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Reformation

Während der ersten 1000 Jahre ihrer Existenz erfüllte die christliche Kirche das Versprechen des apostolischen Glaubensbekenntnisses, „eine einzige, heilige, katholische und apostolische“ Kirche zu sein. Zwischen ihren verschiedenen Teilen gab es aber auch zu dieser Zeit schon Meinungsverschiedenheiten über Doktrin und Organisation. Das 11. Jahrhundert brachte den Bruch zwischen abendländischen und östlichen (orthodoxen) Christen. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts setzte der deutsche Mönch Martin Luther die Reformation in Gang, die zu einer bis heute andauernden Trennung führte.
Ende des 15. Jahrhunderts wirkte das Papsttum mächtiger als je zuvor. Die Zurschaustellung von Reichtum, die Aufträge für große Kunstwerke und der pompöse Lebensstil einiger Päpste schienen Zeichen für die robuste Gesundheit der Institution zu sein. Hinter der Fassade jedoch befand sich das Christentum in moralischem und spirituellem Verfall. Aus Verzweiflung über das Verhalten der Päpste – Alexander VI. (1492–1503) wurde beispielsweise als Papst eingesetzt, während seine Kinder aus verschiedenen illegitimen Beziehungen unverfroren zusahen – setzte sich eine Reihe oftmals kleiner lokaler Reformbewegungen für eine spirituelle Erneuerung und die Wiederbelebung der hohen moralischen Ideale in Theorie und Praxis der Kirche ein. Eine davon war die „Gemeinschaft der göttlichen Liebe“, eine mildtätige Institution, die 1497 in Genua von Ettore Vernazza gegründet wurde und auch in Rom, Neapel und Bologna aktiv war. Aber keine davon erlangte genügend Einfluss, um das Papsttum ernsthaft infrage zu stellen.
Martin Luther Als Martin Luther Anfang des 16. Jahrhunderts öffentlich die kirchliche Korruption anprangerte, sprach er für viele enttäuschte Gläubige. Die theologischen Grundlagen seines Aufbegehrens stehen in den berühmten 95 Thesen, die er im Jahr 1517 an die Tür einer Kirche in Wittenberg nagelte. Er lehnte die in
ca. 1490er Jahre Gründung reformorientierter Bruderschaften 1517 Luther nagelt seine 95 Thesen an die Kirchentür
der katholischen Christenheit damals wie heute zentrale Vorstellung ab, man könne mit guten Taten dazu beitragen, sich nach dem Tod einen Platz im Himmel zu sichern. Die Erlösung, so Luther, hänge ausschließlich vom Glauben an Gott ab. Was zähle, sei nicht das Verhalten des Einzelnen, sondern Gottes Liebe.

Die Bibel in Umgangssprache

Die oberste Instanz christlicher Autorität waren für Luther nicht die Aussprüche des Papstes oder die traditionellen Praktiken der Kirche, sondern die Bibel. 1521 tobte der Konflikt zwischen deutschen Fürsten, die ihn verteidigten, und der Kirche, die ihn zum Schweigen bringen wollte. In diesem Jahr machte Luther sich daran, das Neue Testament ins Deutsche zu übersetzen. Schon früher hatte es Bemühungen gegeben, die Bibel in der Sprache des Volkes, anstelle des Kirchenlateins, zugänglich zu machen. Luthers Arbeit glänzte durch ihre Wissenschaftlichkeit: Er hielt sich an die griechische Urfassung, um die wahre Bedeutung der Bibel zu verstehen – und er bediente sich der deutschen Sprache, wie sie von einfachen Menschen gesprochen wurde. Er wollte die Bibel für alle verständlich machen. Sein Neues Testament erschien 1522, die vollständige deutsche Bibel 1534. Anderswo erschienen eine niederländische Bibel (1526), eine französische Bibel (1528) und eine Züricher Bibel (1531). Diese Projekte wurden zur Anregung für andere, und 1611 erschien die King James Bible, eine Übersetzung ins Englische.


Luther profitierte bei seinen Angriffen von seinen rhetorischen Fähigkeiten, und er nutzte den neu erfundenen Buchdruck, um seine Botschaft in Büchern und auf Flugblättern zu verbreiten. Außerdem kam es ihm gelegen, dass man ihn in Rom als unwichtig abtat, statt ihn als ebenbürtigen Gegner mit einer wachsenden Unterstützergemeinde anzuerkennen. Als die deutschen Fürsten mit seiner Hilfe versuchten, dem Papst den Zugriff auf ihre Ländereien zu verwehren, erkannte er, dass er mächtige politische Fürsprecher hatte. Sie sorgen dafür, dass er der Verhaftung und Bestrafung durch die Kirche sowie 1521 auf dem Reichstag zu Worms auch der Verurteilung durch den Heiligen Römischen Kaiser Karl V. entgehen konnte.
1532 Heinrich VIII. bricht mit Rom 1541 Luther lehnt in Regensburg einen Kompromiss ab 1545 Konzil von Trient

Zwingli und Calvin

Ulrich Zwingli (1484–1531) reagierte ähnlich wie Luther auf den moralischen und spirituellen Verfall der römischen Kirche, er lebte aber in dem ganz anders gearteten politischen Umfeld des Stadtstaates Zürich in der nahezu unabhängigen schweizerischen Eidgenossenschaft. Erstmals machte er 1522 auf sich aufmerksam, als er die Tradition des Fastens in der Zeit vor Ostern anprangerte. Später griff er die Korruption innerhalb des Klerus an, setzte sich für die Eheschließung von Priestern ein und lehnte den Gebrauch von Bildern im Gottesdienst ab – Kirchen sollten für ihn so einfach wie möglich aussehen. Die Bibel zog er als Autorität den Päpsten vor, die Sakramente lehnte er ab, und er hoffte auf eine von Gott gelenkte Regierung. Der Zwinglianismus gewann zwar großen Einfluss, überlebte aber als eigenständige Bewegung nur in der Schweiz. Der Franzose Johannes Calvin (1509–1564) dagegen gilt als einer der wichtigsten Begründer der modernen Reformierten Kirche. Er lebte in Genf, sagte sich 1530 von Rom los, reformierte die Liturgie und pries die Beziehung jedes einzelnen Menschen zu Gott. Eine von ihm neu geschaffene Verwaltungsstruktur der Kirche trat an die Stelle des autoritären Papsttums.


Daraufhin wurde Luther immer kühner. Er lehnte fünf der sieben kirchlichen Sakramente ab, griff die Autorität des Papstes an und setzte sich dafür ein, Gottesdienste in der Landessprache statt in Latein abzuhalten. Die Kluft wurde tiefer. Beim Regensburger Kirchengespräch von 1541 wuchsen die Hoffnungen auf eine Versöhnung, aber Luthers Forderungen – für die Erlaubnis für Priester zu heiraten, für eine lokale Unabhängigkeit vom Papst – erwiesen sich als zu weitreichend.

‚Die Erfindung des Buchdrucks und die Reformation sind und bleiben die beiden herausragenden Dienste, die Mitteleuropa der Menschheit erwiesen hat

.Thomas Mann 1924
Die Kirche von England (Church of England) Mittlerweile hatten Luthers Gedanken sich in Europa verbreitet und spornten andere an, darunter Ulrich Zwingli und Johannes Calvin in der Schweiz. In England nutzte Heinrich VIII. (1491–1547) den neuen protestantischen Geist, um einen Streit mit dem Papst um die Scheidung von seiner ersten Frau beizulegen, die ihm keinen männlichen Erben geschenkt hatte. Spätere englische Herrscher schwankten zwischen einem extremen Protestantismus (Edward VI., 1537–1553) und einem aggressiven Katholizismus (Maria I., 1516–1558); Heinrichs zweite Tochter Elisabeth (1533–1603) erreichte schließlich einen Konsens, der zu einer gemäßigten Form des Protestantismus – der Kirche von England – führte.

‚Die Kirche von England, jene schöne Blüte, welche die geniale Kompromissfähigkeit unserer Insel hervorgebracht hat.

Robert Bolt, 1960
Gegenreformation Nach der Reformation war der katholischen Kirche klar, dass sie nur mit Veränderungen überleben und sich neu ordnen konnte. Über die Gegenmaßnahmen wurde auf dem Konzil von Trient entschieden, das zwischen 1545 und 1563 mehrmals zusammentrat. Es überprüfte umstrittene Doktrinen, beharrte aber auf dem Priesterzölibat, behielt die sieben Sakramente bei und bekräftigte die Autorität des Papstes. Es erkannte aber auch an, dass manche alten Missbrauchspraktiken aufhören mussten. In einigen Ländern, in denen der Katholizismus an Einfluss verloren hatte – in Frankreich, Polen, den südlichen Niederlanden und Teilen Deutschlands – wurde seine Macht wiederhergestellt, die religiöse Teilung gehörte aber seither immer zum Gesicht Europas.
Worum es geht Römisches Fehlverhalten löste einen Aufstand aus