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„Wulff-Affäre“

→ Hauptartikel: Wulff-Affäre
Überblick
Die Wulff-Affäre begann im Dezember 2011 und führte zu Wulffs Rücktritt als Bundespräsident am 17. Februar 2012. Es ging zunächst um den Vorwurf, im niedersächsischen Landtag eine Anfrage, die mit der Finanzierung seines Eigenheims zusammenhing, unzutreffend beantwortet zu haben (sog. Kreditaffäre). Dann wurde Wulff vorgeworfen, er habe versucht, die Berichterstattung darüber zu verhindern (sog. Medienaffäre). In der Folge wurden immer wieder neue Vorwürfe wegen früherer Verhaltensweisen aus Wulffs Zeit als Ministerpräsident erhoben. Die Staatsanwaltschaft Hannover hat schließlich unter anderem wegen einer Urlaubsreise nach Sylt, die David Groenewold bezahlt haben soll, Ermittlungen wegen Verdachts der Vorteilsannahme aufgenommen216 und die Aufhebung von Wulffs Immunität als Bundespräsident beantragt. Wulff trat daraufhin zurück. Manche Rechtswissenschaftler sehen in mehreren berichteten Geschehnissen Verstöße gegen das Grundgesetz und die niedersächsische Verfassung und gehen teilweise von strafrechtlicher Relevanz der Vorwürfe aus; andere sehen keine Rechtsbrüche. Auch Wulff selbst ist der Ansicht, keine Rechtsverstöße begangen zu haben.
Verlauf
Ende 2011 wurden in der Presse Vorwürfe erhoben, Wulff habe eine Anfrage im niedersächsischen Landtag im Jahr 2010 falsch beantwortet. In der Frage ging es um geschäftliche Beziehungen zum Unternehmer Egon Geerkens.217 Wulff hatte geschäftliche Beziehungen verneint. Die Bild-Zeitung ermittelte jedoch, dass Wulff für den Kauf eines Hauses in Großburgwedel im Jahr 2008 einen Kredit über 500.000 Euro von der Ehefrau des Unternehmers erhalten hatte. Geerkens teilte später dem Nachrichtenmagazin Spiegel mit, er habe die Verhandlungen über den Kredit geführt und sei an dessen Abwicklung beteiligt gewesen.218 Als Wulff von der geplanten Berichterstattung durch die Bild-Zeitung erfuhr, rief er bei mehreren führenden Persönlichkeiten des Axel-Springer-Verlags an und drohte unter anderem mit einer Strafanzeige. Die Bildzeitung sah eine Mailbox-Nachricht Wulffs an Kai Diekmann als Versuch an, die Berichterstattung zu unterbinden.219 Nach eigenen Angaben wollte Wulff hingegen die Berichterstattung lediglich verzögern.220


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219„Bild“ widerspricht der Darstellung des Bundespräsidenten. In: Deutschlandfunk. 5.Januar 2012
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Die Berichte über diese Vorgänge lösten eine Reihe weiterer Recherchen aus. Kritisiert wurde, dass Wulff mehrfach Urlaubseinladungen von Managern und Unternehmern angenommen habe. Wulff gab an, die aus seiner Sicht freundschaftlichen Einladungen hätten keinen Bezug zu seiner Amtsführung gehabt.221222 Ein weiterer Vorwurf betraf die Finanzierung des privaten Wirtschaftstreffens „Nord-Süd-Dialog“, da die Antwort der Regierung Wulff auf eine diesbezügliche Anfrage des Landtags unrichtig gewesen sei.223 Der Veranstalter dieses Treffens, der Eventmanager Manfred Schmidt, hatte zudem Wulffs Feier nach dessen Wahl zum Bundespräsidenten finanziert.224 Auch wurde bekannt, dass Geerkens Mandant jener Anwaltskanzlei war, bei der Wulff bis 2011, zunächst als angestellter Anwalt und zuletzt als freier Mitarbeiter, tätig war. Diese Beziehung wird teils als „geschäftliche Beziehung“ im Sinne der Anfrage des Landtags aus dem Jahr 2010 angesehen.225 Schließlich wurde Anfang Februar 2012 bekannt, dass der Filmproduzent David Groenewold mehrfach Reiserechnungen für Wulff bezahlt hatte; Wulff erklärte, er habe die Kosten stets nachträglich in bar erstattet.
Vor allem diesen letzten Vorwurf nahm die Staatsanwaltschaft Hannover zum Anlass, Ermittlungen gegen Wulff wegen Vorteilsannahme aufzunehmen. Vorteilsannahme ist eine nach deutschem Strafrecht strafbare Handlung. Sie liegt gemäß § 331 StGB dann vor, wenn ein Amtsträger oder ein für den öffentlichen Dienst Verpflichteter für sich oder für einen Dritten für die Dienstausübung einen Vorteil fordert, sich versprechen lässt oder annimmt. Medien berichteten, dass „strafrechtliche Ermittlungen“ gegen Wulff aufgenommen wurden. 226
Staatsanwaltschaften sind weisungsgebunden; ihr Vorgesetzter war Bernd Busemann (CDU, bis zu den Landtagswahlen Anfang 2013). 227 Schon vorher forderten mehrere Politiker, Journalisten und (Rechts-)Wissenschaftler öffentlich Wulffs Rücktritt. In der Bevölkerung plädierte seit Mitte Januar 2012 eine Mehrheit für einen Rücktritt.228
Im Korruptionsprozess gegen Wulffs ehemaligen Pressesprecher Olaf Glaeseker hatte Wulff als Zeuge ausgesagt, nur vage über dessen Reisen in französische und spanische Urlaubsdomizile des Eventmanagers Manfred Schmidt informiert gewesen zu sein. Glaeseker sei für ihn in seinen Urlauben nicht erreichbar gewesen. Glaeseker widersprach Wulff Mitte November 2012 im Rahmen des Prozesses und wies auf das Reisetagebuch seiner Ehefrau mit mehreren Eintragungen zu telefonischen, SMS- oder Fax-Kontakten zwischen Wulff und Glaeseker hin.229


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222Gernot Lehr, Journalistenanfragen und Antworten. Teil 1 (PDF; 1,9 MB), 18. Januar 2012, S. 16f.
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226zeit.de 5. Dezember 2012: Wulff und der Maulwurf. – Immer wieder werden Interna aus den Ermittlungen gegen Ex-Präsident Christian Wulff öffentlich. Wer steckt dahinter? Werden da alte Rechnungen beglichen? Eine Recherche in Hannover.
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229Spiegel-Bericht: Ermittlungen gegen Ex-Bundespräsident: Glaeseker vs. Christian Wulff in: spiegel.de vom 17. November 2012.
Im Februar 2013 veröffentlichte der Journalist Michael Götschenberg ein Buch mit Hintergrundinformationen zu Wullfs Aufstieg und Fall. Er thematisiert die Rolle einzelner Medien in der Affäre und geht u.a. der Frage nach, wie es zum Bruch zwischen Wulff und BILD-Zeitung kam, nachdem Wulff jahrelang ein BILD-Liebling war. 230 Er kritisiert, dass Medien Vorgänge gezielt skandalisieren, z. B. zur Auflagensteigerung, bzw. im Fall Wulff skandalisiert haben.231
Anklage wegen Bestechlichkeit
Am 9. April 2013 lehnte Wulff das Angebot der Staatsanwaltschaft ab, das Verfahren nach § 153a StPO gegen die Auflage der Zahlung von 20.000 Euro einzustellen.232 Am 12. April 2013 erhob die Staatsanwaltschaft Hannover daraufhin Anklage wegen Bestechlichkeit beim Landgericht Hannover.233 234235 Über die Zulassung dieser Anklage hat das Gericht noch nicht entschieden. Ein Jahr lang hatten 24 Staatsanwälte und Ermittlungsbeamte an dem Fall gearbeitet und zunächst gegen Wulff und Groenewold wegen des Verdachts der Vorteilsnahme und der Vorteilsgewährung ermittelt. Es ging am Anfang um zwei Urlaubsreisen nach Sylt und einen Besuch beim Oktoberfest im Jahr 2008.236 Mehrere Kommentatoren stellten fest, dass die Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft in keiner Relation zu dem enormen Aufwand, den enormen Kosten und dem möglichen Delikt stehen.237238239 Einige Kommentatoren sehen in einer unverhältnismäßig harten Behandlung Wulffs durch die Staatsanwälte einen Skandal.240


230Michael Götschenberg : Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien. Plassen Verlag, ISBN 978-3864700842, Blick ins Buch
231Götschenberg , a.a.O. Seite 259, Seite 249 zum ökonomischen Hintergrund
232Wulffs Anwälte und Anklage vertagen sich; manager-magazin.de: Deal ausgeschlagen – Wulff will sich vor Gericht verantworten. Seine Anwälte verlasen eine Erklärung (unter anderem: „Wulff hat sich nichts zuschulden kommen lassen“ … „Das Verfahren ist ohne Wenn und Aber einzustellen.“
233tagesspiegel.de Ein historisches Verfahren. – Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik soll sich ein ehemaliger Präsident vor Gericht verantworten. Der Rücktrittsgrund ist nicht mehr dabei]
234suedduetsche.de: Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen Wulff
235spiegel.de: Dokumentation: Die Anklage gegen Wulff und Groenewold
236zeit.de: [zeit.de 6. April 2013: Die letzte Würde. – Auch der ehemalige Bundespräsident hat ein Recht auf eine faire Beurteilung, nicht nur durch die Justiz.
237spiegel.de 11. April 2013: Fall Wulff: Deutsche Show-Justiz (ein Kommentar von Jan Fleischhauer)
238sueddeutsche.de 10. April 2013: Von der Lawine zum Schneebällchen. – Von den Enthüllungen gegen Christian Wulff ist nach 14 Monaten nur noch lächerlich wenig übrig geblieben. Die Frage lautet jetzt: Ist er zu Unrecht zum Rücktritt getrieben worden? Diese Frage können sich auch die Medien stellen, die damals wochenlang jedes noch so kleine Detail hervorgekramt haben. Die SZ kann sich da nicht komplett ausnehmen. (ein Kommentar von Heribert Prantl)
239Potsdamer Neueste Nachrichten 8. April 2013: Um die Ehre
240faz.net 11. April 2013: Wulff selbst
Auch wurde kritisiert (zum Beispiel von ZEIT-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo241), dass fast jedes Detail aus den Ermittlungen an die Öffentlichkeit drang.242 (siehe auch Privatsphäre, Unschuldsvermutung)
Kontroversen
Pogromvergleich
hohe Managergehälter mit den Worten „Ich finde, wenn jemand zehntausend Jobs sichert und Millionen an Steuern zahlt, gegen den darf man keine Pogromstimmung verbreiten“.243 Auch auf Nachfragen des Moderators der Talkshow distanzierte Wulff sich nicht von seiner Wortwahl. Der Zentralrat der Juden in Deutschland warf Wulff später vor, er habe eine „Brandstifter- Rede“ gehalten. Der Zentralrat unterstellte Wulff fehlendes Geschichtsbewusstsein und legte ihm den Rücktritt nahe. 244245246



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242Hannoversche Allgemeine: Dieser Mann ermittelt gegen Christian Wullf
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