Die Bficherrevisionsfrage in Deutschland
In Deutschland gibt es bis jetzt eigentlich keine Bücher¬revision im Sinne einer Einrichtung, die geschichtlich geworden, d, h. sich allmählich entwickelt hat, infolgedessen auch keine Geschichte einer solchen. Das Handelsgesetzbuch von 1861, welches auf dem Standpunkt der reinen Kapitalhaftung und der staatlichen Privilegierung der Aktiengesellschaften stand, kannte keine Revisionspflicht. Und auch das Aktiengesetz
vom Juni 1870, welches den Standpunkt der Privilegierung* verließ, nahm mit seinen Normativbestimmung*en nur einen schwachen Anlauf zu einer schärferen Kontrolle. Die Aktien¬novelle vom Jahre 1884 statuierte einfach die Pflicht der Prüfung* der Jahresrechnung usw. durch den Aufsichtsrat Das ist aber noch immer keine Revision im eigentlichen Sinne des Wortes. Es sind dies höchstens Ansätze zu einer solchen, an welche sich anreiht der beachtenswerte, aber freiwillige Übergang der Aktien¬gesellschaften zur Wahl sachverständiger Revisoren. Eine weitere geschichtliche Etappe ist die Gründung des Verbandes Deutscher Bücherrevisoren in Berlin. Und in dieser Entwicklung befindet sich die deutsche Bücherrevisorenfrage noch heute.
Trotz des reichen und intensiven Wirtschaftslebens hat sich in Deutschland die Erkenntnis noch nicht Bahn brechen können, daß eine kontinuierliche Rechnungskontrolle durch Buchführungssachverständige als Rechnungsprüfer eine wirt¬schaftliche Notwendigkeit ist, und daß der Bücherrevisor gleich¬wie in England einen wichtigen Faktor der wirtschaftlichen Arbeitsordnung bildet. Man vergißt, daß bei Aktiengesell-schaften die Buchführung die Seele des ganzen Geschäfts¬betriebes ist, daß in die Buchführung in den meisten Fällen der Herd verlegt wird, aus welchem die häßlichsten Auswüchse entspringen, und daß diesem Zustande nur durch eine sach¬verständige und unabhängige Revision des Rechnungswesens abgeholfen werden kann. Dieses Vergessen hat bewirkt, daß das Gesetz zur Ausübung der Buohführungskontrolle gar keine Buchführungssachverständige, sondern Aufsichtsräte, d.h. Finanz¬leute, Kapitalisten, vorgesehen hat. Nur zur Prüfung des Gründungsherganges bei Aktiengesellschaften hat das Handels¬gesetzbuch (§ 192) besondere (gesetzliche) Revisoren vorge¬schrieben, wenn
1. ein Mitglied des Vorstandes oder des Aufsichtsrates zu den Gründern gehört, oder wenn
2. ein Mitglied des* Vorstandes oder des Aufsichtsrates für die Gründung oder deren Vorbereitung sich eine Entschädigung oder Belohnung ausbedungen hat, oder wenn
3. auf das Grundkapital von Aktionären Einlagen (apports en nature) gemacht wurden, die nicht durch Barzahlung zu leisten sind (§ 186, Abs. 2), oder wenn
4- vorhandene oder herzustellende Anlagen oder sonstige Vermögensgegenstände von der zu errichtenden Gesellschaft übernommen werden (§ 186, Abs. 2).
Nun ist ja wohl auch im § 266 des Handelsgesetzbuches angeordnet, daß die Generalversammlung mit einfacher Stimmen¬mehrheit die Anstellung von Revisoren zur Prüfung der Bilanz beschließen kann. Allein dieses Institut ist mit Bezug auf Tätigkeit und Verantwortung so wenig ausgebaut und die Vorschrift so unverbindlich gehalten („die Generalversammlung kann ...“), daß von ihm so gut wie gar kein Gebrauch ge¬macht wird.
Die öffentliche Anstellung und Vereidigung der zu obigen Zwecken zu ernennenden Revisoren erfolgt durch die zur Wahr¬nehmung der kommerziellen Interessen berufenen Körper¬schaften, die Handelskammern1).
Nach § 36 der Gewerbeordnung für das Deutsche Reich sind verfassungsmäßig zur Beeidigung von Feldmessern, Auktio¬natoren, Bücherrevisoren usw. die hierzu befugten Staats¬oder Kommunalbehörden oder Korporationen zuständig.
Die Befugnis zur Beeidigung ist den Handelskammern übertragen: in Preußen durch das Handelskammergesetz vom 10. August 1897, §42; in Württemberg durch Ministerial- verfügung vom 28. September 1900, § 5; in Baden durch Ministerialvollzugsordnung zur Gewerbeordnung vom 29. Sep¬tember 1900, § 60 (jedoch nur Befugnis zur „Bestallung“, während die Beeidigung durch die Bezirksämter erfolgt); in Hessen durch Handelskammergesetz vom 6. August 1902, § 34. Ferner bestehen ähnliche Bestimmungen für Sachsen-Weimar¬Eisenach, Oldenburg, Schwarzburg-Rudolstadt, Reuß j. L., Hamburg.
Die Handelskammern entscheiden nach freiem Ermessen, wer als Bücherrevisor zu vereidigen ist; es ist jedoch selbst¬verständlich, daß die betreffenden Kandidaten hervorragende Sachkenntnis und praktische Erfahrung besitzen, bezw. auf Grund ihrer bisherigen Tätigkeit sich besonders zu dem Amte qualifizieren müssen.
Von den von den Handelskammern vereidigten Bücher-
*) } 42 des Handeiskammeigesetzes vom 24. Febr. 1878 und 10. Aug. 1897. revisoren sind die gerichtlich ernannten Revisoren zu unter¬scheiden. Letztere werden von den Gerichten vereidigt, um in Prozessen als Sachverständige fungieren zu können. Sie werden gewöhnlich aus dem Kreise der von den Handelskammern ver¬eidigten Bücherrevisoren ausgewählt.
Mit Bezug auf Anstellung und * Ausübung ihres Amtes haben sich die Bücherrevisoren bestimmten Vorschriften zu unterwerfen. So gelten z. B. für den Bereich des Verbandes mitteldeutscher Handelskammern folgende Leitsätze:
A. Anstellungsbedingangen.
§ 1 Die öffentliche Anstellung eines beeideten Bücher¬revisors erfolgt auf jederzeitigen Widerruf und nur für so lange, als er seinen Wohnsitz in dem Bezirke der anstellenden Han¬delskammer hat.
§ 2 Der von einer Handelskammer angestellte Bücher¬revisor hat dieser Kammer rechtzeitig von Änderungen seines Wohnsitzes Kenntnis zu geben.
§ 3 Der Bücherrevisor ist verpflichtet, bei Meinungsver-schiedenheiten mit dem Auftraggeber über seine Tätigkeit oder seine Gebührenforderung sich der Entscheidung der zuständigen Handelskammer zu unterwerfen.
Die Feststellung der Gebührensätze wird im Streitfälle von der Handelskammer einem Schiedsgerichte übertragen, das aus drei Mitgliedern besteht, unter denen sich ein Bücherrevisor befindet.
§ 4 Der Bücherrevisor hat bei der Übernahme eines Auf¬trages seinem Auftraggeber von dem Bestehen dieser Be¬stimmungen Kenntnis zu geben und sie ihm auf Wunsch zur Einsichtnahme vorzulegen. Er hat zu diesem Behufe bei der Ausübung seines Amtes seine Bestallungsurkunde bei sich zu führen.
§ 5 Die Bestallungsurkunde ist der zuständigen Handels¬kammer zurückzugeben, sobald der Bücherrevisor stirbt, sein Amt freiwillig niederlegt, aus dem Kammerbezirke verzieht oder aus der Liste der Bücherrevisoren gestrichen wird.
B. Bestimmungen über die Revisionstfitigkeit
§ 6 Jede Revision ist nach Maßgabe und unter Berück¬sichtigung des Zweckes des erteilten Auftrages nach bestem Wissen und Gewissen vorzunehmen.
Sofern nicht die Umstände ein anderes Vorgehen recht¬fertigen oder der Auftraggeber nicht eine Erweiterung oder Beschränkung der Revision wünscht, hat der Bücherrevisor sein Augenmerk vornehmlich auf folgende Punkte zu richten:
Zunächst hat er sich von der Übereinstimmung der Er- öffhungsbuchungen mit der vorjährigen Bilanz zu überzeugen; sodann hat er die Grundbücher (Kassa-, Memorial-, Ein- und Verkaufsbücher und andere Grundbücher, soweit solche geführt werden) nachzuprüfen, die Belege (Quittungen, Fakturen, Fracht¬briefe, Lohnbücher usw.) mit den Eintragungen zu vergleichen und endlich die Richtigkeit der Übertragungen aus den Grund¬büchern in das Hauptbuch festzustellen.
Ob weitergehende Arbeiten, insbesondere ob die Prüfungen der [Kassen-, Wechsel- und Effektenbestände, der In¬ventur und der darin angenommenen Werte,
der Kalkulation für fertige oder halbfertige Fabrikate zur Inventur,
der Einnahme, z. B. bei Straßenbahnen und Brauereien oder in anderen Geschäften für Barverkäufe, auch der Einnahmen für Zinsen von Kapitalien und Effekten, der Ausgaben für Löhne in großen industriellen Werken, der Buchungen für Steueranlagen oder für Reparaturen und Unterhaltung usw.
vorzunehmen sind, ist vor Beginn der Revisionsarbeit mit dem Auftraggeber zu vereinbaren.
Bei laufenden Revisionen hat der Bücherrevisor nach Mög¬lichkeit mit der Methode seiner Arbeit zu wechseln.
§ 7 In allen Fällen ist zu prüfen, ob die Handelsbücher und Jahresabschlüsse (Inventur, Gewinn- und Verlustrechnung, Bilanz) den gesetzlichen Bestimmungen entsprechen.
§ 8 Der Bücherrevisor ist verpflichtet, Tagebücher zu führen, worin er bei jeder Prüfung Aufzeichnungen über die Art und den Umfang des [Auftrages und der von ihm vor-genommenen Revision, insbesondere über die ihm etwa bei der Prüfung anferlegten Beschränkungen, zu machen hat
Diese Tagebücher sind nach jeder Eintragung eigenhändig von ihm zu unterzeichnen, nach ihrer Schließung mindestens noch 10 Jahre aufzubewahren und auf Verlangen der Handels¬kammer vorzulegen.
§ 1 Über jede Prüfung hat der Bücherrevisor seinem Auftraggeber einen schriftlichen Bericht, der den Eintragungen im Tagebuch entsprechen muß, zu erstatten, es sei denn, daß ausdrücklich darauf verzichtet wird.
Auch hat er auf Verlangen das Ergebnis der Prüfung unter der Bilanz zu vermerken.
§ 10 Es ist dem Bücherrevisor untersagt, die bei Aus¬übung seines Amtes erlangten Kenntnisse zu seinem Vorteile oder zu anderer Nutzen oder Schaden zu verwerten, oder auch nur Dritten Mitteilungen darüber zu machen.
§ 11 Über Fälle, in denen Bücherrevisoren gegen die vorstehenden Vorschriften verstoßen, entscheidet die zuständige Handelskammer endgültig.
Diese Bestimmungen sind ja zweifellos sehr gut und prak¬tisch, aber sie haben immer nur den Wert einer Halbheit, so¬lange es keinen Verband gibt, der
1. nur theoretisch und praktisch durchgebildete Bücher¬revisoren von makellosem Ruf zu Mitgliedern zuläßt;
2. der, mit den Rechten einer juristischen Person ausge¬stattet, bei der Prüfung seiner Mitglieder den strengsten Ma߬stab anlegt;
3. der es durchsetzt, daß die Aktiengesellschaften gezwungen werden, ihr Rechnungswesen von einem dem Verbände ange¬hörigen, d. i. privilegierten Bücherrevisor, prüfen zu lassen.
Es ist im höchsten Grade bedauerlich und verfehlt, daß das Gesetz bei uns die Zwangsrevision nur den Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften auferlegt hat. Als ob Mißwirtschaft und Veruntreuung nicht auch bei den Aktiengesellschaften vor¬kommen könnten. Die Bankkatastrophen und Zusammenbrüche von Aktiengesellschaften, aber auch die vielen Prozesse gegen Vorstände und Aufsichtsräte in den letzten Jahren haben ge¬zeigt, wohin man mit dem heutigen System steuert, und wie ein roter Faden sichtbar läuft das’ Manko der Kontrolle durch die Prozesse hindurch. Auch nicht in einem einzigen Proze߬falle konnte festgestellt werden, daß der Aufsichtsrat sich be¬währt, er seine Aufgabe gelöst habe; vielmehr hat er auf der ganzen Linie als Kontrollorgan abdanken und seine völlige Ohnmacht aktenmäßig besiegeln müssen. Dies ist eine ein¬fache Begleiterscheinung des Amtes selbst, welches gewöhn- 124
lieh nicht etwa der Lohn persönlicher Tüchtigkeit, sondern das Dokument intimer geschäftlicher Beziehungen zwischen der Gesellschaft und der Person des Aufsichtsrates selbst oder einer anderen Gesellschaft ist, zu welcher der Aufsichtsrat in einem nahen Verhältnis steht.
Die allermeisten Aufsichtsratsposten entspringen einem Kundenverhältnis oder einer Kreditoperation; und die Tantieme ist nicht das Entgelt für die Überwachungstätigkeit, die ein tüchtiger Bücherrevisor besser und billiger besorgen könnte, sondern das Honorar für Dienste, die mit der eigentlichen Ver¬waltung der Gesellschaft nicht das mindeste zu tun haben. Zwar wird geflissentlich die Fiktion aufrecht erhalten, als ob die Tantieme in der Tat das Honorar für geleistete Aufsichts¬und Kontrolldienste sei, aber in Wirklichkeit gilt sie der hinter der Aufsichtsratseigenschaft stehenden wirtschaftlichen Macht. Nach den gemachten Erfahrungen hält es schwer, zu glauben, daß die heutige gesetzliche Buchführungsaufsicht eine objektiv¬kritische und technisch-richtige Kontrolle sei. Nicht ohne Ge¬misch von Hohn und Mißachtung wird über das heutige Kontroll¬wesen jeder unabhängige Kenner urteilen.
„Eine wahre Kontrolle *) kann nur von wirklichen Buchfüh¬rungssachverständigen, d. h. von Leuten ausgeübt werden, die sich berufsmäßig mit dem Wesen der Buchführung befassen. Dem Sachverständigen aber in seiner heutigen Vereinzelung fehlt eine hinter ihm stehende Macht, die seine Autorität und Unabhängigkeit deckt Es fehlt der korporative Zusammenschluß mit seinen strengen Aufnahmebedingungen, welcher dem nicht seltenen Vorwurfe die Spitze abbricht, daß die heutigen Revi¬soren ja doch nur die Vertrauenspersonen der Direktion oder des Aufsichtsrates seien und mehr oder weniger auf deren In¬tentionen eingehen, oder, um volkstümlich zu sprechen, nach deren Pfeife tanzen. Auch der in Berlin gegründete Verband Deutscher Bücherrevisoren (eingetragener Verein) scheint das, was uns fehlt, noch nicht zu sein. Es steckt im deutschen Bücherrevisor noch zu viel ängstlicher Mittelstandsgeist und zu wenig Vertrauen auf das eigene Können und die eigene Kraft
') So schrieb unlängst E. Römer, der bekannte Vorkämpfer für deutsche» Revisionswesen, an den Verfasser dieser Schrift.
Eine deutsche Revisionsgesellschaft müßte geschaffen werden, die entweder lediglich oder doch hauptsächlich aus tüchtigen und erfahrenen Berufsrevisoren zu bestehen hätte. Strenge und präzise Vorschriften bezüglich der Revisionsarbeiten müßten erlassen werden, an welche die Mitglieder sich zu halten hätten. Die englischen Revisionsvorschriften sind so scharf formuliert, daß bei einer gewissenhaften Befolgung Unter¬schleife, Schiebungen und sonstige Verschleierungen fast ganz ausgeschlossen sind. Und wie zufriedenstellend die Bestim¬mungen über die Zwangsrevisionen gewirkt haben müssen, das beweist die Ausdehnung derselben auf alle eingetragenen Ge¬' Seilschaftenx). Nach solchen Grundsätzen könnte eine deutsche Revisionsgesellschaft, der man das nötige Kapital ohne Zweifel gern zur Verfügung stellen würde, leicht mit dem Erfolge orga¬nisiert werden, daß sie jeder, auch der größten Revisionsaufgabe gewachsen wäre, ohne doch den Einzelrevisor völlig aufzusaugen. Nur eine solche Gesellschaft würde wahrhaft unabhängig, wahr¬haft unparteiisch, wahrhaft der Allgemeinheit dienstbar sein. Auch die amerikanischen Revisionsgesellschaften sind Ireine Revisionsgesellschaften, und großkapitalistisches Strebertum kennen sie nicht Es wird notwendig sein, daß man auch in Deutschland dem Großkapital die Herrschaft im Revisionswesen nicht in der von ihm erstrebten Weise (durch Gründung von Treuhändergesellschaften) überläßt, sondern daß man möglichst frühzeitig auf die Folgen des Plutokratismus im Re visions wesen entsprechend aufmerksam macht.
Was die materiellen Garantien anlangt so sind diese, wie sie von den heutigen Einzelrevisoren geboten werden, nur sehr
l) Dr. jur. Otto Gertung hält in seiner Schrift „Die Bücherprüfung im englischen Aktienrecht“ (Jena, Hermann Costenoble, 1906) nicht viel von der Zwangsrevision, ebenso nicht von der Einführung der englischen Einrichtung des Audits in Deutschland. Er meint, E. Römer habe Unrecht zu glauben, daß mit dieser Einrichtung auch schon alles Unheil im deutschen Aktienwesen verschwinden würde. Römer hat aber stets nur behauptet, daß mit Einführung des in einem .starken Verband stehenden Berufsrevisors und der Zwangsrevision Betrügereien nach Menschenmöglichkeit eingeschränkt würden. Wenn der Verfasser übrigens (S. 86) John Samuel Purcell sagen läßt, daß in England 50% von den eingetragenen Companies Fehlgeburten sind, so darf er sich nicht wundem, wenn das englische Audit auch in England oft versagt, denn solchen Fehlgeburten gegenüber zerschellt auch die nachhaltigste Revision; für diese gibt es überhaupt kein Heilmittel.
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gering. Anders die Gesamtheit der zu einer Gesellschaft ver¬einigten Bucherrevisoren mit ihrem Stammvermögen. Aber es kommt beim Revisionswesen und speziell bei der Über-wachung von Aktiengesellschaften, auch gar nicht in erster Linie auf materielle Garantien an. Wahr ist, daß in unserer Zeit nur allzuoft und allzuleicht der schnöde Mammon über Wissen und Können und Arbeit gesetzt wird. Oft schon ist es aber auch mit diesem Abgott „schief“ gegangen. Das hat gerade die Aufsichtsratsinstitution des öfteren an ihrem eigenen Leibe erfahren müssen. Damit soll nicht gesagt sein, daß die materielle Garantie, die der heutige Aufsichtsrat bietet, gar nichts wert wäre; aber Tatsache bleibt es darum doch immer, daß die sogenannten materiellen Garantien des Aufsichtsrates sich als durchaus unzureichend, ja im gewissen Sinne sogar als gefährlich erwiesen haben. Unzureichend, weil die Verluste oft größer gewesen sind als das verfügbare Kapital, mit dem gehaftet werden müßte, gefährlich, weil das Publi¬kum ein allzu großes Vertrauen in die Allmacht des Kapitals setzte, die der Aufsichtsrat repräsentiert, und sich vor jedem Schaden gesichert glaubt, ohne zu bedenken, daß Mangel an Verständnis für das Amt schon oft die ganze Kapitalsherrlich-keit in Atome zerstieben ließ. Man mache einmal jedem An¬wärter auf einen Sitz im Aufsichtsrat vor Übernahme seines Amtes klar, welches Arbeitspensum dieses Amt von seinem Träger fordert und welche schwere Verantwortung es ihm auf¬erlegt; daß es nicht bloß nötig ist, Namen, Rang und Titel zu haben, um zum Aufsichtsrat prädestiniert zu sein, und daß man eben bloß gewählt zu werden braucht, um auch schon zu dem Amte die notwendigen Eigenschaften mitzubringen, und man wird sich bald überzeugen können, daß die wahren, für das Amt wirklich befähigten'Leute sehr dünn gesät sind.
Zugegeben soll auch ohne weiteres werden, daß wohl nie¬mand gern so leicht sein Vermögen verlieren möchte, und darin mag für das einzelne Aufsichtsratsmitglied wohl ein gewisser Sporn liegen, es mit seiner Überwachungspflicht nicht allzu¬leicht zu nehmen. Aber was will das besagen, wenn „der Wille gut, die Kraft aber schwach ist“. Die meisten Aufsichts-ratsmitglieder verstehen eben, wie hundertfältig erwiesen, wenig oder nichts vom modernen Rechnungswesen; und über diese
Klippe hilft kein noch so großes Kapital hinweg. Nur ein ganz präzises Rechnungswesen, in Verbindung gebracht mit einer eindringlichen Bücherrevision, vermag das Bild einer wirt¬schaftlichen Unternehmung so treu zu zeichnen, daß daraus klar die gedeihliche oder rückschrittliche Entwicklung des Ganzen und seiner einzelnen Teile ersehen werden kann. Dieses Er¬fordernis kann der Aufsichtsrat, und wäre er hundertmal reicher als der reichste Nabob, mit seinem Gelde nicht erfüllen. Dem¬nach fehlt unsem Aufsichtsräten, ganz abgesehen davon, daß sie vermöge der Kollektivverfassung des Aufsichtsrates als Einzelpersonen völlig machtlos und gar nicht in der Lage sind, für sich allein zu revidieren, meist jede technische Revisions- routine, sodann aber auch die zu einer gründlichen Rechnungs¬prüfung doch nun einmal unbedingt erforderliche Zeit. Es gibt selbst Königliche Kommerzienräte, die sich in ihrer Eigen¬schaft als Aufsichtsratsmitglieder bei Zusammenbrüchen von Aktiengesellschaften damit entschuldigt haben, daß sie von der Buchführung nichts verstanden hätten!
Sollte solchen Zuständen gegenüber der technisch ge¬schulte Berufsrevisor trotz seiner zurzeit noch geringen mate¬riellen Garantien nicht unbedingt den Vorzug verdienen? — Auf dem letzten Verbandstag des Verbandes Deutscher Bücher¬revisoren wurde mit Recht geltend gemacht, daß nicht das Kapital, sondern der Verstand revidiere, und das gilt nicht nur den derzeitigen deutschen Revisionsgesellschaften, sondern auch den deutschen Aufsichtsräten gegenüber. Des weiteren kommt dann wohl auch noch der Umstand in Betracht, daß der Berufsrevisor auch mit seiner Berufs ehre haftet, deren Verlust oft genug den Verlust seiner Existenz bedeutet oder doch bedeuten kann. Der reiche Aufsichtsrat aber verliert seine Existenz mit einem Teil seines Vermögens noch lange nicht! So wenig wie beispielsweise der preußische Staat allein vom Kapital, sondern zu einem recht erheblichen Teil auch von dem preußischen Beamtenstand der guten alten Sorte und von dessen Bildung, Arbeit und Wissen gefördert worden ist, so wenig wird das Revisionswesen in Deutschland allein vom Kapital gefördert, ausgebaut und auf die richtigen Grundlagen gestellt werden können.
Was die Frage der Vorbildung der Bücherrevisoren 128
angeht, so ist zu bemerken, daß die Handelshochschule als Pflanzstätte für Bücherrevisoren zu verwerfen ist1). Bücher¬revisoren können nur in besonderen Fachschulen in Verbindung mit einer entsprechend langen praktischen Lehrzeit zu wirklich tüchtigen und für höhere Aufgaben in Frage kommenden Fach¬männern erzogen werden. Eine feste, wissenschaftlich-theore¬tische Grundlage, ein gutes Maß allgemeiner Bildung und die natürliche Gabe raschen Erfassens und der Findigkeit sind für den Bücherrevisor durchaus erforderliche Eigenschaften. Aber des Guten darf darin auch wieder nicht zu viel getan werden, und jedenfalls muß der Fächerkreis für die Bücherrevisoren nach besonderen, nicht naph allgemeinen Gesichtspunkten ge¬zogen werden. Wissen, das nicht in Können umgesetzt wird, ist gar nichts oder nicht eben sehr viel wert, und das ent¬sprechende praktische Können wird im Bücherrevisorenberuf am wenigsten auf der Schulbank erworben. Nicht lebens¬fremde, sondern lebenskundige Männer müssen die Bücher¬revisoren sein. Ebenso darf die Gründung von Fachschulen für Bücherrevisoren nicht vom Kapital oder vom Staat, sondern allein von den Revisoren selbst ausgehen, denn nur wenn diese nach jeder Richtung hin und in jeder Beziehung voll¬kommen unabhängig sind, werden sie diejenige Stellung sich zu erwerben befähigt sein, die zur wahrhaft kraftvollen und zweckdienlichen Ausübung ihres verantwortungsvollen und schwierigen Berufes unbedingt erforderlich ist. Hier könnte vielleicht der Verband Deutscher Bücherrevisoren mit Erfolg in die Bresche treten, und falls eine Revisionsge¬sellschaft in dem oben erwähnten Sinne gegründet werden sollte, würde auch diese Gesellschaft bei der Errichtung einer Fachschule für Bücherrevisoren sich tätig mit beteiligen können.“
Ob freilich die Entwicklung in Deutschland gleichfalls zu einer korporativen Organisation nach Art des Chartered Institute führen würde, oder ob nicht vielmehr der von der deutschen Gesetzgebung bei der Regelung der Rechtsstellung der Patentanwälte eingeschlagene Weg vorzuziehen sein würde, mag dahingestellt bleiben. Es wäre auch zu berücksichtigen, ob es nicht der deutschen Auffassung mehr ent* sprechen würde, eine gewisse wissenschaftliche Vorbildung, etwa auf den Handels¬akademien, vorzuschreiben. (Dr. Walter Hagens in Holdheims Monatsschrift, Nr. 7 vom Juli 1902, der die Frage in London selbst studiert hat.)
R. Beigel, Theorie und Praxis. 9 I2Q
In der Tat gibt es, um die Bücherrevisorenfrage dem Ziele näher zu bringen, kein anderes Mittel, als einen Zentral¬verband Deutscher Bücherrevisoren mit dem Sitz in Berlin und einem ausgedehnten Filialnetz in Form einer Ein¬getragenen Genossenschaft mit einem ausreichenden Ga¬rantiekapital zu gründen« Zu dieser Vereinigung könnte der heutige Verband Deutscher Bücherrevisoren den willkommenen Grundstock abgeben. Ihm müßte das Institute of Chartered Accountants in England und die Entwicklung der Accountancy dortselbst als Vorbild dienen. Ein Zusammenschluß der heute in der Vereinzelung bestehenden öffentlichen wie privaten Bücherrevisoren, Rechnungsprüfer, Buchsachverständigen, sowie der ein für allemal bestellten Konkursverwalter, Liquidatoren, Treuhänder, Revisoren von Aktiengesellschaften und Genossen¬schaften zu einem einheitlichen, korporativen Verbände würde bei den mannigfachen Beziehungen persönlicher und geschäft¬licher Art, in denen die einzelnen Personen zueinander treten könnten, fraglos eine wesentliche Förderung nicht bloß des Einzelnen, sondern zugleich auch der Interessen der Verbands¬sache herbeiführen. Zugleich würde damit auch ein hohes Interesse für die Organisation beim großen Publikum ausgelöst werden. Daneben würde einem jeden der genannten Geschäfts¬zweige eine erhebliche Förderung dadurch zuteil werden, daß die in der einen Beschäftigungsart erworbenen Kenntnisse und Erfahrungen auch in der andern Beschäftigungsart nutzbar ge¬macht werden könnten. Außerdem läßt sich annehmen, daß bei dem Bestände eines festgefügten Verbandes mit handels¬gerichtlich protokollierter Firma (die „United States Auditing Company in New-York“ ist Aktiengesellschaft) und den damit gebotenen Garantien auch die Gerichte von dem Institut weit¬gehenden Gebrauch machen und jedenfalls sich geneigter zeigen würden, die Mitglieder des Verbandes mit Funktionen als Konkursverwalter, Liquidatoren usw. zu betrauen, die heute vielfach an nur einseitig gebildete Rechtsanwälte übertragen werden, wenn schon jene Funktionen sehr viel kaufmännisches Wissen erheischen.
Ohne Zweifel würde ein Verband als Bücherrevisions¬instanz im Aktienwesen Großes zu leisten imstande sein. Der Aufsichtsrat würde aufhören, ab Revisionsorgan eine Rolle zu 130
spielen, die ihm absolut nicht liegt und ihm auch gar nicht liegen kann. Dafür wird er mit um so größerer Energie seine geschäftliche Erfahrung bei der Verwaltung des Unternehmens, für welches er verpflichtet ist, nutzbar machen können.
Von großem Nutzen und außerordentlicher Tragweite wäre dann weiter die Schaffung einer (vom Verfasser längst gefor¬derten) „Reichszentralstelle für Aktiengesellschaften“, und dieser Nutzen würde sich nicht bloß für die Bücherrevision und die Revisionsgesellschaft, sondern für das gesamte Aktien¬wesen überhaupt fühlbar machen. Das Arbeitsfeld einer solchen Zentralstelle, besetzt mit juristisch und fachmännisch gebildeten Autoritäten1), wäre ein weites, segensreiches und dankbares. Analoge Einrichtungen bestehen heute in dem „Kaiserlichen Aufsichtsamt für Privatversicherung“ kraft Reichsgesetzes vom 12. Mai 1901, sowie in der gemäß § 3 des Gesetzes vom 13. Juli 1899 eingeführten „Aufsichtsbehörde für Hypothekenbanken“ ).
Heute stehen die in Deutschland vorhandenen 6540 Aktien¬gesellschaften mit einem investierten Kapital von über zwanzig Milliarden Mark ohne jede staatliche Aufsicht, lediglich unter¬worfen den §§ 178—319 des Handelsgesetzbuches. Ob nach diesem Gesetz verfahren wird, die Interpretationen desselben richtig sind, das Riesenkapital gesichert ist u. dergl., das alles ist dem Aufsichtsrate überlassen, oder was ungefähr dasselbe ist: es schwebt in der Luft. Was aber den privaten Versicherungs¬gesellschaften und Hypothekenbanken recht ist, sollte den Aktiengesellschaften billig sein, und zwar von Staats und Rechts wegen!
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