GESETZ 45 PREDIGE NOTWENDIGEN WANDEL, ABER ÄNDERE NIE ZU VIEL AUF EINMAL
WAS HEISST DAS?
Auf abstrakter Ebene versteht jeder, dass Veränderungen nötig sind. Doch in der Praxis sind Menschen Gewohnheitstiere: Zu viel Neues ist traumatisch und weckt Widerstand. Wenn Sie in eine neue Machtposition gelangt sind oder sich als Außenseiter eine Machtbasis verschaffen wollen, machen Sie viel Getue darum, dass Sie die bewährten Mittel und die eingefahrenen Wege respektieren. Sind Veränderungen notwendig, dann verkaufen Sie sie als kleine Verbesserungen des Bewährten.
Die Psyche des Menschen kennt viele Widersprüche. Selbst wenn Menschen die Notwendigkeit des Wandels einsehen, wenn sie wissen, wie wichtig es für Institutionen wie Individuen ist, dass es ab und an zu Neuerungen kommt, sind sie doch über Veränderungen, die sie persönlich betreffen, irritiert und verärgert. Sie wissen, dass der Wandel nottut und Neues sie vor Langeweile bewahrt, doch tief in ihrem Innern klammern sie sich an die Vergangenheit. Sie streben nach abstrakten oder oberflächlichen Veränderungen, aber ein Wechsel, der ihre Sitten und Gebräuche im Kern trifft, verwirrt sie zutiefst.
Bislang hat noch jede Revolution später machtvolle Gegenreaktionen heraufbeschworen, denn auf lange Sicht ist die von ihnen erzeugte Leere für das Tier im Menschen zu beängstigend, das unbewusst solche Leere mit Tod und Chaos assoziiert. Die Aussicht auf Wandel und Erneuerung verführt die Menschen, sich der Revolution anzuschließen, doch wenn ihr Enthusiasmus erst einmal verblasst - was mit Sicherheit geschieht -, bleibt ihnen ein Gefühl der Leere. Sie sehnen sich nach Vergangenem und sie finden einen Weg, sich wieder darin zu verkriechen.
Laut Machiavelli kann der Prophet, der den Wandel predigt und bringt, nur überleben, indem er zu den Waffen greift: Wenn die Massen sich nach der Vergangenheit zurücksehnen, was unvermeidlich ist, muss er bereit sein, Gewalt anzuwenden. Doch auch der gewappnete Prophet kann sich nicht lang halten, wenn er nicht rasch für neue Werte und Rituale sorgt, die die alten ersetzen können, und somit die Ängste derjenigen beschwichtigt, die den Wandel fürchten. Viel leichter und unblutiger ist es da, sich einer List zu bedienen: Predigen Sie Wandel, so viel Sie wollen, und setzen Sie auch Ihre Reformen in Gang, doch geben Sie ihnen den vertrauten Anstrich früherer Ereignisse und älterer Traditionen.
VOM SONNENGOTT ZUM WEIHNACHTSMANN
Uralt ist freilich die Sitte, die Zeit des Jahreswechsels festlich zu begehen. Die Römer pflegten zwischen dem 17. und dem 23. Dezember das Fest des Saturn, des »Gottes der Aussaat«, die sogenannten Satumalien, zu feiern. Es war das fröhlichste Fest des Jahres: Alle Arbeit und Geschäfte ruhten, und in den Straßen herrschte ein karnevalähnliches, ausgelassenes Treiben. Die Sklaven genossen
vorübergehende Freiheit, und die Häuser waren mit frischen Lorbeerzweigen geschmückt. Man besuchte und beschenkte einander mit Wachskerzen und Tonpüppchen. Schon lange vor Christi Geburt feierten die Juden ein achttägiges Fest der Lichter, und auch von den Germanen wird angenommen, dass sie nicht nur im Mittsommer, sondern auch um die Wintersonnwende ein großes Fest zur Feier der Wiedergeburt der Sonne und zu Ehren der um diese Zeit durch die Lüfte ziehenden, Fruchtbarkeit spendenden Götter Wodan und Freyja, Donar und Freyr begingen. Die Beschwörung von Licht und Fruchtbarkeit als wesentlicher Bestandteil der vorchristlichen Mittwinterfeiern ließ sich auch nach der Einführung des Christentums als Reichsreligion durch Kaiser Konstantin den Großen (306-337 n. Chr.) nicht gleich aus dem Bewusstsein der Menschen verdrängen. Noch Kaiser Aurelian (214-275 n. Chr.) hatte 274 einen ojflziellen Staatskult für den Sonnengott eingerichtet und dessen Geburtstag, den 25. Dezember, zum Staatsfeiertag erklärt. Von Persien über Kleinasien, Griechenland und Rom bis nach Germanien und Britannien hatte sich der Kult des arischen Lichtgottes Mithras verbreitet. Zahlreiche Ruinen seiner Kultstätten (Mithräen) legen noch heute Zeugnis davon ab, welch hohes Ansehen dieser Gott, der als Spender von Fruchtbarkeit, Frieden und Sieg galt, bei den römischen Soldaten genoss. So war es ein kluger Schachzug, als die christliche Kirche unter Papst Liberias (352366) im Jahre 354 den Tag des Mithras für sich in Anspruch nahm und den 25. Dezember zum Geburtstag Christi erklärte.
NEUE ZÜRCHER ZEITUNG, ANNE-SUSANNE RISCHKE, 24.12.1983
Mit einfachen Maßnahmen, wie der Verwendung eines alten Titels oder der Beibehaltung bestimmter Gepflogenheiten, verknüpfen Sie sich mit der Vergangenheit und verschaffen sich die Autorität der Geschichte.
Um notwendige Veränderungen zu bemänteln, können Sie auch großes öffentliches Aufheben davon machen, dass Sie die Werte der Vergangenheit hochhalten. Geben Sie sich als begeisterter Traditionalist, dann werden nur wenige merken, wie unkonventionell Sie in Wirklichkeit sind. Das Florenz der Renaissance war seit Jahrhunderten Republik, und wer über seine Traditionen spottete, machte sich sofort verdächtig. Folglich stellte sich Cosimo de' Medici als glühender Verehrer der Republik dar, während er in Wirklichkeit daran arbeitete, die Stadt der Kontrolle durch seine reiche Familie zu unterwerfen. Der Form nach wahrten die Medici den Anschein einer Republik, dem Gehalt nach war Letztere jedoch machtlos. Im Stillen vollzogen sie einen radikalen Wandel, während sie selbst als Wahrer der Tradition auftraten.
Einem fest verwurzelten Konservatismus begegnet man am besten mit Lippenbekenntnissen zur Tradition. Suchen Sie in Ihren revolutionären Plänen nach Elementen, die sich als in der Vergangenheit wurzelnd darstellen lassen. Wählen Sie die richtigen Worte, streichen Sie Konformität heraus, und lassen Sie gleichzeitig Ihre Theorien ihre radikale Arbeit tun.
Menschen an der Macht berücksichtigen stets den Zeitgeist. Sind Ihre Reformen der Zeit zu weit voraus, werden nur wenige sie verstehen, viele sie aber hoffnungslos falsch interpretieren und sich ängstigen. Die Veränderungen, die Sie vornehmen, müssen immer weniger innovativ wirken, als sie sind.
Achten Sie auf den Zeitgeist. Sind die Umstände turbulent, können Sie Macht daraus gewinnen, die Rückkehr zur Vergangenheit, zum Vertrauten, zu Traditionen und Ritualen zu predigen. Während einer Stagnation dagegen spielen Sie die Karte der Reform und Revolution aus - doch beobachten Sie genau, was Sie damit heraufbeschwören. Revolutionen werden nur selten von denen zum Abschluss gebracht, die sie angezettelt haben.
Symbol: die Katze. Ein Gewohnheitstier: Sie liebt die Wärme des Vertrauten. Bringen Sie ihren Tagesablauf durcheinander und stören Sie ihre Kreise, reagiert sie unberechenbar und psychotisch. Besänftigen Sie sie, indem Sie ihre Rituale achten. Ist ein Wandel nötig, täuschen Sie die Katze, indem Sie den Geruch der Vergangenheit lebendig halten: Platzieren Sie an strategischen Punkten vertraute Objekte.
Garant: Wer einem Staat eine neue Verfassung geben will und dabei möchte, daß sie gut aufgenommen und zur Zufriedenheit eines jeden erhalten wird, muß wenigstens den Schein der alten Formen beibehalten, damit das Volk glaubt, es hätte sich nichts geändert, auch wenn die neuen Einrichtungen mit den früheren nicht das geringste gemein haben. Denn die Masse der Menschen lässt sich mit dem Schein ebenso abspeisen wie mit der Wirklichkeit. (Niccolo Machiavelli, 1469-1527)
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