SCHLÜSSEL ZUR MACHT
Es ist nur natürlich, wenn Sie sich in Zeiten der Not Ihrer Freunde bedienen wollen. Das Leben ist hart, und Freunde machen die Härte erträglicher. Abgesehen davon kennen Sie sie. Warum auf einen Fremden vertrauen, wenn Sie einen Freund zur Hand haben?
Das Problem ist nur, dass Sie oft Ihre Freunde nicht so gut kennen, wie Sie glauben. Freunde stimmen einander häufig zu, um Diskussionen aus dem Weg zu gehen. Sie verbergen ihre unangenehmen Eigenschaften, um sich nicht gegenseitig zu verletzen. Über die Späße des anderen lachen sie extra laut. Weil Ehrlichkeit kaum Freundschaften stärkt, wissen Sie im Zweifelsfall nie, wie ein Freund tatsächlich empfindet. Freunde sagen, dass Sie Ihre Gedichte lieben, Ihre Musik bewundern, auf Ihren guten Geschmack neidisch sind - vielleicht meinen sie es ehrlich, oft aber nicht.
WIE MAN VON SEINEN FEINDEN PROFITIERT
Als König Hieran einst mit einem seiner Feinde sprach, warf der ihm vor, er hätte einen stinkenden Atem. Der gute König war einigermaßen bestürzt darob, und sobald er nach Hause kam, schalt er seine Frau: »Wie ist das möglich, warum hast selbst du mir das nie gesagt?« Die Frau, eine liebe, einfältige und tugendhafte Person, antwortete: »Herr, ich habe an-genommen, der Atem aller Männer müsse so riechen.« Damit ist klar, daß wir über Fehler, die alle Welt riecht, sieht oder sonst wie wahmimmt, eher von unseren Feinden unterrichtet werden als von unseren Freun-den oder Verwandten.
PLUTARCH, UM 46-120 N. CHR.
Wenn Sie einen Freund oder eine Freundin anheuern, finden Sie nach und nach Eigenschaften heraus, die er oder sie verborgen hatte. Paradoxerweise ist es gerade Ihre Großzügigkeit, die alles aus dem Gleichgewicht bringt. Menschen wollen spüren, dass sie ihr Glück auch verdienen. Gunst geschenkt zu bekommen, kann bedrückend sein: Es bedeutet, dass man erwählt worden ist, weil man ein Freund ist, nicht notwendigerweise, weil man gebraucht wird. Es liegt eine gewisse Herablassung darin, Freunde für sich arbeiten zu lassen, und die quält sie im Stillen.
Das Problem mit Freunden ist, dass sie unausweichlich Ihre Macht einschränken. Der Freund ist kaum derjenige, der Ihnen am besten helfen
kann; letzten Endes aber sind Können und Kompetenz viel wichtiger als freundschaftliche Gefühle.
Alle Arbeitssituationen erfordern eine gewisse Distanz zwischen den Menschen. Man will etwas erreichen, nicht Freundschaften schließen; Freundlichkeit (echte oder falsche) vernebelt nur diese Tatsache. Der Schlüssel zur Macht liegt folglich in der Fähigkeit, einzuschätzen, wer am besten in allen Situationen Ihren Interessen dienen kann.
Soviel mehr ist man geneigt, ein Unrecht zu erwidern als eine Wohltat zu vergelten, wie ja Dankespflicht als Last, Befriedigung der Rache als Gewinn betrachtet wird.
TACITUS, UM 55-120 N. CHR.
Ihre Feinde hingegen sind eine unerschlossene Goldgrube, die Sie auszubeuten lernen müssen. Als Talleyrand, Napoleons Außenminister, 1807 meinte, sein Chef würde Frankreich in den Ruin treiben, und die Zeit wäre gekommen, sich gegen ihn zu wenden, wusste er, wie gefährlich es war, sich gegen den Kaiser zu verschwören; er brauchte einen Partner, einen Verbündeten. Welchem Freund könnte er bei solch einem Vorhaben vertrauen? Er erwählte Fouche, Leiter der Geheimpolizei, seinen verhasstesten Feind, der ihn sogar schon einmal zu ermorden versucht hatte. Er wusste, dass ihr früherer Hass Gelegenheit für eine emotionale Versöhnung bot. Er wusste, dass Fouche nichts von ihm erwartete, sondern vielmehr zu beweisen versuchen würde, dass er Talleyrands Wahl wert war; wer etwas zu beweisen hat, versetzt Berge für Sie. Schließlich wusste er, dass die Beziehung zwischen Fouche und ihm auf wechselseitigen Eigeninteressen gründen würde und somit nicht von persönlichen Gefühlen getrübt wäre. Die Wahl erwies sich als perfekt; die Verschwörer schafften es zwar nicht, Napoleon zu stürzen, doch die Verbindung von so mächtigen, aber unwahrscheinlichen Partnern führte dazu, dass nach und nach der Widerstand gegen den Kaiser wuchs. Und von da an hatten Talleyrand und Fouche eine fruchtbare Arbeitsbeziehung. Wann immer Sie können, begraben Sie das Kriegsbeil, und ziehen Sie Vorteil daraus, dass Sie einen Feind in Ihre Dienste nehmen.
Regen Sie sich über die Gegenwart eines Feindes niemals auf, und lassen Sie sich von ihr auch nicht entmutigen - mit einem oder zwei erklärten Gegnern sind Sie viel besser dran, als wenn Sie nicht wissen, wer Ihre wahren Feinde sind. Machtmenschen begrüßen Konflikte, sie bedienen sich ihrer Feinde, um ihren Ruhm zu mehren, dass sie standfeste Krieger sind, auf die man sich in unsicheren Zeiten verlassen kann.
Symbol: die Fänge der Undankbarkeit. Weil Sie wissen, was passiert, wenn Sie den Finger in das Maul eines Löwen stecken, halten Sie zu ihm genügend Abstand. Bei Freunden aber lässt man keine solche Vorsicht walten, und wenn Sie sich ihrer bedienen, werden diese Sie dereinst mit ihrer Undankbarkeit bei lebendigem Leib auffressen.
Garant: Von den Feinden Nutzen ziehen. Man muß alle Sachen anzufassen verstehn, nicht bei der Schneide, wo sie verletzen, sondern beim Griff, wo sie beschützen; am meisten aber das Treiben der Widersacher. Dem Klugen nützen seine Feinde mehr, als dem Dummen seine Freunde. (Baltasar Graciän, 1601-1658)
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