Der Taoismus
Der Taoismus hat weder einen Gründer noch einen Gründungszeitpunkt, und seine Anhänger verehren weder einen Gott noch mehrere Götter, sondern das Tao, ein universelles Prinzip, das sich nicht mit Worten beschreiben lässt. Seine Philosophie, die im Kern auf sehr alte chinesische Glaubensüberzeugungen zurückgeht, wurde stark vom Buddhismus beeinflusst und stand ursprünglich in deutlichem Gegensatz zum Konfuzianismus; bis heute ist sie kaum zu definieren. Manche der zentralen Begriffe des Taoismus wurden – häufig aus dem Zusammenhang gerissen – im Westen allgemein bekannt. Die wichtigsten sind Feng Shui,Tai Chi und Yin und Yang.
Seinen Ursprung hat der Taoismus in der Zeit vor rund 2500 Jahren, der Achsenzeit, in der auch der Konfuzianismus entstand. Der Taoismus erwuchs aus den Naturreligionen und dem Schamanismus – der Kommunikation mit der Welt der Geister –, die damals in und um China verbreitet waren.
Der erste Anarchist Zwei Schlüsselgestalten für die Entstehung des Taoismus waren der Einsiedlermönch Zhuangzi (ca. 370–311 v. u. Z.) und im sechsten Jahrhundert v. u. Z. der Weise Lao Zi (auch Laotse genannt). Zhuangzi beschäftigte sich im Gegensatz zu Konfuzius nicht mit Staatsführung und der Beziehung zwischen Herrschern und Beherrschten, im Gegenteil: Er wurde als der erste Anarchist der Welt bezeichnet. „Ordnung stellt sich von selbst ein, wenn man den Dingen ihren Lauf lässt“, schrieb er in dem heiligen Text, der unter seinem Namen bekannt wurde. In Wirklichkeit aber ist das Zhuangzi eine Anthologie von Texten, welche zwischen dem vierten und dem Ende des dritten Jahrhunderts verfasst wurden. Nur die ersten sieben Kapitel – die „inneren Kapitel“ stammen möglicherweise wirklich von Zhuangzi.
Sechstes Jahrhundert v. u. Z. Lebenszeit von Laotse Ca. 370 v. u. Z. Geburt von Zhuangzi
Laotse wird als Autor des Tao Te King („Über den Weg und seine Kraft“) verehrt, des wichtigsten heiligen Buches im Taoismus. Über ihn selbst ist
| Tai Chi Der Zusammenhang zwischen Taoismus und den altchinesischen Kampfkünsten wird sowohl im Zhuangzi als auch im Tao Te King angesprochen. Beide Texte untersuchen die Psychologie, Praxis und Ethik der Kampfkünste im Rahmen der chinesischen Tradition. Tai Chi wurde nach heutiger Kenntnis als System spiritueller Übungen von dem chinesischen Taoistenpriester Zhang Sanfeng entwickelt. Er soll von 1127 bis 1279 gelebt haben, manche Fachleute halten aber auch ihn für eine Sagengestalt. Die modernen Formen des Tai Chi, die man auch im Westen findet, ähneln körperlichen Übungen mehr als einer taoistischen Praxis. |
aber nur wenig bekannt. Der Name bedeutet einfach „Alter Meister“, und der Text scheint ebenfalls nicht das Werk eines Einzelnen, sondern eine Sammlung zu sein. In seinen 81 kurzen Kapiteln, in häufig undurchsichtigen Versen geschrieben, preist es die Vorzüge der Selbstlosigkeit und der persönlichen Suche; für die Legalisten – die Gegner des Konfuzius – war es aber vor allem deshalb reizvoll, weil es die Ansicht vertrat, Herrscher sollten so wenig wie möglich in das Leben ihrer Untertanen eingreifen.
Der Meister des Himmels Ein dritter möglicher Zeitpunkt für die Entstehung des Taoismus ist das Jahr 142 u. Z.: Damals soll der erste Himmelsmeister Zhang Daoling eine Offenbarung von Laotse empfangen haben, der nun die gottähnliche Personifizierung des Tao selbst war. Zhang lebte als Einsiedlermönch auf dem Berg Heming. Laotse erschien ihm und erklärte, die Welt werde enden, und dann werde ein „großer Friede“ folgen. Um anderen beim Erreichen dieses unklar definierten Zustandes zu helfen, so erklärte Laotse, müsse Zhang als Vermittler zwischen den Menschen und den himmlischen Kräften fungieren: Er müsse einen neuen Bund durchsetzen, welcher radikale Verhaltensänderungen verlangen würde, und als Symbol dafür müssten die vorhandenen Rituale aufgegeben werden. Wenn man aber darauf beharrt, die Entstehung des Taoismus mit einem bestimmten historischen Zeitpunkt zu verknüpfen, wird man seinem Wesen nicht gerecht. Wichtig ist nicht, wer das Tao offenbart, sondern das Tao selbst. Dies kann man mit einfachen Worten als „der Weg“ oder sogar als „der Weg des Himmels“ übersetzen, es ist aber viel mehr. Im Tao ist alles im Universum vereinigt und verbunden.
142 u. Z. Zhang Daolings Offenbarung Siebtes Jahrhundert Der Taoismus erhält einen halboffiziellen Status 1949 Verbot durch den Vorsitzenden Mao
Tao Te King, sechstes Jahrhundert v. u. Z. ‘
Tao ist kein Gott, aber der Taoismus hat seine Gottheiten. Sie sind wie alles andere ein Teil des Universums und demnach vom Tao abhängig. Tao hat kein Dasein und ist unsichtbar, aber seine Wirkungen kann man erkennen. Es wird häufig als unbeschreibbar bezeichnet – Worte sind nicht in der Lage, es auszudrücken –, aber der Taoismus lehrt ohnehin, dass Spekulationen darüber, was es ist oder nicht ist, Energieverschwendung sind; entscheidend ist, dass man es lebt.
Persönlichkeitsentwicklung Der Taoismus hat mehrere zentrale Themen: die Herstellung eines Zustandes der Harmonie oder Vereinigung mit der Natur, das Streben nach spiritueller Unsterblichkeit, tugendhaftes, aber unauffälliges Handeln und vor allem die Persönlichkeitsentwicklung. Auf dieses letzte Ziel sind die besonderen Praktiken des Taoismus ausgerichtet. Wie es den buddhistischen Einflüssen
| Feng Shui Das Feng Shui lässt sich über den Taoismus hinaus auf die alte chinesische Kosmologie und Astrologie zurückführen. Die enge Verbindung zum Taoismus ergab sich durch das gemeinsame Prinzip des Yin und Yang und das beiderseitige Interesse am Chi – an den Energien, die das Universum formen. Feng Shui gehört zu den Aspekten des Taoismus, die insbesondere in den 1960er Jahren durch die Hippie- Gegenkultur in den Westen exportiert worden. In jüngerer Zeit wurde es auf eine Methode zur – der kosmischen Energie entsprechenden – Ausrichtung und Einrichtung von Zimmern, Büros, Gebäuden und sogar ganzen Stadtlandschaften reduziert. |
entspricht, wird Meditation befürwortet. In taoistischen Tempeln werden zahlreiche Götter und Göttinnen angebetet, die meisten aus traditionellen chinesischen Religionen. In der Liturgie geht es aber vor allem darum, dass die Teilnehmer sich stärker mit dem Tao in Einklang bringen, wobei ihnen häufig Priester und Mönche zur Seite stehen.
Yin und Yang Der Taoismus betrachtet Körper und Geist als Einheit. „Das Eine“ ist nach seiner Lehre das Wesentliche am Tao und die Energie des Lebens. Die Beziehung zwischen „Dem Einen“ und Tao wird mit der zwischen Sohn und Mutter verglichen. Dieses Wesen zeigt sich in Begriffen wie Wu und Yu (Sein und Nichtsein), Te (Tugend oder Aufrichtigkeit), Tzu Jan (Natürlichkeit oder Spontanität) und Wu Wei (ungekünsteltes Handeln oder Nicht-Handeln). „Wenn nichts getan wird, bleibt auch nichts ungetan“, sagt das Tao Te King. Zu diesen Prinzipien gehört auch die Lehre von Yin und Yang, die eine weitere Schlüsselidee des Taoismus ausdrückt:Wenn entgegengesetzte Kräfte aufeinandertreffen, entsteht kein Chaos wie in anderen Religionen, sondern eine grundlegende Harmonie. Wie andere Teile des komplizierten, eng verflochtenen taoistischen Glaubenssystems, so wird auch die Lehre von Yin und Yang im Westen häufig ohne Zusammenhang mit einer Religion weitergegeben oder mit anderen New-Age-Begriffen kombiniert, die man aus der ganzen Welt zusammengesucht hat.
Verfolgung und Flucht Im Hinblick auf seine Beziehung zu staatlichen Autoritäten hat der Taoismus eine wechselvolle Geschichte. Großen Einfluss und halboffiziellen Status erlangte er unter der Tang-Dynastie (618–907 u. Z.) und der Song- Dynastie (960–1279). Sein Einfluss nahm aber ab, als Zhu Xi einen Teil seiner Praktiken in den Neo-Konfuzianismus übernahm (siehe Kapitel 40). Als Führer des Taoismus gelten traditionell die Himmelsmeister, die Nachfolger von Zhang Daoling, die in jüngerer Zeit in Taiwan im Exil leben. Vom chinesischen Festland wurden sie 1949 nach der Machtergreifung des Parteivorsitzenden Mao Tsetung vertrieben. Maos kommunistische Regierung verbot den Taoismus und löschte ihn nahezu völlig aus; derzeit lebt er jedoch wieder auf, und weltweit gibt es heute schätzungsweise 20 bis 50 Millionen Taoisten.
Worum geht es Spekulieren nicht über „den Weg“ sonder lebe ihn
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