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Religion und Naturwissenschaft

Zwischen der Religion und den Naturwissenschaften herrscht seit langem ein angespanntes Verhältnis. In der Religion geht es um Glauben, in der Wissenschaft um Beweise. Keine der großen Religionen behauptet, sie könne nach den empirischen Maßstäben der Naturwissenschaften „beweisen“, dass es eine Gottheit gibt, aber ihre Anhänger glauben dennoch daran. Manche Wissenschaftler – insbesondere der Evolutionsbiologe Richard Dawkins – behaupten deshalb, der Glaube sei nicht seriös oder rational begründet und habe in der modernen Welt keinen Platz.
Früher hatten Religion und Wissenschaft viel mehr Gemeinsamkeiten, und in manchen Glaubensrichtungen ist das noch heute so. Der Buddhismus beispielsweise lehnt jede Wissenschaftsfeindlichkeit ab und befürwortet die unvoreingenommene Erforschung der Schöpfung einschließlich der Menschheit selbst. Bei den Bahai ist es ein zentraler Grundsatz, dass eine Harmonie zwischen Wissenschaft und Religion bestehen muss: Religion ohne Wissenschaft ist Aberglaube,Wissenschaft ohne Religion ist Materialismus.
Glaube und Vernunft In der Geschichte der Religion gab es immer wieder Phasen, in denen keine Abgrenzung zwischen Glauben und Vernunft zu erkennen war. Thomas von Aquin pries im 13. Jahrhundert in seiner Summa Theologica die Erforschung der Natur. Zwischen dem achten und 14. Jahrhundert erlebte die naturwissenschaftliche Forschung unter dem Islam eine Blütezeit. Zu jener Zeit wurden die Algebra, Algorithmen und Alkalimetalle entdeckt, die bis heute Kernstücke von Mathematik, Physik, Informatik und Chemie bilden. Auch im Hinduismus wurde die Mathematik gefördert: Operationen mit Quadraten, Kuben und Wurzeln finden sich in heiligen vedischen Texten, die bis ins Jahr 1000 v. u. Z. zurückreichen.
ca. 1000 v. u. Z. vedische Arithmetik 8. bis 14. Jahrhundert Goldenes Zeitalter des Islam

Islam und Naturwissenschaft

Die Zeit vom achten bis 14. Jahrhundert wird häufig als „Goldenes Zeitalter des Islam“ bezeichnet. Damals leisteten Gelehrte aus islamischen Ländern einen großen Beitrag zu den wissenschaftlichen Kenntnissen der Welt. Ihre Inspiration bezogen sie vermutlich aus einem Vers im Koran: „Er hat euch gelehrt, was ihr nicht wisst.“ Das interpretierte man als Aufforderung, Wissen zu erwerben. Auf den Gebieten der Astrologie, Geographie und Mathematik machte man wichtige Fortschritte; unter anderem wurde die Algebra entwickelt, die dazu geführt haben soll, dass man die islamischen Erbgesetze verstand.


Im Christentum galt die Naturwissenschaft bis weit ins Mittelalter hinein als Unterdisziplin der Religion, und man bemühte sich, ihre Entdeckungen mit den Lehren der Kirche in Einklang zu bringen. Dies wurde jedoch immer schwieriger und warf das Thema auf, das bis heute im Mittelpunkt der Meinungsverschiedenheiten zwischen Religion und Wissenschaft steht: Sie bedienen sich ganz unterschiedlicher Methoden. Auf der einen Seite steht das, was den Gläubigen offenbart wird, auf der anderen das, was der Wissenschaftler beobachten kann.
Galileo Galilei Das prominenteste Opfer der Spaltung zwischen Religion und Wissenschaft war der toskanische Physiker, Mathematiker und Astronom Galileo Galilei (1564–1642), der heute häufig als „Vater der modernen Naturwissenschaft“ bezeichnet wird. Galilei war Christ und mit Päpsten befreundet; er wurde aber angegriffen, als er öffentlich erklärte, die Erde kreise um eine unbewegte Sonne. Die Kirche orientierte sich am Alten Testament und lehnte seine Haltung offiziell ab, viele Führungspersönlichkeiten räumten aber insgeheim ein, dass Galilei Recht hatte.
1633 Galilei ist mit der Inquisition konfrontiert 1859 Darwin: Die Entstehung der Arten 2006 Dawkins: Der Gotteswahn

Jyotish-Vedan‘ga (vedischer Text), ca. 1000 v. u. Z.
Im Jahr 1633 wurde er vor die Inquisition zitiert, zum Widerruf seiner Ansichten gezwungen und für den Rest seines Lebens unter Hausarrest gestellt. Seine Schriften waren bis 1718 verboten und blieben bis 1835 auf dem kirchlichen Index der verbotenen Bücher. Papst Johannes Paul II. jedoch, der die Beziehung zwischen Religion und Wissenschaft auf eine neue Grundlage stellen wollte, sprach 1992 öffentlich sein Bedauern darüber aus, wie die Kirche Galilei behandelt hatte.
Aufklärung Noch größer wurde die Kluft zwischen Religion und Wissenschaft mit der Aufklärung im 18. Jahrhundert. In seinem 1859

Untersuchungen zur Wirksamkeit von Gebeten

Wenn es einen Gott gibt, so eine Überlegung von Wissenschaftlern, müssten Gebete zu diesem Gott einen messbaren Effekt haben. Die Frage wurde mehrfach untersucht, klare Befunde gibt es aber kaum. Einer der ersten, der solche Forschungen vornahm, war der viktorianische Intellektuelle Sir Francis Galton. Er äußerte folgenden Gedanken: Da die britische Königsfamilie regelmäßig in die Gebete ihrer treuen Untertanen eingeschlossen werde, müssten ihre Mitglieder eigentlich länger leben als der Rest der Gesellschaft. Da das nicht der Fall war, zog er den Schluss, Gebete seien unwirksam. Spätere Forschungsprojekte mit „Gebeten Dritter“ – man betete für Kranke – zeigten, was die Folgen für die Patienten anging, ganz unterschiedliche Ergebnisse. Die wissenschaftlichen Untersuchungen über die Auswirkungen der Aktivitäten von Geistheilern ergaben keinen Beweis, dass diese ihre erklärten Ziele erreichten, aber die Untersuchung von Bernardi, über die im Jahr 2001 vielfach berichtet wurde, legte den Verdacht nahe, dass herzkranke Gläubige durch Gebete oder das Aufsagen von Yoga-Matras ihren Blutdruck senken können.

erschienenen Werk Origin of Species (dt. Die Entstehung der Arten) wies Charles Darwin nach, dass alle Lebewesen der Erde im Laufe der Zeit durch Evolution und natürliche Selektion – das heißt durch das Überleben des Geeignetsten – aus gemeinsamen Vorfahren hervorgegangen sind. Damit setzte er sich in direkten Widerspruch zum Schöpfungsbericht im Buch Genesis, was ihm die lautstarke Feindseligkeit der Christen einbrachte. Einer der wortgewaltigsten Kritiker Darwins war Samuel Wilberforce, der anglikanische Bischof von Oxford. In einer berühmt gewordenen Diskussion, die 1860 in Oxford vor über 1000 Zuhörern stattfand, geriet Wilberforce mit dem Biologen Thomas Huxley aneinander, einem engen Vertrauten Darwins. Wilberforce wollte von Huxley wissen, ob er von Seiten seines Großvaters oder seiner Großmutter von einem Affen abstamme? Darauf erwiderte Huxley, er schäme sich nicht, einen Affen als Vorfahren zu haben, aber er schäme sich für seine Verwandtschaft mit einem Mann wie Wilberforce, der seine geistigen Gaben dazu benutze, die Wahrheit zu verschleiern. Darwin selbst war nicht der Typ, der die Religion abgelehnt hätte, und vermied deshalb solche unmittelbaren Konfrontationen. Er meinte: „Mir scheint es (zu Recht oder zu Unrecht), dass direkte Argumente gegen Christentum und Gottesglauben kaum Wirkung auf die Öffentlichkeit haben; die Freiheit des Denkens fördert man am besten durch die allmähliche Erhellung des Geistes der Menschen, welche aus dem Fortschritt der Wissenschaft erwächst.“
Integration oder Unabhängigkeit? Im 20. Jahrhundert kam es zu einer Wiederannäherung. Der französische Jesuit und Paläontologe Pierre Teilhard de Chardin (1881–1955) bemühte sich, die Evolutionstheorie mit dem biblischen Bericht über die Erschaffung der Welt durch Gott in Einklang zu bringen. Er glaubte, man könne Religion und Wissenschaft zusammenführen.
Es gibt mindestens drei Arten der Annäherung an die Frage nach dem Verhältnis von Religion und Wissenschaft: unter dem Aspekt des Dialoges, der Unabhängigkeit und des Konflikts. Im Dialog setzen sich Geistliche, Theologen und Wissenschaftler an einen Tisch und sondieren ihre Meinungsverschiedenheiten. Schätzungsweise 40 Prozent der Naturwissenschaftler hängen irgendeiner Form religiösen Glaubens an. Wer an die Unabhängigkeit glaubt, erkennt an, dass Religion und Wissenschaft in „nicht überlappenden Bereichen“ existieren, wie der amerikanische Evolutionsbiologe Stephen Jay Gould (1941–2002) es formulierte. Mit anderen Worten: Sie beschäftigen sich mit völlig verschiedenen Aspekten des menschlichen Daseins. Ein Musterbeispiel für den Konflikt ist der 2006 erschienene Bestseller The God Delusion (dt. Der Gotteswahn), in dem der Wissenschaftler Richard Dawkins aus Oxford einen Frontalangriff auf die Religion unternimmt. Der Glaube an einen persönlichen Gott ist in seinen Augen eine Art geistige Störung, ein Wahn, der sich trotz aller Belege für das Gegenteil hartnäckig hält. Er erläutert diese Belege und wirft der organisierten Religion vor, sie beeinträchtige den Fortschritt der Naturwissenschaften.
Worum geht es Religion und Naturwissenschaft bleiben Gegenpole