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Bilanzfälschungen.

Die Bilanzfälschungen lassen sieh in drei Kategorien gliedern:
1.    Fälschungen der Inventare durch eine höhere Angabe der Bestände in Menge oder Wert; 
2.    unrichtige Einstellung der Außenstände, indem wertlose oder zweifelhafte Forderungen gegen Kunden oder gegen die Direktoren selbst als vollwertig eingesetzt oder Scheindebitoren gebildet werden;
3.    Fälschung der Gewinn- und Verlustrechnung oder der Herstellungsrechnung dadurch, daß Betriebskosten auf Liegen¬schafts-, Maschinen- oder Reservefondskonto verbucht oder Neu* anschaffungen über den Gestehungspreis eingesetzt, dagegen die hohen Rabatte hierauf als Betriebsgewinne verbucht werden.
Jede Bilanzfälschung bezweckt, erlittene Verluste, die man fahrlässigerweise oder durch Spekulation selbst verschuldete, oder Vermögensvorteile, die man sich bewußtermaßen wider¬rechtlich angeeignet hat, zu verbergen. In diesem Punkte liegt der Unterschied zwischen der Bilanzfälschung und der Bilanzverschleierung. Während nämlich bei dem erstem Delikt Dolus (Arglist) vorliegt, beruht das letztere auf Culpa (lata oder levis), d. h. (grober oder leichter) Fahrlässigkeit.
Eine weitverbreiteteFälschungsmethode besteht darin, Speku- lations- oder Syndikatsgeschäfte entweder auf fingierte Konto-korrentkonti oder noch besser auf das Konto pro diverse zu buchen. Glückt die Transaktion, so wird dieselbe auf das Privatkonto des Vorstandes übertragen, glückt sie nicht, so wird sie auf irgend ein Betriebskonto abgebucht, d. h. von dem einen Versteck in das andere gebracht und hier endgültig beim Jahresabschluß verrechnet
Ein Unikum in seiner Art bildet wohl der im Jahre 1902 erfolgte Zusammenbruch der Leipziger Bank, wegen dessen vor dem Leipziger Schwurgericht im Juni 1902 die beiden Direktoren August Heinrich Exner und der frühere Rechts¬anwalt Dr. jur. Albert Gentsch, sodann der gesamte Auf¬sichtsrat wegen betrügerischen Bankrotts, falscher Buchführung, Verschleierung des Vermögensstandes in den Geschäftsbüchern und Bilanzen, sowie wegen Betrugs und Untreue sich zu ver¬antworten hatten. Direktor Schmidt wurde flüchtig und wandte sich nach Amerika, ist aber auf der Durchreise durch Paris in einem Hotel verhaftet und ausgeliefert worden. Eine hochangesehene, altrenommierte und solide Bankfirma knüpfte mit einer Kasseler Industrie, der dortigen Trebertrocknungsaktien- gesellschaft, bezw. mit deren Leiter, dem Landsmann des Bank- 92
direktors Exner, Adolf Schmidt, Geschäftsbeziehungen an und verlor sich im Verlaufe weniger Jahre in dieselben so weit, daß der der Trebertrocknung eingeräumte Blankokredit, ange¬fangen mit 200000 Mk., rasch auf 3 Millionen wuchs, für welche die Leipziger Bank Treberaktien übernahm. Mittlerweile wurden überall Filialen gegründet, auf Grund gefälschter Bilanzen hohe Tantiemen bezahlt, und bereits im Jahre 1897 betrugen die Engagements der Bank über 8 Millionen, die, da die Unter¬nehmungen mißlangen, immer wieder erhöht werden mußten.
Um die hohen Engagements zu verdecken, griffen Exner sowohl wie Schmidt zu den verschiedenartigsten Schiebungen und Bilanzverschleierungen. Die Engagements der Leipziger Bank betrugen schon damals 27% Millionen Mark, wuchsen aber alsdann ins Ungeheuerliche, als Schmidt seinen Plan, einen Welttrust für Holzverkohlung zu gründen, aufnahm und von der Errichtung einer Tochtergesellschaft zur anderen schritt. Zuletzt betrug die Verpflichtung der Trebertrocknung gegen* über der Leipziger Bank gegen 80 Millionen Mark. In den Bilanzen und Geschäftsberichten kam aber von diesen Riesen* engagements nichts zum Ausdruck. Durch Schaffung beson* derer Konten, Eintragung fingierter Effekten und Posten und durch die verzwicktesten Schiebungen, zu deren Auf* deckung monatelange, mühselige Arbeit der kaufmännischen Sachverständigen und Bücherrevisoren nötig war, wurde der • Sachverhalt verdeckt. Bekannt ist aus dem Treberprozeß, wie die sogenannten sechs „Treberherren“ (Schmidt und die fünf Aufsichtsratsmitglieder) einen Kredit von 22% Millionen Mark von der Leipziger Bank eingeräumt erhielten, wofür die For¬derungen der Gesellschaft an die Tochtergesellschaften in Höhe von 18 Millionen Mark auf die Bank übertragen wurden. Den Rest von 41/, Millionen Mark erhielt die Trebertrocknung gegen Akzepte der Treberherren als weiteren Kredit
Interessant hierbei ist, daß Exner deponierte, von doppelter Buchführung nichts zu verstehen. Das hinderte ihn aber nicht, seinem juristisch gebildeten Freunde und Direktor Adolf Schmidt Anleitungen zu geben, wie die Treberbilanz durch eine geeignete Gruppierung der Posten „flüssig“ und „schön“ zu gestalten sei, damit sie in diesem „frisierten“ Zustande dem Publikum „mundgerecht“ und „verständlich“ erscheine. Eine ganze Reihe von Konkursen von Handelshäusern und Industrie¬etablissements, Arbeitsstockungen, Selbstmorden von Leuten, die ihr Vermögen sicher angelegt glaubten und sich nun mit einem Schlage um ihre Ersparnisse gebracht sahen, waren die Folgen des Kraches. Auch zahlreiche Vereine und Korporationen, so der Gustav-Adolf-Verein, hatten ihr Vereinsvermögen bei der Leipziger Bank angelegt. Ebenso erlitten verschiedene thüringische Kleinstaaten, ferner die KönigL Sächsische Lotterie- Darlehnskasse, die Leipziger Hypothekenbank u. a. erhebliche Verluste.
Was in puncto Bilanzfälschung und fiktiver Dividenden geleistet werden kann, hat ferner der Prozeß des Bankdirektors und Kommerzienrates Eduard Sanden von der Aktiengesell¬schaft für Grundbesitz und Hypothekenverkehr zu Berlin ge¬zeigt Bei der Aktiengesellschaft für Trebertrocknung legte der Direktor 1200000 Mk. in die Kasse, um die Dividende zu vergrößern und so eine unlautere Kursbeeinflussung vorzu¬nehmen. Wo blieb bei allen diesen Verfehlungen das Kontroll¬organ, der Aufsichtsrat? „Die Sorglosigkeit des Aufsichts¬rates bei den Revisionen/ so heißt es im Prozeß Terlinden, „habe das Tun der Angeklagten ungemein erleichtert“
Bekannt ist, daß sehr viele industrielle Aktiengesellschaften konsequent in ihren Geschäftsberichten erhebliche Tatsachen unterschlagen, von den Abschreibungen keine Zahlen mitteilen, und wenn sie solche offenbaren, dies oft nur tun, um irrezu¬führen und zu falschen Schlüssen zu verleiten.
Einen eklatanten Fall grober Bilanzfälschung lieferte im Jahre 1904 die Bedburger Wollindustrie-Aktiengesellschaft Bei dieser Gesellschaft ist die Bestandaufnahme in der Weise vor sich gegangen, daß die Werkführer der einzelnen Abteilungen (Kunst¬wollfabrik, Spinnerei, Zwirnerei, Weberei und Lager) ihre Be¬stände am 31. Dezember festgestellt und in Hefte eingetragen haben. Diese Hefte sind dann für den Generaldirektor Silver-berg — nach dessen Tode die Fälschungen erst ans Licht kamen — eingesammelt worden. Silverberg veranlaßte hier¬auf durch Kontoristen die. Zusammmenfassung dieser Hefte in eine sogenannte Rohaufnahme. Das so entstandene, die ein¬zelnen Gewichtsmengen usw. ergebende Heft ist von Silver¬berg in Gegenwart eines anderen Leiters mit den Einheits- 94 
preisansätzen versehen worden. Für die Weber ei Vorräte, wo es sich um die größten Summen handelte, hat Silverberg die Bewertung allein vorgenommen. Das Kontorpersonal, dem die Ausrechnung und Reinschrift dieser Rohaufnahme oblag, hat wiederholt Änderungen an den Zahlen usw. bemerkt, aber an¬genommen, daß sich hinterher ein anderer Bestand ergeben habe. Welcher Angestellte hätte sich wohl träumen lassen, daß der Generaldirektor selbst, der Kommerzienrat, Handels¬richter, Kreisdeputierte, das Mitglied der Handelskammer und des Bezirkseisenbahnrates usw. usw. Silverberg seit Jahren die Inventur fälschte? Wer hätte die ungeheuerliche Behauptung vertreten?
Die Aufnahmehefte wie auch die Rohschrift der Inventur hat Silverberg bis auf drei wahrscheinlich beiseite geschafft oder vernichtet. Aus den übrig gebliebenen drei Dokumenten ist festgestellt worden — um nur einige Beispiele anzuführen — für 1902:
1.    Originalaufnahme 100800 kg Beiderwand-Königsberg je 8x/4 Pfg., Reinschrift 100800kg karbonisierte Beiderwand- Königsberg zu 37 Pfg.;    .
2.    Originalaufnahme 277 kg karb. schwarz Tibet I je 70 Pfg., Reinschrift 9277 kg karb. schwarz Tibet I je 70 Pfg.;
3.    Originalaufnahme 41240 kg karbonisierte Beider- wand je 6 Pfg.; Reinschrift 41240 kg zu je 33 Pfg.
Der Umstand, daß sich aus den Lager- und Materialbüchem der jeweilige Bestand nicht feststellen ließ und somit eine Kon¬trolle der durch die Inventur ermittelten Bestände ausgeschlossen war, beweist die großen Mängel der Betriebsbuchführung bei der Bedburger Wollindustrie und hat den Fälschungen Vor¬schub geleistet.
Typisch ist der Fall der Niedersächsischen Bank in Bücke¬burg, bei der ein Fehlbetrag in Höhe von 1995636 Mk. fest¬gestellt wurde. Die Revisionskommission stellte eine außer-ordentliche Unordnung der Buchführung fest. Das von dem Direktor Lindner persönlich geführte Kassabuch war seit 1885 nicht ordnungsmäßig addiert und nicht abgeschlossen. Gewiß besitzt jedermann eine Portion Spekulationstrieb, und wenn jemand wettet und wagt, schmeichelt und kriecht, baut und zerstört, so ist dies nichts weiter als ein Eingehen 
auf die Einflüsterungen des spekulativen Instinkts, Aber von dieser Sorte von Spekulation waren die „Unternehmungen“ des Direktors Lindner grundverschieden. Er spielte mit fremdem Gelde va banque und verlor. Seine verfehlten Spekulationen aber versteckte er hinter dem Konto pro diverse, während eine Anzahl fingierter Konti dazu diente, seine Inanspruchnahme der Bankmittel zu verheimlichen. Eine im Jahre 1889 durch den Buchhalter Winkelhake erfolgte Denunziation Lindners führte zum „Krach“.    *
Der Zusammenbruch der Aktiengesellschaft für chemische Industrie in Mannheim im Jahre 1902 bildet einen weiteren Beleg für die Sorglosigkeit des Aufsichtsrats, die das sträfliche Tun der beiden Direktoren Böhm und Henninger wesentlich erleichterte. Es wurde festgestellt, daß die Dividenden und Tantiemen, die gezahlt wurden, dem Aktienkapital entnommen waren. Der Direktor Böhm bekleidete bei dem Stahlwerk Mannheim, der Mannheimer Lagerhausgesellschaft und den chemischen Fabriken Gernsheim-Heubruck in Rheinau die Stelle eines Aufsichtsratsmitgliedes. An Fabrikationsgewinn ! wies die Bilanz vom 31. Dezember 1901 einen Betrag von 1 567652 Mk. aus. In Wirklichkeit war ein Manko von über 2000000 Mk. vorhanden, der mit andern Konti übermäntelt | wurde. Direktor Böhm stellte sich selbst, der stellvertretende Direktor Henninger wurde verhaftet.    ;
Einen geradezu klassischen Fall von Verletzung der Kon¬trollpflicht seitens des Aufsichtsrates stellte die verkrachte Aktiengesellschaft Portland Zementfabrik und chemische Fabrik (vorm. Dr. Hoffmann & Cie.) in Oos dar.
Schreiber dieses hatte im Auftrage eines Aufsichtsratsmit¬gliedes genannter Gesellschaft die umfangreichen Akten und Skripturen der Sache durchzusehen und war daher in der Lage, einen tiefen Einblick in die Verhältnisse, sowie in den Gang der Buchungen und Bilanzen usw., zu nehmen. Was sich ihm da offenbarte, war ein schauriges Mosaikbild gröbster Pflichtver¬letzung, wissentlich falscher Darstellungen^ schnöder Bereicherung und von Unkenntnis der Gesetze. Die Hoffmannschen Unter-nehmungen nämlich waren bereits im Jahre 1884 überschuldet; sie hatten eine Kontokorrentschuld von 255342,21 Mk. und eine Kapitalschuld von 100000 Mk. zu 5 °/0, also mit 17 767,10 Mk. 96    .
p. a. zu verzinsen, so daß dieselben, schlecht organisiert und schlecht geleitet, wie sie waren, bis 1888 rund 92000 Mk. Ver¬luste brachten. Trotzdem wurden die Unternehmungen im Sep-tember 1892 unter Aufstellung einer falschen Eröffnungsbilanz und Aufnahme eines Bardarlehen£ von 450000 Mk. in eine Aktiengesellschaft von Leuten, die ihren „Schnitt“ dabei machten, mit einem nominellen Aktienkapital von 850000 Mk. umge¬wandelt. Hierbei wurde Dr. Hoffmann, dessen Kapitalkonto am 1. Oktober 1884 im ganzen nur mit 12000 Mk. zu Buch stand und der nun in der Umwandlungsbilanz mit einem angeb¬lich aus der chemischen Fabrik herrührenden Kapitalkonto von 110624,58 Mk. und einer angeblich aus der Portland-Zement¬fabrik stammenden Kommanditbeteiligung von 56667,77 Mk. auftrat, mit einer Summe von 282 677,86 Mk. abgefunden. Außer¬dem wurden diesem Bilanzkünstler 625 Stück Aktien zur Ver¬fügung gestellt, die er teilweise zu seinem ^eigenen Nutz und Frommen ungeachtet dessen, daß die Weiterbegebung gesetz¬lich (Art 218c, Abs. 3, A. G. alt) verboten war, weil es sich um ein nicht voll eingezahltes Aktienkapital handelte, verwendete. Von der Virtuosität oder, wenn man will, Plumpheit, mit der der Direktor bei der Bilanzierung des Unternehmens vorging, zeugt z. B. der Umstand, daß die Bilanz per 30. September 1890 mit einem Bruttogewinn von 192210,24 Mk. rechnerisch ab¬schloß, während nur ein Reingewinn von ganzen 2275,31 Mk. vorhanden war; ferner, daß der Direktor das Maschinenkonto, welches per 30. September 1890 mit einem Saldo von 177 200 Mk. abschloß, am 1. Oktober 1890 zu einem Betrag von 236000 Mk., also mit einem Mehrwert von 58800 Mk., wiedereröffnete. Die Liegenschaften wurden anstatt mit 267685 Mk. mit 481585 Mk., die Fabrikeinrichtung anstatt mit 172373 Mk. mit 460391,65 Mk. usw. bewertet, so daß die wunderbar aufgeputzte und herrlich anzuschauende Gründungsbilanz in Aktiva und Passiva mit 1275665,07 Mk. glatt ausgeglichen wurde und just wie eine durchaus ehrliche Bilanz sich gab. .
Ein grelles Schlaglicht auf die Diligenz des Aufsichtsrats bei Ausübung seiner Kontrollpflicht wirft der im Juni 1907 stattgehabte Krach der Marienburger Bank. Der Konkurs¬verwalter, Rechtsanwalt Diegner, stellte fest, daß die Konkurs¬forderungen sich, soweit sie sich bis zur Gläubigerversammlung
R. Beigel, Theorie und Praxis.    7 
feststellen ließen, auf 9874000 Mk. belaufen. Der Massebestand beträgt dagegen 3145000 Mk. Rechnet man hiervon die vor¬aussichtlichen Ausfälle von 1145440 Mk. ab, so ergibt sich ein Nettomassebestand von rund 2 Millionen Mark, so daß die Gläubiger eine Dividende Vbn 20 Prozent zu erwarten haben. Wie der Direktor Wölke gewirtschaftet hat, geht am besten daraus hervor, daß nicht 5 Millionen Depositen und Sparein¬lagen vorhanden sein müssen, wie die letzte Bilanz behauptete» sondern daß die Summe der Spareinlagen im ganzen 8606000 Mk. beträgt. Der Konkursverwalter teilte unter anderm mit, wie durch den Direktor Wölke die Bilanzen durch falsche Buchungen verschleiert worden sind« Alle Bilanzziffern habe er gefälscht. So war beispielsweise in der Bilanz vom 31. Dezember 1906 ein Depositenbestand von 5402000 Mk. angegeben, während er tatsächlich auf 8606000 Mk. sich belief. Die 3% Millionen Effekten der Bilanz waren in Wirklichkeit gar nicht vorhanden. In den letzten fünf Jahren betrug vielmehr der tatsächliche Effekteilbestand nur noch 50—150000 Mk. Am letzten Jahres* Schluß waren statt der 3 x/t Millionen Mark Effekten nur 65000 Mk. vorhanden* Wölke sagte dem revidierenden Auf¬sichtsrat, die anderen Effekten befänden sich in Depots und dieser — glaubte es natürlich. Wo diese Depots waren, hat Wölke nicht angegeben. Der Aufsichtsrat beruhigte sich aber bei dieser Auskunft des Wölke. In Wirklichkeit waren die fehlenden Effekten bei auswärtigen Bankgeschäften verpfändet. Für die Revisoren fertigte Wölke stets ein besonderes Effekten¬verzeichnis an, das mit dem Effektenbestand der Bilanz über¬einstimmte. Eine Bestandsaufnahme in natura fand nicht statt, sonst wäre ja der Schwindel sofort entdeckt worden. Was die Verpfändung der Wertpapiere anlangt, so geschah diese nicht allein zu Spekulationszwecken, sondern auch zur Sicherheit für die auswärtigen Bankfirmen, bei denen die Marienburger Privat¬bank ihre Wechsel zu diskontieren pflegte. Ohne besondere Sicherheit hätten die Bankgeschäfte nicht die Marienburger Privatbankwechsel angekauft Kam in den Herbstmonaten mehr Geld bei der Privatbank ein, so wurden zuerst die ge-plünderten Depots wieder aufgefüllt. Stellte sich im Frühjahr großer Geldbedarf ein, so müßten die Depots herhalten zur Befriedigung des Geldbedarfes. 
Und wie lange ist es her, daß der Vorstand der Aktienge¬sellschaft für Lederfabrikation in München-Giesing eine Bilanz vorlegte, in der er, um die durch sein Verschulden seit dem Jahre 1886 entstandenen Verluste zu Verschleiern, das Lederkonto in Höhe der Verluste besser erscheinen ließ als es war, so daß bei der richtigen Einzelaufnahme sich ein Manko von etwa 17t Millionen Mark ergab. Dieser Verlust betrug mehr als die Hälfte der gesamten Vorräte, so daß eine Zusammenlegung der Aktien von 2 zu 1 und Verkauf eines großen Teiles der Grund¬stücke stattfinden mußte. Und der Leiter dieser Aktiengesell¬schaft, derjenige, der den Ruin herbeigeführt hat, war der Kommerzienrat Ed. Kester, ein durch eine Reihe von Ehren¬stellen ausgezeichneter Mann, dem unbedingtes Vertrauen ent¬gegengebracht wurde. Es war das alte Lied: der Aufsichtsrat war schuld an dem Ruin, weil er seine Pflicht als Kontroll-organ nicht tat.
Was Bauernfängertum bei der Bilanzierung zu leisten ver¬mag, das hat das Dioskurenpaar von Direktoren Sanden und Exner bei der Berliner Grundkreditbank gezeigt Welches freie Spiel diesen beiden Vorständen die mangelnde Kontrolle des Aufsichtsrates gewährte, lehrt am besten der Bericht der Revisionskommission, welcher u. a> besagt: „Die Aufstellung einer Bilanz ist zurzeit unmöglich, Weil über die verschiedensten Hypothekentransaktionen keinerlei Buchung (I) vorgenommen worden ist" Ebenso unmöglich sei es, heißt es weiter, gewesen, verschiedene Konti materiell richtig zu stellen und sie mitein¬ander in Übereinstimmung zu bringen. Außerdem sollen sich in den Büchern eine Menge Rasuren und Durchstreichungen mit Unleserlichmachung des ursprünglich Hingeschriebenefi (§ 43    gefunden haben.
Ein klassisches Beispiel mangelnder Diligenz seitens des Aufsichtsrates lieferte sodann die im Jahre 1895 in Konkurs gegangene Geraer Handels- und Kreditbank, welche durch die maßlosen Börsenspekulationen ihres Direktors Roßbach zu¬grunde gerichtet wurde. Der Konkursverwalter verklagte den Aufsichtsrat auf Ersatz von 2539000 Mk., worauf sämtliche Mit¬glieder desselben (mit Ausnahme eines einzigen) sich vergleichs¬weise zur Zahlung von 1650000 Mk. verpflichteten.
Ein weiteres treffendes Beispiel von Sorglosigkeit bot der 7*    99
Aufsichtsrat der in Konkurs gegangenen Aktiengesellschaft für Dampfwollwäscherei vorm. Rich. Franz in Krimmitschau. Der Aufsichtsrat dieser Gesellschaft nämlich hielt in 21 Monaten überhaupt keine Sitzung ab. Die Jahresschlußbilanzen wurden einfach bei den Mitgliedern „brieflich“ in Zirkulation gesetzt. Auf gleichem Wege wurden dann auch diese wichtigen Pflicht¬schriftstücke ohne jede Prüfung lediglich im blinden Vertrauen auf die Zuverlässigkeit des Vorstandes für gut und richtig be¬funden.
Aus dem Jahre 1905 sind zu melden: die Unregelmäßigkeiten, welche in der altberühmten oberelsässischen Spinnerei und. Weberei Herzog in Logelbach, Aktiengesellschaft, vorkamen und darin bestanden, daß die Direktoren seit Jahren verfehlte Spekulationsgeschäfte trieben, die sie hinter den Debitoren ver¬steckten und durch welche an nahezu 4 Millionen Mark in die Brüche gingen. Gefälschte Bilanzen, Überwertung der Ak¬tiven, unterlassene Abschreibungen, fiktive Dividenden — das war die Bescherung, die der Betrieb zu Weihnachten 1905 seinen Aktionären, den Gläubigern und — den armen Arbeitern (da nur mit Einschränkung fortgearbeitet werden konnte) ge¬bracht hat Das alles hinderte den Aufsichtsrat nicht, alljährlich die Richtigkeit der Rechnungen und der Bilanz zu bescheinigen! — Die beiden Direktoren Robin und Dufresne wurden als die Hauptschuldigen des Krachs entlassen, und nur durch eine „Zusammenlegung der Aktien“ konnte das Etablissement saniert und damit vor dem Zusammenbruch bewahrt werden.
Gedacht sei hier weiter aller jener Fälle, in denen untreue Kassierer Defraudationen begangen haben, die zur sofortigen Entlassung bald mit bald ohne Anzeige führten, oder die aus „bestimmten Gründen“ vertuscht wurden. Die Zahl dieser Fälle ist Legion. Wir erinnern hier nur an den Prokura führenden Kassierer Jaeger des früheren Bankhauses M. A. v. Roth¬schild Söhne in Frankfurt a. M., der über 25 Jahre bei der Firma tätig war und nach Unterschlagung einer Summe von 1700000 Mk. (bei einem Kassenbestand von rund 17 Millionen Mark) mit einer Frau Klotz aus Brüssel im Jahre 1895 flüchtig wurde. Ferner an den Fall, der seinerzeit vor dem Landgericht Hamburg gegen den Prokuristen einer Aktiengesellschaft wegen wiederholter Untreue, zum Teil in Verbindung mit gewinn- 100 
süchtiger Urkundenfälschung, wiederholter Unterschlagung und einfachem Bankrott verhandelt wurde. Er hatte ein Einkommen von 5000 Mk. bis 9000 Mk. jährlich« Er spekulierte jedoch an der Börse, verlor und veruntreute seit 1889 seiner Gesellschaft all-mählich die nette Summe von 772838,75 Mk. Die kleinste Ver¬untreuung betrug 6000 Mk., die größte 80000 Mk. Der An¬geklagte war Kollektivprokurist der Aktiengesellschaft, sein Mitprokurist, dessen Unterschrift er fälschte, hatte die Kasse. Wo blieb da die Kontrolle des Aufsichtsrates? Der Gerichts¬hof verurteilte den Angeklagten für 21 Fälle der Untreue und 18 Fälle gewinnsüchtiger Urkundenfälschung, sowie wegen ein¬fachen Bankrotts zu einer Zuchthausstrafe von 8 Jahren und 10jährigem Ehrverlust.
Aus jüngster Zeit sei der Fall erwähnt, welchem zufolge der Prokurist Hugo Spiegel die Oberschlesischen Kokswerke und Chemischen Fabriken, Aktiengesellschaften, durch Untreue und Unterschlagung, begangen in den Jahren 1901 bis 1905, um über 750000 Mk. geschädigt hat, wegen welcher er im Mai 1906 vom Berliner Landgericht I zu 4 Jahren Zuchthaus und 6 Jahren Ehrverlust verurteilt wurde.
Am 24. Juli 1907 meldete die „Neue Züricher Zeitung44 in ihrer Nr. 203 (Morgenblatt) was folgt: „Genf, 23. Juli 1907. Die Bankfirma Gay & Cie., Rue de Hesse, ist das Opfer betrüge¬rischer Handlungen ihres eignen Prokuristen Jules Canard ge¬worden. Dieser benutzte seine Vertrauensstellung, um Gelder zu unterschlagen und deponierte Titel zu veräußern. Mit dem entwendeten Gelde deckte er die Verluste, die er durch Spekulationen unter eignem Namen in Paris erlitten hatte. Die Verluste des Bankhauses lassen sich noch nicht genau übersehen. Die eigentlichen Unterschlagungen beziffern sich auf 117000 fr. Die entwendeten Werttitel mögen sich auf 400000 fr. beziffern. Canard wählte vorzugsweise Titel, die den Inhabern des Hauses selber zugehörten und die er derart schwer geschädigt hat. Die Veruntreuungen müssen seit Jahres¬frist systematisch erfolgt sein. Dies ward ermöglicht durch den Umstand, daß Herr Gay seit 15 Monaten krankheitshalber abwesend war und sein Vertreter, Herr Cremieux, dem Proku¬risten, der drei Jahre länger bei der Firma war, nicht den mindesten Argwohn entgegenbrachte. Canard schützte oft
Überbürdung mit Arbeit vor, die er an Sonntagen bewältigen müsse. Diese Gelegenheiten benutzte er zu den Manipulationen, die bis gestern abend unentdeckt blieben. Seit jenem Augen¬blick nämlich ist Canard verschwunden. Die Polizei hat bereits einen Steckbrief erlassen.“
Und im Anschluß daran war in dem Abendblatte der be¬sagten Zeitung vom gleichen Tage zu lesen: „Bankfirma Jacques Gay & Cie.: Genf. Im Anschlüsse an unsere Mitteilungen im heutigen Morgenblatt wird uns noch folgendes telegraphiert: Der flüchtige Prokurist der Bankfirma Gay & Cie. hat sein eigenes Vermögen ebenfalls verspielt, so daß die Bankfirma Gay & Cie. ungedeckt bleibt Man vermutet, daß Canard, der nur wenig bares Geld mit sich führte, sich nach Afrika ge¬wendet hat Für die Bankfirma bedeutet die Affäre einen fast tödlichen Schlag.
In einem ebenfalls im Juli 1907 vorgekommenen Falle wurde der Kassierer Müller von der Gewerbebank in Speyer wegen Depotunterschlagung in Höhe von 725000 Mk. von der Strafkammer zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt
Man sieht hieraus, die „Schwarzkunst“ des „Corriger la fortune“ wird nicht bloß von skrupellosen Direktoren, sondern auch von pflichtvergessenen Kassenführern und Prokuristen geübt
Wo blieb in allen diesen Fällen das Kontroll- und Prüfungs¬organ der Gesellschaften, der Aufsichtsrat? wo die Buchführungs- re vision?
Man glaube aber nur ja nicht, daß auch nur ein ziemlicher Teil aller Bilanzfälschungen und Defraudationen vor das Forum der Gerichte gezogen, an das Tageslicht gebracht wird. Ach nein, die weitaus größte Portion wird wohl aus „innerdienstlichen Gründen“ in den Geheimakten der Aktiengesellschaften ver¬graben bleiben. So hat seinerzeit eine Straßburger Bank einen enormen Betrag an eine Getreidehandlung unwiderbringlich verlören, ohne es nötig gefunden zu haben, dieses Tatbestandes im Geschäftsbericht Erwähnung zu tun. Auch in anderer Be* Ziehung hat diese Bank schon oft skrupellos sich über das Offenheitsprinzip hinweggesetzt.
Gewiß finden alle Verschleierungen und Bilanzfälschungen ihren besten „Unterschlupf“ in einer mangelhaft organisierten 
Buchführung, Allein die Hauptschuld fällt doch auf das herrschende „System“ der Bilanzrevision zurück, und darum sollte je eher je besser mit ihm gründlich gebrochen werden.