Konfuzius und die Kommunisten
Konfuzius hinterließ seinen Anhängern einen umfangreichen Fundus philosophischer Gedanken. Spätere Generationen seiner Jünger vollbrachten die Leistung, daraus eine Religion zu machen, die in China zu einem Teil des gesellschaftlichen und politischen Systems wurde. Eine solche Partnerschaft mit den weltlichen Autoritäten brachte zwangsläufig Konflikte und Schwierigkeiten mit sich, insbesondere, nachdem sich 1949 die kommunistische Volksrepublik China gebildet hatte. Während der „Kulturrevolution“ zwischen Mitte der 1960er und Mitte der 1970er Jahre wurde der Konfuzianismus angegriffen und verfolgt, in jüngerer Zeit hat er jedoch wieder an Einfluss gewonnen.
Einen Anteil daran, dass Konfuzius’ Gedanken zu einem System wurden, hatte auch seine Familie. Sein Enkel Zisi führte die philosophische Schule nach dem Tod des Großvaters weiter, und noch heute wird einer seiner direkten Nachkommen, der Kung Tsui-chang heißt und in Taiwan lebt, als 79. Nachfahre in einer Reihe verehrt, die bis zu Konfuzius zurückreicht. Vor allem aber sorgten seine Schüler – insbesondere Mencius (372–289 v. u. Z.) und Xun Zi (312–230 v. u. Z.) – dafür, dass Konfuzius dauerhafte Spuren in der chinesischen Kultur hinterließ. Sie ordneten seine Lehren und machten daraus eine religiöse und gesellschaftliche Kraft. Als der König von Qin 221 v. u. Z. die Nachbarstaaten eroberte und sich zum Kaiser Shi Huang Di von China ausrief, war der Konfuzianismus bereits eine einflussreiche Bewegung. Sie war sogar so stark, dass Huang Di darin eine Bedrohung für seine Herrschaft sah: Er befahl, alle Bücher von Konfuzius zu verbrennen und dessen Anhänger lebendig zu begraben.
478 v. u. Z. erster konfuzianischer Tempel 372 v. u. Z. Geburt des Mencius
| Mencius Mencius wird häufig als berühmtester Konfuzianer nach Konfuzius bezeichnet. Traditionell gilt er als Schüler von Zisi, dem Enkel des Meisters. Eine Legende berichtet, wie Mencius als Kind dreimal umzog, weil seine Mutter das richtige Umfeld suchte, indem er studieren konnte. Der Konfuzianismus räumt der Bildung einen hohen Stellenwert ein. Nach Konfuzius’Vorbild reiste Mencius mehr als 40 Jahre lang durch China, lehrte und erteilte den Herrschern Ratschläge, wenn sie wissen wollten, wie sie sich gegenüber ihren Untertanen moralisch verhalten sollten. Mencius hielt wie Konfuzius am Glauben an die Hierarchie von Herrschern und Beherrschten fest, fügte aber einen neuen Gedanken hinzu:Wenn die Verantwortlichen nicht moralisch handelten und ihren Untertanen nicht mit Respekt begegneten, hätten diese das Recht, den Herrscher zu stürzen. Mencius’ Gespräche mit Herrschern wurden in den Vier Büchern festgehalten, die später großen Einfluss auf den Neokonfuzianismus gewannen. Insbesondere mit der Vorstellung, dass die Menschheit von Natur aus gut sei, von der Gesellschaft aber zu falschem Verhalten verführt werde, ging Mencius wiederum über die Gedanken des Meisters hinaus. |
Huang Di machte sich in seiner Staatsphilosophie die damals herrschende Ideologie des Legalismus zu eigen. Diese beinhaltete eine Reihe pragmatischer Prinzipien, welche den Herrschern das Recht zubilligten, das für sie Nützliche zu tun, statt im Interesse ihrer Untertanen zu handeln, wie Konfuzius es befürwortet hatte. Die neue Lehre erwies sich aber als unpopulär, und als der Kaiser zwei Jahrzehnte später durch die Han-Dynastie gestürzt wurde, erlebten die konfuzianischen Prinzipien einen Aufschwung.
Konfuzius (zitiert bei der Eröffnung der Olympischen Spiele in Peking ‘2008)
ca. 200 v. u. Z. die Han-Dynastie fördert den Konfuzianismus ca. 1200 u. Z. Zhu Xi und der Neo-Konfuzianismus 1960er Jahre Kulturrevolution 2008 Ausspruch des Konfuzius wird bei den Olympischen Spielen in Peking zitiert
Konfuzius ‘
Die Han-Dynastie blieb bis ins Jahr 220 u. Z. bestehen und bestätigte den Konfuzianismus als Religion: Sie erhob Konfuzius in den Status eines vollkommenden Denkers, dessen unbestreitbare Lehre man lernen, studieren und letztlich anbeten sollte.
Neo-Konfuzianismus Diese herausgehobene Stellung blieb noch lange nach dem Sturz der Han-Dynastie bestehen, aber der Konfuzianismus machte während dieser Zeit einen Wandel durch. Insbesondere Zhu Xi (1130–1200) interpretierte Konfuzius’ Fünf Klassiker radikal neu und legte damit die Grundlage für den Neo- Konfuzianismus, wie er heute genannt wird. Er öffnete den Konfuzianismus für buddhistische und taoistische Einflüsse, so dass diese drei Strömungen sich insbesondere im Hinblick auf Rituale und die Sorge um die Seele teilweise vermischten; die buddhistischen Vorstellungen von Karma und Wiedergeburt machte er sich allerdings nicht zu eigen. Das Magazin Life stufte Zhu Xi in einer Liste der wichtigsten Menschen des letzten Jahrtausends an 45. Stelle ein.
| Konfuzianische Tempel Der älteste und größte konfuzianische Tempel befindet sich in Qufu, wo Konfuzius geboren wurde und starb. Das Bauwerk wurde 478 v. u. Z. errichtet, ein Jahr nach Konfuzius’ Tod, und hatte neun Innenhöfe. Bei den meisten anderen konfuzianischen Tempeln sind es nur zwei oder drei. Wie es der ursprünglichen Vorstellung des Meisters entsprach, geht es in diesen Tempeln nicht nur um Anbetung, sondern ebenso stark auch um Bildung – in der Regel ist eine Schule angeschlossen. Anders als der Buddhismus vermeidet der Konfuzianismus bildliche Darstellungen; deshalb gibt es in den Tempeln kaum einmal Bilder des Meisters. Als wichtig und anbetungswürdig gilt nicht der Mann selbst, sondern seine Idee. An seinem Geburtstag ruft die staatlich finanzierte Kultgemeinschaft in China zu Opfern auf und inszeniert öffentliche Feiern. Bei diesen Gelegenheiten wird auch der alte Achtreihentanz aufgeführt, an dem acht Reihen von jeweils acht Tänzern mitwirken. Er geht auf Zeremonien zurück, mit denen früher die chinesischen Kaiser geehrt wurden. |
Da das konfuzianische Denken in China fast zwei Jahrtausende lang die Grundlage für eine autokratische Herrschaft gebildet hatte, wurde es natürlich zum Angriffspunkt für die chinesischen Kommunisten, die 1949 an die Macht kamen. Man warf Konfuzius eine „feudale Mentalität“ vor. Das „Kleine Rote Buch“ – auch als „Mao-Bibel“ bekannt – des Vorsitzenden Mao Tsetung trat als Kernstück der nationalen Philosophie an die Stelle von Konfuzius’ Schriften und sollte mit der gleichen bedingungslosen Hingabe behandelt werden. Wer ein Exemplar bei sich trug und den Inhalt laut vortrug, konnte damit rechnen, in der Parteihierarchie voranzukommen.
Rehabilitation In Wirklichkeit war Konfuzius nicht zwangsläufig der Gegenpol zu den kommunistischen Grundsätzen. Seine Überzeugung, dass das Wohl der Gruppe oder Gemeinschaft höher einzustufen sei als die Rechte des Einzelnen, passte gut zur kommunistischen Gedankenwelt, und in den 1980er Jahren wurde er in China rehabilitiert. Sein Geburtstag wird heute im ganzen Land gefeiert, und die chinesischen Kommunistenführer zitieren ihn regelmäßig in ihren Reden. Von einer populären Version seiner Schriften, die der chinesische Wissenschaftler Yu Dan 2008 herausbrachte, wurden mehr als zehn Millionen Exemplare verkauft, und auf dem Gelände der angesehenen Tsinghua-Universität in Peking, wo früher eine Statue des Vorsitzenden Mao stand, befindet sich heute ein Standbild des Konfuzius. Für moderne Chinesen ist er ein Junzi – ein Heiliger, Gelehrter und „vollkommener Gentleman“. Die Statue symbolisiert die Bedeutung des Konfuzianismus als ein unverzichtbarer Bestandteil des politischen, wissenschaftlichen, gesellschaftlichen und religiösen Lebens im heutigen China. Chinesen betrachten Konfuzius’ Gedanken noch heute mit religiösen Gefühlen, obwohl er – was die Wissenschaftler immer wieder betonen – nicht vorhatte, eine Religion zu gründen.
Worum geht es Der Konfuzianismus prägt noch heute die chinesische Gedankenwelt
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