GESETZ 30 ALLES MUSS GANZ LEICHT AUSSEHEN
WAS HEISST DAS?
Was Sie leisten, muss selbstverständlich und mühelos wirken. Verbergen Sie, wie viel Plackerei, wie viel Erfahrung und wie viele clevere Tricks dahinterstecken. Wenn Sie loslegen, tun Sie es unangestrengt, als könnten Sie noch viel mehr leisten. Widerstehen Sie der Versuchung, zu enthüllen, wie hart Sie arbeiten - das wirft nur Fragen auf. Bringen Sie niemandem Ihre Tricks bei, sonst werden sie gegen Sie verwandt.
Die ersten Vorstellungen von Macht entwickelte die Menschheit anhand primitiver Naturerlebnisse - ein Blitz am Himmel, eine plötzliche Flut, das Ungestüm eines wilden Tieres. Solche Kräfte erforderten kein Nachdenken, keine Vorausplanung - sie erschreckten uns einfach mit ihrer plötzlichen Erscheinung, ihrer Großartigkeit, ihrer Macht über Leben und Tod. Und dies ist die Art von Macht, die wir noch immer zu imitieren versuchen. Dank Wissenschaft und Technik konnten wir die erhabenen Kräfte der Natur nachahmen, doch es fehlt etwas: Unsere Maschinen sind laut und grobschlächtig, sie lassen die Anstrengung erkennen. Selbst die besten Schöpfungen der Technologie ändern nichts an unserer Bewunderung für Dinge, die sich ganz leicht und unangestrengt bewegen. Dass Kinder so viel Macht haben, uns ihren Willen aufzuzwingen, liegt an einer Art verführerischem Charme, den wir in der Gegenwart eines Wesens empfinden, das weniger reflektiert als wir, aber über größere natürliche Anmut verfügt. Wir können zu diesem Zustand nicht zurückkehren, doch wenn wir den Anschein dieser Art von Leichtigkeit erwecken können, rufen wir bei anderen jene primitive Bewunderung hervor, die die Natur schon immer in den Menschen erweckt hat.
Eine Zeile [zu dichten] dauert Stunden vielleicht; Doch wirkt sie nicht wie ein Geistesblitz, Hat unser Tun und Trachten gar nichts erreicht.
ADAMS FLUCH VON WILLIAM BUTLER YEATS, 1865-1939
Einer der ersten Europäer, die über dieses Prinzip schrieben, lebte in der unnatürlichsten aller denkbaren Welten, dem Hof der Renaissance. 1528 veröffentlichte Baldassare Castiglione Das Buch vom Hofmann, worin er die höchst elaborierten und kodifizierten Manieren des perfekten Höflings beschrieb. Und doch müsse der Höfling, erklärt Castiglione, diese Gesten mit äußerster sprezzatura ausführen, der Fähigkeit, alles ganz leicht aussehen zu lassen. Er beschwört den Höfling, »eine gewisse Art von Lässigkeit anzuwenden, die die Kunst verbirgt und bezeigt, dass das, was man tut oder sagt, anscheinend mühelos und fast ohne Nachdenken zustande gekommen ist«. Wir alle bewundern die Vollbringung eines ungewöhnlichen
Kunststücks, doch wenn es ganz natürlich und anmutig geschieht, verzehnfacht sich unsere Bewunderung.
Die Idee der sprezzatura ist für alle Arten von Macht relevant, denn Macht hängt entscheidend von den Erscheinungen und Illusionen ab, die Sie erzeugen. Ihr öffentliches Wirken muss wie ein Kunstwerk sein: Es muss visuell ansprechen, Erwartungen wecken, ja unterhalten. Wenn Sie die inneren Mechanismen Ihrer Schöpfung enthüllen, sind Sie bloß ein weiterer Sterblicher unter vielen. Was man versteht, bestaunt man nicht - mit genügend Zeit und Geld, sagen wir uns, könnten wir das auch hinbekommen. Widerstehen Sie der Versuchung, Ihre Cleverness preiszugeben - viel klüger ist es, die Mechanismen Ihrer Cleverness zu verbergen.
Unergründlichkeit der Fähigkeiten. Der Kluge verhüte, daß man sein Wissen und sein Können bis auf den Grund ermesse, wenn er von Allen verehrt seyn will. Er lasse zu, daß man ihn kenne, aber nicht daß man ihn ergründe. Keiner muß die Grenzen seiner Fähigkeiten auffinden können; wegen der augenscheinlichen Gefahr einer Enttäuschung. Nie gebe er Gelegenheit, daß Einer ihm ganz auf den Grund komme. Denn größre Verehrung erregt die Muthmaaßung und der Zweifel über die Ausdehnung der Talente eines jeden, als die genaue Kundschaft davon, so große sie auch immer seyn mögen.
BALTASAR GRACIÄN, 1601-1658
Es gibt noch einen weiteren Grund, Ihre Tricks und Schliche zu verbergen: Wenn Sie solche Informationen herauslassen, geben Sie anderen etwas an die Hand, das sie gegen Sie verwenden können. Sie verlieren den Vorteil des Stillschweigens. Wir neigen dazu, die ganze Welt wissen zu lassen, was wir vollbracht haben - es schmeichelt unserer Eitelkeit, wenn unsere harte Arbeit und unsere Cleverness beklatscht werden, und wir wollen vielleicht sogar Mitgefühl für die vielen Stunden, die es gebraucht hat, bis wir dieses Maß an Kunstfertigkeit erlangten. Widerstehen Sie dem Drang, solche Dinge auszuplaudern, denn Sie erreichen damit oft nur das Gegenteil dessen, was Sie erwarten. Merken Sie sich: Je mehr Geheimnis Ihr Tun und Handeln umgibt, desto ehrfurchtgebietender wirkt Ihre Macht. Sie scheinen der Einzige zu sein, der das fertigbringt, was Sie tun - und der Anschein, über eine exklusive Gabe zu verfügen, verleiht große Macht. Wenn Sie Ihre
Leistungen mit Anmut und Leichtigkeit erbringen, glauben die Menschen schließlich, dass Sie noch mehr vollbringen könnten, wenn Sie nur wollen. Das ruft nicht nur Bewunderung hervor, sondern auch ein bisschen Furcht. Ihre Kräfte bleiben unangetastet - niemand wagt, Sie auszuloten.
Symbol: das Rennpferd. Aus der Nähe sehen wir die Anspannung, den schweren Atem, die Kraft, die es kostet, das Pferd zu beherrschen. Doch aus der Distanz, auf der Tribüne wirkt alles graziös, ein Flug durch die Lüfte. Halten Sie andere auf Abstand, und sie sehen nur die Leichtigkeit, mit der Sie agieren.
Garant: Die Lässigkeit enthält... noch einen anderen Wert, der, jegliche menschliche Handlung begleitend, so geringfügig sie auch sei, nicht nur sofort das Wissen des Ausführenden enthüllt, sondern ihn oft als sehr viel bedeutender geschätzt werden lässt, als er in Wirklichkeit ist. Denn er erweckt im Geist der Anwesenden den Eindruck, dass, wer derart leicht gut handelt, viel mehr versteht, als was er tut. (Baldassare Castiglione, 1478-1529)
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