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Konfuzianismus

Der chinesische Philosoph Konfuzius (551–449 v. u. Z.) hielt sich selbst weder für einen kreativen Denker noch für den Gründer einer Religion. Vielmehr bezeichnete er sich als „Überbringer“ vorhandener Gedanken, die er gesammelt hatte, indem er die Weisheiten der Vergangenheit studierte und auf die Gegenwart anwandte. Konfuzius’ Moralsystem, Li genannt, wollte ethische Verhaltensweisen für Herrscher und Beherrschte gleichermaßen definieren; die Grundlage bildeten dabei Gerechtigkeit und Ehrlichkeit. Dieses System hat bis heute großen Einfluss auf das Leben mehrerer Milliarden Menschen in Ländern wie China, Korea und Vietnam, wo sich immer noch rund 350 Millionen Einwohner als Konfuzianer bezeichnen.


Nach Ansicht der Fachleute kann man Berichte über das Leben des Konfuzius nicht für bare Münze nehmen. Glaubt man jedoch dem großen chinesischen Geschichtswerk „Aufzeichnungen des Historikers“, das vier Jahrhunderte nach seinem Tod entstand, wurde er in der Stadt Qufu im Staat Lu geboren, der heute zur chinesischen Provinz Shandong gehört. Auf Chinesisch heißt er Kong Fuzi; im Englischen wurde er jedoch zu „Confucius“ (eingedeutscht „Konfuzius“). Konfuzius entstammte der Mittelschicht, wie man sie mit dem modernen Begriff nennen könnte. Sein Vater war ein betagter Adliger, dessen Eheschließung mit einer viel jüngeren Frau zu einem Skandal geführt hatte, so dass er seinen privilegierten Platz in der Gesellschaft räumen musste. Konfuzius musste seinen Lebensunterhalt mit Arbeit verdienen und war zu verschiedenen Zeiten als Schreiber und Buchhalter tätig


Die fünf Klassiker Mit Fleiß, Kompetenz und Einsatz stieg Konfuzius auf der Karriereleiter auf und wurde mit 53 Jahren Justizminister in Lu. Er war jedoch von der moralischen Laxheit seines Herrschers enttäuscht, trat zurück und reiste 15 Jah


551 v. u. Z. Geburt des Konfuzius 532 v. u. Z. Konfuzius heiratet 498 v. u. Z. Ernennung zum Justizminister von Lu


re lang durch Nordost- und Zentralchina. Dabei sprach er mit anderen von seinen Gedanken über gute Regierungsarbeit und ethische


Matteo Ricci

Dem italienischen Jesuitenpriester Matteo Ricci (1552–1610) wurde es als erstem Europäer gestattet, die Verbotene Stadt in Peking, Sitz der chinesischen Kaiser, zu betreten. Er übersetzte auch als Erster Konfuzius’ Schriften ins Lateinische; zuvor hatte er bereits das erste Chinesisch- Portugiesische Wörterbuch verfasst. Ricci war über die portugiesische Kolonie im indischen Goa nach China gelangt und lebte dort von 1582 bis zu seinem Tod. Zu diesem Zeitpunkt schaffte der Kaiser die Regel ab, wonach Ausländer in der portugiesischen Enklave Macao bestattet werden mussten, und er bestimmte für diesen Zweck stattdessen einen buddhistischen Tempel in Peking.


Lebensführung. Die letzten vier Jahre seines Lebens verbrachte er zuhause und unterrichtete seine Anhänger, die gemeinsam mit seinem Enkel Zisi seine Gedanken überall verbreiteten. Nach Ansicht seiner Anhänger fasste Konfuzius seine Lehren in den „fünf Klassikern“ zusammen. Diese waren das Buch der Wandlungen (auch bekannt als I Ging oder Yijing), das Buch der Lieder, das Buch der Riten, das Buch der Urkunden und die Frühlings- und Herbstannalen. Die Konfuzianer halten diese Werke bis heute in Ehren; nach heutiger Kenntnis stammen sie aber vermutlich nicht von Konfuzius selbst, sondern von späteren Generationen seiner Schüler, die seine Weisheiten verbreiten wollten.


Die Analekten Der eigentliche klassische Text des Konfuzianismus sind die Analekten, eine Sammlung von Aussprüchen und Gesprächen des Konfuzius, die von seinen Schülern seit der Zeit rund 50 Jahre nach seinem Tod gesammelt wurden. Sie wollten damit aus seinen Lehren ein Glaubens- und Handlungssystem destillieren. Dies erwies sich als so erfolgreich, dass der Konfuzianismus unter der Hang- Dynastie, die das kurz zuvor vereinigte China regierte, zur offiziellen kaiserlichen Philosophie wurde; er blieb bis ins 19. Jahrhundert hinein die Grundlage des chinesischen Amtsapparates. Konfuzius bezog seine Gedanken aus verschiedenen Quellen, unter anderem von indischen Weisen und aus traditionellen chinesischen Glaubensüberzeugungen. Neben Buddha ist er eine der Schlüsselfiguren der Achsenzeit (800–300 v. u. Z.), der Phase, in der das religiöse Verständnis auf der ganzen Welt in einem tiefgreifenden Wandel begriffen war.


483 v. u. Z. Rückkehr von den Reisen, Tätigkeit als Lehrer 479 v. u. Z. Tod des Konfuzius ca. 430 v. u. Z. Entstehung der Analekten


‚Grober Reis zum Essen,Wasser zum Trinken,
mein gebeugter Arm als Kissen – kann man darin nicht Freude
finden? Reichtümer und Ehren, die durch Unaufrichtigkeit
angehäuft wurden, sind für mich wie die schwebenden Wolken.


Konfuzius ‘


Persönliche Vollkommenheit Die politische Philosophie des Konfuzianismus befürwortet die Herrschaft der Fähigsten, welche aber nicht unbedingt von hoher Abstammung sein müssen. Die Unterscheidung zwischen dem politischen und dem sozialen, ethischen und moralischen Bereich verschwimmt aber schnell: Konfuzius setzte sich für ein hierarchisches Regierungssystem ein und forderte, die Herrscher (wie auch die Beherrschten) sollten nach persönlicher Vollkommenheit streben. Sie sollten lernen, Lehren aus der Vergangenheit schöpfen und ihr Urteilsvermögen zum Wohle aller einsetzen. Kurz gesagt, sie sollten ein Vorbild sein – genau wie auch Konfuzius selbst es war. Konfuzius ist also keine Gottheit, sondern ein Vorbild. Sein ethischer Kodex gründet sich nicht auf eine abstrakte Theorie über das Verhalten der Menschen, sondern auf seine eigenen Reaktionen. Man sollte aber darauf hinweisen, dass er kein Skeptiker war. Er befolgte getreulich die traditionellen Rituale der Ahnenverehrung und verbrachte lange Perioden in tiefem Schweigen – wir würden von Gebet sprechen. Sein Interesse galt aber nicht den esoterischen, sondern den irdischen Dingen. Seinen Schülern sagte er: Lernt zuerst, den Menschen zu dienen, dann kümmert euch um die Götter.


Hier und Jetzt Über das Jenseits machte Konfuzius keine Aussagen. Nichts in seinen Lehren spricht dafür, dass er sich für Fragen nach Geist und


Ren

Ren bildet ein Kernstück in Konfuzius’ ethischer Lehre. Das Wort lässt sich nicht ohne Weiteres übersetzen. Seine Bedeutung liegt irgendwo zwischen Wohlwollen, Menschlichkeit und Selbstlosigkeit. „Wenn die Menschen von Gesetzen geleitet werden und man ihnen durch Strafen die Einheitlichkeit geben will, werden sie sich bemühen, die Strafe zu vermeiden, aber sie haben kein Gespür für Scham“, sagt Konfuzius in den Analekten. „Wenn sie sich aber von Tugend leiten lassen und man ihnen Einheitlichkeit durch die Regeln des Anstandes gibt, werden sie ein Schamgefühl haben und darüber hinaus gut werden.“


Seele interessiert hätte, wie sie für andere Religionen typisch sind. Seine Vision schöpfte vielmehr in großem Umfang aus den bestehenden chinesischen Traditionen wie Ahnenverehrung, Priorität der Familie (Hsiao), Respekt vor den Älteren und Loyalität. Dieser ethische Ansatz, den er Li nannte, hat drei wichtige Säulen. Die erste Säule betrifft die Riten und Rituale. Ihre Grundlage sind Zeremonien, in denen den Vorfahren und alten Gottheiten Opfer dargebracht werden. Konfuzius glaubte, diese seien der Grundstein für das ethische Verhalten des Einzelnen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. „Respekt wird ohne Riten zu mühseliger Geschäftigkeit“, stellt er in den Analekten fest. „Besorgnis wird ohne Riten zu Ängstlichkeit; Kühnheit wird ohne Riten zu Ungehorsam, und Ehrlichkeit wird ohne Riten zu Unhöflichkeit.“


Die zweite Säule wird durch die gesellschaftlichen und politischen Institutionen gebildet. Konfuzius war kein Revolutionär, aber er wollte, dass das vorhandene System dem Nutzen aller besser diente. Ein einziger Kaiser, der über ganz China herrschte, war ihm lieber als eine Reihe kleinerer Staaten, die ständig Krieg führten. Der Kaiser, so erklärte er, solle eine herausragende Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit besitzen. Mit diesen Eigenschaften werde er sich den Respekt seiner Untertanen erwerben. Ein Kaiser, der diese Eigenschaften nicht hatte, verdiente es nach Konfuzius’ Ansicht nicht, das Land zu beherrschen. Die dritte Säule schließlich bezieht sich auf die Regeln des alltäglichen Verhaltens. Als Richtschnur für Einzelne und die Gesellschaft befürwortete Konfuzius dabei das Prinzip des Yi – der Rechtschaffenheit oder des ethisch Richtigen. Yi ist das Gegenteil von Eigeninteresse: Es lehrt, das Wohl des Ganzen müsse stets Vorzug vor dem Nutzen für den Einzelnen haben.


‚Es ist uns erlaubt, die Ansichten
unseres Meisters über Kultur und die
kulturellen Kennzeichen des Guten zu
hören, aber über die Wege des Himmels
wird er uns überhaupt nichts sagen.


Zigong, einer von Konfuzius’ ersten Schülern ‘


Worum geht es Der andere kommt zuerst