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Sikhismus

Der Sikhismus wurde Ende des 15. Jahrhunderts vom Guru Nanak begründet, einem Hindu, der auch den Islam studiert hatte. Die heutigen 20 Millionen Sikhs (von dem Sanskrit-Wort für „Lernender“ oder „Schüler“) sind allerdings der Ansicht, dass das von ihm überlieferte Glaubenssystem viel mehr ist als nur eine Synthese aus Hinduismus und Islam. Es ist seine eigene, charakteristische Schöpfung. Gestärkt wurde sie durch die neun Gurus, die auf Nanak folgten, und später durch das Guru Granth Sahib, das heilige Buch der Sikhs, dem heute der gleiche Status beigemessen wird wie einem lebenden Guru.
In Indien wurde in den letzten Jahrzehnten wiederholt der Vorwurf erhoben, der Sikhismus sei nur eine Sekte des Hinduismus. Diese Ansicht geht zum Teil auf hinduistische Nationalisten zurück, die damit auf den Konflikt zwischen dem indischen Staat und der großen Zahl der Sikhs im Punjab reagierten. Im Juni 1984 stürmten indische Truppen den Goldenen Tempel von Amritsar, das höchste Heiligtum der Sikhs. Vier Monate später wurde die indische Premierministerin Indira Gandhi von zweien ihrer Leibwächter, beide Sikhs, ermordet. Ihr Tod gab den Anlass zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen den Glaubensgemeinschaften, bei denen schätzungsweise 10.000, nach anderen Schätzungen sogar 17.000 Menschen ums Leben kamen.
Eine Religion des Dienens Zwischen Hinduismus und Sikhismus gibt es viele Gemeinsamkeiten, insbesondere den Glauben an Samsara, den Kreislauf von Geburt, Tod und Wiedergeburt. Sowohl der Islam als auch der Sikhismus sind monotheistische Religionen. Dennoch hat der Sikhismus seinen eigenen Charakter, dessen Grundlage die Pflicht zum Dienen bildet – zum Dienst an Gott und an der Gemeinschaft. Im Vergleich zum Hinduismus legt er also größeres Gewicht auf die Unterordnung des Einzelnen unter die Gesellschaft.
1469 Geburt des Guru Nanak 1699 Guru Gobind Singh erklärt die Khalsa
Wenn sich ethische Fragen stellen, auf die es im Guru Granth Sahib oder im Gurmat (den gesammelten Weisheiten der Gurus) keine klare Antwort gibt, sollen sie nach der Lehre des Sikhismus von der gesamten Gemeinschaft der Gläubigen oder Khalsa gemeinsam gelöst werden. Taten sind wichtiger als Rituale; die Gläubigen sollen ihr Haumain – den selbstbezogenen Stolz, durch den sie sich an weltliche Dinge binden – ablegen und stattdessen in ihrem Inneren nach Erleuchtung suchen.
Die fünf K Das charakteristische äußere Erscheinungsbild der Sikhs geht auf die Zeit des neunten und letzten Guru, der auf Guru Nanak folgte, zurück. Im Jahr 1699 schrieb der Guru Gobind Singh die „fünf K“ vor, wie sie von den Sikhs genannt werden. Sie sollten für die Khalsa als Erkennungszeichen dienen und eine Bindung zwischen ihnen schaffen: Kes (ungeschnittene Haare); Karra (eiserner Armreif); Kangha (Holzkamm); Kaschaira (Baumwollunterwäsche); und Kirpan (ein kleiner Dolch). Sikh-Männer tragen außerdem einen Turban.

Rituale der Sikhs

Einem neugeborenen Kind flüstern Sikhs das Mul Mantar (ein von Guru Nanak verfasstes Gebet) ins Ohr und streichen ihm Honig in den Mund. Innerhalb der ersten 40 Tage wird das Kind in den Gurdwara (Tempel) gebracht und dort mit heiligem Wasser getauft. Die Hochzeitszeremonie der Sikhs, Anand Karaj genannt, gründet sich auf Richtlinien der Gurus und wird nur vollzogen, wenn beide Partner Sikhs sind. Trotz der Lehre des Guru Nanak, wonach Rituale eine untergeordnete Rolle spielen, sind Sikhs erpicht auf Prozessionen; Götterbilder lehnen sie jedoch ab. Sie feiern Diwali, allerdings als Erinnerung an die Freilassung des sechsten Guru Hargobind Singh, der 1619 aus dem Gefängnis kam. Ihr höchster Feiertag ist Vaisakhi, das Neujahrsfest, mit dem die Geburt des Sikh-Volkes als Khalsa im Jahr 1699 gefeiert wird.


1799 Gründung eines unabhängigen Sikh-Staates 1919 Briten richten in Amritsar ein Blutbad an 1984 Erstürmung des Goldenen Tempels durch indische Truppen

‚Die Erkenntnis der Wahrheit steht höher als alles andere.
Noch höher aber steht ein wahrhaftiges Leben.

Guru Nanak, 1469–1539 ‘
Jedes der fünf K hat seinen eigenen Symbolgehalt. Haare sind für Sikhs ein Zeichen für Heiligkeit und Stärke. Sie ungeschnitten zu lassen, bedeutet, dass man Gottes Geschenk so annimmt, wie es beabsichtigt war. Die Ursprünge von Kaschaira und Kirpan liegen in der oftmals gewalttätigen Geschichte des Sikhismus, der seine eigene Identität im Schatten der größeren hinduistischen und muslimischen Gruppen rund um seine Heimat an der indisch-pakistanischen Grenze sichern musste. Die Kaschaira war im 18. Jahrhundert die bevorzugte Kleidung der Sikh-Krieger, und der Kirpan erinnert an die „heiligen Soldaten“, die der Guru Gobind Singh zur Verteidigung des Sikhismus rekrutierte.
Guru Nanak Der Guru Nanak legte mit einer Reihe höchst poetischer Schriften das Fundament der sikhistischen Lehre und Religion. Die historische Forschung lieferte kaum Anhaltspunkte für sein Leben, aber seine Anhänger haben rund um ihn eine Fülle von Geschichten gestrickt. Eine davon erzählt, wie er sich mit elf Jahren weigerte, die „heilige Schnur“ zu tragen, wie es bei hinduistischen Jungen seines Alters und seiner Kaste in seiner Heimat Punjab Sitte war. Er erklärte, Menschen sollten sich durch ihre Taten unterscheiden und nicht durch ihre Kleidung. Der wichtigste Kritikpunkt des Guru Nanak an Hinduismus und Islam lautete: Beide legen zu viel Wert auf Äußerlichkeiten – auf Pilgerreisen, Selbstkasteiung und Armut –, während ihnen die inneren Veränderungen, die in der Seele jedes Gläubigen stattfinden müssen, weniger wichtig sind. Er lehrte, es gebe nur einen Gott, dieser habe weder Form noch Geschlecht und behandle alle gleich, unabhängig davon, ob sie Männer oder Frauen seien, zu einer hohen Kaste oder zu den „Unberührbaren“ gehörten. Außerdem behauptete er, man könne eine Beziehung zu Gott haben, ohne dass es dazu irgendwelcher Priester oder Rituale bedürfe.
Kampf ums Überleben Unter Guru Arjan Dev (1563–1606), dem fünften Nachfolger des Guru Nanak, begann für die Sikhs ein langer Überlebenskampf. Der Mogulkaiser Janaghir (Regierungszeit 1605–1627) war durch die Erfolge des Guru Arjan in der wachsenden Sikh-Hauptstadt Amritsar beunruhigt und wollte die Gruppe gefügig machen. Im Jahr 1606 ließ er den Guru hinrichten, aber der Kampf setzte sich unter Arjans Nachfolger fort, und die Moguln versuchten, die Sikhs mit Gewalt zum Islam zu bekehren.

Pflichten und Flüche

Nach dem Glauben der Sikhs ist die Befreiung vom Samsara nur durch die Gnade Gottes möglich. Vor diesem Hintergrund benennen sie drei Pflichten zum Dienst an Gott und fünf Flüche, welche die Gläubigen von ihm trennen. Die Pflichten sind Nam Japna – behalte Gott immer in deinem Gedächtnis, Krit Karna – führe ein aufrichtiges Leben, und Vand Chakna – sei mildtätig und sorge für andere. Die fünf Flüche sind:Wollust, Habgier, die Hochschätzung weltlicher Dinge, Jähzorn und Überheblichkeit.


Der Guru Gobind Singh (1666–1708) machte aus den Sikhs sowohl eine Religionsgemeinschaft als auch eine Streitmacht, die sich verteidigen konnte. Der Dichter, Philosoph und Krieger folgte mit neun Jahren seinem Vater als Guru nach. Im Jahr 1699 erklärte er alle Sikhs zu Mitgliedern der Khalsa, legte ihre Kleiderordnung fest und rekrutierte die „heiligen Soldaten“. Kurz vor seinem Tod befahl er, es solle keine weiteren menschlichen Gurus mehr geben, sondern nur das heilige Buch. Den auf Guru Gobind folgenden Militärführern gelang es gegen Ende des 18. Jahrhunderts, im Punjab einen unabhängigen Sikh-Staat zu gründen, aber sogar dort waren die Sikhs in der Minderheit. Anfangs widersetzten sie sich der britischen Herrschaft in Indien, später wurden sie aber zu engen Verbündeten des Raja, bis im Jahr 1919 ein Massaker an Sikhs in Amritsar die Beziehungen vergiftete. Als der Punjab 1947 zwischen den neu geschaffenen Staaten Indien und Pakistan aufgeteilt wurde, fühlten sich die Sikhs übergangen, und ihre Verbitterung führte in gerader Linie zu den Gewalttaten der 1980er Jahre.
Worum geht es Diene anderen, dann dienst du Gott