Schuld und Frauenfeindlichkeit
In den vier Evangelien des Neuen Testaments geht es Jesus vor allem um die Sozialethik, wie man sie nennen könnte – um die Frage, wie Einzelne und Gesellschaft einander gerecht und liebevoll gegenübertreten können. Über Geschlechter oder Sexualmoral sagt er sehr wenig. Die christliche Kirche wurde während ihrer Geschichte ausschließlich von Männern geleitet, und manche Konfessionen lassen Frauen bis heute nicht als Geistliche zu. Außerdem wird ihre radikale soziale Botschaft häufig durch konservative Einstellungen zu Empfängnisverhütung, Abtreibung, Sexualität vor der Ehe und Homosexualität überschattet.
Im Laufe der Jahrhunderte wurden viele traditionelle abendländische Einstellungen zur Sexualmoral und zu der Rolle von Männern und Frauen in der Gesellschaft durch das Christentum geprägt. Während aber unsere zunehmend säkulare Gesellschaft toleranter geworden ist, halten die Kirchen an ihren althergebrachten Lehren fest, die häufig als sexualfeindlich und als vorurteilsbeladen gegenüber Frauen gelten.
Nach Ansicht der Kritiker ist Religion für Männer eine Methode des Machterhalts. Viele ehrlich Gläubige entwickeln wegen der immer breiter werdenden Kluft zwischen den Idealvorstellungen ihrer Religion von Sexualität und Geschlechterrollen auf der einen Seite und der Realität ihres Alltagslebens auf der anderen Seite Ängste und Schuldgefühle; dies zeigt sich beispielsweise in den Romanen von Autoren wie Graham Greene, Edna O’Brien, Antonia White und David Lodge.
4. Jahrhundert v. u. Z. Platon betrachtet Leib und Seele als getrennte Gebilde 5. Jahrhundert u. Z. Augustinus warnt vor den Gefahren der Sexualität
| Frauen in Islam und Judentum Im Islam gibt es in Bezug auf Frauen einen Widerspruch zwischen Lehre und Praxis. Der Koran betont die Gleichberechtigung von Männern und Frauen, die von einer einzigen Seele abstammten. Historiker weisen darauf hin, dass Mohammed sich von seinen Frauen beraten ließ und ihnen mehr Rechte einräumte, als es der späteren Tradition entsprach. In manchen muslimischen Ländern haben Frauen bis heute kaum Rechte und Freiheiten; umstritten ist aber, ob dies auf ihrer eigenen Entscheidung oder auf den Vorurteilen der Männer beruht. Als etwa die Taliban-Fundamentalisten in Afghanistan herrschten, verweigerten sie Frauen den Schulbesuch und bestanden darauf, dass sie Körper und Gesicht in der Öffentlichkeit bedeckten. In Saudi-Arabien dürfen Frauen nicht Auto fahren. Im Irak dagegen ist der Frauenanteil im Parlament einer der höchsten der Welt. Auch im Judentum gibt es gegenüber Frauen unterschiedliche Einstellungen, je nachdem, welche Form des Glaubens praktiziert wird. In manchen liberalen jüdischen Gemeinden gibt es weibliche Rabbiner. Orthodoxe Gruppen dagegen verlangen, dass Frauen in der Synagoge in einem abgegrenzten Bereich sitzen, und in ultraorthodoxen Kreisen wird von Frauen erwartet, dass sie rituelle Reinheitsgesetze befolgen; dazu gehören das Verbot der ehelichen Sexualität während der Menstruation und das Bedecken der Haare in der Öffentlichkeit. |
Erst seit ungefähr 100 Jahren lassen die meisten christlichen Konfessionen auch Frauen als Priester und Geistliche zu. Antoinette Brown wurde 1853 die erste freikirchliche Pastorin, 1886 folgten Helenor Alter Davisson bei den Methodisten und 1942 Florence Li Tim-Oi bei den Anglikanern. Die Kirche von England selbst ordinierte erst 1992 zum ersten Mal Frauen. In den anglikanischen Bezirken der Verei-
Antonia White, 1899-1980
13. Jahrhundert u. Z. Thomas von Aquin schreibt über das Naturgesetz 19. Jahrhundert erste Frauen als Geistliche
nigten Staaten und Neuseeland gibt es seit 1989 Bischöfinnen, aber manche Teile dieser Konfession verweigern noch heute, ebenso wie die katholische Kirche, den Frauen das Priesteramt. Dafür werden dreierlei Argumente angeführt: Jesus habe nur männliche Apostel gewählt; der Geistliche stehe anstelle Jesu am Altar und müsse deshalb wie er ein Mann sein; und die Tradition der Kirche schließe Frauen als Priester aus, auch wenn dies nicht ausdrücklich in den Evangelien steht. Die katholische Kirche besteht auch auf dem Zölibat für die Priester (in seltenen Fällen wurden allerdings Ausnahmen zugelassen). In der Frühzeit der Kirche war dies nicht üblich; bis zum Konzil von Trient gab es verheiratete Geistliche. Die Regel wurde erlassen, weil man glaubte, die zölibatär lebenden Mönche in den Klöstern seien für die Gläubigen ein besseres Vorbild als ein Gemeindepriester mit Ehefrau und Kindern. In der katholischen Hierarchie glaubte man, Angehörige würden einen Geistlichen von seinem Amt ablenken; in anderen Kirchen stellte man allerdings fest, dass sich die Rollen als Vater und Pater durchaus miteinander vereinbaren lassen.
| Augustinus und Thomas von Aquin Augustinus (354–430) wurde christlich getauft, entfernte sich aber während seiner ausschweifenden, weltlichen Jugendjahre von der Kirche. Mit 33 Jahren kehrte er, von seiner Mutter, der heiligen Monika, ermutigt, in die Gemeinde zurück und war während seines restlichen Lebens in Nordafrika ein angesehener Bischof und Lehrer. Seine Schriften, insbesondere die Bekenntnisse und der Gottesstaat, haben in katholischen Kreisen bis heute überdauert. Augustinus beschäftigte sich mit Blick auf sein eigenes früheres Leben ausführlich mit dem sündigen menschlichen Fleisch und mit den Gefahren der Sexualität für den Geist. Thomas von Aquin (1225–1274), der wie Augustinus noch heute häufig von Päpsten und Bischöfen zitiert wird, konstruierte im Rückgriff auf die griechischen Philosophen ein rationales Verständnis von Gott als Schöpfer und Quell allen Seins, aller Güte und Wahrheit. In seiner Summa Theologia beschreibt er ein Naturgesetz, das heißt, ein vorgegebenes moralisches Verhaltensmuster, das man bei Tieren beobachten könne, das aber auch bei Menschen vorhanden sei. Dies prägte seine Schriften über die Sexualität der Menschen. „Der Zustand der Jungfräulichkeit“, behauptete er, „ist sogar dem einer dauerhaften Ehe vorzuziehen.“ |
Papst Johannes Paul I‘I., 1994
Gefahren der Sexualität Das Christentum war nicht die erste Religion, die sexuelles Vergnügen für gefährlich hielt. Der griechische Philosoph Platon (424– 348 v. u. Z.) lehrte, der menschliche Körper sei böse, weil er den Geist vom Streben nach der Wahrheit ablenke. Sexualität war für ihn ausschließlich eine körperliche Funktion. Sein Schüler Aristoteles (384–322 v. u. Z.) teilte diese Ansicht; Frauen waren in seinen Augen minderwertig und lenkten die Männer von geistigen Beschäftigungen ab. Aristoteles und Platon trugen entscheidend zu der pessimistischen Einstellung bei, die die meisten christlichen Aussagen zur Sexualmoral bestimmt. Insbesondere Augustinus und Thomas von Aquin nutzten im fünften beziehungsweise 13. Jahrhundert die Schriften dieser Philosophen als Grundlage für ihre eigenen einflussreichen Beiträge zu dem Thema. Noch heute lehren die meisten christlichen Kirchen, dass Homosexualität eine Sünde ist – obwohl Jesus sie in den Evangelien nicht erwähnt. Ebenso halten sie an seiner ausdrücklichen Verurteilung der Ehescheidung fest – eine der wenigen Stellen, an denen sich Jesus zu einem Thema der Sexualmoral äußert –, und die meisten plädieren auch für sexuelle Enthaltsamkeit vor der Ehe. Die katholische Kirche wendet sich gegen die so genannte „künstliche Empfängnisverhütung“ – die Pille, Kondome, Intrauterinpessare –, weil diese nach ihrer Überzeugung die „Übertragung menschlichen Lebens“ behinderten, die der wichtigste Zweck der Sexualität sei. Die unauflösliche Verbindung zwischen Sexualität und der Schaffung neuen Lebens ist auch der Grund, warum die katholische Kirche gegenüber der Homosexualität so feindselig eingestellt ist.
Worum es geht es Frauen und Sex gefährlich
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