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SCHLÜSSEL ZUR MACHT

In der Welt der Macht herrscht die Dynamik des Dschungels: Die einen leben vom Jagen und Töten, und dann gibt es auch noch zahlreiche Kreaturen (Hyänen, Geier), die vom Jagdglück anderer leben. Diese letzteren, weniger einfallsreichen Typen sind oft nicht in der Lage, die Leistungen zu erbringen, die zur Erlangung einer Machtposition nötig sind. Aber sie haben früh begriffen, dass sie nur lang genug warten müssen; dann finden sie immer ein anderes Tier, das die Arbeit für sie erledigt. Seien Sie nicht naiv: Just in diesem Moment, da Sie sich mit irgendeinem Projekt abplagen, kreisen über Ihnen schon die Geier, die nach Wegen suchen, zu überleben und sich dazu Ihrer Kreativität zu bedienen. Es hat keinen Zweck, sich darüber zu beklagen oder sich der Verbitterung hinzugeben. Schützen Sie sich lieber und nehmen Sie an diesem Spiel teil. Haben Sie sich erst einmal eine Machtbasis geschaffen, können Sie selbst ein Geier werden und viel Zeit und Energie sparen.​

DIE BLINDE HENNE
Eine blind gewordene Henne, die des Scharrens gewohnt war, hörte auch blind noch nicht auf, fleißig zu scharren. Was half es der arbeitsamen Närrin? Eine andre sehende Henne, welche ihre zarten Füße schonte, wich nie von ihrer Seite, und genoss, ohne zu scharren, die Frucht des Scharrens. Denn so oft die blinde Henne ein Korn aufgescharret hatte, fraß es die sehende weg.
FABELN VON GOTTHOLD EPHRAIM LESSING, 1729-1781

Der Maler Peter Paul Rubens konnte sich auf dem Höhepunkt seiner Karriere vor Aufträgen für Gemälde nicht mehr retten. Er entwickelte ein System: In seinem großen Atelier beschäftigte er Dutzende von herausragenden Malern, von denen sich der eine auf Roben spezialisiert hatte, der nächste auf Hintergründe und so weiter. Wie am Fließband wurden zahllose Leinwände gleichzeitig bearbeitet. Wenn ein wichtiger Auftraggeber das Atelier besuchte, schickte Rubens seine angeheuerten Maler für diesen Tag weg. Unter den Augen des Auftraggebers arbeitete Rubens mit unglaublicher Energie und in unvorstellbarem Tempo. Wenn der Auftraggeber wieder ging, war er voller Ehrfurcht für diesen großartigen Mann, der so viele Meisterwerke in so kurzer Zeit malen konnte.​


Es ist für einen Jäger ganz mühelos und einfach, ein leichtfüßiges Tier einzufangen, wenn er auf die Sicherheit seines Wagens vertraut, die Stärke von sechs Pferden nutzt und einen Wang Liang die Zügel halten lässt. Würde er aber auf die Vorteile des Wagens, die Kraft der sechs Pferde und die Fahrkünste des Wang Liang verzichten und dem Tier zu Fuß nachjagen, würde er selbst mitLou Chis schnellen Beinen das Tier niemals einholen können. Mit guten Pferden und einem stabilen Wagen sind aber sogar Sklaven dazu in der Lage.

HAN FEI-TZU, CHINESISCHER PHILOSOPH, 3. JH. V. CHR.

Der Kern dieses Gesetzes lautet: Lassen Sie andere die Arbeit tun, und streichen Sie selbst den Ruhm dafür ein, dann wirken Sie als von gottgleicher Stärke und Macht erfüllt. Wenn es Ihnen wichtig ist, all die Arbeit selbst zu erledigen, werden Sie Energie verschwenden und sich selbst aufarbeiten. Suchen Sie Menschen, die über die kreativen Fähigkeiten verfügen, die Ihnen abgehen. Heuern Sie sie entweder an, und schreiben Sie dann Ihren Namen über den der anderen, oder suchen Sie nach Möglichkeiten, ihnen ihre Leistungen abzunehmen und sie zu eigenen zu machen. Dann wird deren Kreativität Ihre eigene, und der Welt erscheinen Sie als Genie.

Es gibt noch eine weitere Möglichkeit, dieses Gesetz zu befolgen. Bei der müssen Sie sich nicht parasitär der Arbeit von Zeitgenossen bemächtigen: Bedienen Sie sich der Vergangenheit. Sie ist ein riesiger Speicher des Wissens und der Weisheit. Isaac Newton nannte das »auf den Schultern von Giganten stehen«. Damit meinte er, dass er seine Entdeckungen lediglich auf die Leistungen anderer gegründet habe. Seine Aura der Genialität verdankte er, wie er wusste, der pfiffigen Fähigkeit, aus den Erkenntnissen seiner Vorgänger in der Antike, im Mittelalter und in der Renaissance den größtmöglichen Nutzen zu ziehen. Shakespeare borgte sich - wie andere Autoren auch - Plots, Charaktere und sogar Dialoge von Plutarch, denn er wusste, dass es hinsichtlich subtiler Psychologie und gewitzter Wortspiele keiner mit Plutarch aufnehmen konnte. Wie viele spätere Schriftsteller haben sich ihrerseits bei Shakespeare bedient - ihn wiederum plagiiert?

Schriftsteller, die die menschliche Natur ausgelotet haben, alte Meister der Strategie, Chronisten menschlicher Dummheit und Narretei - das Wissen all jener Menschen verstaubt immer mehr, doch es wartet nur darauf, dass Sie kommen und sich auf die Schultern jener stellen. Deren Gewitztheiten können Ihre Gewitztheit werden, deren Fähigkeiten Ihre Fähigkeiten, und von jenen kann zudem keiner mehr kommen und den Menschen erklären, wie wenig originell Sie in Wirklichkeit sind. Sie können sich durchs Leben schlagen, Fehler um Fehler machen, Zeit und Energie verschwenden und versuchen, alle nötigen Erfahrungen selbst zu machen. Oder Sie bedienen sich der Heerscharen der Vergangenheit. Bismarck hat einmal gesagt, nur Narren behaupteten, aus Erfahrungen zu lernen. Er ziehe es vor, von der Erfahrung anderer zu profitieren.

Symbol: der Geier. Von allen Kreaturen des Dschungels hat er es am einfachsten. Was andere geleistet haben, leistet er sich. Die Unfähigkeit anderer zu überleben sichert sein Überleben. Achten Sie auf den Geier - während Sie schwer schuften, kreist er schon über Ihnen. Bekämpfen Sie ihn nicht, schließen Sie sich ihm an.

Garant: Das Wissen ist lang, das Leben ist kurz, und wer nichts weiß, der lebt auch nicht. Da ist es denn ungemein geschickt, ohne Müheaufwand zu studieren und zwar viel durch Viele, um durch sie Alle gelehrt zu seyn... So erlangt man, durch fremden Schweiß, den Ruf eines Orakels. (Baltasar Graciän, 1601-1658)