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SCHLÜSSEL ZUR MACHT

Die Menschen um uns herum, sogar unsere engsten Freunde, werden bis zu einem gewissen Grad immer mysteriös und unergründlich bleiben. In ihrem Charakter gibt es dunkle Winkel, die sie niemals zu erkennen geben. Über die Unergründlichkeit anderer zu lange nachzudenken wäre hinderlich, denn das würde es uns unmöglich machen, andere Menschen einzuschätzen. Also ignorieren wir diese Tatsache lieber und beurteilen die Menschen nach ihrem Äußeren, nach dem, was uns klar vor Augen liegt: Kleidung, Gesten, Worte, Taten. Lassen Sie sich niemals zu dem Irrglauben verleiten, dass die Menschen im Umgang miteinander ihr Urteil auf etwas anderes stützen würden als auf die äußere Erscheinung. Ein kleiner Ausrutscher, eine ungünstige oder zu plötzliche Veränderung Ihres Erscheinungsbilds kann sich als verheerend erweisen.
Das ist der Grund für die überragende Bedeutung, die dem guten Ruf zukommt, den Sie selbst erschaffen und erhalten müssen.
Ein hohes Ansehen wird Sie beim gefährlichen Spiel der Erscheinungsbilder schützen, denn es lenkt den forschenden Blick der anderen von dem ab, was Sie in Wirklichkeit sind, und das gibt Ihnen im gewissen Umfang die Kontrolle darüber, wie die Welt Sie einschätzt - eine machtvolle, erstrebenswerte Position.
Selbst jene, die sie bekämpfen, wollen dennoch, wie Cicero sagt, dass die von ihnen darüber geschriebnen Bücher auf dem Titelblatt ihren Namen tragen; sie suchen sich also durch ihre Verachtung des Ruhmes Ruhm zu erwerben. Über alles andre lässt sich reden. Wir stellen unsern Freunden notfalls Gut und Leben zur Verfügung; dass aber jemand die Ehre, die er errungen hat, mit andern teilt und ihnen etwas vom eignen Ruhm schenkt, beobachtet man kaum.
MICHEL DE MONTAIGNE, 1533-1592
Zunächst müssen Sie daran arbeiten, Ihren Ruf auf eine herausragende Qualität zu gründen, sei es Großzügigkeit oder Ehrlichkeit oder Schläue. Diese Qualität hebt Sie aus der Masse und bringt andere Menschen dazu, über Sie zu sprechen. Dann sorgen Sie dafür, dass Ihr Ruf so vielen Menschen wie möglich bekannt wird (allerdings subtil, bauen Sie nach und

nach auf dem festen Fundament auf); anschließend können Sie zusehen, wie er sich wie ein Buschfeuer verbreitet.

Ein solider Ruf steigert Ihre Präsenz und unterstreicht Ihre Stärken, ohne dass Sie allzu viel Energie darauf verwenden müssen. Er kann auch eine Aura um Sie schaffen, die Respekt erheischt, ja sogar Furcht. Der deutsche General Erwin Rommel, der im Zweiten Weltkrieg in der nordafrikanischen Wüste kämpfte, war bekannt für seine Schläue und die Täuschungsmanöver, die seine Gegner in Angst und Schrecken versetzten. Selbst als seine Truppen geschwächt waren und die Briten fünfmal mehr Panzer besaßen als er, wurden noch ganz Städte evakuiert, wenn bekannt wurde, dass er sich näherte.

Sorgen Sie dafür, dass Ihr Ruf einfach und klar ist, und gründen Sie ihn auf eine gediegene Qualität. Diese eine Qualität - Effizienz beispielsweise oder Verführungskunst - wird zu einer Art Visitenkarte, die Ihre Gegenwart ankündigt und andere in Ihren Bann schlägt.

Der gute Ruf ist ein Schatz, den man umsichtig aufbauen und pflegen muss. Vor allem wenn Sie ihn sich erstmals erwerben, müssen Sie ihn aufs Strengste behüten und alle möglichen Attacken darauf antizipieren. Ist er erst einmal gefestigt, lassen Sie sich von den Verleumdungen Ihrer Feinde nicht verärgern oder in die Defensive drängen - das zeigt Unsicherheit, kein Vertrauen in Ihre Reputation. Setzen Sie sich stattdessen aufs hohe Ross und lassen Sie nie den Eindruck aufkommen, Sie müssten sich verzweifelt verteidigen. Andererseits ist ein Angriff auf den Ruf eines anderen Mannes eine potente Waffe, vor allem wenn Sie weniger Macht haben als er. In solch einer Schlacht hat er mehr zu verlieren, und Ihre eigene, ach so bescheidene Reputation bietet ihm nur ein kleines Ziel, wenn er zurückzufeuern versucht. Diese Strategie muss man aber mit Fingerspitzengefühl verfolgen; Sie dürfen nicht den Eindruck erwecken, kleinlichen Rachegelüsten nachzugeben. Wenn Sie den Ruf Ihres Feindes nicht clever ruinieren, werden Sie unvermeidlich Ihren eigenen schädigen.

Man wird mit seinem schlechten Gewissen leichter fertig, als mit seinem schlechten Rufe. FRIEDRICH NIETZSCHE, 1844-1900

Gehen Sie bei Attacken niemals zu weit, denn dadurch lenken Sie mehr Aufmerksamkeit auf Ihre eigene Rachsucht als auf die Person, die Sie verleumden wollen. Ist Ihr eigener Ruf gefestigt, verwenden Sie subtilere Strategien wie die Satire oder das Lächerlichmachen, um Ihren Opponenten zu schwächen, während Sie sich selbst als charmanten Schelm darstellen. Der mächtige Löwe spielt mit der Maus, die seinen Weg kreuzt - alles andere würde seinen Furcht einflößenden Ruf beschädigen.

Symbol: eine Mine voller Diamanten und Rubine. Sie graben danach, Sie finden sie, Ihr Reichtum ist gesichert. Schützen Sie den Schatz mit Ihrem Leben. Überall tauchen Räuber und Diebe auf. Nehmen Sie Ihren Wohlstand nie als gegeben hin, erneuern Sie ihn ständig - die Zeit stumpft den Glanz der Juwelen ab und entzieht sie dem Blick.

Garant: Ich möchte daher, daß unser Hofmann sich, so gut er kann, außer auf den Wert auch auf Geist und Kunst stützt. Wenn er an einen Ort zu gehen hat, wo er neu und unbekannt ist, sorge er stets dafür, daß vor ihm selbst schon die gute Meinung über ihn dahin gelangt... Denn dieser Ruhm, der aus vielerlei Urteilen zu entstehen scheint, erzeugt einen gewissen festen Glauben an einen Wert, der dann bei derart geneigten und vorbereiteten Herzen sich leicht durch Taten aufrechterhalten und vermehren läßt.

(Baldassare Castiglione, 1478-1529)