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Der gerechte Krieg

Häufig wird behauptet, Religion stehe im Mittelpunkt aller Konflikte auf der Welt. Dies ist ein wichtiger Grund dafür, dass Menschen sich von den religiösen Institutionen abwenden. Die Wurzel des Problems liegt aber oftmals im Verhalten von Eiferern, die an den Rändern der Glaubensgemeinschaften stehen. Die Gläubigen erklären in ihrer Mehrzahl, Konflikte würden von „schlechter Religion“ verursacht. „Gute Religion“, das machen die heiligen Schriften sehr deutlich, lehnt den Krieg ab. Und unter den Glaubensrichtungen, die Kriege unter bestimmten Umständen für gerechtfertigt halten, ist die Liste der Situationen, für die dies gilt, mit der Entwicklung der modernen Kampfmittel und Massenvernichtungswaffen immer kürzer geworden.
Manche Glaubensrichtungen machen sich die völlige Gewaltlosigkeit zu eigen. In den buddhistischen Schriften findet sich der Rat: „Lass in Kriegszeiten in dir den Geist des Mitgefühls wachsen, welcher den Lebewesen hilft, den Willen zu kämpfen aufzugeben.“ Der Dalai Lama, das Oberhaupt der Tibeter (der im Exil lebt, seit die Chinesen seine Heimat besetzten, und der auch den Friedensnobelpreis erhielt), demonstriert durch seinen gewaltlosen Umgang mit den Chinesen in Wort und Tat ständig Buddhas Friedenswillen.
Ahimsa In anderen Religionen ist die Sache nicht so eindeutig. Der Hinduismus verurteilt kriegerische Gewalt in einem Lehrsatz, der auf Sanskrit Ahimsa genannt wird: „Übe keine Gewalt aus.“ (Den gleichen Begriff gibt es auch im Buddhismus und im Jainismus, er hat dort aber eine etwas andere Bedeutung.) Andererseits rangieren aber die Kshatriyas (Krieger) im hinduistischen Kastensystem weit oben. Auch der Guru Nanak setzte sich für den Frieden ein, und viele Sikhs sind heute Pazifisten; dennoch reagierte der Sikhismus im Laufe der Jahrhunderte immer wieder mit dem Einsatz gut ausgebildeter Soldaten auf die Aggression anderer, die ihm die Religionsfreiheit streitig machen wollten.
ca. 1500 v. u. Z. Der Rigveda beschreibt die Moral von Soldaten 426 Augustinus schreibt über den gerechten Krieg

Das Recht auf Selbstverteidigung

Viele Buddhisten nehmen selbst dann keine Waffen in die Hand, wenn sie damit ihr eigenes Leben verteidigen könnten. Mönche verteidigen sich unter Umständen durch Kampfkunst, können aber nie einen anderen Menschen töten. Im Buddhismus erzählt man sich eine Geschichte aus dem Vietnamkrieg (1959–1975). Der berühmte vietnamesische Mönch Thich Nhat Hanh, ein Zen-Buddhist, der 1967 von Martin Luther King für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen wurde, erlebte immer wieder, dass sein Bekenntnis zur Gewaltlosigkeit während des Konflikts infrage gestellt wurde. „Angenommen, irgendjemand hätte alle Buddhisten auf der Welt getötet, und Sie wären der Einzige, der noch übrig ist. Würden Sie nicht versuchen, die Person zu töten, die Sie töten will, um so den Buddhismus zu retten?“ Darauf erwiderte Thich Nhat Hanh: „Es wäre besser, wenn er mich tötet.Wenn im Buddhismus und im Dharma eine Wahrheit steckt, wird sie nicht vom Antlitz der Erde verschwinden, sondern sie wird wieder auftauchen, wenn jene, die nach der Wahrheit suchen, bereit zur Wiederentdeckung sind.Wenn ich töte, würde ich gerade jene Lehren verraten und aufgeben, die ich zu erhalten strebe. Es wäre also besser, wenn er mich tötet und ich dem Geist des Dharma treu bleibe.“


In dem Versuch, die Quadratur des Kreises zu schaffen und die Friedensliebe mit der Fähigkeit zur Abwehr von Aggressoren zu verbinden, stellte der Sikhismus eine Reihe von Prinzipien, Dharam Yudh genannt, für einen „gerechten Krieg“ auf. Ein Konflikt ist legitim, wenn vier Voraussetzungen erfüllt sind: 1. Alle anderen Mittel haben versagt; 2. das Motiv ist weder Rache noch Feindseligkeit; 3. er wird mit geringstmöglicher Gewalt und ohne Schädigung von Zivilisten ausgetragen; und 4. an seinem Ende wird das gesamte eroberte Eigentum einschließlich besetzter Territorien zurückgegeben.
1187 Saladin lässt seine Gefangenen am Leben 17. Jahrhundert Dharam Yudh der Sikhs 1965 Paul VI. „Nie wieder Krieg“

‚Niemand ist mein
Feind. Niemand ist ein
Fremder. Ich bin mit allen
im Frieden. Der Gott in
uns macht uns unfähig
zu Hass und Vorurteil.

Guru Nan‘ak
Der gerechte Krieg Solche Kriteriensammlungen gibt es häufig. Im Rigveda werden die Kriterien des Hinduismus für das ethische Verhalten von Soldaten im Kampf festgeschrieben. Sie dürfen die Spitze ihrer Pfeile nicht vergiften, nicht auf Kranke, Alte, Frauen und Kinder zielen und nicht von hinten angreifen. Auch im Christentum gibt es Regeln für einen „gerechten Krieg“. Im Neuen Testament macht Jesus unterschiedliche Aussagen zu der Frage, ob man zur Lösung von Konflikten auf Gewalt zurückgreifen darf. Im Matthäusevangelium (5, 39) erklärt er: „Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel, sondern: wenn dir jemand einen Streich gibt auf deine rechte Backe, dem biete die andere auch dar.“ Später jedoch wird dieser pazifistische Impuls eingeschränkt; jetzt erklärt er seinen Jüngern (Lukas 22,36): „Aber nun, wer einen Geldbeutel hat, der nehme ihn, desgleichen auch die Tasche, und wer’s nicht hat, verkaufe seinen Mantel und kaufe ein Schwert.“ Die christliche Vorstellung vom gerechten Krieg formulierte Augustinus in seinem Werk Vom Gottesstaat (426 u. Z.). Demnach muss die Aggression, der man begegnet, „dauerhaft, schwerwiegend und sicher“ sein. Alle anderen Mittel müssen versagt haben. Es muss ernsthafte Erfolgsaussichten geben, und schließlich darf der Waffengebrauch keine Übel und Beeinträchtigungen verursachen, die schwerer sind als das Übel, das man beseitigen will.

Der gerechte Krieg im Islam

Viele Muslime widersprechen der heutigen Annahme, der Islam sei grundsätzlich kriegslüstern und schere sich nicht um die Folgen der Konflikte für Unschuldige. Ein solches Bild ist weit verbreitet, seit islamische Fanatiker 2001 die Zwillingstürme des World Trade Centers zerstörten und fast 3000 Menschen töteten. Die Muslime der Hauptrichtung bestreiten, dass hemmungslose Gewalt ein Teil ihrer Geschichte sei. Sie weisen auf eine viel ältere Tradition im Islam hin, in der man nur widerwillig in den Krieg zieht und sich möglichst menschlich verhält. Als Saladin 1187 Jerusalem von den christlichen Kreuzfahrern zurückeroberte, stellte er fest, dass eine Reihe heiliger Stätten des Islam geschändet waren. Dennoch verbot er Racheakte. Die Stadtbewohner, die während der Schlacht in Gefangenschaft gerieten, wurden später gegen Zahlung eines symbolischen Lösegeldes wieder freigelassen.


‚Gewalt und Waffen können die Probleme der Welt
niemals lösen.

Papst Johannes Paul II‘., 2003
In der Vergangenheit wurden mit diesen Kriterien aggressive Feldzüge zur Eroberung von Land und – beispielsweise bei den Kreuzzügen – zur Zwangsbekehrung gerechtfertigt. Die moderne katholische Kirche lehnt Krieg jedoch ab. Nach Ansicht mancher Theologen machen es die Kernwaffenarsenale mit ihrer ungeheuren Zerstörungskraft unmöglich, das vierte Kriterium zu erfüllen. Papst Paul VI. appellierte 1965 in einer historischen Rede an die Vereinten Nationen: „Kein Krieg mehr, nie wieder Krieg!“, und Papst Johannes Paul II. verurteilte 1991 den ersten Golfkrieg bei nicht weniger als 56 Gelegenheiten; 2003 bezeichnete er den Einmarsch in den Irak als „Niederlage für die Menschheit“.
Der Islam Die Religion, die in jüngster Zeit im Zusammenhang mit Krieg vielleicht am stärksten in die Kritik geriet, war der Islam. Dies lag an terroristischen Gräueltaten, die von islamischen Extremisten verübt wurden. Tatsächlich erlaubt der Islam den Krieg aus „edlen“ Beweggründen, das heißt zur Selbstverteidigung und zum Schutz unterdrückter Muslime in anderen Ländern. Dabei dürfen aber Unbeteiligte nicht geschädigt werden, und es ist stets möglichst wenig Gewalt anzuwenden; Kriegsgefangene müssen human behandelt werden. Alle diese Lehren ergeben sich aus Abschnitten des Koran und aus Mohammeds eigenem Verhalten. Meinungsverschiedenheiten bestehen allerdings im Zusammenhang mit den so genannten „Schwertversen“ des Koran, die Krieg nur zur Selbstverteidigung, aber nicht als Mittel zur Verbreitung des Islam gestatten. Manche radikalen Denker vertreten die Ansicht, die vermeintliche Feindseligkeit der modernen Welt gegenüber dem Islam, die insbesondere aus dem Westen komme, erfordere die Selbstverteidigung. Wie dem auch sei: Nach der Lehre des Koran kann es für Krieg auf Erden keine Belohnung geben. Wurde er aus den richtigen Gründen geführt, wird Allah richten, und die Belohnung wird es im Himmel geben.
Worum geht es Krieg ist heute so gut wie nie zu rechtfertigen