Der Schintoismus
Der Glaubensrichtung des Schintoismus gehört der größte Teil der japanischen Bevölkerung an. Er steht zum Buddhismus in einer komplizierten Beziehung. Manche Japaner bezeichnen sich sowohl als Buddhisten als auch als Schintoisten und sehen darin keinen Widerspruch. Für andere ist Schinto das Produkt einer Vermischung zwischen dem Buddhismus, der ungefähr im sechsten Jahrhundert u. Z. aus China nach Japan kam, und einer älteren, ursprünglich japanischen Religion. Der Schintoismus hat viele Formen und war in verschiedenen historischen Phasen eng mit dem japanischen Nationalismus verknüpft; heute sehen seine 119 Millionen Anhänger darin jedoch im Wesentlichen einen persönlichen Glauben.
Als der Buddhismus sich von Indien bis nach Japan ausbreitete, wurde er durch verschiedene chinesische Religionen beeinflusst. In die Mischung, die zum Schintoismus wurde, flossen also Buddhismus, Konfuzianismus und eine Spur Taoismus sowie der ursprüngliche Glaube der Japaner ein. Dieser lehrte, dass es eine entfernte Gottheit gebe; sie wurde von der Gemeinschaft insbesondere zu wichtigen Zeitpunkten wie der Ernte angebetet. Er umfasste aber auch Elemente der Kosmologie und eine alte Mythologie mit kunstvollen moralischen Fabeln.
Kami Kernstück des Schintoismus ist der Begriff Kami, den man mit „ein Gott“, „Götter“, „ein Geist“ oder „spirituelles Wesen“ übersetzen kann. Im Westen wurde das Wort vor allem durch die Kamikaze-Piloten der japanischen Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg bekannt, die mit ihren Flugzeugen in ein Ziel flogen und dabei ihr eigenes Leben opferten. Kaze bedeutet „Wind“, Kamikaze ist also der „göttliche Wind“.
Sechstes Jahrhundert u. Z. Erste buddhistische Mönche kommen nach Japan 712 Entstehung des Kojiki
Der Schintoismus ist nicht in erster Linie eine Glaubensrichtung oder ein Versuch, die Welt und ihr Leiden zu erklären. Eher ist er die spirituelle Ahnung, dass Kami überall um uns ist – in uns selbst, in den Tieren, in den Jahreszeiten, in den Vorfahren, in Flüssen und Gebirgen. Letztlich ist es ein heiliges Element oder eine Energie hier auf Erden. Wegen der Verehrung des Kami ist der Schintoismus ausschließlich auf diese Welt konzentriert, nicht aber auf ein Jenseits oder die Ewigkeit. Das Übernatürliche kann man im Hier und Jetzt entdecken. Die gesellschaftliche und kulturelle Seite des Schintoismus ist häufig nicht von seinen spirituellen und rituellen Aspekten zu trennen. Manchmal hört man, er sei überhaupt keine eigenständige Religion, sondern ein Aspekt der japanischen Lebensweise, mit dem Prinzipien für ethisches Verhalten festgelegt werden. So gehört es zu den schintoistischen Ritualen, stets Respekt zu zeigen – häufig durch Verbeugungen.
Heilige Texte Der Schintoismus hält sich viel darauf zugute, sich um Taten und Rituale zu kümmern, nicht aber um Worte und komplizierte Theorien. Deshalb wird auch kein großer Wert auf heilige Bücher gelegt. Ein erster Versuch, seine Geschichte und gesammelten Erkenntnisse aufzuzeichnen, stellte im Jahr 712 das Kojiki („Aufzeichnung alter Geschehnisse“) dar: Es beschreibt die Beziehungen zwischen Geistern, Natur und Menschen und enthält auch einen Schöpfungsmythos, nach dem die Götter als erste Tat auf Erden die japanische Inselgruppe als Paradies erschaffen haben.
Yukitaka Yamamoto, führender Schinto-Priester ‘und Autor
720 Nihon Shoki 1638 Vertreibung christlicher Missionare 1860er Jahre Meiji-Restauration
| Missionare in Japan Der Schintoismus ist zwar anderen Religionen gegenüber tolerant, aber die christlichen Missionsversuche in Japan, die Mitte des 16. Jahrhunderts unter Führung des berühmten Jesuitenpaters Francis Xavier stattfanden, scheiterten. Anfangs wurden die Missionare von den Japanern freundlich aufgenommen, weil sie zusammen mit westlichen Kaufleuten eintrafen, aber bis 1597 war der Vorrat an Toleranz aufgebraucht, und 26 Franziskanerpater wurden in Nagasaki hingerichtet. Bis 1638 hatte man alle christlichen Missionare vertrieben. Sie wurden erst Ende des 19. Jahrhunderts wieder ins Land gelassen. Das wahre Motiv für ihre Vertreibung scheint aber die Furcht der japanischen Herrscherelite gewesen zu sein, das Christentum könne ihre Macht über die Bevölkerung schwächen. |
Ein weiteres heiliges Buch, das Nihon Shoki („Chronik Japans“), entstand um 720 u. Z. und stellte eine Verbindung zwischen dem Schintoismus und den japanischen Herrschern her. Der Kaiser galt nun als Nachfahre der Sonnengöttin Amaterasu. Dieses nationalistische Element gewann in den 1860er Jahren mit der Meiji- Restauration an Gewicht: Der Kaiser wurde nun als „Hohepriester des Schinto“ bezeichnet. Nach der Niederlage im Zweiten Weltkrieg verzichtete das japanische Kaiserhaus auf jeden Anspruch auf göttliche Herkunft.
Jinja-Schinto Die wichtigste Form des Schintoismus wird als Jinja- oder „Schrein“-Schinto bezeichnet. In dessen Mittelpunkt stehen die rund 80.000 öffentlichen Schreine in Japan sowie die unzähligen häuslichen Schreine oder Kamidana. Andere Spielarten beschäftigen sich mit verschiedenen Quellen der Kami. Der Volks- oder Minzoku-Schinto beispielsweise hat Geschichten und Legenden über Geister zum Thema. Bei den öffentlichen Schreinen kann es sich um große Tempel handeln, aber auch um kleine Wälder mit heiligen Bäumen, um Berggipfel oder Wasserfälle. Das verbindende Element ist ihre Stellung als heiliger Boden, als Ort der Kami. Einen
Mary Pat Fisher: Living Religions (200‘8)
Schrein betritt man traditionell durch ein Tor, der ihn von der übrigen Welt trennt. Diese Schinto-Tore (die Torii) mit zwei senkrechten Säulen
| Rituale im Schrein Wendepunkte des Lebens werden im Schintoismus durch einen Besuch des örtlichen Schreins gekennzeichnet. Beim Hatsumiyamairi wird ein Neugeborenes unter den Schutz des Kami gestellt. Bei Jungen findet das Ritual am 32. Tag nach der Geburt statt, bei Mädchen am 33. Das Fest Schichigosan ist nach dem Alter der Kinder benannt, die daran teilnehmen: sieben (schichi), fünf (go) und drei (san). Dabei danken die Gläubigen den Göttern für das bisherige Leben der Kinder und beten für eine sichere, erfolgreiche Zukunft. Am Seijin Shiki, dem Tag der Erwachsenen, kann jeder, der im vergangenen Jahr seinen 20. Geburtstag gefeiert hat und damit nach japanischem Gesetz volljährig geworden ist, im Schrein den Göttern danken. Die traditionelle Schinto-Hochzeit dagegen hat in jüngster Zeit an Beliebtheit verloren: Nur ein Viertel der Bevölkerung gelobt sich noch im Schrein lebenslange Treue. |
und zwei überstehenden, orange oder schwarz gestrichenen Querbalken sind zu einem der charakteristischen Symbole Japans geworden. Der berühmteste Torii steht am Itsukushima-Schrein in Miyajima und geht vermutlich auf das sechste Jahrhundert zurück; seine Fundamente liegen bei Flut unter Wasser. Andernorts ist der heilige Ort mit Shimenawa-Seilen, die traditionell aus geflochtenem Stroh hergestellt werden, gegen böse äußere Einflüsse abgrenzt. Im Heiligtum dienen verschiedene Bereiche oder Gebäude zum Beten und zum Hinterlassen von Opfern. Außerdem gibt es die Shintai, einen oder mehrere Gegenstände, die als Symbole für die Gegenwart des Kami dienen. Dabei kann es sich um Objekte aus der Natur wie Bäume oder große Felsbrocken handeln, aber auch um Produkte der Menschen, beispielsweise um einen Spiegel. Ein zentraler Begriff des Schintoismus ist wie im Buddhismus jener der Reinigung. Wer einen Schrein besucht, unterzieht sich zu Beginn dem Reinigungsritual des Harae. Reinheit ist im Schintoismus mehr als nur Sauberkeit. Man wäscht sich das ab, was die Christen als Sünde bezeichnen – den Schmutz der Welt jenseits der Kami
Worum geht es Geister sind überall
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