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SCHLÜSSEL ZUR MACHT

Der Eindruck, dass ein anderer intelligenter ist als wir, ist uns fast unerträglich. In der Regel versuchen wir, das auf verschiedene Weise zu rechtfertigen: »Er hat sein Wissen nur aus Büchern, ich aber kenne das wirkliche Leben.« - »Ihre Eltern konnten ihr eine gute Ausbildung bezahlen. Wenn meine Eltern auch so viel Geld gehabt hätten, wäre ich ebenfalls so privilegiert gewesen...« - »Der ist gar nicht so klug, wie er glaubt.«
Da die Intelligenz für die Eitelkeit der Menschen eine so große Rolle spielt, kommt es entscheidend darauf an, die Verstandeskraft eines anderen nie unbeabsichtigt infrage zu stellen oder gar zu beleidigen. Das ist ein unverzeihlicher Fehler. Wenn Sie diese Regel jedoch eisern befolgen, eröffnen sich Ihnen unzählige Möglichkeiten der Täuschung. Geben Sie unterschwellig anderen Menschen zu verstehen, dass sie intelligenter sind als Sie selbst oder dass Sie gar ein bisschen schwachsinnig sind, und Sie können sie nach Strich und Faden einwickeln. Das Gefühl intellektueller Überlegenheit, das Sie ihnen vermitteln, entwaffnet sie, weil es ihr Misstrauen einlullt.
Auf keine Vorzüge aber ist der Mensch so stolz, wie auf die geistigen: beruht doch nur auf ihnen sein Vorrang vor den Thieren. Ihm entschiedene Ueberlegenheit in dieser Hinsicht vorzuhalten, und noch dazu vor Zeugen, ist daher die größte Verwegenheit... Während daher in der Gesellschaft Stand und Reichthum stets auf Hochachtung rechnen dürfen, haben geistige Vorzüge solche keineswegs zu erwarten: im günstigsten Fall werden sie ignorirt; sonst aber angesehn als eine Art Impertinenz, oder als etwas, wozu ihr Besitzer unerlaubterweise gekommen ist und nun sich untersteht damit zu stolziren; wofür ihm also irgend eine anderweitige Demüthigung angedeihen zu lassen Jeder im Stillen beabsichtigt und nur auf die Gelegenheit dazu passt. Kaum wird es dem demüthigsten Betragen gelingen Verzeihung für die geistige Ueberlegenheit zu erbetteln. Sadi sagt im Gulistan (S. 146 der Uebersetzung von Graf): »Man wisse, dass sich bei dem Unverständigen hundert Mal mehr Widerwillen gegen den Verständigen findet, als der Verständige Abneigung gegen den Unverständigen empfindet.« - Hingegen gereicht geistige Inferiorität zur wahren Empfehlung. Denn was für den Leib die Wärme, das ist für den Geist das wohlthuende Gefühl der Ueberlegenheit; daher Jeder, so instinktmäßig wie dem Ofen, oder dem Sonnenschein, sich dem Gegenstände nähert, der es ihm verheißt. Ein solcher nun ist allein der entschieden tiefer Stehende, an Eigenschaften des Geistes.
ARTHURSCHOPENHAUER, 1788-1860
1865 wollte der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck, dass Österreich eine Konvention unterzeichnete, die überwiegend den Interessen

Preußens und kaum denen Österreichs entsprach, und dafür musste er eine Strategie entwerfen, um von den Österreichern die Zustimmung zu bekommen. Der österreichische Unterhändler, Graf Blome, war ein leidenschaftlicher Kartenspieler. Besonders gern spielte er Quinze, und man hatte ihn häufiger sagen hören, er könne den Charakter eines Mannes daran erkennen, wie dieser Quinze spiele. Bismarck wusste das.
Am Abend vor dem Verhandlungsbeginn lud Bismarck mit Unschuldsmiene Blome zu einer Partie Quinze ein. Später schrieb der Preuße: »Ich spielte so leichtsinnig drauflos, dass sich die andern nicht genug verwundern konnten... Ich verlor damals ein paar Hundert Taler... Aber ich machte [Graf Blome] damit irrig, er hielt mich für waghalsig und gab nach.« Bismarck gab sich nicht nur waghalsig, sondern machte sich auch zum Narren, sagte Lächerliches und zappelte herum, als hätte er zu viel Energie.
Aufgrund all dessen hatte Blome das Gefühl, an wichtige Informationen gelangt zu sein. Er wusste, dass Bismarck aggressiv war - der Preuße hatte sich bereits jenen Ruf erworben, und seine Art und Weise des Spielens bestätigte das. Und aggressive Männer, das wusste Blome, handeln unbesonnen und übereilt. Ein unvorsichtiger Narr wie Bismarck, glaubte er, sei zu einem kaltblütigen, berechnenden Täuschungsmanöver gar nicht in der Lage, und so überflog er den Vertrag bloß, ehe er ihn unterschrieb. Kaum war die Tinte trocken, sagte ihm ein fröhlicher Bismarck ins Gesicht, er hätte nie geglaubt, ein österreichischer Diplomat würde dieses Dokument unterschreiben.
Die Chinesen kennen ein Sprichwort: »Verkleide dich als Schwein, um den Tiger zu töten.« Das bezieht sich auf eine alte Jagdtechnik, bei der der Jäger sich tatsächlich in einen Schweinebalg samt Rüssel hüllt und das Grunzen nachmacht. Der mächtige Tiger glaubt, dass ein Schwein seines Wegs käme, und lässt es in Erwartung einer leckeren Mahlzeit in Ruhe näher kommen. Doch dann lacht der Jäger als Letzter.
Sich als Schwein zu verkleiden bewirkt Wunder bei jenen, die wie Tiger arrogant sind und zu viel Selbstvertrauen haben: Je leichter zu erbeuten Sie sich ihnen gegenüber geben, desto leichter können Sie das Blatt wenden.
Intelligenz ist die wichtigste Eigenschaft, die Sie herunterspielen müssen, aber dabei muss es nicht bleiben. Guter Geschmack und Kultiviertheit folgen auf der Eitelkeitsskala gleich danach. Geben Sie anderen Menschen das Gefühl, dass sie kultivierter sind als Sie, dann nehmen sie die Schilde herunter. Diese behalten Sie um sich, weil sie sich in Ihrer Gegenwart besser fühlen. Und je länger Sie anderen nahe sind, desto mehr Gelegenheiten finden Sie, sie hinters Licht zu führen.
Symbol: das Opossum. Es stellt sich tot, spielt den Narren. Manch ein Räuber hat es deswegen schon in Ruhe gelassen. Wer sollte meinen, dass solch eine hässliche, unintelligente, nervöse kleine Kreatur zu solch einem Täuschungsmanöver fähig ist?
Garant: Von der Dummheit Gebrauch zu machen verstehn. Der größte Weise spielt bisweilen diese Karte aus, und es giebt Gelegenheiten, wo das beste Wissen darin besteht, daß man nicht zu wissen scheine. Man soll nicht unwissend seyn, wohl aber es zu seyn affektiren. Bei den Dummen weise und bei den Narren gescheut seyn, wird wenig helfen... Nicht der ist dumm, der Dummheit affektirt... Das einzige Mittel, beliebt zu seyn, ist, daß man sich mit der Haut des einfältigsten der Thiere bekleide. (Baltasar Graciän, 1601-1658)