Flugticketaffäre
Im Dezember 2009 nahm Wulff für einen Ferienflug mit Air Berlin für sich und seine Familie eine kostenlose Hochstufung („Ticket-Upgrade“) in die (teurere) Businessklasse an. Da laut der Durchführungsverordnung zum niedersächsischem Ministergesetz Mitglieder der Landesregierung nur Geschenke im Wert von bis zu zehn Euro annehmen dürfen, leitete die Staatsanwaltschaft Hannover eine Untersuchung ein, nachdem eine Anzeige bei ihr eingegangen war. Gegenstand der Ermittlungen war die Frage, ob der Straftatbestand der Vorteilsannahme greife.247 Wulff gab an, seine Frau habe sich im Vorfeld des Fluges mit dem Chef der Fluggesellschaft unterhalten und daraufhin die kostenlose Hochstufung angeboten bekommen.248 Erst durch eine Nachfrage des Nachrichtenmagazins Der Spiegel sei er sich des objektiven Gesetzesverstoßes bewusst geworden und habe daraufhin den Differenzbetrag für die Tickets an die Fluggesellschaft gezahlt.249 Auf eine kleine Anfrage der SPD im niedersächsischen Landtag antwortete die Staatskanzlei, Air Berlin habe von 2005 bis 2009 die Sommerfeste der niedersächsischen Landesvertretung in Berlin jeweils mit 7500 Euro gesponsert; Fördermittel des Landes Niedersachsen seien hingegen nie an die Fluggesellschaft geflossen.250 Die Untersuchung der Staatsanwaltschaft Hannover ergab, dass „keine zureichenden, tatsächlichen Anhaltspunkte für eine strafrechtlich relevante Vorteilnahme“ vorlagen.251 Im Zusammenhang mit den Upgrades wurde auch bekannt, dass Wulff seinen Urlaub in einer Villa des Unternehmers Egon Geerkens verbracht hatte. Dies führte zur Anfrage des Landtags über die geschäftlichen Beziehungen von Wulff zu Geerkens, die mitursächlich für die Wulff-Affäre wurde.252253254
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253Privatkredit: Wulff weist Vorwurf der Täuschung zurück – Bundespräsident Wulff in Erklärungsnot, Die Zeit, 13. Dezember 2011
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Automatische Diätenerhöhungen
Am 8. Juni 2010 beschloss der niedersächsische Landtag eine Diätenerhöhung in zwei Stufen (zum 1. Juli 2010 und zum 1. Januar 2011) von Euro 5595 auf Euro 6000, d. h. um 7,2 %, und weitere automatische Erhöhungen ab 2012. Wulff rechtfertigte dies mit den Worten „Der Beruf darf nicht immer unattraktiver werden. Es steht auch Abgeordneten regelmäßig eine angemessene Erhöhung zu.”255256 Politiker von Grünen und Die Linke bezeichneten diese Diätenerhöhung angesichts hoher Staatsschulden und Sparmaßnahmen als nicht gerechtfertigt. Weiterhin wurde die automatische Erhöhung ab 2012 vom Bund der Steuerzahler als nicht transparent kritisiert und als Versuch angesehen, zukünftige öffentliche Diäten-Debatten zu vermeiden.257258
Verbindung zu ProChrist und Arbeitskreis Christlicher Publizisten
Am Tag der Bekanntgabe von Wulffs Kandidatur als Bundespräsident am 3. Juni 2010 begann in den Medien eine kritische Diskussion über sein Amt als Kuratoriumsmitglied der missionarisch-evangelikalen Vereinigung ProChrist.259260 Es wurde argumentiert, dass ein solches Amt nicht mit der geforderten Unabhängigkeit des Bundespräsidenten vereinbar sei. Vom Altbischof der EKD, Wolfgang Huber, wurde Wulffs Mitgliedschaft im Kuratorium von ProChrist verteidigt, da es sich um ein reines Ehrengremium ohne „unmittelbaren Einfluss auf Planung und Gestaltung von ‚ProChrist‘- Veranstaltungen“ handele. Huber wertete die Kritik an Wulffs Kuratoriumsmitgliedschaft als „Parteinahme“ und die an Wulff gerichtete Empfehlung, aus diesem Gremium auszutreten, als „deplaziert und kleinkariert“.261 Wulffs Auftreten beim Arbeitskreis Christlicher Publizisten (ACP) mit einem Grußwort im Jahr 2004 und einem Vortrag im Mai 2010 wurde vom Sektenbeauftragten der evangelischen Landeskirche Württemberg Hansjörg Hemminger, der den ACP für eine „Splittergruppe am äußersten rechten Rand des Protestantismus“ hält, als „politisch bedenklich“ bezeichnet.262 Matthias Drobinski verwies in der Süddeutschen Zeitung jedoch darauf, dass Kultusminister Bernd Althusmann im Juni 2010 vor dem Niedersächsischen Landtag erklärt hatte, dass Wulff als Ministerpräsident beim ACP „vor allem die Ernennung der Sozialministerin Aygül Özkan verteidigt und ‚in der Kruzifixdebatte die Maßstäbe‘ zurechtgerückt“ habe. „Klug ist das nicht, zum Fundi macht das Christian Wulff aber auch nicht“, urteilte Drobinski, der die Kritik an Wulffs Verbindung zu ProChrist und ACP „dem linken und religionskritischen Spektrum“ zuschrieb.263
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Sonstiges
Wie Wulff sind auch zwei weitere Hauptbeteiligte der Wulff-Affäre, der Chefredakteur der Bild-Zeitung Kai Diekmann und der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer AG Mathias Döpfner, Absolventen des Young-Leader- Programmes der Atlantik-Brücke.264265266 Wulff hatte einen Gastauftritt in dem Fernsehfilm Mein alter Freund Fritz (ZDF, 2007; Buch und Regie: Dieter Wedel; mit Ulrich Tukur, Veronica Ferres, Maximilian Brückner und Uwe Bohm), in dem er sich selbst als Ministerpräsident spielte, der eine Rede anlässlich einer Klinikeröffnung hält. Wulff ist mit dem Unternehmer Carsten Maschmeyer befreundet.267268 Maschmeyer gehörte zu den Gästen bei Wulffs Hochzeit im Jahr 2008.269 Wulff hielt zudem 2009 die Laudatio, als Maschmeyer (der zuvor eine Professur am Institut für Psychologie mit einer Spende von 500.000 Euro gefördert hatte)270 von der Universität Hildesheim die Ehrendoktorwürde verliehen wurde.271272 Wulff ist Ehrenmitglied im Rotary Club Hannover-Leineschloß.273 Das Jugendwort „Wulffen“ 2012 erreichte Platz vier des Jahres. Es kann „jemandem die Mailbox vollquatschen“ bedeuten oder auch „auf Kosten anderer leben“.274
Buch
•Christian Wulff: „Besser die Wahrheit“. Ein Gespräch mit Hugo Müller-Vogg. Hoffmann und Campe, Hamburg 2007, ISBN 978-3-455-50046-2.
Literatur
Bücher
•Karl Hugo Pruys: Christian Wulff: Ich mach’ mein Ding. Ein politisches Porträt. Edition Q, Berlin 2002, ISBN 3-86124-559-0.
264Atlantik-Brücke’s Young Leaders Program: Some Prominent Young Leaders Alumni (PDF;
45 kB)
265XXVIII German-American Young Leaders Conference 2006, „…Kai Diekmann, YL 1995…“
S.7 (PDF; 82 kB)
266 Atlantik Brücke: Mächtige Allianz von Eva Buchhorn . „Young Leader (…) Mathias
Döpfner“ Manager-Magazin vom 21. März 2003. Online abgerufen am 9. April 2012
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274Jugendwort „Wulffen“
•Ders.: Christian Wulff. Deutschland kommt voran. Bebra, Berlin 2006, ISBN 3-89809-068-X.
•Armin Fuhrer: Christian Wulff. Der Marathonmann. Olzog, München 2006, ISBN 978-3-7892-8167-9.
•Nikolaus Harbusch, Martin Heidemanns: Affäre Wulff. Bundespräsident für 598 Tage – die Geschichte eines Scheiterns. 1. Auflage. Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2012, ISBN 978-3-86265-155-9.
Aufsätze
•Hans Herbert von Arnim: Vorteilsannahme des früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff? (PDF; 139 kB) In: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 31/3 (2012), 1-9.
Zeitungsartikel
•Renate Meinhof: Der Mann mit Eigenschaften. In: Süddeutsche Zeitung. 28.
Juni 2010 ( online aufgrund der Nominierung für den Deutschen Reporterpreis 2010 als beste politische Reportage).
•Martin Seiwert & Henning Krumrey: Bundespräsident: Christian Wulff – der geschmeidige Versöhner. In: Wirtschaftswoche. 5. Juli 2010.
•Robert von Lucius: Die Erbfreundschaften in Hannover. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 11. August 2010, S. 3.
•Philip Eppelsheim: Netzwerke in Hannover: Ein Nachmittag im Steintorviertel. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 30. November 2010.
•Die Chronik des Falls Wulf. In: Zeit Online. 13. September 2012.
Weblinks
•Regina Haunhorst: Tabellarischer Lebenslauf von Christian Wulff im LeMO (DHM und HdG)
•Literatur von und über Christian Wulff im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
•Christian Wulff in der Internet Movie Database (englisch)
•Christian Wulff auf abgeordnetenwatch.de
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