Auszug nebst einer Darstellung des Religionssystems der Parsen. Greifswald 1789, unpag. [S. 1f.].
[3] Ebd., unpag. [S. 2, Anm.].
[4] A[rnold] H[ermann] L[udwig] Heeren: Ideen über die Politik, den Verkehr und den Handel der vornehmsten Völker der alten Welt. Zweyter Theil. Göttingen 1796, S. 424: „Dieß ward durch jene Politische Religion bestimmt, und war also davon unzertrennlich."
[5] Ebd., S. 422.
innerhalb monotheistischer Religionssysteme und erhielt innerhalb der Forschungs- und Publikationslandschaft weit weniger Beachtung. Zwar wurde das Interesse an der zoroastrischen Religion in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit den ersten europäischen Übersetzungen der heiligen Schrift Avesta entfacht, womit die Lehre Zarathustras für ein breiteres Publikum zugänglich wurde. Dennoch trat der Zoroastrismus nie aus dem Schatten der großen Monotheismen Christentum, Judentum und Islam hervor, weswegen die sehr überschaubare Anzahl von Fundstellen für eine Charakterisierung des Zoroastrismus als Politische Religion wenig verwunderlich ist. Neben Eckard und Heeren konnte lediglich in Johann Gottfried Herders Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit eine Kontextualisierung des Begriffs Politische Religion mit dem Zoroastrismus aufgespürt werden, die im nachfolgenden Unterkapitel eine kurze Erwähnung finden soll.
No Comments