GESETZ 46 SEI NIE ZU PERFEKT
WAS HEISST DAS?
Besser als andere zu sein ist immer gefährlich. Doch am gefährlichsten ist es, überhaupt keine Fehler oder Schwächen zu haben. Neid schafft Feinde. Es ist daher klug, gelegentlich Defizite zu zeigen oder ein harmloses Laster zuzugeben, um dem Neid den Wind aus den Segeln zu nehmen, um menschlicher und umgänglicher zu wirken. Nur Göttern und Toten wird makellose Perfektion zugestanden.
Mit Minderwertigkeitsgefühlen tun sich die Menschen schwer. Eine auf Fähigkeiten, Talent oder Macht beruhende Überlegenheit verwirrt uns oft; sie macht uns krank, weil es den meisten von uns an Selbstbewusstsein mangelt, und wenn wir Menschen begegnen, die uns übertreffen, werden wir uns unserer Mittelmäßigkeit bewusst, oder wir erkennen zumindest, dass wir nicht so brillant sind, wie wir dachten. Diese Beeinträchtigung unseres Selbstwertgefühls können wir nicht lang hinnehmen, ohne dass negative Emotionen hochkochen. Zunächst verspüren wir Neid. Doch der Neid spendet keinen Trost, und schon gar nicht führt er zu der ersehnten Gleichstellung. Wir dürfen uns noch nicht einmal dazu bekennen, denn von der Gesellschaft wird er verpönt - Neid zu zeigen bedeutet, sich zu Minderwertigkeitsgefühlen zu bekennen. Wir verbergen ihn auf vielerlei Weise, indem wir beispielsweise Gründe finden, die beneidete Person zu kritisieren.
Es gibt mehrere Strategien, um mit dem heimtückischen, zerstörerischen Gefühl des Neids fertigzuwerden. Seien Sie sich als Erstes bewusst, dass es auf Ihrem Weg an die Macht unter Ihnen Menschen geben wird, die Sie beneiden. Das zeigt sich vielleicht nicht offensichtlich, ist aber unvermeidlich. Akzeptieren Sie nicht naiv die Fassade, die sie Ihnen zeigen: Lesen Sie zwischen den Zeilen ihrer Kritik, achten Sie auf ihre kleinen sarkastischen Bemerkungen, auf Anzeichen von Hinterhältigkeit, auf Groll in ihren Augen, auf überzogene Lobreden, die Ihren Sturz einleiten sollen. Das Hauptproblem mit dem Neid besteht darin, dass wir ihn erst dann erkennen, wenn es zu spät ist.
Nehmen Sie es zweitens als gegeben hin, dass Menschen, die Sie beneiden, still und heimlich gegen Sie arbeiten werden. Sie werden Ihnen Hindernisse in den Weg stellen, die Sie nicht vorhersehen können. Gegen solche Attacken kann man sich nur schwer verteidigen. Da es viel einfacher ist, von Anfang an Neid zu vermeiden, als ihn wieder aus der Welt zu schaffen, wenn er erst einmal da ist, müssen Sie Ihre Strategie darauf ausrichten, ihm zuvorzukommen, ehe er sich einnisten kann. Indem Sie sich das bewusst machen, welche Handlungen und Eigenschaften Neid hervorrufen, können
Sie verhindern, dass Neid überhaupt erst aufkommt, der Ihnen eines Tages das Messer in den Rücken treibt.
Daher also versteckt er sich so sorgsam, wie die geheimen Wolllustsünden, und wird nun ein unerschöpflicher Erfinder von Listen, Schlichen und Kniffen, sich zu verhüllen und zu maskieren, um ungesehn seinen Gegenstand zu verwunden. Da wird er zum Beispiel die Vorzüge, welche sein Herz verzehren, mit unbefangenster Miene ignorieren, sie gar nicht sehn, nicht kennen, nie bemerkt, noch davon gehört haben, und wird so im Dissimulieren einen Meister abgeben. Er wird, mit großer Feinheit, Den, dessen glänzende Eigenschaften an seinem Herzen nagen, scheinbar als unbedeutend gänzlich übersehn, gar nicht gewahr werden und gelegentlich ganz vergessen haben. Dabei aber wird er, vor allen Dingen, bemüht seyn, durch heimliche Machinationen, jenen Vorzügen alle Gelegenheit, sich zu zeigen und bekannt zu werden, sorgfältig zu entziehn. Sodann wird er über sie, aus dem Finstern, Tadel, Hohn, Spott und Verläumdung aussenden, der Kröte gleich, die aus einem Loch ihr Gift hervor spritzt. Nicht weniger wird er unbedeutende Menschen, oder auch das Mittelmäßige, ja Schlechte, in derselben Gattung von Leistungen, enthusiastisch loben.
ARTHURSCHOPENHAUER, 1788-1860
Besonders gefährlich ist im Reich der Macht der plötzliche Glücksfall - eine unerwartete Beförderung, ein Sieg oder ein Erfolg, der aus dem Nichts zu kommen scheint. So etwas erregt mit Sicherheit den Neid derer, die zuvor noch auf einer Stufe mit Ihnen standen.
Nur wengen Menschen ist dies angeborne Art, Den Freund, ward Glück ihm hold, neidlos zu ehren noch; Der Missgunst Gift ja, das im Herzenfest sich setzt, Not macht's, zweifache dem, den überkam die Sucht; Von seinem eignen Leid schon wird er schwer bedrückt, Und blickt auf fremdes Glück er hin, seufzt er und stöhnt.
AISCHYLOS, UM 525-456 V. CHR.
Als Erzbischof Retz 1651 Kardinal wurde, war ihm klar, dass viele seiner früheren Kollegen ihn beneideten. Da er wusste, wie gefährlich es war, die unter ihm vor den Kopf zu stoßen, tat der Kardinal, was er konnte, um seine Verdienste herunterzuspielen und seinen Erfolg der glücklichen Fügung zuzuschreiben. Um die Menschen einzulullen, verhielt er sich so ehrerbietig und unterwürfig, als hätte sich nichts geändert. Er schrieb, diese kluge Politik »zeigte gute Wirkung, indem sie dem Neid die Kraft nahm, der mir entgegengebracht wurde, was das größte aller Geheimnisse ist«. Folgen Sie seinem Beispiel. Unterstreichen Sie subtil, wie viel Glück Sie einfach gehabt haben, und stellen Sie Ihren Erfolg so auch anderen Menschen in Aussicht, damit nehmen Sie ihrem Neid die Schärfe.
Seine Geschicklichkeit verbergen zu können, ist ein Zeichen großer Geschicklichkeit. FRANQOIS DE LA ROCHEFOUCAULD, 1613-1680
Um Neid abzuwenden, sollten Sie Schwäche zeigen, ein harmloses Laster zugeben oder eine kleinere soziale Indiskretion begehen.
Hüten Sie sich vor den vielen Maskeraden des Neids. Übergroßes Lob ist ein fast sicheres Anzeichen, dass die Lobredner Sie beneiden; entweder bereiten sie Ihren Sturz vor - es wird unmöglich, ihren Lobpreisungen Genüge zu leisten -, oder sie wetzen hinter Ihrem Rücken schon die Messer. Genauso beneiden Sie wahrscheinlich jene, die Sie zu sehr kritisieren oder Sie öffentlich verleumden. Erkennen Sie in deren Verhalten verkappten Neid, dann gehen Sie nicht in die Falle, sich gegenseitig eine Schlammschlacht zu liefern oder sich ihre Kritik zu Herzen zu nehmen. Rächen Sie sich, indem Sie die Gegenwart dieser Kleinkarierten einfach ignorieren, und Sie in einer selbst erschaffenen Hölle schmoren lassen.
Symbol: ein Garten voll Unkraut. Sie pflegen es nicht, es breitet sich einfach aus, wenn Sie den Garten gießen. Sie erkennen vielleicht nicht, wie, doch das Unkraut wuchert in all seiner Größe und Hässlichkeit und verhindert, dass irgendetwas Schönes gedeiht. Hören Sie damit auf, den ganzen Garten gleichmäßig zu gießen, ehe es zu spät ist. Vernichten Sie das Unkraut des Neids, indem Sie ihm das Wasser abgraben.
Garant: Sich verzeihliche Fehler erlauben... Dem ganz Vollkommnen wird [der Neid] es zum Fehler anrechnen, daß es keine Fehler hat, und wird es als ganz vollkommen ganz verurtheilen. Er wird zum Argus, um am Vortrefflichen Makel zu suchen, wenn
auch nur zum Trost... und man affektire einige Nachlässigkeiten, sei es im Genie, sei es in der Tapferkeit... um das Miß wollen zu besänftigen, daß es nicht berste vor Gift. Man werfe gleichsam dem Stier des Neides den Mantel zu, die Unsterblichkeit zu retten. (Baltasar Graciän, 1601-1658)
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