Gott und Mammon
Obwohl Jesus sich in seinen Lehren immer wieder für die Armen, die an den Rand Gedrängten und die Besitzlosen einsetzte, wurde die in seinem Namen gegründete christliche Kirche später zu einer der reichsten und mächtigsten Institutionen der Welt. In vielerlei Hinsicht kann man sie als den ersten multinationalen Konzern betrachten. In der gesamten Geschichte der Christenheit war die Beziehung zwischen Gott und Mammon – das in der Bibel verwendete Wort stammt von dem hebräischen Begriff für „Geld“ – immer problematisch.
In ihrer Frühzeit existierte die christliche Kirche an den Rändern der Gesellschaft. Vielfach bestand sie aus Untergrundgruppen, die insbesondere im römischen Reich einer ständigen, blutigen Verfolgung ausgesetzt waren. Strukturen gab es nur in Ansätzen, und ihre Mittel waren knapp. Im Jahr 312 wurde das Christentum dann vom römischen Kaiser Konstantin offiziell als Staatsreligion anerkannt. Damit erhielt die Kirche Zugang zu beträchtlichen Mitteln, was in Rom und anderswo zu einer großen Welle des Kirchenbaus führte. Im vierten und fünften Jahrhundert zerfiel der westliche Teil des römischen Reiches. In dem Chaos, das darauf folgte, gelang es der christlichen Kirche, Macht und Einfluss nicht nur zu behalten, sondern sogar zu erweitern. Dazu schlüpfte sie ins Gewand der weltlichen wie auch der geistlichen Autorität. Unter der Herrschaft geschickter, ehrgeiziger Kirchenführer, etwa unter Papst Gregor dem Großen am Ende des sechsten Jahrhunderts, bekehrte sie viele Heiden, die zuvor zur Zerstörung des alten Reiches beigetragen hatten. Damit legte sie die Grundlage für ein ganz neues politisches System, dessen Mittelpunkt die Kirche bildete. Um das Jahr 800 hatte der Frankenkönig Karl der Große seine Herrschaft über Westeuropa gefestigt; am Weihnachtstag jenes Jahres reiste er nach Rom, kniete vor Papst Leo III. nieder und ließ sich zum Heiligen Römischen Kaiser krönen. Damit stand die christliche Kirche unverkennbar im Mittelpunkt der Weltpolitik.
ca. 64 Petrus, der erste Papst, wird von den Römern hingerichtet 312 Friedensschluss zwischen Kirche und Römischem Reich
Josef Stalin, 1935
Seither gab es in der Beziehung zwischen Kirche und Staat viele Hochs und Tiefs, insgesamt aber spielt das Christentum bis heute auch in weltlichen Angelegenheiten eine akzeptierte und manchmal auch offiziell anerkannte Rolle. Dies führte unter anderem dazu, dass die Kirche große Reichtümer anhäufte; unter ihrer Schirmherrschaft wurden viele außergewöhnliche Bau- und Kunstwerke geschaffen, darunter Michelangelos gewaltiges Fresko Das Jüngste Gericht (1537–1541) in der Sixtinischen Kapelle, die zum Komplex des Papstpalastes im Vatikan gehörte.
Eine Quelle des Widerspruchs Die Beziehung zwischen Kirche und Mammon war nie einfach. Lange Zeit wurde darüber diskutiert, wer das Recht haben sollte, Bischöfe zu ernennen: der lokale Herrscher oder der Papst in Rom. Und die Praxis des Ablasshandels (siehe unten) veranlasste den deutschen Mönch Martin Luther im Jahr 1517, mit dem Katholizismus zu brechen, was letztlich zur protestantischen Reformation führte.
| Der Ablasshandel Im Jahr 1517 bot Papst Leo X. jenen Christen, die Geld für den Neubau des Petersdoms in Rom gespendet hatten, den Ablass an, das heißt die Vergebung ihrer Sünden. Der aggressive Verkauf dieser Vergebung machte den Augustinermönch und Lehrer Martin Luther (1483–1546) so wütend, dass er die Praxis in seinen 95 Thesen angriff: Das darin formulierte Reformprogramm nagelte er der Legende zufolge im Oktober 1517 an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg. In der These 28 zog Luther gegen eine bestimmte Formulierung zu Felde, die beim Verkauf der Ablässe verwendet wurde: „Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer springt.“ Das Einzige, was der Ablasshandel garantiere, hielt Luther dagegen, sei eine Zunahme von Profit und Habgier; die Vergebung jedoch sei allein die Sache Gottes. |
800 Karl der Große wird vom Papst gekrönt 1517 Luther wendet sich gegen den Ablasshandel 1787 Trennung von Kirche und Staat in der Verfassung der Vereinigten Staaten
| Theologie der Befreiung Das Konzept der Befreiungstheologie entwickelte sich in den 1960er Jahren in Lateinamerika und Asien als wissenschaftliche und praktische Ausdrucksform des katholischen Christentums. Die Kirche wurde aufgefordert, dem Beispiel Jesu zu folgen und „sich bevorzugt für die Armen einzusetzen“. Einer ihrer bekanntesten Vertreter, der brasilianische Geistliche Leonardo Boff, schrieb: „Wie können wir in einer Welt der Zerstörung und der Ungerechtigkeiten noch Christen sein? Wir sind nur dann Nachfolger Jesu, wenn wir gemeinsame Sache mit den Armen machen und das Evangelium der Befreiung verkünden.“ Diese Botschaft löste heftige Kontroversen aus. Boff wurde in den 1980er Jahren vom Papst mundtot gemacht und legte später sein Priesteramt nieder. Nach Ansicht der Kirchenführung im Vatikan ist die Befreiungstheologie ein zu politisches Evangelium und birgt die Gefahr in sich, das Christentum mit dem Marxismus zu infizieren. Papst Johannes Paul II. bekräftigte 1986 das Ziel, sich für die Armen einzusetzen, betonte aber, dies dürfe nicht mit politischen Mitteln geschehen, sondern indem man jedem Einzelnen helfe, zu einem sündenfreien Leben zu finden |
In manchen Ländern, beispielsweise in Großbritannien, ist die Kirche nach wie vor ein Verfassungsorgan und erhält staatliche Mittel. In den letzten Jahrhunderten wurden aber die offiziellen Verbindungen zwischen Kirche und Staat in mehreren, zuvor offiziell christlichen Staaten – insbesondere in Frankreich – gelockert; in anderen, so in den Vereinigten Staaten, ist die Trennung zwischen beiden in der Verfassung festgeschrieben. Anderswo schränken Regierungen die Tätigkeit der Kirche ein. In China zum Beispiel gründeten die kommunistischen Behörden eine staatlich kontrollierte Chinesische Katholische Patriotische Vereinigung, um damit den „Einfluss von außen“ der Kirche in Rom auf ihre Bevölkerung zu verringern.
John Wesley, ca. 1780 ‘
Ein himmlischer Funke Welch großen politischen Einfluss das Christentum nach wie vor hat, wurde während der Amtszeit von Papst Johannes Paul II. (1978– 2005) besonders deutlich. Viele Menschen meinten, von ihm sei der „himmlische Funke“ ausgegangen, der seit 1989 in Osteuropa einschließlich seiner polnischen Heimat die Revolutionen zur Abschaffung des Kommunismus in Gang setzte. Berichten zufolge arbeitete er zur Erreichung dieses Ziels eng mit der US-Regierung zusammen. In anderen Bereichen jedoch war Johannes Pauls gesellschaftlicher und politischer Einfluss umstritten. So beharrte er beispielsweise darauf, dass die Lehre der Kirche den Gebrauch von Kondomen zur Verhütung von AIDS verbot; dies hatte nach Ansicht vieler Gesundheitsorganisationen große Auswirkungen auf die Bemühungen der Regierungen und der internationalen Gemeinschaft, die Pandemie insbesondere in Afrika einzudämmen. Die Beziehung zwischen Kirche und Staat ist bis heute Gegenstand von Kontroversen und Diskussionen.
Worum geht es Religion ist Politisch
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