Das Jüdischsein
Das Judentum ist die älteste, mit 16 Millionen Anhängern aber auch die kleinste der drei monotheistischen Religionen. Kurz gesagt entspricht der jüdische Glaube der uralten Ansicht, dass es in der Religion weniger um Glauben als vielmehr um Tun gehe. Ein zentraler Begriff im Judentum ist emunah – Glaube –, der aber nicht nur den Gedanken, sein Vertrauen in Gott zu setzen, umfasst, sondern alles, was sich für eine Lebensführung nach ethischen, von Gott gegebenen Prinzipien daraus ergibt.
Für das „Judentum“ gibt es im Hebräischen kein Wort. Manche Fachleute sind sogar der Ansicht, dass der Begriff erst seit dem 19. Jahrhundert gebräuchlich ist. Man kann Jude sein, ohne sich allen oder auch nur irgendwelchen Lehren des Judentums anzuschließen, wie sie in dem von Rabbinern festgeschriebenen jüdischen Gesetz vorgegeben sind. Man muss nur eine jüdische Mutter haben. „Säkulare“ Juden machen sich vielleicht jüdische Werte und manche traditionellen Praktiken zu eigen, messen ihnen aber keine religiöse Bedeutung bei, sondern betrachten das Judentum als kulturelle und ethnische Identität. Durch diese Kombination von Religion und Rasse unterscheidet sich das Judentum von allen anderen Glaubensrichtungen.
Das auserwählte Volk Die heiligen Schriften des Judentums sind die jüdische Bibel, zu der die Bücher der Thora (Genesis, Exodus, Levitikus, Numeri und Deuteronomium) gehören, nicht aber die des Neuen Testaments; außerdem der Talmud (Schriften von Rabbinern) und der Siddur (Gebetbuch). Der Schlüssel für die Geschichte des jüdischen Volkes, wie sie in der Thora wiedergegeben wird, ist Gottes Versprechen im Buch Exodus, die Juden seien sein auserwähltes Volk: „Werdet ihr nun meiner Stimme gehorchen und meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum sein vor allen Völkern; denn die ganze Erde ist mein. Und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein.“ Die Interpretation dieses Versprechens – und der übrigen Bibel – war vor allem die Aufgabe der Rabbiner (Lehrer). Ihre Kommentare (Mischna), die sie vielfach nur mündlich weitergaben, wurden um
ca. 1200 v. u. Z. Entstehung des jüdischen Königreiches 586 v. u. Z. babylonische Gefangenschaft 70 u. Z. Zerstörung des zweiten Tempels ca. 600
Fertigstellung des Talmud
200 u. Z. zum ersten Mal aufgezeichnet. Später wurden sie mehrfach umgearbeitet und an neue Umstände angepasst; um 600 u. Z. entstand daraus der Talmud (von dem hebräischen Wort für „lernen“).
Rabbi Julia Neu‘berger, 1995
Das Erlebnis des Exils Die Geschichte des Judentums umfasst 3500 Jahre, mehr als drei Viertel der Geschichte der Zivilisation. Sie beginnt der Thora zufolge beim Stammvater Abraham. Die Juden wurden von Gott als besonderes Volk auserwählt und sollten ein Beispiel für Heiligkeit sein. Gott führte sie aus Ägypten und ermöglichte es ihnen, ihre Feinde zu besiegen und um 1200 v. u. Z. ein eigenes Reich zu gründen. Auf dem Berg Sinai gab er Moses, dem wichtigsten Propheten des Judentums, eine Reihe von Regeln für ein ethisch einwandfreies Leben: die Zehn Gebote
| Die 13 Artikel des Maimonides Im 12. Jahrhundert gab es einen Versuch, das Wesen des Judentums zusammenzufassen, der stets populär geblieben ist. Der Gelehrte und Philosoph Maimonides (Rabbi Moses Ben Maimon) schrieb 13 Prinzipien fest: Gott existiert; Gott ist Eins; Gott hat keine körperliche Form; Gott ist ewig; Juden dürfen nur ihn allein anbeten; Gott hat durch die Propheten gesprochen; Moses ist der größte Prophet; die Thora ist göttlichen Ursprungs; die Thora ist in Ewigkeit gültig; Gott kennt die Taten der Menschen; Gott bestraft das Böse und belohnt das Gute; Gott wird einen Messias schicken; und Gott wird die Toten auferwecken. |
Paul Johnson, 1987 ‘
ca. 1800 Spaltung von Orthodoxen und Reformierten ca. 1900 Liberale Bewegung 1939 Holocaust durch die Nationalsozialisten 1948 Gründung des Staates Israel
Das jüdische Königreich florierte. König Salomo baute 960 v. u. Z. in Jerusalem einen großen Tempel, der zum Mittelpunkt der Riten und Rituale wurde. Er wurde 586 v. u. Z. von den Babyloniern zerstört, die eine Spaltung zwischen den Juden ausnutzten, um sie zu unterwerfen. Viele Juden wurden ins Exil verschleppt, das erste von mehreren derartigen Ereignissen in der jüdischen Geschichte. Das wiederhergestellte neue Königreich existierte bis zum ersten Jahrhundert u. Z., in der Spätzeit unter römischer Oberhoheit. Ein Aufstand führte im Jahre 70 u. Z. zur Zerstörung des zweiten Tempels. Von nun an war man stets bestrebt, die jüdische Tradition schriftlich festzuhalten. Als die Juden quer durch Europa wanderten, nahm ihre Verfolgung zu. Zuflucht fanden sie aber um 1000 u. Z. unter den islamischen Herrschern in Spanien. Danach erlebten sie im christlichen Europa noch größere Beschränkungen, bis ein neues liberales Bewusstsein ihnen zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Westen und in Übersee (1648 kamen die ersten Juden nach Amerika) größere Freiheiten verschaffte; im Osten setzte sich die Verfolgung jedoch fort. Hitlers Versuch, das ganze Volk im Rahmen des Holocaust auszulöschen, forderte unter den Juden Anfang der 1940er Jahre sechs Millionen Todesopfer. Im Jahr 1948 erhielten die Juden mit der Gründung Israels ihren eigenen Heimatstaat.
Orthodox, reformiert und liberal Vom siebten bis zum 19. Jahrhundert vermied das jüdische Volk jede Einteilung in verschiedene Kategorien. Stattdessen betonte man das Gemeinsame: die Vertreibung (Galut) aus dem gelobten Land. Als sich aber im 19. Jahrhundert die Gleichberechtigung in der Gesellschaft immer stärker durchsetzte, entstanden im jüdischen Glauben jene Kategorien, die uns noch heute vertraut sind. Diejenigen, die den größten Wert auf Traditionen und Gesetze legten, bezeichneten sich selbst als gehorsam, wurden aber von anderen als orthodoxe Juden eingeordnet. Sie stellen heute einen Anteil von zehn bis 15 Prozent aller Juden. Das reformierte Judentum entstand durch eine Neubewertung der traditionellen Religion vor dem Hintergrund der veränderten Verhältnisse im Europa des 19. Jahrhunderts. Fast 2000 Jahre alte Regeln (beispielsweise im Zusammenhang mit den Privilegien einer Priesterkaste aus Familien und mit den Vorschriften für rituelle Reinheit) wurden aufgegeben. Zur Reformbewegung gehört heute der größte Teil der gläubigen Juden. Die liberale Bewegung war zu Beginn des 20. Jahrhunderts ursprünglich eine Untergruppe der Reformierten, modernisierte aber weitere Glaubensaspekte: Sie betrachtet beispielsweise jeden, der einen jüdischen Elternteil hat (und nicht nur die Kinder jüdischer Mütter), als Juden und lässt auch Frauen als Rabbiner zu. Ihr Ziel ist es, das traditionelle Judentum mit der modernen Welt in Einklang zu bringen.
| Ultraorthodoxe Der bekannteste Flügel des modernen ultraorthodoxen Judentums ist der Chassidismus (von hebräisch chassid = fromm). Der Begriff wurde erstmals im zweiten Jahrhundert v. u. Z. für besonders fromme Juden benutzt und im 18. Jahrhundert in Osteuropa wiederbelebt, insbesondere bei den unterdrückten jüdischen Bauern in Polen, Litauen und anderen Regionen. Ziel der Bewegung ist eine Vertiefung der Frömmigkeit – häufig durch Musik und Mystik – und eine verstärkte Spiritualität anstelle der Gelehrsamkeit. Durch Auswanderungswellen gelangte sie nach Westeuropa und darüber hinaus. Die modernen chassidischen Gemeinden halten eng zusammen und erlegen sich strenge Bescheidenheitsregeln auf. Die Männer tragen unter den Ohren lange Haarlocken, weil es im Buch Levitikus die Vorschrift gibt, den Rand des Bartes nicht zu schneiden. |
Worum geht es Die Juden sind Gottes auserwähltes Volk
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