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Spiritualität

Der weltweite Wirtschaftsabschwung der Jahre 2008/2009 dürfte zu einer Vertrauenskrise gegenüber dem Kapitalismus und seinem Konsumdenken geführt haben, manchen Berichten zufolge ließ er aber insbesondere in der abendländischen Gesellschaft das Interesse an Religion neu erwachen. Dies zeigte sich nicht an zunehmenden Besucherzahlen in Kirchen, Moscheen und Tempeln, sondern an der verstärkten Nachfrage nach Besinnungstagen, Meditationskursen und Workshops zum Erlernen jener Hilfsmittel, mit denen die Angehörigen der verschiedenen Glaubensrichtungen traditionell den Zugang zu dem finden, was umfassend, aber auch ungenau als Spiritualität bezeichnet wird.
Die Begriffe Spiritualität und Religion werden häufig synonym verwendet, sie bedeuten aber nicht das Gleiche. Religion ist eher ein Weg, um Zugang zur Spiritualität zu finden. Sie ist aber auch eine äußere, gemeinschaftsbetonte Form der Spiritualität im Gegensatz zu jener eher inneren, individuellen Ausdrucksform, zu der man am besten durch innere Einkehr gelangt – durch Meditation, Betrachtung der Natur oder durch einen höheren Bewusstseinszustand, der durch Fasten oder andere körperliche Übungen hergestellt wird. Christentum, Islam und Judentum haben jeweils eigene spirituelle Traditionen, die in den vorangegangenen Kapiteln erläutert wurden. Alle bemühen sich um eine intime, persönliche, mystische Beziehung zum Göttlichen, die man in den üblichen Riten und Ritualen nicht findet. Solche Bemühungen stehen in manchen Glaubenstraditionen stärker im Mittelpunkt als in anderen. Der Sufismus ist beispielsweise für Muslime der Hauptrichtung wahrscheinlich eher akzeptabel als die Kabbala für die Mehrzahl der Juden. Im Christentum dagegen betrachtet man diejenigen, die der spirituellen Seite ihres Glaubens mehr Gewicht beimessen als den üblichen liturgischen Formen, Regeln und Strukturen, seit jeher -zumindest zu deren Lebzeiten – mit Misstrauen.
3. Jahrhundert u. Z. christliche Einsiedlermönche ziehen in die Wüste 1515 Geburt der Heiligen Teresa von Ávila
Teresa von Ávila Ein gutes Beispiel ist die spanische Karmeliterin und Heilige Teresa von Ávila (1515–1582). Als junge Nonne widmete sie sich in

Stille

In jüngerer Zeit berichten Klöster der monotheistischen und fernöstlichen Religionen im Westen über eine zunehmende Zahl von Anfragen spiritualitätshungriger Besucher, die es mit einem Leben der Kontemplation und Stille versuchen wollen. Auch Kirchenführer preisen die Vorteile der Stille als Heilmittel gegen wirtschaftliche und ökologische Unsicherheiten. Rowan Williams, der mönchsähnliche Erzbischof von Canterbury und Oberhaupt der anglikanischen Gemeinde, bezeichnete den „Bereich der Stille“ als „entscheidenden Teil der täglichen Disziplin“. Die uralte Lebensweise der Einsiedler, welche in der frühchristlichen Kirche eine zentrale Stellung einnahmen und noch heute Bestandteil der östlichen Traditionen sind, findet heute wieder zunehmend Interesse. Die Stille wird geschätzt, weil sie ideale Voraussetzungen für Spiritualität und Einkehr schafft. Die meisten Religionen betrachten sie als eine Gegenwart und nicht als das Fehlen von etwas. Wenn die Menschen nicht sprechen, können sie sich selbst auf einer tieferen spirituellen Ebene finden.

ihrem abgeschlossenen Kloster der Einkehr und den kontemplativen Gebeten. Glaubt man ihrer spirituellen Autobiografie Gott hat mich überwältigt, so erreichte sie damit schließlich einen Zustand der religiösen Ekstase, in dem sie sich mit Gott eins fühlte. Sie empfahl einen vierfachen spirituellen Weg, auf dem auch andere es ihr gleichtun konnten. Er begann mit einem „mentalen Gebet“, das die Welt ausschloss, dann folgte das „Gebet der Stille“, in dem sie sich in Gott verlor und das sich in der „Hingabe der Vereinigung“ fortsetzte; jetzt erreichte sie einen Zustand der Ekstase, und schließlich gelangte sie zur „Hingabe der Ekstase“, einem tranceähnlichen Zustand, in dem die Sinnesorgane nicht mehr funktionierten und der Körper sich anfühlte, als ob er schwebte. Zu Teresas Lebzeiten hielt man ihre Trance jedoch vielfach für ein Anzeichen dafür, dass sie vom Teufel besessen war. Die anderen Nonnen ihres Klosters kritisierten sie häufig und drängten sie ins Abseits, und als sie ihrem Orden mit einer Reform zu einem mehr weltabgewandten, spirituelleren Leben verhelfen wollte, warf man ihr bei jedem Schritt Knüppel zwischen die Beine. Wie viele überragende spirituelle Gestalten im Christentum, so fand auch sie nach ihrem Tod mehr Anerkennung als zu Lebzeiten: Heute gehört sie zu den wenigen „Kirchenlehrerinnen“.



19. Jahrhundert Bewegung der Transzendentalisten 2008 Wirtschaftskrise löst eine Wiederbelebung der Spiritualität aus

‚Kontemplatives Gebet ist nach meiner Meinung nichts anderes
als ein enger Austausch zwischen Freunden; es bedeutet,
dass man sich die Zeit nimmt, um häufig mit dem allein zu sein,
von dem wir wissen, dass er uns liebt.

Hl. Teresa von Ávila ‘
Körper und Geist In den fernöstlichen Religionen dagegen findet man kaum einmal eine Trennung zwischen Religion und Spiritualität. Nach den Überzeugungen mancher Traditionen, beispielsweise des Jainismus, erlangen Mönche und Nonnen durch ihre Selbstaufopferung eine höhere spirituelle Bewusstseinsebene als die Mehrzahl der Gläubigen, die sich mit den alltäglichen Ansprüchen von Familie und Arbeit zufriedengeben müssen. Im Buddhismus jedoch werden alle – ob Mönch oder nicht – zum Meditieren aufgefordert; dieses gilt als geistige und körperliche Übung, mit der man sich von Gedanken und Gefühlen trennen und so einen höheren Bewusstseinszustand erreichen kann. Im Buddhismus ist Meditation nicht vom Alltagsleben oder der rituellen Praxis getrennt, sondern sie ist das Kernstück der Religion.

Bede Griffiths

Der in Großbritannien geborene Benediktinermönch Bede Griffiths (1906–1993) verbrachte sein Erwachsenenleben zum größten Teil in den Ashrams Südindiens. Dort versuchte er, zu einer Synthese zwischen abendländischem Christentum und östlicher Spiritualität zu gelangen. Er blieb zwar katholischer Mönch, übernahm aber die äußeren Gepflogenheiten des hinduistischen Klosterlebens und trat in einen Dialog mit dem Hinduismus ein, den er in zwölf populären Büchern festhielt. Ein Schlüsselbegriff war für ihn das „integrale Denken“ – das Bemühen, spirituelle und wissenschaftliche Weltanschauung miteinander in Einklang zu bringen. Im Jahr 1983 schrieb er: „Wir stehen jetzt vor der Herausforderung, eine Theologie zu schaffen, die sich der so vielfach übereinstimmenden Befunde der modernen Wissenschaft und der östlichen Mystik bedient, um daraus eine neue Theologie zu entwickeln, die viel angemessener wäre.“
‚Schweigen ist unsere erste menschliche Sprache.
Im Leben jedes Menschen sollte es Einsamkeit geben –
nicht als äußeren Dauerzustand, sondern als Kloster in unserem
Inneren. Dann können wir in ruhiger Harmonie in der Welt leben.

Revd. Cynthia Bourgeault, 2009 ‘
Auch im Taoismus gibt es das Bestreben, die Trennung von Körper und Geist zu überwinden. Er lehrt, dass körperliche Tätigkeiten spirituelle Wirkungen haben; deshalb betreiben seine Anhänger Übungen wie Tai Chi, um geistigen Freiraum zu schaffen und das Tao unmittelbar kennenzulernen. Körperliche Reinheit (beispielsweise durch strenge Diät) ist untrennbar mit geistiger Gesundheit verbunden.
Austausch zwischen Ost und West Die östlichen Vorstellungen von einer gesteigerten Spiritualität haben im Westen schon seit langem großen Einfluss. Im 19. Jahrhundert wurde die Bewegung des Transzendentalismus in den Vereinigten Staaten und Europa stark von vedischen und hinduistischen Gedanken geprägt. Sie legte Wert darauf, Zugang zu einem inneren Kern des spirituellen Denkens zu finden und eine Beziehung zum Göttlichen herzustellen, die kaum etwas mit den religiösen Institutionen zu tun hatte. In jüngerer Zeit haben verschiedene spirituelle Bewegungen unter dem Oberbegriff „New Age“ fernöstliche Rituale und Praktiken übernommen, diese wurden allerdings manchmal aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gerissen. Die taoistischen Lehren des Yin und Yang und des Feng Shui wurden beispielsweise im Westen zu Formen des Lifestyle, die ihrer religiösen Bedeutung fast völlig beraubt sind und nicht mehr zu einer Glaubenstradition gehören.
Worum es geht Körper und Geist können eine Einheit sein