GESETZ 39 SCHLAGE WELLEN, UM FISCHE ZU FANGEN
WAS HEISST DAS?
Wut und Ärger sind strategisch kontraproduktiv. Sie müssen immer ruhig und objektiv bleiben. Doch wenn Sie Ihre Feinde wütend machen, während Sie selbst die Ruhe bewahren, gewinnen Sie einen entscheidenden Vorteil. Bringen Sie Ihre Feinde aus der Fassung: Finden Sie die Schwachstelle in deren Eitelkeit, durch die Sie Ihr Opfer aus dem Konzept bringen. Dann halten Sie alle Fäden in der Hand.
Wütende Menschen machen sich letzten Endes lächerlich, denn ihre Reaktion ist dem, was sie auslöste, meist nicht angemessen. Sie nehmen die Dinge zu ernst und übertreiben die Beleidigung oder Verletzung, die ihnen angetan wurde. Sie sind gegenüber der leisesten Kränkung so sensibel, dass es komisch wirkt, wie persönlich sie das alles nehmen. Noch komischer allerdings ist ihre Überzeugung, ihre Wutausbrüche würden Macht signalisieren. Das Gegenteil ist wahr: Reizbarkeit ist kein Zeichen von Macht, sondern von Hilflosigkeit. Vorübergehend lassen sich andere von ihren Wutausbrüchen vielleicht einschüchtern, letzten Endes aber verlieren sie ihnen gegenüber jeden Respekt. Auch geht ihnen dann auf, dass sie eine Person mit so wenig Selbstbeherrschung leicht unterminieren können.
Das Problem löst man allerdings nicht dadurch, dass man seine Wut oder eine andere emotionale Reaktion unterdrückt. Denn dieses Unterdrücken zehrt an unseren Energien und treibt uns zu seltsamem Verhalten. Stattdessen müssen wir unsere Perspektive wechseln: Es muss uns klar werden, dass im gesellschaftlichen Bereich - und beim Spiel um die Macht - nichts persönlich gemeint ist.
Man soll, wo möglich, gegen Niemanden Animosität hegen... Zorn oder Hass in Worten, oder Mienen blicken zu lassen ist unnütz, ist gefährlich, ist un-klug, ist lächerlich, ist gemein. Man darf also Zorn, oder Hass, nie anders zeigen, als in Thaten. Letzteres wird man umso vollkommener können, als man Ersteres vollkommen vermieden hat. - Die kaltblütigen Thiere allein sind die giftigen.
ARTHURSCHOPENHAUER, 1788-1860
Jeder ist in einer Kette von Ereignissen gefangen, die weit in die Vergangenheit zurückreicht. Unser Zorn rührt oft von Problemen in unserer Kindheit her, von Schwierigkeiten mit unseren Eltern, die sich wiederum auf deren Kindheit zurückführen lassen, und so weiter und so fort. Unsere Wut wurzelt auch in den zahlreichen Interaktionen mit anderen, den akkumulierten Enttäuschungen und Seelenqualen. Oft betrachten wir ein bestimmtes Individuum als den Auslöser unserer Wutreaktion, doch das alles ist viel komplizierter und geht weit über das hinaus, was jenes Individuum uns angetan hat. Wenn eine Person auf Sie wütend reagiert (und
ihre Reaktion dem, was Sie ihr angetan haben, nicht angemessen scheint), müssen Sie sich daran erinnern, dass diese Wut nicht exklusiv gegen Sie gerichtet ist - so eitel sollten Sie nicht sein. Die Ursache ist viel umfassender, reicht weit in die Vergangenheit zurück, bezieht Dutzende von früheren emotionalen Verletzungen mit ein und ist es wirklich nicht wert, dass Sie versuchen, sie zu verstehen. Statt das Ganze als persönlich gemeinten Groll zu verstehen, sollten Sie den Gefühlsausbruch als getarnten Zug beim Spiel um die Macht begreifen, als einen Versuch, Sie zu kontrollieren oder zu bestrafen, der in die Form von verletzten Gefühlen oder von Wut gekleidet ist.
Dank eines solchen Perspektivenwechsels können Sie beim Spiel um die Macht mit größerer Klarheit und mehr Energie mitmischen. Statt überzureagieren und sich in die Emotionen anderer verstricken zu lassen, werden Sie deren Verlust der Selbstkontrolle zu Ihrem Vorteil nutzen.
Während einer wichtigen Schlacht im Krieg der Drei Königreiche im 3. Jahrhundert n. Chr. entdeckten Berater des Heerführers Ts'ao Ts'ao Dokumente, denen zufolge einige seiner Generäle sich mit dem Feind verschworen hatten, und drängten darauf, diese gefangen nehmen und hinrichten zu lassen. Stattdessen befahl der Heerführer, die Dokumente zu verbrennen und die Angelegenheit zu vergessen. In einem entscheidenden Moment des Kampfes sich aufzuregen und Gerechtigkeit zu verlangen wäre auf Ts'ao Ts'ao zurückgeschlagen: Eine wütende Reaktion hätte die Aufmerksamkeit auf die Illoyalität der Generäle gelenkt, was wiederum die Moral der Truppe beschädigt hätte. Die Gerechtigkeit konnte warten - mit den Generälen würde er sich befassen, wenn die Zeit dafür gekommen war. Ts'ao Ts'ao behielt einen kühlen Kopf und traf die richtige Entscheidung.
Der Bischof Rydkaku, ein älterer Bruder von Kinyo, der den Zweiten Hofrang bekleidete, war ein sehr jähzorniger Mann. Da in der Nähe seines Tempels ein Enoki-Baum stand, hatten ihn die Leute den Enoki-Bischof genannt. Er wollte aber nicht so heißen und hieb daher den Baum um. Nun war jedoch der Stumpf noch übriggeblieben, und man gab ihm den Namen »Stumpf-Bischof«. In immer größere Wut geratend, ließ er schließlich den Stumpf ausgraben und wegwerfen. Allein, nun war ein Loch an dieser Stelle, das sich mit Wasser füllte, und so hieß man ihn fortan den »Loch-Bischof«. TSUREZUREGUSA VON YOSHIDA KENKÖ, 14. JH.
Mit Wut berauben Sie sich nur Ihrer Optionen, und das Spiel um die Macht können Sie nicht gewinnen, wenn Sie sich keine Alternativen offenlassen. Wenn Sie sich erst einmal angewöhnt haben, nichts persönlich zu nehmen und Ihre Gefühle unter Kontrolle zu haben, sind Sie in einer überlegenen Machtposition: Jetzt können Sie mit den emotionalen Reaktionen anderer spielen. Zwingen Sie die Unsicheren zum Handeln, indem Sie ihren Mut bezweifeln und sie mit der Aussicht auf einen schnellen Sieg ködern.
Angesichts eines hitzköpfigen Gegners ist es schließlich auch noch eine sehr gute Taktik, überhaupt nicht zu reagieren. Nichts macht wütender als eine Person, die ihren kühlen Kopf wahrt, während die anderen die Nerven verlieren. Wenn es zu Ihrem Vorteil ist, Leute aus der Fassung zu bringen, dann wählen Sie die aristokratische, gelangweilte Pose, machen Sie sich über die anderen nicht lustig und triumphieren Sie auch nicht, sondern geben Sie sich einfach gleichgültig. Dann brennen den anderen die Sicherungen durch. Während die anderen sich mit Wutausbrüchen lächerlich machen, tragen Sie gleich mehrere Siege davon, und einer davon besteht darin, dass Sie im Gegensatz zu deren kindischem Verhalten Ihre Würde und Fassung gewahrt haben.
Symbol: der Fischteich. Das Wasser ist klar und ruhig, und die Fische schwimmen tief unter der Oberfläche. Schlagen Sie Wellen, und dann kommen sie langsam höher. Wühlen Sie das Wasser noch mehr auf, und sie werden wütend, kommen nach oben und schnappen nach allem, was ihnen nahe kommt - einschließlich eines Angelhakens mit frischem Köder.
Garant: Nütze es aus, wenn der Gegner leicht erregbar ist, um ihn herauszufordern... Gib Unterwürfigkeit vor, um die Arroganz des Gegners anzustacheln... Daher beziehen jene, die den Gegner geschickt zu Bewegungen veranlassen, Stellungen, denen sich der Gegner anpassen muß; sie bieten dem
Gegner etwas, was er mit Gewißheit annehmen wird. Sie veranlassen den Gegner zu Bewegung, indem sie ihm einen Vorteil vorgaukeln, und warten auf ihn im Hinterhalt. (Sun-tzu, 4. Jh. v. Chr.)
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