GESETZ 29 PLANE ALLES BIS ZUM ENDE
WAS HEISST DAS?
Das Ziel ist das Entscheidende. Planen Sie den ganzen Weg dorthin. Berücksichtigen Sie alle möglichen Folgen, Hindernisse und Schicksalsschläge, die Ihre harte Arbeit zunichtemachen oder anderen die Ehre dafür eintragen könnten. Wenn Sie alles bis zum Schluss planen, können Sie nicht von Zufällen überrascht werden. Dann wissen Sie, wann Sie aufhören müssen. Helfen Sie dem Glück nach. Bestimmen Sie die Zukunft mit, indem Sie weit vorausdenken.
Nach der Vorstellung der alten Griechen hatten die Götter genaue Kenntnis der Zukunft. Sie sahen bis ins kleinste Detail alles kommen. Die Menschen hingegen waren Opfer des Schicksals, waren in ihrer Zeit und in ihren Gefühlen gefangen und konnten nicht über die unmittelbaren Gefahren hinaussehen. Helden wie Odysseus, der über den Augenblick hinaus mehrere Schritte im Voraus planen konnte, schienen dem Schicksal zu spotten und sich in ihrer Fähigkeit, die Zukunft zu determinieren, den Göttern zu nähern. Der Vergleich ist noch immer gültig: Diejenigen von uns, die weiter vorausdenken und geduldig ihren Plan reifen lassen, scheinen von gottgleicher Macht erfüllt.
Da die meisten Menschen zu sehr im Augenblick gefangen sind, um diese Art von Vorausschau entwickeln zu können, ist die Fähigkeit, unmittelbare Gefahren wie unmittelbare Freuden ignorieren zu können, gleichbedeutend mit Macht. Es ist die Macht, die angeborene menschliche Tendenz, auf die Dinge direkt zu reagieren, zu überwinden und sich stattdessen zu trainieren, einen Schritt zurückzutreten, sich vorzustellen, wie über die unmittelbare Vision hinaus das große Ganze Gestalt annimmt.
DIE FRÖSCHE
Als der Teich austrocknete, machten sich zwei Frösche auf den Weg und suchten eine Bleibe. Wie sie nun an einen Brunnen kamen, war der eine dafür, ohne weiteres hinunterzuspringen. Der andere aber meinte: »Wenn nun auch hier das Wasser austrocknet, wie kommen wir dann wieder herauf?« Die Fabel lehrt uns, nicht unüberlegt an die Dinge heranzutreten.
LEBENS-KLUGHEIT VON ÄSOP, 6. JH. V. CHR.
415 v. Chr. griffen die Athener Sizilien an; sie glaubten, dieser Feldzug würde ihnen Reichtümer, Macht und ein ruhmreiches Ende des 16-jährigen Peloponnesischen Krieges einbringen. Sie unterschätzten die Gefahren einer Invasion so weit von zu Hause; sie sahen nicht voraus, dass die Sizilianer auf eigenem Grund und Boden nur umso entschlossener kämpfen würden und dass alle Feinde Athens sich gegen sie verbünden würden, und sie erkannten auch nicht, dass der Krieg an mehreren Fronten zugleich geführt werden musste, sodass sie ihre Kräfte viel zu sehr auseinanderziehen mussten. Die
Invasion Siziliens war ein vollständiger Fehlschlag und führte zur Zerstörung einer der großartigsten Kulturen aller Zeiten. Ihr Herz hatte die Athener in den Untergang geführt, nicht ihr Verstand. Sie sahen nur die Aussicht auf Ruhm, nicht die Gefahren, die am Horizont lauerten.
Wer weise Frauen nach der Zukunft fragt, gibt ohne es zu wissen, eine innere Kunde vom Kommenden preis, die tausendmal präziser ist als alles, was er dort zu hören bekommt.
WALTER BENJAMIN, 1892-1948
»Der gewöhnlichste Grund für die Fehler der Menschen ist«, schrieb Kardinal de Retz, »dass sie zu viel Angst vor den gegenwärtigen Gefahren haben und nicht genug vor jenen, die noch in weiter Ferne sind.« Die entfernten Gefahren, die irgendwo im Hintergrund lauern - wenn wir die Gestalt annehmen sehen können, wie viel Fehler können wir dann vermeiden! Wie viel Pläne mögen wir sofort aufgeben, wenn uns klar würde, dass wir eine kleine Gefahr meiden, nur um in eine viel größere hineinzugeraten. Ein Gutteil der Macht resultiert nicht aus dem, was Sie tun, sondern aus dem, was Sie nicht tun - die überstürzten, närrischen Aktionen, die Sie lieber sein lassen, ehe sie Sie in Schwierigkeiten bringen. Planen Sie jedes Detail, ehe Sie handeln - und lassen Sie sich nicht von vagen Plänen in die Irre führen. Wird das unbeabsichtigte Konsequenzen haben? Werde ich mir neue Feinde machen? Wird sich ein anderer meiner Arbeit bemächtigen? Die Dinge gehen sehr viel häufiger unglücklich als glücklich aus - also lassen Sie sich nicht von dem Happy End einlullen, das Ihnen im Geiste vielleicht vorschwebt.
Wenn Sie mehrere Schritte voraussehen und alle Ihre Züge bis zum Ende planen, werden Sie nicht länger von Emotionen in Versuchung geführt oder von der Lust am Improvisieren. Ihre Klarheit befreit Sie von der Angst und der Unbestimmtheit, die der Hauptgrund sind, warum es so vielen nicht gelingt, ihre Pläne erfolgreich zum Abschluss zu bringen. Haben Sie das Ende fest im Blick, und dulden Sie keine Abweichung.
Symbol: die Götter auf dem Olymp. Aus den Wolken sehen sie auf das Treiben der Menschen herab, und
Garant: Wieviel leichter ist es doch, das Boot gar nicht erst zu betreten, als wieder herunterzukommen! Wir sollten uns entgegengesetzt zum Schilfrohr verhalten, das im ersten Aufschießen einen langen und graden Schaft hervor treibt; dann aber, als wäre es außer Atem und hätte sich erschöpft, beginnt es zahlreiche dicke Knoten zu bilden, gleichsam Ermüdungsmaie, die zeigen, dass es nicht mehr seine ursprüngliche Lebendigkeit und Ausdauer hat. Es ist daher besser, schön langsam und umsichtig zu beginnen und uns Atem und Schwungkraft für den entscheidenden Augenblick zu bewahrn, da es auf die Vollendung unsers Vorhabens ankommt. In Wirklichkeit jedoch haben wir die Führung unsrer Geschäfte nur anfangs fest im Griff; hernach aber, einmal in Gang gesetzt, sind sie es, die uns führen und mit sich reißen, und wir müssen ihnen folgen. (Michel de Montaigne, 1533-1592)
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