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SCHLÜSSEL ZUR MACHT

Äußerste Macht besteht darin, andere Menschen dazu zu bringen, das zu tun, was Sie wollen. Wenn Ihnen das gelingt, ohne dass Sie Menschen dazu zwingen oder sie verletzen müssen, wenn sie bereitwillig gewähren, was Sie wünschen, dann ist Ihre Macht unangreifbar. Am besten gelangt man in diese Position, wenn man ein Abhängigkeitsverhältnis schafft. Der Herr benötigt Ihre Dienste; er ist schwach oder ohne Sie zum Handeln unfähig; Sie haben Ihre mit seinen Aufgaben so eng vermischt, dass es ihn in große Schwierigkeiten brächte, wenn er Sie fortschickte; zumindest würde es ihn viel Zeit kosten, einen anderen so auszubilden, dass er Sie ersetzen könnte. Ist eine solche Beziehung erst einmal etabliert, haben Sie die Oberhand, den Hebel, um den Herrn so agieren zu lassen, wie Sie wünschen. Das ist die klassische Position des Mannes hinter dem Thron, des königlichen Dieners, der in Wirklichkeit den König kontrolliert.
Seien Sie nicht so dumm wie viele, die irrtümlich annehmen, die äußerste Macht bestünde in der Unabhängigkeit. Macht involviert immer eine Beziehung zwischen Menschen; stets brauchen Sie andere als Alliierte oder als Unterpfand oder auch als schwachen Herrscher, der Ihnen als Fassade dient.
Wenn Sie kein Verlangen nach sich selbst aufbauen, wird Sie Ihr erster Gegner verdrängen. Jemand, der jünger, frischer, billiger und weniger bedrohlich ist, wird Sie ersetzen. Lassen Sie keinem diese Möglichkeit, machen Sie andere von sich abhängig. Sich Ihrer zu entledigen könnte dann ein Unglück bedeuten, und Ihr Herr wagt es nicht, das Schicksal herauszufordern und dies auszuprobieren. Es gibt mehrere Wege, in solch eine Position zu gelangen. Vor allem aber kommt es darauf an, Talente und kreative Fähigkeiten zu entwickeln, die sich einfach nicht ersetzen lassen.​

DIE ZWEI PFERDE
Zwei Pferde trugen jedes eine Last. Das erste Pferd ging gut, doch das zweite war faul. Die Knechte begannen, die Last des hinteren dem vorderen Pferd aufzubürden; nachdem sie dem vorderen Pferd beide Lasten aufgeladen hatten, fand das hintere das bequem und es sagte zum vorderen: »Rackere dich nur ab und schwitze! Je mehr du dich anstrengst, um so mehr musst du leiden.« Als sie zum Gasthaus kamen, sagte der Besitzer: »Warum soll ich zwei Pferde durchfüttem, wenn eines die ganze

Last trägt? Ich gebe besser dem einen so viel zu fressen, wie es mag, und schneide dem anderen den Hals durch; dann habe ich wenigstens sein Fell.« Und das tat er.

FABELN VON LEO TOLSTOI, 1828-1910

Sie müssen kein Genie sein; Sie müssen jedoch eine Fähigkeit entwickeln, die Sie von der Menge abhebt. Sie müssen Ihre Situation so einrichten, dass Sie sich jederzeit einem anderen Herrn oder Patron zuwenden können, dass Ihr Herr aber nicht so leicht einen anderen Diener mit Ihrem spezifischen Talent finden kann. Und wenn Sie in Wirklichkeit gar nicht so unverzichtbar sind, dann müssen Sie alles aussehen lassen, als sei dem so. Die Aura speziellen Wissens und besonderer Fähigkeiten gibt Ihnen Freiraum, Ihre Vorgesetzten dahin gehend zu täuschen, dass sie glauben, sie würden ohne Sie nicht zurechtkommen.

Henry Kissinger überlebte manch einen Aderlass in Nixons Weißem Haus nicht etwa, weil er der beste Diplomat war, den Nixon finden konnte - gut verhandeln konnten andere auch -, oder weil die beiden Männer so gut miteinander ausgekommen wären: Sie taten es nicht. Sie standen weder für dieselbe Politik noch für dieselben Überzeugungen. Kissinger überlebte, weil er sich so sehr in so zahlreichen Bereichen der politischen Struktur festgesetzt hatte, dass seine Ablösung in ein Chaos geführt hätte. Er brachte sich in so viele Bereiche und Aspekte des Regierens ein, dass seine Involviertheit zu seinem Trumpf wurde. Zudem schaffte er sich dadurch viele Verbündete. Wenn es Ihnen gelingt, sich solch eine Position zu erarbeiten, dann ist es gefährlich, sich Ihrer zu entledigen - alle möglichen Interdependenzen könnten sich plötzlich auftun.

Daher muss sich ein kluger Herrscher darüber Gedanken machen, welche Maßnahmen nötig sind, damit seine Bürger immer und unter allen Umständen den Staat und ihn brauchen; dann werden sie ihm immer ergeben sein.

NICCOLO MACHIAVELLI, 1469-1527

Eine letzte Warnung: Glauben Sie nicht, dass die Abhängigkeit Ihres Herrn von Ihnen diesen dazu bringt, Sie zu lieben. Vielmehr wird er Sie verachten und fürchten. Doch wie schon Machiavelli sagte, ist es besser, man wird gefürchtet als geliebt. Die Furcht können Sie kontrollieren, die Liebe niemals.

Von so subtilen und wechselvollen Gefühlen wie Liebe oder Freundschaft abhängig zu sein würde nur Ihre Sicherheit gefährden. Gründen Sie die Abhängigkeit anderer von Ihnen also besser auf die Angst vor den Konsequenzen Ihres Verlustes als auf die Zuneigung zu Ihrer Gesellschaft.

Symbol: Ranken mit vielen Dornen. Unten dringen die Wurzeln tief und weit in den Boden. Oben zwängen sich die Ranken durch Büsche, winden sich um Bäume und Pfosten und Fenstersimse. Sie loszuwerden würde so viel Blutzoll kosten, dass man sie besser wachsen lässt.

Garant: Abhängigkeit begründen. Man erlangt mehr von der Abhängigkeit als von der verpflichteten Höflichkeit: wer seinen Durst gelöscht hat, kehrt gleich der Quelle den Rücken... Hat die Abhängigkeit ein Ende, so wird das gute Vernehmen es auch bald finden und mit diesem die Hochachtung. Es sei also eine Hauptlehre aus der Erfahrung, dass man die Hoffnung zu erhalten, nie aber ganz zu befriedigen hat, vielmehr dafür sorgen soll, immerdar nothwendig zu bleiben, sogar dem gekrönten Herrn. (Baltasar Graciän, 1601-1658)