Gut und Böse
Nachdem die Vorstellung von einem Himmelsgott sich zu der Vorstellung von einer Gottheit weiterentwickelt hatte, die vom Himmel aus die Welt und ihr Schicksal lenkt, stellte sich die Frage:Warum lässt eine solche Gottheit es zu, dass die Menschen leiden? Auf dieses Dilemma geben die Religionen nach Ansicht vieler Menschen bis heute keine zufriedenstellende Antwort. Ein Ausweg bestand für die Religionen darin, die Schuld abzuschieben:Was in der Welt und im Leben des Einzelnen falschläuft, ist demnach nicht auf einen allmächtigen Gott zurückzuführen, sondern auf einen bösen Geist.
In dieser Vorstellung ist die Erde das apokalyptische Schlachtfeld für einen kosmischen Konflikt zwischen guten und bösen Göttern, wobei die Menschheit das Kanonenfutter darstellt. Sehr alte Belege für den Glauben an einen bösen, gehörnten Geist, der halb Mensch und halb Tier ist, finden sich in den 9000 Jahre alten Höhlenmalereien der Caverne des Trois Frères im französischen Ariège. Zur Götterwelt der alten Ägypter gehörten im vierten Jahrhundert v. u. Z. mehrere doppelgesichtige Gottheiten mit einem wohlwollenden und einem bedrohlichen Profil. In der bekanntesten derartigen Gestalt verbindet sich der falkenköpfige Himmelsgott Horus mit Seth, der als Schlange oder Schwein dargestellt wird und das Böse verkörpert. In heiligen Legenden aus dem alten Ägypten sind beide in einem ewigen, tödlichen Kampf gefangen.
Der feindselige Geist Ein Höhepunkt dieses Glaubens an gleich starke, einander entgegengesetzte göttliche Kräfte, die um die Weltherrschaft kämpfen, war im 12. Jahrhundert v. u. Z. im antiken Persien erreicht. Die heiligen Texte des Zoroastrismus, die Gathas, erzählen die Geschichte vom Machtkampf zwischen dem guten Gott Ahura Masda, der über Weisheit und Gerechtigkeit herrscht, und dem feindseligen Geist Angra Mainyu, der in die Welt eingedrungen ist und sie mit Gewalt, Hinterlist, Schmutz, Staub, Krankheiten, Tod und Zerfall durchtränkt.
ca. 1200 v. u. Z. Zoroasters apokalyptische Visionen ca. 585 v. u. Z. Die Juden lernen in Babylon den Zoroastrismus kennen
| Der Zoroastrismus Der Zoroastrismus hat heute rund 479.000 Anhänger, die meisten von ihnen in Indien im Volk der Parsi. Die Glaubensrichtung hatte großen Einfluss auf die Entwicklung anderer Religionen, denn diese übernahmen viele Erkenntnisse ihres Begründers und wandelten sie ab. Zoroaster (Zarathustra), der vermutlich um 1200 v. u. Z. lebte, betrübten die Leiden seines eigenen Volkes im heutigen Irak und Iran. In den Gathas – 17 Hymnen, die ihm zugeschrieben werden – grübelt er über die Verletzlichkeit und Ohnmacht der Menschen nach. Diese führt er nicht einfach auf einen Schöpfergott zurück, sondern auch auf seinen ebenso starken Gegner – „zwei Urgeister, Zwillinge, die dazu bestimmt sind, in Konflikt zueinander zu stehen“. Vermutlich führte er als Erster eine solche apokalyptische Vision in die Religion ein. |
Das Gute war vom Bösen getrennt, das Reine vom Unreinen. Mit einer solchen Vorstellung von gegensätzlichen göttlichen Prinzipien, Dualismus genannt, liebäugelten viele Religionen im Laufe der Geschichte.
Im sechsten Jahrhundert v. u. Z. zum Beispiel, während des jüdischen Exils in Babylon, wurden die Juden mit der Vorstellung vom zoroastrischen Dualismus so vertraut, dass einige von ihnen – nach ihrer Niederlage gegen die babylonischen Streitkräfte und der Zerstörung des Tempels in Jerusalem – glaubten, ihr Scheitern sei nicht auf Jahwe zurückzuführen, sondern auf einen eingedrungenen, bösen Geist, der sich zwischen die Israeliten und ihren Gott gestellt habe.
(„Ohne das Böse gibt es keinen Herrn“) Traditionell‘es Sprichwort
ca. 30 u. Z. Jesus kämpft den Evangelien zufolge mit dem Teufel ca. 1200 u. Z. Die christliche Inquisition verfolgt Teufelsanbeter
Das Gesicht des Bösen Der Dualismus wurde seinerseits vom Christentum übernommen. Im Neuen Testament gibt es einen wichtigen Handlungsstrang, der das Dasein der Menschen unter dem Gesichtspunkt des Konflikts zwischen Jesus und dem Teufel darstellt, insbesondere während der 40 Tage und 40 Nächte, die Jesus in der Wildnis verbringt: Dort lockt ihn der Teufel mit allen Reichtümern der Welt. Die Offenbarung enthält einen Bericht über das Ende der Zeiten, wenn der Teufel und seine Anhänger von Gott endgültig besiegt werden, aber weiterhin Beute unter leichtgläubigen Menschen machen können, bis das Jüngste Gericht heraufdämmert; auf diese Weise wird die Erde mit Sünde und Leid vergiftet.
| Exorzismus In der katholischen Kirche spielt der Teufel heute zwar nicht mehr eine so große Rolle wie im Mittelalter, die Praxis des Exorzismus gibt es aber immer noch. Der Vatikan unterhält ein weltweites Netz von Exorzistenpriestern und glaubt nach wie vor, dass Menschen in seltenen Fällen von Dämonen besessen sein können. Im März 1982 berichtete Kardinal Jacques Martin, der Vorsteher des päpstlichen Haushalts, Papst Johannes Paul II. habe persönlich an einer jungen Frau, die angeblich vom Teufel besessen war, einen Exorzismus vorgenommen. Die Austreibungsriten der katholischen Kirche gehen auf die Dämonenaustreibungen durch Jesus in den Evangelien zurück. Das Ritual hat sich seit 1614 kaum verändert und beinhaltet Gebete, Handauflegen, das Schlagen des Kreuzes und das Versprengen von Weihwasser. Kleinere Austreibungsriten gibt es auch im Wortlaut des Taufgottesdienstes oder wenn ein Priester ein neues Haus segnet. |
Das Christentum ist zwar offiziell eine monotheistische Religion, für die es nur einen Gott als Quelle aller Dinge in der Welt gibt, in der Praxis wurde diese Theorie aber lange durch eine gewisse Dosis von Dualismus verwässert. Im Vergleich dazu sind sowohl das Judentum als auch der Islam in ihrem Monotheismus viel puristischer. Kleinere teufelsähnliche Gestalten, die Schaitan und Iblis, gibt es zwar auch im Koran, sie sind aber mehr oder weniger machtlos. „Ich habe keine Macht über euch“, sagt Schaitan, „es sei denn, ich rufe euch und ihr gehorcht. Deshalb gebt die Schuld nicht mir, sondern euch selbst.“ Im Judentum spricht man lieber nicht über böse Geister, sondern über böse Neigungen – Yetzer Hara – in jedem Menschen.
Das Christentum stellte den Teufel als Gesicht des Bösen dar. Im Mittelalter lehrte die Kirche, der Teufel lauere an jeder Ecke, um die Gläubigen von Gott und dem Weg der Rechtschaffenheit weg zur Sünde und letztlich zur Verdammnis der Hölle zu locken. Selbst die protestantischen Reformer machten sich diese Sichtweise zu eigen. Martin Luther war völlig davon überzeugt, dass es den Teufel gebe, und er glaubte sogar, seine Darmbeschwerden seien auf die Besessenheit durch einen Dämon zurückzuführen.
In jüngerer Zeit spricht die Hauptrichtung des Christentums nur noch widerwillig vom Bösen. Beliebter ist die Figur des Teufels in stärker evangelikalen Kirchen, in denen Schwäche oder Krankheit manchmal damit begründet werden, dass man diesem nachgegeben hat. Für Besessene werden Exorzismus-Zeremonien vollzogen. Im allgemeineren Sinne wird jede Form von Störung auf eine äußere Realität – das heißt auf den Teufel – zurückgeführt und nicht auf psychische, gesellschaftliche oder emotionale Faktoren, die einen Menschen beeinflussen. Auch wenn die etablierte Kirche den Teufel ins Abseits gedrängt hat, hat die Vorstellung von gegensätzlichen göttlichen Prinzipien bei vielen Gläubigen nach wie vor starkes Gewicht.
Worum es geht In uns liegen Gut und Böse im Krieg
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