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Das gottförmige Vakuum

Im Allgemeinen wird der französische Philosoph Blaise Pascal als Urheber der Idee von einem „gottförmigen Vakuum“ genannt. In seinen im 17. Jahrhundert erschienenen Pensées beschreibt er einen im Inneren jedes Menschen vorhandenen grenzenlosen Abgrund, eine Leere, die danach strebt, gefüllt zu werden. Das Konzept reicht aber viel weiter in die Vergangenheit, nämlich bis zu den Ursprüngen des Lebens auf der Erde. Nach Ansicht vieler Menschen ging die Entstehung des religiösen Impulses – jenes mächtigen Bedürfnisses, im Dasein einen tieferen Sinn zu finden – Hand in Hand mit der Entstehung der Menschheit.
Ernsthafte Gläubige behaupten natürlich, Gott sei zuerst dagewesen und habe Männer und Frauen geschaffen, damit sie die Erde bevölkern. „Am

Die Entstehung des Gottesbegriffs

Viele Historiker und Theologen haben zu beweisen
versucht, dass der Gottesbegriff seinen Ursprung im Geist des Menschen hat. Einer der einflussreichsten Autoren in diesem Bereich war der deutsche Anthropologe, Ethnologe und katholische Geistliche Wilhelm Schmidt (1868–1954), dessen zwölfbändiges Werk Der Ursprung der Gottesidee 1912 erstmals erschien. Nach seiner Theorie des „primitiven Monotheismus“ erdachten die Menschen der Frühzeit einen wohlwollenden Schöpfergott. Dieser wurde häufig als „Himmelsgott“ bezeichnet,
da man ihn oberhalb der Erde in einer Region ansiedelte, die als „Himmel“ bezeichnet wurde. Damit fanden die Menschen für sich eine Erklärung für ansonsten unerklärbare Dinge, gute wie schlechte, die auf der Erde geschahen. Der Himmelsgott war von den Problemen des menschlichen Lebens so weit entfernt, dass es als zwecklos erschien, sich ein Bild von ihm zu machen oder ihm in Ritualen, die von heiligen Männern und Frauen geleitet wurden, zu huldigen. Da diese Vorstellung von Distanz die Menschen befremdete, wandten sie sich näherliegenden Gottheiten zu, die nach dem Bild der Menschen geformt waren. Nach Schmidts Ansicht hielt sich der Kult des Himmelsgottes nur in isolierten Bevölkerungsgruppen, so bei einigen afrikanischen und lateinamerikanischen Stämmen und bei den australischen Ureinwohnern.

Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort“ – so beginnt das Johannesevangelium im Neuen Testament. In den Upanischaden, dem heiligen Text des Hinduismus, enthielt der Hiranyagarbha, der goldene Mutterleib, die Ursprünge des Universums und des hinduistischen Schöpfergottes Brahman. Andere behaupten jedoch, dass die Entwicklung genau umgekehrt verlaufen sei. Über die Entstehung der Religionen gibt es viele Theorien. Einig sind sich alle darin, dass die Menschen sich immer Götter erschaffen haben. Als die ersten Männer und Frauen sich mit dem Zufallscharakter ihres Schicksals auseinandersetzen mussten – das Krankheit und Leiden ebenso bereithalten kann wie Freude und Gesundheit –, suchten und fanden sie eine Erklärung für diese ansonsten unerklärlichen Wendungen des Schicksals: Man führte sie auf die Handlungen einer fernen Gottheit zurück. Einen genaueren Ausgangspunkt für die Vorstellung eines von Menschen geschaffenen Gottes finden wir vor 14.000 Jahren im Nahen Osten. Dort stießen Historiker und Archäologen auf Indizien dafür, dass die Naturkräfte – Wind, Sonne, Sterne –, aber auch weniger greifbare, jedoch trotzdem genau spürbare, vermeintlich in der Landschaft vorhandene Gebilde oder Geister personalisiert und als Götter mit menschlichen Eigenschaften angebetet wurden. In ein neues Stadium trat diese Entwicklung zwischen 800 und 300 vor unserer Zeitrechnung (v. u. Z.) ein, eine Zeit, die in der Geschichte als Achsenzeit bezeichnet wird. Während dieser Phase wurde die Suche nach dem Sinn des Lebens zu einer Kernfrage für Persönlichkeiten wie Buddha, Sokrates, Konfuzius und Jeremia; ihnen allen gemeinsam war die Vorstellung, dass es eine transzendente oder spirituelle Dimension des Daseins gebe, und sie versuchten erstmals, solche Gedanken zu formulieren. Damit wurde die primitive Vorstellung von einer Gottheit genauer umrissen und weiterentwickelt. Solche Versuche, eine göttliche Oberherrschaft zu definieren, führten schließlich zu den verschiedenen Konfessionen und Glaubensrichtungen, aus denen die Welt der Religion heute besteht. Ihr Gegenstand ist immer der gleiche: ethisches Verhalten und die Frage, wie die Menschen zueinander in Beziehung treten sollten. In der Frage, wie das geschehen sollte – oder in ihrer Doktrin, wie man die jeweilige Lehre auch nennen könnte – unterscheiden sie sich. Christentum, Judentum und Islam sind beispielsweise monotheistische Religionen: Ihre Anhänger glauben an einen einzigen, allmächtigen Gott. Im Hinduismus und den anderen östlichen Glaubensrichtungen dagegen gibt es eine Vielzahl von Göttern.
Schattengestalten In der Achsenzeit wurden die verschiedenen religiösen Traditionen in heiligen Büchern niedergeschrieben. Daneben wurden immer mehr theologische Studien betrieben, und es wurden Verhaltensregeln festgelegt, die für die Mitglieder einer bestimmten Glaubensrichtung galten. Die Gottheit selbst hingegen, ihre genaue Natur, bleibt bis heute in den meisten Glaubensrichtungen schattenhaft. In manchen Fällen, so im Taoismus und Konfuzianismus, ist das so gewollt: Der Schwerpunkt soll auf einer ethischen Lebensführung im Glauben liegen und nicht auf theologischen Spekulationen. Oft ist jedoch allgemein anerkannt, dass die Gottheit sich der gewöhnlichen Sprache entzieht. Der Penny Catechism der katholischen Kirche, eine beliebte Zusammenfassung der wesentlichen Regeln und Überzeugungen dieser Konfession, die in England bis in die 1960er Jahre allgemein in Gebrauch war, bestand aus einer Reihe von Fragen und Antworten. Auf die Frage „Was ist Gott?“ antwortete er mit den undurchsichtigen Worten „Gott ist der Höchste Geist, Der allein aus Sich selbst heraus existiert und in allen Vollkommenheiten unendlich ist.“

Du hast uns zu dir hin
geschaffen, oh Herr, und
unruhig ist unser Herz, dir
bis es ruht in dir.
Augustinus, 354–4‘

Jede Definition des Göttlichen bleibt in Abstraktionen und Tabus gehüllt. Juden ist es verboten, den heiligen Namen Gottes auszusprechen, und Muslime dürfen das Göttliche nicht in Bildern darstellen. Gerade dieses Geheimnis scheint aber den Reiz der Religion als Weg, Ordnung in eine ansonsten undurchsichtige Welt zu bringen, nur zu steigern.

‚Wenn ich ihn kennen
würde, wäre ich er. Rabbi Josef Albo, 1380–14‘

Eine ständig sich verändernde Gottheit Mit der Weiterentwicklung der Welt haben sich die Bedürfnisse und Wünsche der Menschen geändert, und sie wandeln sich weiterhin, indem der Planet und seine Bewohner ständig vor neuen Herausforderungen stehen. Ebenso entwickeln und verändern sich die Vorstellungen vom Göttlichen – die meisten Religionen nehmen das aber nicht zur Kenntnis: Sie stellen sich als unerschütterlich dar, sowohl in ihren grundlegenden Glaubenssätzen als auch in ihren Regeln, die die Praxis in den Institutionen bestimmen.

Fest verdrahtet im Gottesglauben?
In jüngster Zeit haben Wissenschaftler zu zeigen versucht, dass das Gehirn des Menschen für den Gottesglauben prädisponiert oder fest verdrahtet ist. Nach Ansicht von Forschern an der Universität im britischen Bristol sind die Menschen dazu programmiert, an Gott zu glauben, weil ihnen der Glaube bessere Überlebensaussichten verschafft. Bruce Hood, Professor für Entwicklungspsychologie, veröffentlichte 2009 eine Studie über die Gehirnentwicklung bei Kindern; seine Befunde legen die Vermutung nahe, dass Menschen mit religiösen Neigungen im Laufe der Evolution von ihrem Glauben profitierten – möglicherweise, weil sie in Gruppen zusammenarbeiteten und damit die Zukunft ihrer Gemeinschaft sicherten. Deshalb wurde der „Glaube an Übernatürliches“ in unserem Gehirn von Geburt an fest verdrahtet, so dass wir aufgeschlossen für die Behauptungen religiöser Organisationen sind. Wie Hoods Forschungsergebnisse zeigen, „haben Kinder eine natürliche, intuitive Denkweise, durch die sie zu allen möglichen Vorstellungen von der übernatürlichen Funktionsweise der Welt gelangen. Mit dem Heranwachsen werden solche Überzeugungen von stärker rationalen Ansätzen überlagert, aber die Neigung zum Glauben an unlogische, übernatürliche Dinge bleibt in Form der Religion bestehen.“ In diesen Schlussfolgerungen hallen auch andere Befunde wider, insbesondere die einer Arbeitsgruppe am Centre for the Science of Mind der Universität Oxford, die 2008 veröffentlicht wurden; danach weisen verschiedene Indizien auf einen Zusammenhang zwischen religiösen Gefühlen und bestimmten Gehirnarealen hin. Gläubige Katholiken, denen man ein Bild der Jungfrau Maria zeigte, hatten bei einem elektrischen Schlag weniger Schmerzen als Ungläubige, weil die Aktivität im rechten ventrolateralen Bereich des frontalen Cortex stärker zurückging.


Der Gottesbegriff bleibt also erstaunlich wandelbar, und gerade wegen dieser Flexibilität konnte er nach Ansicht mancher Fachleute so lange erhalten bleiben. Eine solche Vermutung unterstellt den Religionsführern ein gewisses Maß an Berechnung – sie hätten also ihre Darstellung auf die jeweiligen Bedürfnisse in bestimmten Epochen zugeschnitten. Dass man Gott letztlich nicht kennen kann, wird aber von allen Glaubensrichtungen ausdrücklich betont: Sie lehren, dass wir in unserem Bestreben, Gott oder die Götter zu kennen, letztlich Werte und Sinn im Leben suchen und hoffentlich auch finden.
vor 14.000 Jahren Ursprünge des Monotheismus 800–300 v. u. Z. Achsenzeit