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DIE GESETZE DER HÖFISCHEN KULTUR

Ein Mensch, der sich auf den Hof versteht, ist ein Herr seiner Bewegung, seiner Blicke, seiner Mienen; er ist undurchdringlich, unergründbar; er weiß schlimmem Tun einen angenehmen Schein zu geben, lächelt seinen Feinden zu, bezwingt seine Laune, verhehlt seine Leidenschaften, verleugnet sein Herz, spricht und handelt wider seine Gefühle.

JEAN DE LA BRUYERE, 1645-1696

Vermeide Protzerei. Es ist nie klug, zu viel Aufheben um die eigene Person zu machen oder zu viel Aufmerksamkeit auf die eigenen Handlungen zu lenken. Je mehr Sie über Ihre Taten sprechen, desto verdächtiger machen Sie sich. Sie rufen damit genügend Neid hervor, um Verrat und ein Messer im Rücken zu provozieren.

Praktiziere Nonchalance. Erwecken Sie nie den Eindruck, dass Sie hart arbeiten. Es muss ganz natürlich wirken, wenn Sie Ihre Talente entfalten, und mit einer Leichtigkeit geschehen, dass die Menschen Sie für ein Genie halten und nicht für einen Workaholic. Es ist besser, wenn die anderen bewundern, mit welcher Anmut Sie Ihre Leistungen erbringen, als dass sie sich fragen, warum das so viel Arbeit ist.

Knausere mit Komplimenten. Vielleicht sieht es so aus, als könnten die über Ihnen gar nicht genug Schmeicheleinheiten bekommen, aber wenn man etwas zu freigebig verteilt - auch wenn es etwas Gutes ist -, verliert es an Wert. Lernen Sie, Ihren Herrn indirekt zu umschmeicheln - indem Sie beispielsweise Ihren eigenen Beitrag herunterspielen, damit er umso größer dasteht.

Sorge dafür, dass man dich bemerkt. Das ist das Paradoxon: Sie dürfen nicht zu ostentativ auftreten, doch gleichzeitig müssen Sie alles so arrangieren, dass man Sie bemerkt. Die Chance zu solch einem Aufstieg bekommen Sie nicht, wenn Ihr Herr Sie in der Menge der Höflinge gar nicht bemerkt. Das zu bewerkstelligen ist eine Kunst. Zu Beginn geht es oft darum, überhaupt erst einmal gesehen zu werden - im wörtlichen Sinn. Achten Sie also auf Ihre äußere Erscheinung, und sorgen Sie dafür, dass Ihr

Stil und damit Ihr Image unverwechselbar - subtil unverwechselbar - werden.

Wechsle Stil und Sprache, je nachdem, mit wem du es zu tun hast. Der Irrglaube an die Gleichheit - die Vorstellung, dass man als ein Ausbund an Zivilisiertheit dasteht, wenn man mit allen anderen unabhängig von ihrer gesellschaftlichen Stellung auf dieselbe Weise spricht - ist ein schrecklicher Fehler. Die unter Ihnen werden das als eine Form der Herablassung betrachten, was es ja auch ist, und die über Ihnen werden Sie damit vor den Kopf stoßen, auch wenn diese das vielleicht nicht zugeben. Ihren Stil und Ihre Redeweise müssen Sie dem jeweiligen Gegenüber anpassen. Das bedeutet nicht, zu lügen, sondern zu schauspielern, und schauspielern ist eine Kunst, keine Gottesgabe.

Überbringe nie eine schlechte Nachricht. Der König lässt den Boten töten, der schlechte Nachrichten bringt: Das ist zwar ein Klischee, aber es ist etwas Wahres dran. Sie müssen kämpfen und notfalls lügen und betrügen, um sicherzustellen, dass die Bürde, eine schlechte Nachricht zu überbringen, einem Kollegen zufällt, niemals Ihnen.

Diene dich deinem Herrn nie als Freund oder Intimus an. Er will keinen Freund anstelle eines Untergebenen, er will einen Untergebenen. Nähern Sie sich ihm nie auf zu vertrauliche Weise, und bieten Sie sich ihm nie als die beste Wahl an - das zu entscheiden ist sein Vorrecht.

Kritisiere die über dir nie direkt. Das scheint auf der Hand zu liegen, aber es gibt oft Situationen, da eine gewisse Art von Kritik nötig ist - nichts zu sagen oder keinen Rat zu erteilen wäre in anderer Hinsicht riskant. Sie müssen jedoch lernen, Ihren Rat wie Ihre Kritik so indirekt und so höflich wie möglich in Worte zu fassen.

Bitte die über dir nur selten um einen Gefallen. Nichts irritiert einen Herrn mehr, als die Bitte eines anderen abschlagen zu müssen. Das weckt Groll und Schuldgefühle in ihm. Bitten Sie so selten wie möglich um eine

Vergünstigung, und lernen Sie zu erkennen, wann Sie aufhören müssen. Und am wichtigsten: Bitten Sie nie im Namen einer anderen Person um einen Gefallen, schon gar nicht im Namen eines Freundes.

Mache keine Witze über Aussehen oder Geschmack. Witz und eine humorvolle Grunddisposition sind wesentliche Qualitäten eines guten Höflings, und gelegentlich ist sogar ein gewisses Maß an Vulgarität angemessen. Doch machen Sie nie Späße über das Aussehen oder den Geschmack anderer; das sind zwei hochsensible Bereiche, vor allem bei denen über Ihnen.

Sei nicht der Zyniker des Hofes. Bewundern Sie die Leistungen anderer. Wenn Sie die Ihnen Gleichgestellten oder Nachgeordneten ständig kritisieren, färbt einiges von dieser Kritik auf Ihre Person ab und schwebt wie eine graue Wolke über Ihnen, wo immer Sie hingehen. Die Leute werden bei jedem neuen zynischen Kommentar aufstöhnen und sich über Sie ärgern. Indem Sie Bewunderung - nicht zu viel - für die Leistungen anderer Leute zum Ausdruck bringen, lenken Sie paradoxerweise die Aufmerksamkeit auf sich.

Beobachte dich selbst. Der Spiegel ist eine wunderbare Erfindung; ohne ihn würden Sie sich gegen Schönheit und Etikette schwer versündigen. Sie brauchen aber auch für Ihre Handlungen einen Spiegel. Gelegentlich können das andere Menschen sein, die Ihnen erzählen, was sie in Ihnen sehen, aber das ist nicht die verlässlichste Methode: Sie müssen der Spiegel sein, Ihren Verstand trainieren, sich so zu sehen, wie andere Sie sehen. Verhalten Sie sich zu unterwürfig? Versuchen Sie zu sehr zu gefallen? Seien Sie der Beobachter Ihrer selbst, dann werden Sie eine Unmenge Fehler vermeiden.

Meistere deine Gefühle. Wie ein großer Schauspieler müssen Sie lernen, auf Kommando zu weinen oder zu lachen, wenn es die Situation verlangt. Sie müssen in der Lage sein, Ärger und Frustration zu verbergen und Zufriedenheit und Zustimmung zu heucheln. Seien Sie stets Herr Ihres eigenen Gesichts.

Pass dich dem Zeitgeist an. Eine kleine Vorliebe für die Vergangenheit zu entwickeln kann charmant wirken, solange Sie eine Periode wählen, die mindestens zwei Jahrzehnte zurückliegt; die Mode von vor zehn Jahren zu tragen wäre grotesk, solange Sie sich nicht in der Rolle des Hofnarren wohlfühlen. Ihr Denken aber muss mit dem Zeitgeist Schritt halten, selbst wenn er bei Ihnen wunde Punkte berührt. Wenn Sie jedoch zu weit vorausdenken, wird Sie niemand verstehen.

Sei ein Quell der Freude. Das ist entscheidend. Ganz offensichtlich liegt es im Wesen des Menschen, dass wir das Unangenehme und Hässliche fliehen, während wir von dem Angenehmen und der Aussicht auf Vergnügungen wie Motten vom Licht angezogen werden. Von diesem Gesetz gibt es Abstufungen: Nicht jedem liegt die Rolle des Favoriten, nicht jeder ist mit so viel Charme und Geist gesegnet. Doch unsere unangenehmen Eigenschaften können wir alle unter Kontrolle halten und sie wenn nötig verbergen.

Höflichkeit ist Klugheit; folglich ist Unhöflichkeit Dummheit: sich mittelst ihrer unnöthiger- und muthwilligerweise Feinde machen ist Raserei, wie wenn man sein Haus in Brand steckt. Denn Höflichkeit ist, wie die Rechenpfennige, eine offenkundig falsche Münze: mit einer solchen sparsam zu seyn, beweist Unverstand; hingegen Freigebigkeit mit ihr Verstand... Wie das Wachs, von Natur hart und spröde, durch ein wenig Wärme so geschmeidig wird, daß es jede beliebige Gestalt annimmt; so kann man selbst störrische und feindsälige Menschen, durch etwas Höflichkeit und Freundlichkeit, biegsam und gefällig machen. Sonach ist die Höflichkeit dem Menschen, was die Wärme dem Wachs. ARTHURSCHOPENHAUER, 1788-1860