Vorwort
Von den Werken über Buchführung und Bilanzen ist die Literatur übersättigt. Nicht so liegt der Fall bezüglich der innig damit zusammenhängenden Buchführungs- und Bilanzrevision. Der Hauptgrund dieser Erscheinung ist, daß die Revision bei den hauptsächlich in Betracht kommenden Aktiengesellschaften von Gesetzes wegen durch den Aufsichtsrat, als das Kontrollorgan, ausgeübt wird oder doch ausgeübt werden soll. Und da sagte man sich, freilich mit derselben Indolenz, mit der die Aktionäre die Generalversammlungen besuchen, daß diese Kontrollinstanz aus so bedeutsamen Kaufleuten sich zusammensetzt, daß es keine Literatur geben könne, die diese illustre, sonder „Trug und Fehl“ arbeitende Körperschaft über das Wesen der Sache zu belehren vermöchte.
Erst als um das Jahr 1902 infolge der wirtschaftlichen Depression eine Aktiengesellschaft um die andere fiel und mit ihnen namhafte Bankfirmen in die Brüche gingen, da zeigte sich, daß es um die Kontrolltätigkeit des Aufsichtsrats doch nicht so tadellos bestellt sei. Es ergab sich, daß nicht so sehr der wirtschaftliche Niedergang es war, der zu den finanziellen Katastrophen führte, sondern, daß dieser nur der äußere Anlaß, ein Hauch war, der die Kartenhäuser niederlegte, die Seifenblasen in nichts zerfließen ließ. Da wurde es denn klar, wie der Aufsichtsrat revidiert hatte, wie bei ihm das laisser aller in seiner schlimmsten Bedeutung die Losung war. Man muß nämlich wissen, daß bei allen zugrunde gegangenen Gesellschaften fast ausnamslos die gröblichsten Verfehlungen festgestellt wurden und der Strafrichter eine mehr oder minder wichtige Rolle zu spielen hatte. Hätte also der Aufsichtsrat seine Pflicht getan, so würde er manches, wenn auch nicht alles Mißgeschick abgewendet haben können.
Mit der Erkenntnis dieses Tatbestandes fällt die Zeit zusammen, wo die Bücherrevisoren sich mit festem Ziele enger vn
aneinanderschlossen und eine neue, speziell den Gegenstand treffende Literatur einzusetzen begann. • Es entstand im Jahre 1905 das grundlegende Werk: „Die Bücherrevisoren-Praxis in Deutschland und England“ von Ernst Römer, und Dr. jur. Otto Gertung schrieb im Jahre 1906 sein Buch: „Die Bücherprüfung im englischen Aktienrecht“. Seither ist die Literatur auf dem fraglichen Gebiete steril geblieben. An einen praktischen Wegweiser, der wenigstens der Hauptsache nach bei den Revisionen durch das Labyrinth der Bücher und Bilanzen führen könnte, fehlt es bis heute ganz. Dies hegt einerseits daran, daß das Gebiet noch zu neu ist und andererseits, daß allem Anscheine nach sich noch zu wenig Fachmänner finden, die die Kompetenz in sich fühlen, über den Gegenstand sich schriftstellerisch zu betätigen. Diese Kompetenz glaubte ich allerdings in mir zu fühlen, als ich vorliegende Schrift abfaßte. Seit einer langen Reihe von Jahren mitten im aktiengesellschaftlichen Betrieb praktisch-kaufmännisch wirkend, die engeren Handelswissenschaften in meinem fach wissenschaftlichen Kursus theoretisch pflegend, als Sachverständiger in Buchführung-Sangelegenheiten von den Gerichten oft in Anspruch genommen und die Buchführungsrevision einiger großer Aktiengesellschaften besorgend, glaubte ich den Versuch einer Darstellung des Revisionswesens vom rechtlichen und technischen Standpunkte aus wagen zu sollen. Ich sage ausdrücklich: Versuch. Denn auf etwas Abgeschlossenes, Vollkommenes kann und will die Arbeit keinen Anspruch erheben, weil sich kaum etwas Derartiges über den schwierigen Gegenstand bieten ließe. Bei Abfassung der Arbeit wurde nicht versäumt, die Unhaltbarkeit des heutigen Systems an der Hand praktischer Fälle nachzuweisen und die Wege zu zeigen, die man in Deutschland gehen muß, wenn in dem jetzigen Zustand Wandel eintreten soll. Daran anschließend wird gezeigt, wie die Bücherrevision in Amerika und Holland, besonders aber in England, als dem Lande, das der Handelswelt nicht bloß das Scheckwesen und das Clearing, sondern auch das Institut des Audit und der Accountancy schenkte, gestaltet ist.
Möge das Buch seinen besonderen Zweck: ein Führer durch die Buchführungs- und Bilanzrevision zu sein, und sodann im allgemeinen über das Revisionswesen aufklärend zu wirken, erfüllen.
Straßburg i. E., im September 1907.
von R. Beigel.
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