Der Missionsdrang
Das Bedürfnis zu missionieren gibt es in vielen Religionen als tief verwurzelten Auftrag, möglichst vielen Menschen die eigenen Überzeugungen nahezubringen. Die Missionierung gehörte aber in Vergangenheit und Gegenwart auch häufig zu den umstrittensten Tätigkeiten religiöser Gemeinschaften. Im mittleren und südlichen Afrika beispielsweise wurden die Spannungen zwischen christlichen und muslimischen Gemeinschaften verschärft, weil beide Seiten sich bemühten, andere zu bekehren – manchmal auch mit Gewalt.
Die biblische Aufforderung „geht hin und lehret alle Völker“ war dem Christentum von Anfang an ein zentrales Anliegen. Auch der Islam wurde in den ersten Jahren nach Mohammeds Tod sehr schnell nach Nordafrika und Spanien verbreitet, und die buddhistischen Wandermönche brachten ihren Glauben nach China, Tibet und Japan. Alle wandten friedliche Mittel an und lehnten Zwangsbekehrungen ab. Wenn aber Religion untrennbar mit politischer Macht verbunden war wie im christlichen Europa, im islamischen Kalifat und in China, wo die Herrscherdynastien den Konfuzianismus und Taoismus übernahmen, hatte die Entscheidung, ob man sich bekehren lässt, zwangsläufig Auswirkungen auf das tägliche Leben. Wer auf dem Territorium des Kalifats den Islam ablehnte, musste Steuern zahlen, ansonsten herrschte aber Toleranz. Heiden und Juden, die sich außerhalb des Christentums stellten, während die Allianz von Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und Papst in Europa herrschte, hatten Verfolgung und die Inquisition zu fürchten. Und wenn der Kaiser in China den Taoismus bevorzugte, wurden Konfuzianer zur Zielscheibe, und umgekehrt
1. Jahrhundert u. Z. Die Apostel Jesu verbreiten die „Frohe Botschaft“ 5. Jahrhundert u. Z. Buddhistische Mönche missionieren in China
Die Neue Welt Nach der Entdeckung der „Neuen Welt“ durch Christoph Kolumbus 1492 kamen mit den Konquistadoren spanische katholische Priester und Nonnen dorthin. Sie standen vor einem Problem, mit dem Missionare sich seither immer auseinandersetzen müssen. Sie waren aufrichtig bemüht, den Einheimischen ihren Gott nahezubringen, wobei sie häufig vorhandene Religionen hinwegfegten, aber für die eroberten Völker waren sie gleichzeitig ein Teil der Unterdrückung. Manche wie der spanische Priester Bartolomé de las Casas – der als „Verteidiger der Indianer“ bezeichnet wurde, weil er sich dagegen wandte, dass die ersten spanischen Kolonialbehörden die Einheimischen wie Sklaven behandelten – vertraten die Ansicht, Religion könne Eroberer und Eroberte nicht mit zweierlei Maß messen, aber viele andere hatten solche Skrupel nicht. Die Bekehrung zum Christentum diente als Mittel, um die einheimische Bevölkerung – und die aus Afrika importierten Sklaven – gefügig zu machen. Dennoch fasste die katholische Kirche im spanischen Kolonialreich – dem heutigen Mittel- und Südamerika – Fuß, sie konnte jedoch die vorhandenen Religionen nicht völlig verdrängen. Das Ergebnis war ein Synkretismus – die Vermischung verschiedener Religionen –, was die Missionsbestrebungen in vielen Regionen der Welt bis heute erschwert. In Brasilien zum Beispiel, das von den Portugiesen im Wesentlichen nach den gleichen Prinzipien erobert wurde wie andere Länder von den Spaniern, gedeiht die Religion des Candomblé heute neben dem Katholizismus, und beide haben dieselben Anhänger. Zu dieser Mischung aus von Sklaven mitgebrachten altafrikanischen Ritualen und katholischen Elementen bekennen sich heute rund zwei Millionen Menschen; ihr Zentrum liegt in der Stadt Salvador da Bahia im Nordosten des Landes.
David Livingstone, 1813–187
7. Jahrhundert u. Z. Mohammeds Schüler verbreiten den Islam 1492 „Entdeckung“ Amerikas 19. Jahrhundert Höhepunkt der europäischen Missionstätigkeit
| Santería Die Santería ist ebenfalls eine synkretistische Religion, die sich während der europäischen Kolonisierung Amerikas entwickelte. Ihr Schwerpunkt liegt heute in Kuba, sie hat aber auch in den Vereinigten Staaten eine beträchtliche Zahl von Anhängern. In der Santería vermischen sich religiöse Überzeugungen von Katholiken, Afrikanern und amerikanischen Ureinwohnern. Sie lehrt, dass ein Gott namens Obatala über allen anderen Gottheiten, den Orishas, steht. Zur ihren Ritualen gehören Exorzismus und Tieropfer, und sie wurde mit dem Voodoo in Verbindung gebracht. Früher bemühten sich die katholische Kirche und die Kolonialbehörden, sie auszurotten; deshalb entwickelte sich in der Santería ein System, mittels dessen die Orishas nach christlichen Heiligen benannt wurden, so dass man ihre wahre Identität geheimhalten konnte. Beispielsweise ist Babalu- Aye, der Santería-Gott der Kranken, auch als heiliger Lazarus bekannt. |
In den meisten modernen Gesellschaften ist die Religionsfreiheit als grundlegendes Menschenrecht anerkannt, aber das hat der Missionsarbeit keineswegs ein Ende bereitet. Die großen Religionsgemeinschaften bemühen sich heute in der Öffentlichkeit und im privaten Umfeld um die Förderung von Verständnis und Respekt, aber sie streben nach wie vor auch Bekehrungen an.
Friedliche Koexistenz Nicht alle Religionen folgen solchen Prinzipien. Im Judentum gibt es zwar einen offiziellen Bekehrungsprozess, ihm fehlt aber die eifrige Massenmission, die es in manchen Zweigen der beiden anderen monotheistischen Religionen, des Christentums und des Islam, gibt. Die Ursache hierfür liegt in den früheren Versuchen anderer Glaubensrichtungen, Juden mit Gewalt zu bekehren. Gleichzeitig fordern manche Religionen von ihren Anhängern kein exklusives Bekenntnis, sondern diese können auch mehreren Glaubensrichtungen angehören. Im Christentum akzeptieren die Baptisten, dass die Teilnehmer ihrer Gottesdienste Verbindungen zu anderen Konfessionen haben. Die Bahai, die in jüngerer Zeit zu den erfolgreichsten Missionaren gehören, erkennen im Rahmen ihres absoluten Respekts gegenüber allen Religionen an, dass Bekehrte auch Verbindungen zu anderen Glaubensrichtungen beibehalten. Und der japanische Schintoismus existiert im Leben vieler Menschen friedlich neben dem Buddhismus: Manche Japaner entscheiden sich beispielsweise bei der Taufe für eine schintoistische und beim Begräbnis für eine buddhistische Zeremonie.
| Der Geist der Selbstaufopferung Wie man auch ethisch zu den Bestrebungen stehen mag, Menschen zu bekehren: Die Missionare, welche die europäischen Kolonialherren begleiteten, hatten zweifellos Mut und waren bereit, für ihren Glauben zu sterben. Manche führten ihre persönlichen Habseligkeiten sowie eine große Zahl von Bibeln und Gesangbüchern in sargförmigen Reisekoffern mit sich. Sie rechneten damit, in Erfüllung ihrer Aufgabe ums Leben zu kommen, und in vielen Fällen geschah das auch – entweder durch Krankheit oder, in einigen unglücklichen Fällen, als Märtyrer von der Hand derer, die sie erretten wollten. Ein solches Schicksal galt in der militant-missionarischen Geisteswelt als „Erfüllung von Gottes Ziel“, wie es in einem klassischen Missionslied von 1894 heißt. |
Unruheherde Missionsbestrebungen können auch heute noch zu Konflikten führen. In Indien hegen viele Hindus einen starken Widerwillen gegen christliche Missionare, denn deren Tätigkeit zerstört nach ihrer Auffassung das Gefüge der indischen Gesellschaft. In jüngerer Zeit führten solche Ressentiments zu Gewalttaten: Hinduistische Religionsführer warfen den christlichen Missionaren vor, sie würden ihre Götter verunglimpfen. Große öffentliche Aufmerksamkeit erregte ein Zwischenfall im Januar 1999. Damals verbrannten der christliche Missionar Graham Staines aus Australien und seine beiden kleinen Söhne im Bundesstaat Orissa bei lebendigem Leibe, als sie in ihrem Wohnmobil schliefen. Vorher hatte man dem Missionar Bekehrungsbestrebungen vorgeworfen. Besondere Unruhe stiften einige neue Kirchen und Gruppen, die an den fundamentalistischen Rändern der großen Religionen angesiedelt sind – auch hier insbesondere Christentum und Islam – und ganz offen zur Massenbekehrung aufrufen. Manche islamische Gruppen verfolgen beispielsweise in europäischen Staaten ausdrücklich das Ziel, die muslimische Bevölkerung zu vergrößern und die Möglichkeit zur Gründung islamischer Staaten zu schaffen, die nach den Gesetzen der Scharia regiert werden sollen. Die Muslime der Hauptrichtung lehnen solche Ziele ab und bemühen sich stattdessen darum, Toleranz und Verständnis zwischen den Religionen zu fördern.
Worum geht es Ich will ,dass alle das Gleiche Glauben wie ich
No Comments